Opfer von Fangnetzen und Verschmutzung
Der Atlantische Nordkaper (latein: eubalaena glacialis, span: ballena franca glacial) ist eine bis 18 Meter lange Art der Glattwale, die im Nordatlantik verbreitet ist. Die Spezies ist auch unter dem Namen “baskischer Wal“ bekannt, weil er in früheren Jahrhunderten häufig im Golf von Bizkaia zu finden war. Und weil die baskischen Fischer die ersten waren, die den Fang des Atlantischen Nordkapers industriell betrieben. Neuere Schätzungen besagen, dass der Nordkaper vom Aussterben bedroht ist.
Jahrhunderte lang wurde der Atlantische Nordkaper, auch “Baskischer Wal“ genannt, im Ost-Atlantik gejagt, bis er hier ausgerottet war und sich nach Nordwesten verzog. Schiffsverkehr und mörderische Fangmethoden stellen heute generell seine Existenz in Frage.
Vor Jahrhunderten war es der massive Fischfang, der die Zahl des Atlantischen Nordkaper-Wals reduzierte. Heute sind es andere menschliche Eingriffe in das Meeresambiente, die dieser Wal-Spezies den Stempel “vom Aussterben bedroht“ eingebracht haben. Dies stellt die UICN fest, die Internationale Union zur Bewahrung der Natur, auch Weltnaturschutz-Union genannt, eine internationale Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) und Dachverband zahlreicher internationaler Regierungs- und Nicht-Regierungs-Organisationen. Sie spricht sogar von einem “kritischen Punkt“ und beziffert die verbleibende Anzahl der Wale mit 250 erwachsenen Tieren im Jahr 2018.
Etwas optimistischer ist die Nationale Ozean- und Atmosphären-Behörde der USA (NOAA), die von 400 erwachsenen Walen ausgeht. NOAA spricht von lediglich 95 gebärfähigen und aktiven Walweibchen, einer für das Überleben der Spezies unzureichenden Zahl. Schätzungen zufolge gab es im 16. Jahrhundert zwischen 10.000 und 20.000 Exemplaren des “baskischen Wals“. Zu den heute größten Bedrohungen gehören große in den Ozeanen ausgelegte Fangnetze, Zusammenstöße mit Schiffen und die akustische Kontaminierung der Weltmeere. Dadurch wurde die Nordkaper-Population seit 2011 um 15% dezimiert. Wenn sich Wale in Fangnetzen verstricken, führen die Versuche der Tiere, sich daraus zu befreien, zu schlimmen Verletzungen und zu großem Stress. Die NOAA geht davon aus, dass 85% der Atlantischen Nordkaper wenigstens ein Mal in ein Fangnetz geraten sind und 60% der Spezies gleich mehrfach (1). Akustische Meeresverschmutzung führt bei den Walen bekanntermaßen zu Orientierungslosigkeit, weil sie sich mit ihren Tierkollegen akustisch über Ultraschall verständigen.
Der baskische Walfang
Weil Atlantische Nordkaper nahe der Küsten lebten, gehörten sie zu den ersten von Walfängern erbeuteten Walen, auch an der baskischen Küste. Schon im 16. Jahrhundert wurden Tausende Nordkaper gejagt und getötet. Danach wurden sie im Ost-Atlantik so selten, dass europäische Walfänger auf den Grönlandwal auswichen. Baskische Walfänger folgten den abwandernden Walen bis ins heutige Kanada, als entdeckt wurde, dass sich Tausende Nordkaper im Sommer vor den Küsten der Kolonien Neuenglands aufhielten. Dort wurde im Übrigen auch Kabeljau gefangen. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden die Wal-Bestände ziemlich dezimiert. Erst danach entdeckte man den Pazifischen Nordkaper, eine verwandte Spezies, zwischen 1805 und 1914 wurde auch dieser Wal fast ausgerottet. (2)
Der baskische Walfang begann im 16. Jahrhundert und dauerte an bis 1901. Tageszeitungen aus jenem Jahr berichten, wie sich Fischer der gipuzkoanischen Atlantik-Stadt Orio in ihre fünf Ruderboote warfen, um vor der Konkurrenz aus anderen Orten beim gesichteten Wal zu sein. Es war ein zwölf Meter langes Tier, das erlegt wurde. Gleichzeitig war es der letzte baskische Wal, der an der baskischen Küste gejagt und geschlachtet wurde, nachdem die Tiere bereits im vorhergehenden 18. Jahrhundert rar geworden waren. Wale waren überaus gefragte Jagdtiere, weil vom Körper praktisch alles verwertbar war. Mit dem Walfett wurden die Straßenlampen entzündet, das Fleisch war verzehrbar und aus den Knochen wurden Korsetts für die High-Society angefertigt. Auf jeder Seite des Mauls waren 300 Barten zu finden, die ebenfalls verarbeitet wurden. Der Speck, aus dem Tran ausgekocht werden konnte (Blubber), machte 40% des Körpergewichts aus, kein anderer Wal hatte einen so hohen Speck-Anteil.
Der letzte Nordkaper-Baskenwal an der kantabrischen Küste wurde vor 27 Jahren gesichtet, am 5. Dezember 1993. Galicische Fischer vor dem nördlichsten Punkt der iberischen Halbinsel (beim Ort Estaca de Bares) wurden vom Sprung eines großen Tieres überrascht. Pancho Arcos, einer der Zeugen, erinnert sich in einem Interview mit der galicischen NGO CEMMA (Studien-Koordination für Meeressäuger): “Es war Zufall, ein Feiertag, wir zögerten, ob wir rausfahren sollen oder nicht, das Wetter war schrecklich. Wir fuhren aufs Meer und sahen die dunkle Gestalt eines Säugetieres, eine riesige Gestalt, aber wir achteten nicht weiter darauf, weil wir dachten, dass wir nie erfahren, was es gewesen sei. Doch plötzlich tauchte diese Gestalt aus dem Wasser auf. Wir waren platt! Was war das? Sie sprang ein zweites Mal. Ich sagte: hol die Kamera, vielleicht können wir ein Foto machen!“ Der dritte Sprung wurde somit auf einem Foto dokumentiert, etwas undeutlich. Aber Expert*innen, die das Foto untersuchten, fanden heraus, dass es sich um einen Atlantischen Nordkaper handeln musste, der auch in Galicien in früheren Zeiten gejagt wurde, wenn auch in geringerem Umfang als im Baskenland. (1)
Todesurteil
“Der baskische Wal ist zum Verschwinden verurteilt“, sagt Gorka Ocio von der bizkainischen Firma Verballenas.com, die Meeresausflüge mit dem Schiff organisiert, um Meeressäuger und Meervögel zu sichten. Er findet es schade, persönlich nie einen Nordkaper gesehen zu haben. Das ist in Anbetracht der Restbestände auch fast unmöglich. Außer in den Gewässern des Sankt-Lorenz-Stroms im Osten Kanadas. Es scheint, dass sich die letzten Exemplare dort versammeln. Seit 2017 wurden in diesem Gebiet 31 tote und 10 durch Kollisionen verletzte Wale gezählt, nach angaben von NOAA. “An der kantabrischen Küste wurde diese Walart ausgerottet. Die Fischer mussten zur Jagd weiter in den Norden fahren“, so Gorka Ocio. Heute sterben mehr Nordkaper als geboren werden. Wenn der letzte stirbt ist es endgültig vorbei. Es ist nicht wie bei den Luchsen, Walaufzucht in Gefangenschaft gibt es nicht.“
Ocio erklärt, wie einfach es war, die baskischen Wale zu jagen. “Die Muttertiere näherten sich zur Niederkunft der Küste. Erst wurden die Jungtiere gejagt, dann die Muttertiere, weil sie sich von den Jungen nicht entfernten.“ Diese Strategie, Muttertiere und Junge zu töten, lief zwangsläufig auf eine Ausrottung hinaus. “Außerdem hatten die toten Nordkaper den Vorteil, dass sie an der Wasseroberfläche schwammen, weil ihr Fettanteil so hoch war. Im Gegensatz zu anderen Säugern wie den Finnwalen, die auf den Meeresgrund absanken. Heutzutage werden die erlegten Walkörper mit Luft vollgepumpt, damit sie an der Oberfläche bleiben.“ (1)
Wenig Nachwuchs
Von Seiten der NOAA stammt eine weitere bedrohliche Feststellung: “Die Weibchen werden mit ungefähr zehn Jahren gebärfähig, die Tragezeit beträgt ein Jahr. Bisher war es so, dass nach der Geburt drei bis vier Jahre Pause war bis zur nächsten Trächtigkeit. Diese Pausenzeit hat sich mittlerweile auf sechs bis zehn Jahre verlängert. In den Jahren 2017 bis 2019 gab es 22 Geburten, ein Drittel der vorher üblichen Anzahl. Biolog*innen gehen davon aus, dass der Stress durch die Fangnetze einer der Gründe ist, dass die Weibchen weniger häufig Junge zur Welt bringen.“
Atlantische Nordkaper
Atlantische Nordkaper oder baskische Wale leben (ohne Unfälle und Menscheneinfluss) mehr als 70 Jahre. Sie erreichen normalerweise eine Länge von 13 bis 16 Meter; die wissenschaftlich gesicherte Höchstlänge liegt bei 18 Metern. Ihr Gewicht liegt je nach Länge bei 40 bis 60 und bis zu 100 Tonnen. Wie bei allen Glattwalen fehlt eine Rückenflosse. Die Farbe ist einheitlich schwarz. Auffällig ist ein extremer Parasitenbefall durch Seepocken, Wal-Läuse und andere Krebstiere, die von Weitem wie ausgedehnte weiße Flecken aussehen. Besonders dicht ist dieser Bewuchs auf der Stirn, wo die Parasiten eine regelrechte weiße “Mütze“ bilden. Auf jeder Seite des Mauls gibt es 300 Barten. Zwei Blaslöcher ergeben einen V-förmigen Blas. (2)
Verbreitung der Nordkaper
Atlantische Nordkaper leben heutzutage im Sommer in subpolaren Regionen und im Winter in gemäßigten Breiten. Im östlichen (europäischen) Teil des Atlantik ist der Nordkaper vollständig ausgerottet. Vorher fand man diesen Wal im Sommer in der Nähe von Island und im Winter im Golf von Bizkaia. Hierher rührt auch die deutsche Bezeichnung “Biskaya-Wal“, die hin und wieder verwendet wird. In der Antike lebte der Atlantische Nordkaper auch in der Straße von Gibraltar und im westlichen Mittelmeer. Die verbleibenden west-atlantischen Populationen halten sich heutzutage im Sommer vor der Küste Neuenglands und im Winter im Golf von Mexiko und östlich von Florida auf. (2)
Atlantische Nordkaper sind sehr langsam schwimmende Wale, die sich mit etwa acht Kilometern pro Stunde fortbewegen. Wie alle Bartenwale sieben sie die Nahrung mit ihren Barten, hauptsächlich bleiben Ruderfußkrebse darin hängen, aber auch kleine Fische. Nordkaper haben sich früher zu Wanderungen in großen Verbänden von hundert Einzeltieren und mehr versammelt. Wegen der extremen Seltenheit dieser Art ist das heute nicht mehr möglich.
Die ursprüngliche Bestandsgröße des Nordkapers wird auf 100.000 Tiere geschätzt, 2010 lebten noch etwa 500 Tiere, nachdem es in den 1990er Jahren sogar nur noch wenig mehr als 300 Tiere gegeben hatte. Im Gegensatz zu anderen Walen konnte sich diese Art selbst nach dem Ende des Walfangs nicht wirklich erholen. Zwischen 1990 und 2010 wuchs die Population um etwa 2,8 % pro Jahr. Die geringfügige Erholung ist wohl darauf zurückzuführen, dass sich Calanus finmarchicus, eine Ruderfuß-Krebsart, in die Sommergebiete verlagerte. Von ihnen ernähren sich vor allem die weiblichen Tiere.
2015 wurden größere Gruppen von Nordkapern, etwa 40 bis 45 Tiere, erstmals bei Prince Edward Island gesichtet (Kanada). Insgesamt waren es in jenem Sommer 100 Wale dieser Art, die auch rund um Neufundland und vor der neuschottländischen Küste gesichtet wurden. Mit dieser Nordbewegung geraten die Nordkaper jedoch in eine der wichtigen Schiffsverkehrsadern Nordamerikas, und auch in Gebiete mit deutlich mehr Fischernetzen, in denen sie sich verfangen und ersticken können. Als Folge ist zwischen April 2017 und Januar 2018 erstmals wieder eine große Anzahl Nordkaper (18 Tiere / vier Prozent der gesamten Population) ums Leben gekommen, während gleichzeitig weniger Nachwuchs ausgemacht werden konnte. (2)
Hoffnungs-Schimmer
Eine von kanadischen Wissenschaftler*innen in Halifax neu entwickelte Methode könnte für die Nordkaper, denen die baskischen Fänger in der Vergangenheit so heftig zugesetzt haben, eine letzte Hoffnung sein. Diese Methode besteht darin, mithilfe von Unterwasser-Robotern zuerst die Nordkaper ausfindig zu machen und gleichzeitig zu ermitteln, wohin sich deren Haupt-Ernährungsquelle bewegt. Denn Plankton, das Hauptgericht der Nordkaper, bewegt sich im Wasser, wenn es denn vorhanden ist. Es besteht aus mikroskopischen Organismen, die bis in zweihundert Meter Meerestiefe vorzufinden sind.
“Das faszinierende an den Nordkapern ist, dass es sich um riesige Tiere handelt und dass sie sich von den kleinsten im Ozean lebenden Organismen ernähren.“ Natürlich in ausreichendem Volumen, deshalb folgen die Tiere dem Plankton. Die beweglichen Meeres-Roboter sind in der Lage, die Nordkaper über akustische Sensoren zu erkennen und ihre Wanderungen zu verfolgen. Dann muss nur noch der Schiffsverkehr informiert und vor möglichen Zusammenstößen gewarnt werden. (3)
ANMERKUNGEN:
(1) Artikel “La ballena de los vascos, condenada” (Der baskische Wal, gefährdet), Isabel Ibáñez, Tageszeitung Correo, 2020-09-28 (LINK)
(2) Wikipedia: Atlantische Norkaper (LINK)
(3) Artikel “Avances para salvar a la ballena franca glacial de la extinción” (Fortschritte bei der Rettung der Atlantischen Nordkaper vor der Ausrottung) (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Wal-Collage (FAT)
(2) Baskischer Wal (pinterest)
(3) Baskischer Walfang (xlsemanal)
(4) Walsprung (wale.info)
(5) Toter Wal in Kanada (joey john stewart, facebook)
(6) Walfang Asturien
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2020-10-02)