Durchhalten – zweite Verlängerung!
Siebte Woche Corona-Grippe im Baskenland und anderswo. Fünfte Woche Alarmzustand, Ausgangssperre, Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Die baskische Regierung konnte ihr unsägliches Verbot von Kleinmärkten nicht durchsetzen, weil sich der Volkswille erhob. “Krieg der Masken“ ist kein neuer Kinoschlager, sondern ein neues Kapitel der internationalen Zusammenarbeit der demokratischen Staaten. Es wird schwieriger, im Bekämpfungs-Katalog der Mächtigen einen roten Faden zu finden, das Chaos wächst.
Coronavirus: Zu Beginn der siebten Woche Alarm-Zustand im Baskenland wissen wir bereits, dass es eine weitere Verlängerung geben wird, bis in den Mai hinein. Kein Gedanke an den internationalen Kampftag der Arbeiterklasse – die Revolution muss in vier Wänden stattfinden.
Verlängerung der Verlängerung in Erwartung einer weiteren Verlängerung. Trotz aller populistischen Beschwörungen ist der Höhepunkt nach wie vor nicht erreicht. Auch wenn er sicherlich näher liegt als vergangene Woche. Aus Gründen der Vernunft wäre Maskenpflicht angesagt, aber nur eigentlich, weil es keine gibt. Es bleibt bei eindringlichen Empfehlungen. Nicht mal die Krankenschwestern können täglich die Masken und Schutzanzüge wechseln – Prinzip Recycling von einer Woche zur nächsten. Alles wird jeden Tag peinlicher.
(2020-04-12)
29. Tag Alarm – 7. Woche C19
PRIVATSPHÄRE IM KOMA
Guten Morgen zur siebten Woche Coronavirus im Baskenland, zur fünften Woche relativer Ausgangssperre und zur zweiten Woche mit meinen Kommentaren und Gedanken. Mein Name ist Olatz, wohnhaft in Bilbao. Dabei ist die “haft“ beim “wohnen“ sprichwörtlich. Körperlich bin ich in Ordnung, psychisch dagegen immer mehr infiziert. Nicht nur von Coronavirus, auch und besonders von den Kollateralschäden, die das Eingesperrtsein verursacht. Trotz des zweifellos privilegierten Status, keine “schwedischen Gardinen“ vor den Fenstern zu haben und weit, weit, weit besser versorgt zu sein als die Flüchtlinge in den griechischen, türkischen oder marokkanischen Lagern. Zu schnell vergessen wir angesichts einer subjektiven Bedrohung die Verhältnismäßigkeit.
ÜBERGRIFFE
Infektions-Schutzregeln sind sinnvoll, doch nicht alle halten sich an die Empfehlungen. Stellt sich schnell die Frage, wie weit der Staat und seine Agenten gehen dürfen, um deren Einhaltung zu kontrollieren. Im Fall des leicht übertragbaren Coronavirus gelten strenge Kontakt-Beschränkungen – und manche Verstöße kann die Polizei nicht bemerken, ohne tief in die Privatsphäre einzugreifen. Kein Wunder, dass es zu groben Entgleisungen kommt, wenn die Beamten wissen wollen, in welchem Verhältnis zwei Menschen auf der Straße zueinander stehen. Einkaufen im nächst gelegenen Laden ist erlaubt, wenn dabei das Abstandsgebot eingehalten wird. Es gibt gute Gründe, die 2-Meter-Regel im öffentlichen Raum zur Eindämmung der Pandemie richtig zu finden, so auch die vorübergehende Schließung von Kinos, Kirchen, Bordellen, Theatern, Kneipen und anderen Orten, an denen Menschen im Normalfall enger zusammenkommen.
Auch Kontaktbeschränkungen auf ein enges persönliches Umfeld können richtig sein – es hält sich aber in Grenzen, was der Staat in diesem Fall kontrollieren kann, ohne übergriffig zu werden. Im Zweifel geht es die Polizei nichts an, ob die beste Freundin auch die feste Partnerin ist. Intime Fragen muss niemand beantworten. Neuerdings fühlen sich Polizisten (in Deutschland) sogar befugt, zu verlangen, dass Spaziergänger an Ort und Stelle ihr Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis aufgeben, um zu beweisen, dass sie mit ihrem Partner und nicht mit einem Kumpel unterwegs sind. In Hamburg wurden homosexuelle Paare bei Kontrollen aufgefordert, als Beweis den Chatverlauf ihrer Handys zu zeigen. In Hessen und NRW wird mit Drohnen über die Einhaltung der Abstandsregel gewacht und per Lautsprecher daran erinnert. Eine Gewöhnung an all das könnte das Immunsystem der bürgerlichen Demokratie zerstören. – Das habe ich in diesen Tagen in der Online-Ausgabe der Jungen Welt gelesen – und sofort drängen sich Orwell und Fahrenheit wieder in die Erinnerung.
NATIONALES
Der heutige Tag war geprägt von der Tatsache, dass Baskinnen und Basken heute den Aberri Eguna begingen, den baskischen National-Feiertag, aus dem Baskischen direkt übersetzt: Tag des Vaterlandes. Ich bin wohl einverstanden mit der Forderung, dass die baskische Bevölkerung selbst entscheiden soll, wo es politisch lang geht, Selbstbestimmung ist ein demokratisches Prinzip, dem sich nur Totalitäre entziehen können. Auf Nationalismus und Vaterland stehe ich allerdings überhaupt nicht, das sind veraltete patriarchale Konzepte. Für die es nicht wissen: der Tag ist eine Erfindung des Politikers Sabino Arana (1865-1903), der ganz nebenbei noch die Partei gründete, die heute die baskische Regierung, die drei Provinz-Regierungen und die Bürgermeister der drei Hauptstädte stellt: die PNV – baskisch nationalistische Partei. Schon wieder dieses eklige Wort! Kleiner Macho-Skandal am Rande: die eben genannte Partei entbödete sich nicht, über die sozialen Medien eine Fotoserie zu publizieren, in der Parteifrauen beim Bügeln zu sehen sind. Okay, sie bügeln baskischen Fahnen - aber sie bügeln. Sublime Botschaft: Frauen machen Hausarbeit - es scheint eben doch nicht ganz so einfach, sich von den ewiggestrigen Patriarchal-Messages der Faschisten abzuheben.
Die überwiegende Mehrheit der euskaldunen Bevölkerung bringt ihre patriotischen Gefühle mit dem Anbringen einer baskischen Flagge zum Ausdruck. Manche hängen noch die navarrische Fahne dazu, weil Navarra schließlich der erste baskische Staat war. Das ist lange her, aber eine historische Tatsache. Unser Freund Sabino gilt als “Vater des baskischen Nationalismus“. Schlau wie er war, begründete er nicht nur eine Ideologie, sondern gab uns auch gleich noch ein paar handfeste Fakten in die Hand. Als strammer Katholik dachte er sich die im Franquismus verbotene baskische Flagge aus und legte das Datum des Feiertags (völlig unhistorisch übrigens) auf den Ostersonntag, wenn aus allgemein nachvollziehbaren Gründen niemand zur Arbeit geht, aber wohl zur Messe, wie dies bei den Katholen heißt. Die Linke geht am Ostersonntag zwar nicht in die Kirche, mobilisiert normalerweise aber kräftig auf der Straße für das Recht auf Selbstbestimmung. Früher war direkt von Unabhängigkeit die Rede, aber die Zeiten ändern sich. Eine Ikurriña auf dem Balkon ist dabei Patrioten-Pflicht. Bei der geltenden Coronavirus-Ausgangssperre blieb in diesem Jahr gar nichts anderes als der Balkon.
Nicht verschweigen möchte ich, dass es auch im Baskenland Menschen gibt, die dem baskischen Nationalismus sehr kritisch gegenüberstehen und ihn scharf kritisieren – echte Humanist*innen, Flüchtlingshelfer*innen, Internationalist*innen, könnte man denken. Weit gefehlt! Sie vertreten einen spanischen Ultra-Nationalismus, der wie so häufig in der Geschichte alles andere hinwegfegen soll – die baskischen Separatisten genauso wie einst die indigenen Völker der “entdeckten“ Kontinente. Keine Überraschung also, dass der Chef der baskischen Volkspartei, der postfranquistischen PP, es heute rundherum ablehnte, die baskischen Balkone mit Ikurriña-Fahnen zu schmücken: er sei gegen die “Politisierung der Balkone“ (Original-Zitat). Schrecklich! Die Balkone sollten eine Opfer-Vereinigung gründen und mit Streik drohen!
Ich persönlich habe auf der Suche nach einer Nische in diesem vaterländischen Gedöns eine eher individuelle Lösung gefunden. Meinen Minibalkon habe ich mit einer großen kurdischen Fahne geschmückt, in Anerkennung der Mühen der kurdischen Frauen und Männer, eine gerechte, selbstbestimmte und nicht-patriarchale Gesellschaft aufzubauen. Dazu habe ich aus einer Zeitung die Schnitt-Vorlagen zu einer navarrischen und einer baskischen Fahne gemischt und sie daneben gehängt. Gora Euskal Herria sozialista! Olatz
ZAHLEN OHNE GEGENPROBE
Spanischer Staat: 166.019 Fälle (+4.167), 16.972 Tote (+619), 62.319 Dissidenten (+4.867). In Navarra: 3.969 Fälle (+152), 232 Tote (+5), 650 Dissidenten. In Euskadi: 10.772 Fälle (+257), 804 Tote (+39), 4.867 Dissidenten (+126). Urbaner Virus: Gasteiz (2.527 Fälle/ +25), Bilbao (1.824 / +75), Barakaldo (540 / +36), Donostia (456 / +13), Basauri (363 / +9), Getxo (366 / +8), Santurtzi (240 / +28), Leioa (166 / +2).
(2020-04-13)
30. Tag Alarm – 7. Woche C19
WIDERSPRÜCHE
Nach dem Schreck mit den bügelnden Baskinnen erreichte mich gestern Nacht noch die Nachricht, dass in den vergangenen 24 Stunden in Katalonien 96 Personen in Krankenhäusern und 162 in Altersheimen an Corona gestorben sind. Schwer zu vereinbaren mit dem vorsichtigen Optimismus der Basken und Spanier. Der Höhepunkt sei erreicht, heißt es aus Madrid. Tatsächlich sinken die Zahlen bei den Neuansteckungen. Im Baskenland ist heute weiterer Feiertag, in anderen Regionen wird ein Teil der “nicht essenziellen Wirtschafts-Tätigkeiten“ wieder aufgenommen, Bauwesen, Fabriken. Nur Daimler, Michelin und Volkswagen bleiben geschlossen bis 26. April. Diese in Madrid gefällte Entscheidung gefällt der baskischen Regierung ausgezeichnet. Von Expertinnen wird sie allerdings scharf kritisiert. Bei Twitter kursiert folgende Botschaft: “Es gibt keine perfektere Definition von Kapitalismus wie die Tatsache, dass du am Freitag nicht zur Beerdigung deiner Großmutter gehen durftest, um Kontakte mit anderen Personen zu vermeiden, am Montag aber zur Arbeit in der engen Fabrik gezwungen wirst, nur im besten Fall bekommst du in der Metro eine Maske.“
ZAHLEN OHNE GEGENPROBE
Weltweit: 1.800.000 Fälle, 114.000 Tote, 433.000 Dissidenten. Spanischer Staat: 169.496 Fälle (+3.477), 17.489 Tote (+517), 64.727 Dissidenten (+2.336). In Navarra: 4.092 Fälle (+123), 239 Tote (+7), plus 5.026 Dissidenten (+159). In Euskadi: 11.018 Fälle (+246), 831 Tote (+27), 5.026 Dissidenten (+159). Der urbane Virus: Gasteiz (2.550 Fälle/ +23), Bilbao (1.861 / +37), Barakaldo (546 / +6), Donostia (481 / +25), Basauri (365 / +2), Getxo (368 / +2), Santurtzi (240 / +0), Leioa (166 / +0).
(2020-04-14)
31. Tag Alarm – 7. Woche C19
FRÖHLICH AUFWACHEN
„Wie fröhlich bin ich aufgewacht, wie hab ich geschlafen so sanft die Nacht“ lautete unser Morgengebet in der ersten Klasse Volksschule. Mein Schlaf war gut, doch mein heutiges Aufwachen alles andere als sanft. Die Morgen-Nachrichten sprechen von einem hohen Coronavirus-Anteil in meiner Nachbarschaft. Beunruhigend. Mein erster Blick ging auf die Quelle der Nachricht: vertrauenswürdig. Der Anteil in der Bilbo-Altstadt soll höher liegen als der in New York. Hört sich dramatisch und zeigt, wie Statistiken erschrecken können. 126 Corona-Fälle sollen es sein im Casco, das wären 10,23 Fälle auf 1.000 Bewohner*innen. In New York sind weit mehr Personen befallen, dennoch wären es dort “nur“ 9,66 Fälle auf 1.000. In dieser Hitliste führt die navarrische Stadt Tafalla mit 16,63 Fällen auf 1.000, danach: Gasteiz 10,23 – Casco Bilbo 10,03 – New York 9,66 (bei 188.694 Fällen – Araba 9,31 – Basauri 8,95 – Mondragon 8,06 – Pamplona 7,22 – Madrid 7,08 (bei 47.146 Fällen) – Arrigorriaga 7,03 – Galdakao 6,38 – Navarra 6,36 – Amurrio 6,32 – Erandio 6,28 – Lombardei 6,01 (bei 60.000 Fällen) – Barakaldo 5,44 (bei 546 Fällen) – Bilbao 5,38 (bei 1.861 Fällen – Bizkaia 5,23 (bei 5.933 Fällen) – Euskadi 5,08 (bei 11.018 Fällen) – Katalonien 4,64 (34.000) – Spanien 3,53 (164.000) – Italien 2,64 (159.000) – Wuhan 1,16 (67.000). Ich sollte mich nicht weiter aufregen. Ruhig Blut!
KRISENSTRATEGIEN
Das Coronavirus hat verschiedene Botschaften, persönliche und gesellschaftliche, gesundheitliche, naturbezogene und wirtschaftliche. Italien, Frankreich und Spanien gehören zu den wirtschaftlich stärkeren großen Ländern in Europa. Gerade sie stehen in der Viruskrise besonders schlecht da. Die finanziellen Einbußen auf allen Ebenen, privatwirtschaftlich und öffentlich, bedeuten große Zusatzausgaben, die irgendwie gemeistert werden müssen. Angesichts der fatalen ökonomischen Situation, die auf Spanien zukommt, versucht das Land nun – in gutem Einklang mit der baskischen Regierung – voreilig eine Lockerung von restriktiven Maßnahmen im Produktionsbereich vorzunehmen und viele Menschen wieder zur Arbeit zu schicken, obwohl das Virus das Land weiter fest im Griff hat. Es handelt sich um eine verzweifelte Maßnahme zur Rettung und zum Wohl der Wirtschaft. Ein gefährliches Spiel, das Italien glücklicherweise nicht mitmacht, weil es für viele tödlich ausgehen kann. Zudem wäre es fatal für die Wirtschaft, wenn es zu einer zweiten Welle und einem weiteren realen Lockdown kommen müsste.
ZAHLEN OHNE GEGENPROBE
Spanischer Staat: 172.541 Fälle (+3.045), 18.056 Tote (+567), 67.504 Dissidenten (+2.777). In Navarra: 4.150 Fälle (+58), 249 Tote (+10), 5.193 Dissidenten (+167). In Euskadi: 11.226 Fälle (+208), 859 Tote (+28), 5.193 Dissidenten (+167). Der urbane Virus: Gasteiz (2.550 Fälle/ +23), Bilbao (1.861 / +37), Barakaldo (546 / +6), Donostia (481 / +25), Basauri (365 / +2), Getxo (368 / +2), Santurtzi (240 / +0), Leioa (166 / +0).
(2020-04-15)
32. Tag Alarm – 7. Woche C19
EXZESS UND VERMISST
Fünf Tage ohne Einkauf haben wir ausgehalten, einen sechsten hätten wir auch noch überstanden, am Ende fehlten nur Getränke. Zu Beginn dieser Katastrophe, welch absurde Erinnerung, haben alle von Klopapier geredet, ich stand mit Staunen daneben und kaufte weiter mein Bier und meinen Apfelmost. Dann fingen viele an, auf Bier zu setzen. Dann war das Bierregal leer, blieben nur Sidra. Der Most hat Vitamine, das tranken schon die baskischen Seeleute gegen Skorbut. Nichts funktioniert normal, alles ist Exzess. Ob mir selbst auch etwas ausgegangen sei, wollte eine Freundin wissen. Ja, natürlich. Was fehlt sind die Zutaten für mein Ersatz-Antibiotikum. Hat mir ein Osteopath empfohlen, weil 95% der baskischen Mediziner*innen jeden Husten mit Antibiotika behandeln wollen. Die Mischung wurde auf Kuba entwickelt, wegen des Warenboykotts. Pollen, Vitamine, Heidekraut-Honig, vorbeugend zur Stärkung der Abwehrkräfte. Nicht mehr zu kriegen. Das einzige Spezialgeschäft wurde offenbar nicht als essenziell angesehen und ebenfalls geschlossen. Außerdem sind die Klebestifte für meine Collagen ausgegangen, wer konnte ahnen, dass ich da wieder voll einsteige.
WENN DAS ZU ENDE GEHT …
Und was kommt danach? Immer häufiger wird in den Medien diese Frage gestellt, auch Bekannte werfen sie auf, aus unterschiedlichen Gründen. Die Unternehmen wollen so schnell wie möglich zur “Normalität“ zurückkehren. Was ist Normalität? Der vorherige Zustand? Ausgeschlossen! Es gibt kein Zurück, zumindest nicht zu der Version von Leben, die wir bisher kannten. Wenn die Pandemie bei uns zu Ende ist, was werden wir dann vorfinden? So stelle ich mir die Frage. Sicher, Schritt für Schritt werden wir wieder auf die Straße gehen. Was wir nicht wissen ist, wie die Straße aussieht, wie sich die Welt wieder zusammensetzt, mit all den Lücken, Schäden und Verlusten. Es wird anders sein wie gewohnt, wer das nicht erahnt wird sein blaues Wunder erleben.
Der 11. September hat die Welt verändert, die Wirtschaftskrise von 2008 hat uns verändert – wie sollten da zwei Monate des Eingesperrtseins spurlos an uns vorbeigehen! Wir werden einen Teil der Unschuld verlieren, falls wir überhaupt noch welche in uns tragen. Nach Corona wissen wir, dass es riskant sein kann, in einem geschlossenen Raum zu atmen, und Menschen oder Dinge zu berühren. Wir werden uns diese Unschuld wieder erkämpfen müssen, wenn wir denn wollen. Nicht im Gleichschritt, jede in ihrem Tempo. Niemand wird je vergessen, was wir in diesem Jahr erlebt haben. Uns an den Händen oder im Gesicht zu berühren ruft Ablehnung hervor, möglicherweise fühlen sich viele wohler, wenn sie allein sind und nicht in Gesellschaft. Im Gegensatz dazu, ohne ein Widerspruch zu sein, ist der Neubeginn begleitet von weniger Individualismus und mehr Gemeinsinn.
Fraglich dennoch, ob dies auch das Ende unserer innigen Verbundenheit mit der Markt-Gesellschaft und dem Hyper-Individualismus bedeutet. Wer nur halbwegs kritisch die Dynamiken der letzten Wochen beobachtet hat, wird feststellen, dass die auf Markt basierenden Modelle eine katastrophale Bruchlandung erlitten haben. Stichworte: Gesundheitswesen, Alten-Versorgung, Armen-Versorgung, Flüchtlings-Versorgung, Masken, Atemgeräte, Tests. Der dabei beobachtete Egoismus hat die Krise umso gefährlicher gemacht. Versorgung, Medikamente und Impfstoffe werden nicht nach Notwendigkeit entwickelt und produziert, sondern nach Markt- und Profit-Kriterien. Gesunder Menschenverstand und Humanismus weisen auf natürlichste Weise in Richtung einer grundlegenden Veränderung dieser Markt-Hörigkeit und Egomanie. Möglicherweise steigt künftig der Wert des Öffentlichen gegenüber dem des Privaten, sollte es so sein, müssten die Mittel- und Nord-Europäerinnen mehr Hausaufgaben machen als die Mediterranen. – Damit überlasse ich es euch, weitere existenzielle Überlegungen anzustellen, Grüße - Olatz.
ZAHLEN OHNE GEGENPROBE
WWW: 2.015.480 Fälle, 127.630 Tote. Spain: 177.633 Fälle (+5.092), 18.579 Tote (+523), 70.850 Dissidenten (+3.346). In Navarra: 4.246 Fälle (+96), 252 Tote (+3), 808 Dissidenten (+78). In Euskadi: 11.475 Fälle (+249), 902 Tote (+43), 5.428 Dissidenten (+235). Der urbane Virus: Gasteiz (2.579 Fälle/ +19), Bilbao (1.973 / +82), Barakaldo (577 / +12), Donostia (510 / +17), Basauri (373 / +3), Getxo (378 / +9), Santurtzi (248 / +7).
(2020-04-16)
33. Tag Alarm – 7. Woche C19
PREIS DER SOLIDARITÄT
Eigentlich hätte sie einen Preis verdient für ihre Zivilcourage, ihr Eingreifen und ihr Nicht-Wegschauen angesichts eines Polizeiübergriffs. Hätte es im Barrio eine Abstimmung gegeben, wäre ihr dieser Preis mit Sicherheit zugestanden worden. Aber im Barrio regiert nicht die Bevölkerung, es regiert rassistische Gewalt einer baskischen Polizei, die mit ihrer Aufgabe in zugegeben besonders spannungsreichen Zeiten völlig überfordert ist. Weil die Nachbarin X die Polizeigewalt gefilmt und mit ihren Rufen auch andere Nachbarinnen auf ihren Balkonen alarmiert hat, weil sie dafür gesorgt hat, dass es Dutzende von Augenzeuginnen gab, hat sie nun zwei Bußgelder bekommen. Eines wegen Verbreitung des Videos in den sozialen netzen, ein zweites wegen Bedrohung und Beleidigung (von uniformierten Gewalttätern). Denn die Polizei hat ein großes Interesse daran, dass ihre Exzesse weder gesehen, noch dokumentiert, noch angeklagt werden. “Bürgerinnen beobachten die Polizei“ ist wichtiger denn je. Denn dass aus der internen Untersuchung des Falls etwas wird, wie sie von der Polizeiführung angekündigt worden war, darf aus naheliegenden Gründen bezweifelt werden. Meine Hochachtung für die Nachbarin X!
KONZENTRATIONSLAGER
Aus aktueller Corona-Sicht betrachtet waren Altersheime schon immer Konzentrationslager, heute scheint es, sind sie zu Vernichtungslagern geworden. Der Unterschied zu dem, was wir bisher als Vernichtungslager verstehen ist der, dass das Wachpersonal gleich mitstirbt, mitvernichtet wird. Die Zahlen, die über baskische Altersheime verbreitet werden, schockieren jeden Tag mehr, jeden Tag gelangen neue unvorstellbare Zustände ans Tageslicht. Bereits vergangene Woche konnte aus der behördlichen Geheimniskrämerei geschlossen werden, dass die Ziffern für die Verantwortlichen äußerst unangenehm sind. In Gipuzkoa musste die Gewerkschaft ELA das Recht zweier Altersheim-Belegschaften auf fachgerechte Schutzmittel gerichtlich durchsetzen. Gerichtlich! Auf normalem Weg hatten sie in mehreren Wochen nichts erreicht. Katastrophale Zustände, Vernichtungslager. Ähnliche Zustände, herrschen in vielen anderen. Die Ausnahme machen nur die kleinen Einrichtungen, wo sich Helferinnen teilweise mit den Betreuten eingeschlossen haben, um Ansteckungen von außen und nach außen zu vermeiden.
In Navarra zum Beispiel hat die Regierung eingestanden, dass die bisherigen Todeszahlen “nicht korrekt“ waren, weil die Toten aus den Altersheimen nicht reingerechnet wurden. Warum eigentlich nicht! So steigt die Ziffer in Navarra von gestern 2 Todesfällen auf heute 88 – selbstverständlich nur statistisch gesehen, weil die Todesfälle ja alt sind und auf einen Schub in die Statistik aufgenommen wurden. Wer bisher noch in Statistiken vertraute, hat aktuell die besten Aussichten, zu einer Statistik-Hasserin zu werden. Gestern lauteten die Nachrichten aus Euskadi: “Die niedrigste Todesziffer seit dem 24. März“, heute ist in den Medien zu lesen: “Die höchste Zahl seit Beginn der Krise“. Durchhalteparolen, Informationswert Null, bleibt der Unterhaltungswert, oder das Spiel: wer entdeckt die Lügen zuerst! Sorry für die harten Worte – Olatz
ZAHLEN OHNE GEGENPROBE
WWW: 2.107.442 Fälle, 136.985 Tote, 525.439 Dissidenten. Spain: 182.816 Fälle (+5.183), 19.130 Tote (+551), 74.797 Dissidenten (+3.947). In Navarra: 4.348 Fälle (+102), 340 Tote (+88). In Euskadi: 11.790 Fälle (+315), 956 Tote (+54), 5.813 Dissidenten (+385). Der urbane Virus: Gasteiz (2.595 Fälle/ +16), Bilbao (2.033 / +60), Barakaldo (596 / +19), Donostia (514 / +4), Basauri (376 / +3), Getxo (384 / +6), Santurtzi (260 / +12).
(2020-04-17)
34. Tag Alarm – 7. Woche C19
STERBEFABRIKEN
Guten Tag. Die bösen Worte von gestern bestätigen sich was die Situation in den Altersheimen betrifft. Es handelt sich um regelrechte Sterbefabriken. “Darf ich bitten, braver Bürger, schenkst du mit Gehör. Für eine schmutzige Geschichte, deiner Mühe wohl wert. Vielleicht nimmt sie dir die Ruhe, auch wenn du ganz zufrieden bist. Denn sie zeigt dir unsere Rache, die für die Schwachen übrig ist. Hinter der schönen Bürger-Schein-Welt siehst du Folterkammern, für alle die aus dem Rahmen fallen“. Der Text ist nicht von mir, trotz der 45 Jahre, die er auf dem Buckel hat, ist er aktuell wie nie zuvor. 42% der Toten in Bizkaia stammen aus diesen Sterbefabriken. In Araba sind es 121, in Bizkaia 157, in Gipuzkoa 125, in Nafarroa 138, macht insgesamt 541. Machen wir uns nichts vor. Für den Kapitalismus sind all jene, die nicht zu produktiver Arbeit in der Lage sind, eine finanzielle Last. Sozial-Darwinismus. Mister Trump hat dieses Dogma längst unterschrieben. Die Nazis haben es auf die Spitze getrieben. So entstanden erst die Vernichtungslager, dann die “industrielle Reserve-Armee“ und der Altersheim-Komplex“. Nur Euthanasie bleibt verboten.
VON KINDERN UND HUNDEN
Mitten in den baskischen Abend-Nachrichtern sagt ein Kind in die Kamera: “Ich will wie ein Hund behandelt werden“. Dier erste Irritation weicht schnell der Tages-Aktualität. Wer will schon ernsthaft wie ein Hund behandelt werden! Die bittere Wahrheit: Hunde haben das Recht (nicht laut Verfassung, aber real), trotz Ausgangssperre auf die Straße zu gehen; Kinder haben (trotz Verfassung) dieses Recht nicht. Neben dem Einkauf von Lebensmitteln, Tabak und Zeitungen ist das Ausführen von Hunden zum Alibi Nummer vier geworden in Zeiten des Coronavirus. Was zu einer großen Kauf-Nachfrage in den Hunde-Asylen geführt hat. Wie tief wir doch gesunken sind! Mit den verbliebenen demokratischen Mitteln – Unterschriften, Tellerhauen, soziale Medien – ist eine Kampagne in Gang gekommen, die das Recht der Kinder auf frische Luft erreichen soll. Was de facto bereits existiert, denn die Polizei kontrolliert alle, nur nicht Frauen mit ihren Kindern. Doch sind es wenige, die sich trauen, denn offiziell ist es verboten. Bis dies erreicht ist, muss ein Kind im Fernsehen sagen: “Ich will behandelt werden wie ein Hund.“ Hunde, wollt ihr ewig leben?
ZAHLEN OHNE GEGENPROBE
WWW: 2.206.348 Fälle, 148.651 Tote, 558.300 Dissidenten. Spain: 188.068 Fälle, 19.478 Tote, 74.797 Dissidenten. In Navarra: 4.443 Fälle, 348 Tote. In Euskadi: 12.089 Fälle (+299), 992 Tote (+36), 5.813 Dissidenten. Der urbane Virus: Gasteiz (2.635 Fälle), Bilbao (2.132), Barakaldo (605), Donostia (520), Basauri (379), Getxo (395), Santurtzi (264).
HÄTTE WÄRE WÜRDE
Wäre der Alarm-Zustand im spanischen Staat nur eine Woche früher ausgerufen worden, also am 7. statt am 15. März, wären der Gesellschaft jede Menge Ansteckungen erspart geblieben, der Region Navarra zum Beispiel 72% der Covid-Fälle. Obwohl die Virus-Gefahr imminent war und Italien mit drohendem Beispiel vorausging, reagierte die spanische Regierung zögerlich. Die das feststellen kommen aus der Wirtschafts-Wissenschaft, von den Universitäten Oviedo und Madrid. Anhand der offiziellen Zahlen haben sie interpoliert, wie viele Coronavirus-Infizierungen – und in der Folge Todesfälle – unnötig waren. Denn diese Woche war nicht irgendeine, es war eine Schlüsselwoche.
Nur wenig vorher hatte der Virus die Grenzen passiert und konnte die zweite Märzwoche nutzen zur massiven Verbreitung. Im Staat wären es nicht die realen 127.000 Fälle gewesen, sondern nur ein starkes Drittel: 47.000. Für Euskadi (Baskenland) hätte das 4.300 bedeutet statt der realen 8.600 Covid-Fälle. Entscheidend war jene Woche, weil bei allen größeren und Groß-Veranstaltungen der Virus verbreitet wurde wie Falschgeld: Partei-Veranstaltungen, die Demonstrationen zum Internationalen Tag der arbeitenden Frauen, Industrie-Produktion, Altersheime, Beerdigungen, internationaler Reiseverkehr, zum Beispiel mit Italien. Die ersten Ansteckungsherde waren schnell bekannt: Rioja, Madrid, Gasteiz. Von dort verbreitete sich das Virus über alle Arten von Wegen. Aus Madrid nutzten viele die “Schonfrist“, um sich in den Süden, in ihre Ferienhäuser abzusetzen, das Virus im Kofferraum.
Die Studie stellt nicht nur der Regierung in Madrid eine schlechte Note aus, sie zeichnet in einem zweiten Teil auch noch ein Katastrophen-Szenarium. Wäre der Alarm-Zustand nicht am 15. März, sondern zwei Wochen später verkündet worden, hätte dies zu einer Verdreifachung der realen Fälle geführt: in Euskadi wären es 24.000 gewesen, im Staat 617.000, fast eine halbe Million mehr. Man kann der Regierung zu Gute halten, dass in jeder Situation der politische Druck der kapitalistischen Wirtschaft groß war und ist. Keine Produktion, kein Profit. Dem Druck nachgegeben zu haben war für Tausende das Todesurteil, vor allem in Madrid. Mehr noch in Großbritannien und den USA, die noch später reagierten.
(2020-04-18)
35. Tag Alarm – 7. Woche C19
STERBEFABRIKEN (2)
Schlechten guten Morgen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Nicht gegen mich, die das spanische System der Altersheime als Konzentrationslager, Vernichtungslager und Sterbeanstalten bezeichnet hat. Obwohl dies möglich wäre, denn nach Ansicht der Gesetze erfüllt es den Tatbestand “Hass-Vergehen“, ungefähr so, als hätte ich beim Fußballspiel einem schwarzen Kicker eine Banane vor die Füße geworfen. Scheinbar hat sich die Staatsanwaltschaft meine Worte zu eigen gemacht und ermittelt nun gegen die Verantwortlichen verschiedener Anstalten. Festhalten! Wegen Vernachlässigung, Gewaltanwendung und fahrlässiger Tötung. Schwere Geschütze, die über das Fernsehen aufgefahren werden. Wäre nichts dran, gäbe es die Nachricht nicht, wo sonst doch jedem Pädophilen und Vergewaltiger das “mutmaßlich“ vor die Unterhose gehängt wird. Dass – ausgerechnet – das spanische Militär in verlassenen Altenlagern Sterbende und Tote angetroffen hat, ist medial bekannt, ich selbst hielt es zu Beginn für eine Rechtfertigungs-Lüge (mea culpa). Kann sein, dass wir nie wieder von diesen Ermittlungen oder möglichen Ergebnissen hören. Dennoch danke ich den Justizbehörden für ihre moralische Unterstützung. Gewaltanwendung und fahrlässige oder kalkulierte Tötung rechtfertigen den Begriff Vernichtungs-Anstalt. Machen wir uns nichts vor: wir bewegen uns auf der Ebene von Nazi-Verbrechen. Was das wieder für ein Tag wird! Tut mir leid – Olatz
ZAHLEN OHNE GEGENPROBE
WWW: 2.256.844 Fälle, 154.350 Tote, 578.900 Dissidenten. Spain: 191.726 Fälle, 20.043 Tote, 74.662 Dissidenten. In Navarra: 4.579 Fälle, 354 Tote, 954 Dissidenten. In Euskadi: 12.089 Fälle (+299), 992 Tote (+36), 5.813 Dissidenten. Der urbane Virus: Gasteiz (2.672 Fälle), Bilbao (2.203), Barakaldo (632), Donostia (530), Basauri (385), Getxo (435), Santurtzi (271).
POKALFINALE
Der morgendliche Gang durch die Gemeinde (zum Einkaufen) war ausschließlich rot-weiß geprägt. Heute sollte das legendäre und einmalige spanische Pokalfinale stattfinden, wenn sich das Coronavirus nur etwas mehr Zeit gelassen hätte mit seinem Tsunami von Wuhan her. Dieses Finale sollten Real Sociedad aus Donostia und Athletic Bilbao bestreiten. Also auf jeden Fall ein baskischer Sieger. Schon früh rief meine alte Hausbewohnerin an, ich solle ihr doch bitte die Athletic-Fahne am Balkon befestigen. Mit Kabelbindern erfüllte ich ihren Wunsch. In den Straßen hallt überall die Club-Hymne, die Fans lassen es sich nicht nehmen auch ohne reales Finale ein Fußball-Fest zu feiern, virtuell sozusagen, viele befinden sich in einer kollektiven Illusionsblase. 100 Kilometer weiter sieht es ähnlich aus, nur eben blau statt rot. Bei meiner grandiosen Sympathie für Fußball lasse ich die Rollläden runter und schließe mich ein, bis das Spektakel vorbei ist.
(18-04-2020 – Letzter Eintrag der siebten Coronavirus-Woche im Baskenland, zum Abschluss der vierten Alarm-Woche mit relativer Ausgangssperre. Am morgigen Sonntag erscheint an gleicher Stelle ein neuer Beitrag, der die Ereignisse täglich kommentiert.)
(ERST-PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2020-04-12)