meermull1Der Golf wird verseucht

In den südöstlichen Gewässern des Golfs von Bizkaia, zwischen den Küsten von Gipuzkoa und Iparralde, gibt es Flüsse aus Plastik, wahre Müllströme, die sich mit den Meeres-Strömungen bewegen. Es fällt nicht schwer, auf sie zu stoßen, sie treiben kurz hinter der Küste. Der Golf von Bizkaia ist inzwischen ähnlich stark mit Plastik belastet wie das Mittelmeer. Azti-Forscher haben an der Küste zwischen Gipuzkoa und Iparralde (dem Nord-Baskenland) 750.000 Mikroplastikteile pro Quadratkilometer gezählt.

Von Stränden und über Flüsse gelangt Plastik-Müll ins Meer, wird durch Meeres-Strömungen kanalisiert und konzentriert. Ein Teil treibt in wachsenden Inseln auf der Wasseroberfläche, ein anderer Teil wird von Fischen gefressen und kommt zurück auf die Mittagstische.

"Es sind zwei Meter breite Flüsse, sie können bis zu zehn Kilometer lang sein, der Schnitt liegt bei tausend Metern. Sie bilden eine Art Sinuswelle. Je nach Strömung oder Wind gibt es bestimmte Gebiete, in denen sich der Müll in den Flüssen konzentriert", erklärt Oihane Cabeza Basurko, eine Forscherin des Technologie-Zentrums Azti, das auf die Erhaltung des Ökosystems in den Meeren spezialisiert ist. "Wenn du ins schiff steigst, kannst du die Müllströme in der Mündung des Pasaia-Flusses oder in der Gegend von Jaizkibel entdecken. Dort finden wir nach Gewicht gemessen etwa 10.000-mal mehr Plastik als außerhalb. Wir sprechen hier von hohen Konzentrationen", fügt sie hinzu. (1)

Quantifizierung des Küstenmülls

meermull2Da es bis 2017 an Studien über die Menge an Plastik in den Küsten-Gebieten von Gipuzkoa und Iparralde mangelte, machten sich die Azti-Forscher*innen daran, die Präsenz dieses Materials in den Gewässern zu quantifizieren. Vier Jahre lang nahmen sie an 40 Stationen Proben von neustonischem Kunststoff, also jenem, der sich an der Wasseroberfläche befindet. Als sie das gesammelte Material analysierten, waren sie überrascht. "Wir hätten wirklich nicht gedacht, dass es so viel ist", räumt Basurko ein.

Im Jahr 2022 wurden die Ergebnisse veröffentlicht. "Wir fanden pro Quadratkilometer 750.000 Plastikteile, die kleiner als fünf Millimeter sind, das ist eine sehr hohe Konzentration", sagt die Azti-Forscherin. Bei dem gefundenen Material handelt es sich um Mikroplastik, kleine Partikel, die aus der Zersplitterung größerer Teile dieses Materials stammen. "Alle Meere und Ozeane der Welt sind verschmutzt, aber wir dachten, unsere Küste wäre vielleicht eine Ausnahme", sagt Basurko. Diese Hoffnung hegten sie, als sie den Zustand der baskischen Küste mit dem hohen Verschmutzungsgrad des Mittelmeers verglichen, "einem halb geschlossenen Meer mit enorm viel Tourismus, vielen Bewohner*innen in der Küstenregion, viel Industrie und verschiedenen Systemen von Abfallwirtschaft". Aber sie wurden bald eines Besseren belehrt. "Die Konzentrationen, die wir hier im Golf von Bizkaia (dt: Biskaya) gefunden haben, ähneln denen im Mittelmeer".

Mikro, Meso, Makro

Die Studie von Azti zeigte, dass der süd-östliche Golf von Bizkaia eine "Sackgasse für Plastik" ist, ein Ort, an dem sich "die Teile in hohen Konzentrationen sammeln". Bei den Probeentnahmen entfielen 94% der gesammelten Partikel auf Mikroplastik, 5% auf Mesoplastik (Partikel zwischen fünf Millimetern und 2,5 Zentimetern) und 1% auf Makroplastik (größer als 2,5 Zentimeter). Die am häufigsten gesammelten Gegenstände waren stabile Fragmente und Reste von Fischernetzen.

Nicht alle Gebiete sind gleichermaßen betroffen. Die Forscher*innen fanden auch heraus, dass die Küste von Iparralde stärker verschmutzt ist, mit fünfmal mehr Mikroplastik als in den Zonen von Gipuzkoa. "Zwischen Hendaia (frz: Hendaye) und Miarritze (frz: Biarritz) sehen wir Gebiete, in denen die Konzentration deutlich höher ist", versichert Basurko.

Woher kommt dieser Müll? "Im Mikrobereich ist es sehr schwierig, die Herkunft zu erkennen (weil größere Plastikteile mit der Zeit zerkleinert werden). Aber im Makrobereich sehen wir, dass die Kunststoffe aus China oder der Türkei kommen können, auch wenn dies mit dem Seeverkehr zusammenhängt", antwortet die Expertin. "Wenn wir in den Nachrichten von Kunststoffen die Rede ist, sprechen alle davon, was in China produziert wird. Aber dass eine Flasche, die dort weggeworfen wird, an unsere Küste kommt, ist sehr unwahrscheinlich. Der Müll, den wir hier haben, wird von uns, von den Bewohnern des Golfs von Bizkaia produziert".

Von Stränden und Festen

meermull3Dieser Müll entsteht zum Beispiel an den Stränden oder bei Fiestas in den Küstenstädten. Man muss sich nur den Kai von Donostia (span: San Sebastián) nach einer durchfeierten Nacht ansehen, um sich vorzustellen, wie viel Abfall im Wasser landet. "An den Stränden gibt es viele Container und Mülleimer, die oft überfüllt sind. Mit ein bisschen Wind landet das alles im Meer. Wenn an der Küste eine Veranstaltung stattfindet, ist es sehr wahrscheinlich, dass dieses Plastik im Wasser landet, es sei denn, es gibt ein gutes System zur Abfallentsorgung", sagt die Azti-Forscherin.

Ein großer Teil dieses Mülls ist dazu verdammt, mit den Strömungen zu treiben. Während die größeren Teile durch Faktoren wie Sonneneinstrahlung, Wellenbewegung, Reibung und Abrieb mit Partikeln und harten Substraten sowie durch die Einwirkung verschiedener Organismen abgebaut werden, kehrt das Mikroplastik mit den Wellen an Land zurück. Es ist, als ob das Meer den Müll an die Verursacher*innen zurückgibt.

Zurück in den Speiseplan

Andere Partikel wiederum sinken auf den Meeresgrund oder werden von Fischen verschluckt, die dann wieder auf den Tellern der Konsument*innen landen, nicht zuletzt auf den Tellern von jenen, die vorher ihr Plastik an Ständen oder bei Fiestas unachtsam hinterlassen haben. Das Ausmaß, in dem dieses Plastik zurück in unseren Körper gelangt, wenn wir einen Fisch essen, ist bisher nicht gründlich untersucht. Wenn ein Meerestier Plastik verschluckt, wird ein Teil davon nach dem Passieren des Verdauungstrakts wieder ausgeschieden, ein anderer Teil bleibt jedoch zurück und wird je nach Größe in anderen Organen oder Geweben eingebaut oder abgelagert. Im Allgemeinen wird der Verdauungstrakt von Fischen nicht verspeist, lediglich die Muskeln, das Fleisch, so dass es eher unwahrscheinlich ist, dass Fisch-Konsument*innen jemals Kunststoffe einer bestimmten Größe zu sich nehmen.

In jedem Fall ist nicht der Kunststoff selbst potenziell gesundheits-gefährdend, sondern die darin enthaltenen Zusatzstoffe. "Verschiedene chemische Verbindungen können an seiner Oberfläche haften und diese Verunreinigungen an verschiedene Orte tragen. Die Zusatzstoffe im Plastik können giftig sein und auch andere Giftstoffe in die Umwelt tragen", stellt Basurko fest.

Schätzungsweise 80 Prozent der Abfälle im Meer stammen vom Land und werden durch Küsten-Tourismus, Abwässer, Regenwasser-Kanäle, Flüsse, illegale Müllablagerungen und Industriegebiete verursacht. Die restlichen 20% stammen aus maritimen Aktivitäten wie Fischerei und Fischzucht, Sportbooten und Schifffahrt.

Bis zu 5% der Kunststoffe landen als Abfall in den Meeren

Expert*innen schätzen, dass bis zu 5% der weltweit produzierten Kunststoffe als Abfall in den Meeren landen. Wissenschaftlichen Studien zufolge gelangten allein im Jahr 2010 zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen Kunststoff-Abfälle in die Meere, was etwa 80% der gesamten Abfälle im Meer ausmacht. Mikroplastik findet sich in allen Meeren und Ozeanen, von den Polargebieten bis zum Äquator, es ist somit ein globales Problem. (1)

Müll-Kontinente

meermull4Dass die Ozeane zusehends mit Müll gefüllt werden, ist längst kein Geheimnis mehr. Im Nordost-Pazifik wurde vor mehr als 15 Jahren ein riesiger Teppich aus Plastikmüllresten entdeckt, der in etwa der Größe Westeuropas entspricht und seither von Forscher*innen beobachtet wird. Dieser “Great Pacific Garbage Patch“ wabert zwischen Kalifornien und Hawaii in den Wellen. Dabei ist der Müll meistens gar nicht zu sehen. Denn er schwebt als tödlicher Teppich meist wenige Meter unter der Oberfläche im Wasser.

Wenige Jahre danach haben Forscher von der Universität in Honolulu und dem Meeresforschungs-Institut Woods Hole in Massachusetts einen weiteren Müll-Kontinent entdeckt, und zwar im Atlantik. Sie haben seit den 1980er Jahren Forschungsfahrten im Atlantik nördlich und östlich der Karibik unternommen. Von Nova Scotia bis zu den Bermudas haben sie Tausende von Malen ihre Netze ausgeworfen – und dabei über Zehntausende von Plastikteilen aufgefischt.

Tennisbälle und Zigarettenstummel

Irene Ruiz, ebenfalls vom Forschungs-Institut Azti, hat mit Schiffs-Expeditionen die Fundstellen von Meeresmüll im Golf von Bizkaia untersucht. "Wir haben im Meer alles Mögliche gefunden", erzählt sie. "Am Ondarbeltz-Strand von Mutriku haben wir viele Tennisbälle und am Concha-Strand von Donostia viele Zigarettenstummel gefunden. Es ist schon fast eine Tradition, den Golf von Bizkaia zu unserer Müllhalde zu machen, aber diese Mentalität hat sich jetzt geändert", stellt sie fest. “Wir haben Kühltruhen, Reifen, Jagdpatronen, Puppen, Jalousien gefunden ... Das sind immer wieder Überraschungen." Ein Interview. (2)

Frage: Diese maritimen Müllströme sind mit bloßem Auge zu sehen?

Irene Ruiz: Was man auf den ersten Blick sieht, ist eine Art schaumige Linie. Es hängt ab von der Art des Mülls und dem Entstehungsprozess, der dazu geführt hat. Wir haben diese Spuren identifiziert, aber sie sind noch nicht erforscht. Wir beginnen mit der Analyse der physikalischen Prozesse, die zur Entstehung der Müllströme geführt haben.

F: Wachsen sie, ziehen sie weitere Abfälle an?

IR: Ja und nein. Es handelt sich um lineare Strukturen, die man bei ruhiger See ziemlich gut sehen kann. Aber wenn dann am Nachmittag ein Nordostwind aufkommt, wie er für diese Jahreszeit typisch ist, dann können sie auch verschwinden.

F: Wohin verschwinden sie?

IR: Wir wissen nicht, ob sie sich an der Wasseroberfläche ausbreiten oder ob sie sich in der Wassersäule vermischen, das heißt, in der Vertikalen zwischen der Oberfläche und dem Meerboden. Bis jetzt wissen wir, dass sie existieren, aber wir wissen nicht, wie sie sich verhalten. Sie sind nicht an festen Orten, sie verschwinden.

F: Haben wir das Meer zu unserer Mülldeponie gemacht?

IR: Traditionell haben wir unser Meer missbraucht, indem wir es zu einer Müllhalde gemacht haben, aber diese Mentalität hat sich geändert. Bis vor ein paar Jahren wurden Reifen, Gefriertruhen, all solche Abfälle ins Meer geworfen. Aber wenn wir über das Baskenland sprechen, haben die Verwaltungen eine umfangreiche Sensibilisierungsarbeit geleistet. In diesem Sinne unterscheiden wir uns von anderen Ländern, die ihren Müll noch immer verbrennen oder ins Meer werfen.

F: Was ist das Seltsamste, das Sie im Meer gefunden haben?

meermull5IR: Wir haben alles Mögliche gefunden. Um es kurz zu machen: In der Pandemie-Zeit haben wir eine Menge Handschuhe und Masken gefunden. Wir haben auch Kühltruhen, Reifen, jede Menge Jagdpatronen, Puppen, Jalousien, Plüschtiere gefunden. Immer wieder überraschend. Am Strand Ondarbeltz in Mutriku haben wir zum Beispiel eine Menge Tennisbälle gefunden.

F: Verursacht jeder Strand seinen eigenen Müll?

IR: Am Strand von La Concha in Donostia haben wir eine Untersuchung durchgeführt und waren erstaunt, wie viele Zigarettenkippen wir gefunden haben. Es waren viele davon im Sand vergraben.

F: Kann das Meer gesäubert werden?

IR: Wenn der Müll erst einmal abgelagert ist, vor allem auf dem Meeresgrund, entsteht um ihn herum neues Leben. Es wird viel über Säuberung geredet, aber manchmal ist das kontraproduktiv, denn je nachdem, wie lange der Müll schon abgelagert ist, kann es kontraproduktiv sein, ihn zu entfernen. Manchmal ist es besser, ihn nicht anzurühren.

F: Was können wir tun, um die Situation zu ändern?

IR: Vorbeugend und im Rahmen der Kreislaufwirtschaft handeln. Bei Azti arbeiten wir mit Stadt-Verwaltungen an der Prävention und Überwachung. Wir bringen zum Beispiel Video-Mess-Geräte an Flüssen an, um herauszufinden, wie viel Müll durch einen bestimmten Abschnitt fließt. Auf diese Weise lässt sich feststellen, wie viel Müll ins Meer gelangt, und es können bereits vor der Flussmündung Maßnahmen ergriffen werden, denn wenn der Müll erst einmal ins Meer gelangt ist, ist es sehr schwierig, ihn zurückzuholen. Wir müssen so viel wie möglich an Land arbeiten, damit der Müll nicht im Meer landet.

F: Haben wir zu Hause einen Teil der Lösung?

IR: Es ist wichtig, dass wir als Nutzer einen Beitrag zum Recycling leisten. Als Bürger müssen wir unsere Gewohnheiten und die der neuen Generationen in Bezug auf das Recycling beeinflussen, indem wir, wann immer wir können, Verpackungen vermeiden, die aus Plastik bestehen oder die schwer zu recyceln sind. Die Arbeit, die zu Hause geleistet wird, ist wichtig. Aber wichtig ist auch, dass die Verwaltungen und Unternehmen die Schrauben ein wenig fester anziehen und konsequenter handeln. (2)

ANMERKUNGEN:

(1) “La elevada presencia de plásticos en el Golfo de Vizcaya es similar ya a la del Mediterráneo” (Der hohe Anteil an Kunststoffen im Golf von Bizkaia ist bereits mit dem des Mittelmeers vergleichbar) Tageszeitung Diario Vasco, 2023-09-11 (LINK)

(2) “Irene Ruiz: En Ondarbeltz hemos hallado muchísimas pelotas de tenis y en La Concha, cantidad de colillas” (Bei Ondarbeltz haben wir eine Menge Tennisbälle und an der La Concha eine Menge Zigarettenkippen gefunden), Tageszeitung Diario Vasco, 2023-09-11 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Meermüll (focus)

(2) Meermüll (mdr)

(3) Meermüll (bild)

(4) Meermüll (welt)

(5) Meermüll (mdr)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-09-14)

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