korrika001Euskara: trotz Wind, Wetter und Verbot

Die Motoren laufen warm: am 19.März startet der große Solidaritäts- und Promotions-Lauf für die baskische Sprache, die KORRIKA. Elf Tage und zehn Nächte lang wird ohne Unterbrechung marschiert, damit die baskische Sprache auch in der Zukunft geschrieben und gesprochen wird. Hunderttausende setzen sich in Bewegung und scheuen nicht Kälte, Regen, Sonne oder Nacht, um sich für ihre Sprache einzusetzen. Die baskische Zeitung ARGIA beteiligt sich auf ihre Art an der Kampagne.

(2015-03-18) Wenn alle zwei Jahre ein KORRIKA-Lauf organisiert wird, setzen sich nicht nur Läuferinnen und Läufer aller Altersgruppen in Bewegung, um die 2.300 Kilometer Distanz zu füllen und die Mehrheit der baskischen Dörfer und Städte miteinander zu verbinden. Auch Institutionen und Kommunikations-Medien konzentrieren sich zehn Tage lang stark auf dieses Ereignis. Live-Übertragungen, Interviews mit Beteiligten, Bilder aus dem Schnee und vom Strand, jeweils die erste Meldung in den Nachrichten, Plakate, Kulturveranstaltungen an vielen Orten – niemand kommt am Thema vorbei. Auch nicht jene, die dem Euskara alles andere als Erfolg wünschen. Ein Blick in die Geschichte mehrerer Jahrhunderte zeigt, dass auch regelmäßige Verbote das Überleben der baskischen Sprache nicht verhindern konnten. Allen Versuchen der jeweiligen Machthaber, die französische bzw. spanische Sprache als alleinige Kommunikationsform durchzusetzen, scheiterten am Willen der jeweils verbliebenen Minderheit von Baskisch-Sprechenden, die sich ihre Sprache nicht nehmen lassen wollten oder schlicht keine andere kannten. Die allmächtige Verbotspolitik scheiterte insbesondere in den Dörfern, an der Landbevölkerung, denn es war unmöglich jeder Bäuerin bei der Feldarbeit einen Spitzel zur Seite zu stellen. In den Städten war es eher möglich, mit Spitzeleien, Verboten und Strafen das Euskara weitgehend an den Rand zu drängen. (1)korrika002

Nicht so in den Dörfern, die auch im 21.Jahrhundert dem Baskenland nach wie vor seinen besonderen Charakter geben. In Sachen Euskara ist im März 2015 zehn Tage lang Klarheit angesagt, die klare Selbstverpflichtung für den Erhalt der Sprache. An dieser Klarheit beteiligt sich auch die in baskischer Sprache erscheinende Wochenzeitschrift ARGIA, denn das baskische Wort "argia" bedeutet "klar". Dabei gibt sich ARGIA nicht damit zufrieden, für das Euskara und die KORRIKA in baskischer Sprache Werbung zu machen und zu berichten. Die Botschaft ist breiter angelegt und soll auch Menschen erreichen, die des Euskara nicht mächtig sind. Erreicht werden sie in ihren jeweils eigenen Sprachen, auf katalanisch, galicisch, aragonesisch, holländisch, französisch, finnisch, asturisch, englisch, spanisch. Und in deutscher Sprache.

Auf ihrer Webseite argia.eus (2) publizierte ARGIA bisher zehn Versionen eines Textes, in dem die Geschichte und Gegenwart der Sprache in groben Zügen vermittelt wird. Unter dem baskischen Titel: "Korrika mundu osora zabaltzeko artikulu bat itzultzen laguntza behar dugu" werden Freiwillige gesucht, die sich an die Übersetzungen in weitere Sprachen machen wollen. Ein Blick ins Kommentar-Fourm von ARGIA zeigt, dass Bretonisch, Gälisch und Italiensich bereits ebenfalls in der Mache sind und die Liste erweitern werden. Dabei geht es nicht um irgend einen neuen Rekord für das Guiness-Buch, es geht darum, möglichst viele Nicht-Euskaldune zu beteiligen, die Botschaft in anderen Sprachgemeinden zu verbreiten und die Problematik des Euskara möglichst vielen Personen in anderen Ländern bekannt zu machen.

Der ARGIA-Text beginnt mit einem Superlativ und der Feststellung, dass der Korrika-Lauf die weltweit größte Initiative für eine Sprache darstellt:
Am 19.März beginnt ein Event, der so viele Menschen wie nirgendwo sonst auf der Welt für ihre Sprache auf die Straße gehen lässt. Hunderttausende nehmen daran teil, ohne Unterbrechung geht ein Staffelholz von Hand zu Hand, das die eigene Sprache symbolisiert. Elf Tage und zehn Nächte lang laufen die Teilnehmer/innen 210 Stunden lang ungefähr 2.300 Kilometer. Der Lauf verbindet die Mehrheit der Dörfer und Städte des gesamten Baskenlandes. Euskal Herria liegt in Europa, zwischen dem Süden des französischen und dem Norden des spanischen Staates. Ein Video zeigt Bilder der vergangenen Ausgaben der Korrika:

Botschaft in 1000 Händen

Im Staffelholz befindet sich eine geheime Botschaft. Nachdem sie durch Tausende von Händen gegangen ist, wird sie bei der Abschlussveranstaltung der Korrika vorgelesen, sicher ist nur: es wird eine Ermutigung sein, nicht nachzulassen im Bemühen für das Euskara. Diesen Staffelstab aus Holz mit dem baskischen Symbol zu tragen, gilt als besondere Ehre. Deshalb "kaufen" Vereine, Institutionen und Privatpersonen Korrika-Kilometer zur Förderung der Sprache. Organisiert wird der Lauf von den Baskisch-Schulen, die zu AEK gehören, einer Vereinigung, deren Aufgabe darin besteht, Euskara zu unterrichten und Erwachsene zu alfabetisieren. Ihr sind die Einnahmen gewidmet, die dieses gigantische Crowdfunding einbringt.korrika003

Gegen die Unsichtbarkeit

Die baskische Sprache Euskara war einst in Gefahr verloren zu gehen. Noch heute wird sie nur von circa einer Million Menschen gesprochen und ist laut UNESCO nach wie vor vom Verschwinden bedroht. In manchen Regionen ist diese Gefahr offensichtlich: in einigen Gegenden ist das Euskara offizielle Sprache, in großen Teilen des baskischen Territoriums jedoch nicht. Die Korrika vereint dieses gesamte Territorium in einem festlichen Ambiente. Alle Teilnehmer/innen haben eine positive Einstellung zum Euskara und nutzen die Gelegenheit, wenn die Korrika durch ihre Stadt, ihr Dorf oder ihren Stadtteil kommt, um Aktionen und Feste zu organisieren und ihre Forderungen zugunsten ihrer Sprache auf die Straße zu tragen.

Die Korrika ist genau wie ihre Veranstalterin AEK eine Initiative, die in der Zivilgesellschaft entstanden ist. Sie findet alle zwei Jahre statt, in diesem Jahr zum 19.Mal. In Anbetracht ihres Erfolges haben vergleichbare Gemeinschaften mit marginalisierten Sprachen begonnen, ähnliche Läufe zu organisieren: in Katalonien, Irland, Galicien, und auch im Aran-Tal wird für die einheimische Sprache gelaufen.

In der jüngeren Vergangenheit hat das Euskara große Rückschritte erlitten, insbesondere in den vergangenen drei Jahrhunderten. So waren Euskara-Sprechende zum Beispiel Opfer von Spott, Strafen und Prügeln, weil sie nur Baskisch sprachen. Unter diesen Vorzeichen hat die psychologische Verfolgung neben anderen Faktoren eine entscheidende Rolle gespielt, dass die Leute ihre Sprache wechselten. Die Sprachpolitik der Zentralstaaten Spanien und Frankreich nahm direkten Einfluss gegen das Euskara, darin ist sich die große Mehrheit der Linguist/innen einig.

Die Herren der Ringe

"Der Ring" ist eines der grausamsten Symbole der Unterdrückung des Euskara. Da es in der Schule verboten war Baskisch zu sprechen, war das Lehrpersonal immer auf der Hut, Kinder dabei zu ertappen, ein paar Worte Baskisch zu sprechen. Kinder, die erwischt wurden, mussten den "Ring" tragen, einen am Band hängenden Ring, als Zeichen des Ungehorsams und der Strafe. Loswerden konnten die bestraften Kinder dieses für alle sichtbare Schandmal nur dadurch, dass sie andere Kinder auf dieselbe Weise kontrollierten und sie denunzierten, wenn tatsächlich ein anderes Kind auch Baskisch sprach. Auf diese Weise musste das repressive System nicht einmal selbst aktiv werden, um seine repressive Strategie umzusetzen. Die Opfer selbst wurden benutzt, die grausame Botschaft weiterzugeben. Die Nazis taten Ähnliches, als sie in den Konzentrationslagern Mitgefangene als Capos einsetzten – teile und herrsche. Am Ende einer Woche wurde jenes Kind erneut bestraft, das den Ring zuletzt trug, oft kam es dabei zu körperlichen Züchtigungen. Bei vielen Kindern führte diese Praxis dazu, dass sie ihre Sprache zu hassen begannen und es vorzogen, sie später nicht an ihre eigenen Kinder weiterzugeben, damit diese nicht dieselbe Qual erleiden sollten. Zeugenaussagen aus dem gesamten Baskenland beweisen, dass "der Ring" zumindest in den vergangenen beiden Jahrhunderten generell zur Anwendung kam. "Sprich christlich" (Habla cristiano) war das Motto der Verbieter, die die spanische Sprache somit mit der katholischen Religion gleichsetzten: Spanisch zu sprechen war Christenpflicht, alle Anderssprachigen waren Ungläubige und Ketzer. Noch heute leben Personen, die von ihren Leiden berichten können.korrika004

Im spanischen Staat war das Euskara während einer 40-jährigen Diktatur komplett verboten. Es wurde eine "Städtische Wache" eingerichtet, die kontrollierte, in welcher Sprache die Menschen sprachen, diese Wache verhängte auch die Strafen. Das Euskara wurde fast völlig aus dem öffentlichen Leben eliminiert, zur Legitimation wurde es von den Machthabern als Hindernis auf dem Weg zur Modernität dargestellt.

Wege der Wiederaneignung

In den 50er Jahren und verstärkt in den 60ern, wurden im Baskenland in Privathäusern heimlich Schulen gegründet. Auf diesem Weg entstand eine Bewegung zur Erneuerung der baskischen Sprache. In den 70er Jahren, als eine neue politische Bewegung im Aufbruch war, begannen Tausende erneut Euskara zu lernen. Diese Pro-Baskisch-Bewegung gründete die AEK-Schulen. Nach dem Ende der Diktatur entstand aus der Notwendigkeit, diese Schulen zu finanzieren, die Idee der Korrika, die 1980 zum ersten Mal durchgeführt wurde.

Seither sind 35 Jahre vergangen und noch immer ist das Euskara im größten Teil seines sprachlichen Stammgebietes nicht offiziell. Die öffentlichen Schulen bieten in diesen Regionen keinen Euskara-Unterricht, deshalb müssen viele Kinder jährlich Tausende von Kilometern zurücklegen, um in einer entfernten Schule Euskara lernen zu können. In den Gebieten, in denen das Euskara offiziell ist, wurden zwar in Zusammenarbeit mit den lokalen Institutionen bedeutende Fortschritte gemacht. Doch klagt die spanische Regierung gegen Gemeindeverwaltungen, die in Euskara funktionieren – gegen jene Gemeinden oder Institutionen, die das Recht der Bevölkerung auf Empfang in Euskara missachten, klagt niemand. Die Tatsache, dass 2003 die einzige rein baskisch-sprachige Tageszeitung Egunkaria, die mit Spenden aus der Bevölkerung gegründet worden war, von der spanischen Polizei geschlossen und ihre Redaktionsmitglieder gefoltert wurden, hat sich tief ins Bewusstsein der Baskisch-Sprachigen eingeprägt. Im jakobinischen französischen Staat ist Französisch die einzige offizielle Sprache. Hier kam es zu Klagen gegen Ikastola-Schulen, die in Euskara unterrichten, im Januar 2015 wurde eine Gemeinde verklagt, die das Euskara zur offiziellen Sprache erklärte.

Euskara auf die Straße, alle zur Korrika!

Einige Sprach-Expert/innen gehen davon aus, dass von den derzeit weltweit existierenden 7.000 Sprachen noch in diesem Jahrhundert die Hälfte verschwinden wird. Euskal Herria konnte seine Sprache bisher erhalten, auf dem Weg zu seiner Normalisierung bedarf es jedoch noch großer Anstrengungen. Sätze wie "Das Euskara ist unser einziges freies Territorium", oder "Eine Sprache geht nicht verloren, weil jene, die sie nicht kennen sie nicht lernen, sondern weil jene, die sie kennen sie nicht sprechen", oder "Wie schön das klingt, dich auf Euskara sprechen zu hören" sind auf vielen Häusern, T-shirts, in Läden und Geschäften des Baskenlandes zu lesen. Ein so gigantisches Projekt wie die Korrika über Grenzen hinweg als Gemeinschaft umzusetzen, erfüllt alle mit einem gewissen Stolz. Die Korrika wird ermöglicht durch die Arbeit von Hunderten von Freiwilligen, sie gibt Tausenden von Menschen neue Energie, ihre Mühe für das Euskara fortzusetzen, sich die Sprache anzueignen und der Weltgemeinschaft ein wichtiges Stück Kulturerbe zu bewahren.korrika005

Rückblick auf die Euskara Verbote

Über Internet sowie an vielen öffentlichen Orten wird derzeit mit einer Übersicht der Verbotsverfügungen auch an die dunklen Jahre des Euskara erinnert, verfasst vom baskischen Schriftsteller Koldo Campos. Unter dem etwas zynischen Titel: "Die Benutzung des Euskara ist auf ganz natürliche Weise zurückgegangen" werden einige der Maßnahmen gegen die baskische Sprache aus den vergangenen 240 Jahren aufgelistet, traurigerweise ist die Aufzählung nicht vollständig. Bemerkenswert ist sie allemal:

Jahr 1768: Ein königlicher Erlass von König Carlos III. legt den ausschließlichen Gebrauch der kastilischen Sprache fest und verbietet das Euskara in den Grundschulen (Real Cedula de Carlos III).
Jahr 1772: Ein weiterer königlicher Erlass von Carlos III. verbietet Rechnungsbücher in baskischer Sprache für Händler.
Jahr 1776: Der Herzog von Aranda verbietet Bücher in Euskara.
Jahr 1801: Alle Theater-Vorstellungen in Euskara werden verboten.
Jahr 1803: Eine Einzelperson macht eine Anzeige, weil Schüler körperlich gezüchtigt werden, nachdem sie in der Schule Euskara gesprochen haben.
Jahr 1857: Das Moyano-Gesetz der liberalen spanischen Regierung schreibt die Schulpflicht ausschließlich in kastilischer Sprache vor.
Jahr 1862: In öffentlichen Schriftwechseln darf nicht mehr Euskara geschrieben werden.
Jahr 1867: Ein königlicher Erlass von Isabel II. verbietet des Euskara in allen Theater-Werken (Real Orden de Isabel II).
Jahr 1902: Der königliche Erlass von Alfonso XIII. und dem spanischen Ministerpräsidenten Álvaro Figueroa Torres belegt Lehrer mit Strafe, die in baskischer Sprache oder einem baskischen Dialekt unterrichten.
Jahr 1923: Die Benutzung des Euskara bei öffentlichen Akten wird verboten durch König Alfonso XIII. und den Diktator Primo de Rivera.
Jahr 1925: Alle baskischen Lehrbücher werden aus dem Verkehr gezogen, diejenigen Lehrer, die in Baskisch unterrichtet haben, werden suspendiert und bekommen kein Gehalt mehr.
Jahr 1937: Nach dem Einmarsch der siegreichen faschistischen Truppen in Bilbao wird der Gebrauch der baskischen Sprache generell verboten und unter Strafe gestellt.
Jahr 1938: Das Euskara wird aus den amtlichen Registern verbannt.
Jahr 1939: Euskara darf bei Hotelschildern nicht mehr benutzt werden.
Jahr 1940: Bei Gerichten und in Geschäften darf Euskara nicht mehr gesprochen werden.
Jahr 1944: Bei öffentlichen Schreiben und Texten darf Euskara nicht mehr benutzt werden.
Jahr 1947: Die Benutzung von Euskara in Zeitschriften wird verboten.
Jahr 1948: Euskara in Schulen wird verboten.
Jahr 1954: Auch in Radios darf Euskara nicht mehr benutzt werden.
Jahr 1964: Verbot des Euskara auf Schallplatten und in der Werbung.

 

ANMERKUNGEN:

(1) Baskultur.info publizierte in der Vergangenheit zwei weitere Artikel zum Thema Korrika:
Langer Marsch für eine Sprache (Baskultur.info)
Laufen für die Sprache (Baskultur.info)
(2) Homepage der Wochenzeitung ARGIA

ABBILDUNGEN:

* Alle Abbildungen stammen aus dem Foto-Archiv-Txeng

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