Euskara-Anfrage aus Kantabrien
Baskisch wird nicht nur im Baskenland, Navarra und Iparralde gesprochen und gelehrt. Baskische Migration hat dazu geführt, dass in vielen Ecken der Welt Euskara ebenfalls zu Hause ist. Baskische Kulturzentren haben dabei geholfen. Nun ereignet sich ein Sonderfall: aus der kantabrischen Nachbarstadt Castro Urdiales wird die baskische Regierung aufgefordert, beim Aufbau einer Baskisch-Schule zu helfen, weil die Nachfrage so groß ist und ein bedeutender Teil der Stadtbevölkerung aus Bizkaia stammt.
Zum ersten Mal in der Geschichte des Euskara kommt aus einer spanischen Nachbar-Provinz die Nachfrage nach Baskisch-Unterricht. Die kantabrische Grenzstadt Castro Urdiales sucht nach Hilfe für eine Euskara-Schule, weil hier so viele Bask*innen leben. Die baskische Regierung muss entscheiden.
Jahrhunderte lang wurde das Euskara aus immer mehr Gebieten (auch außerhalb des heutigen Baskenlandes) verdrängt. Dass dieser Prozess langsam rückläufig wird, hätten nur wenige vermutet. Eine aktuelle Anfrage aus der kantabrischen Nachbarstadt Castro Urdiales stellt die baskische Regierung vor das Problem, beim Aufbau einer Baskisch-Schule zu helfen, ohne die Grenzen der eigenen Kompetenzen zu überschreiten. Denn Castro liegt – wenn auch nur 20 Kilometer – außerhalb des Baskenlandes. Jedenfalls hat die Baskische Regierung Überlegungen angestellt, wie sie der Bitte nachkommen kann –es würde sich jedenfalls um die erste Vereinbarung mit einer staatlichen Institution außerhalb des Baskenlandes handeln.
Historische Tatsache ist, dass die baskische Sprache Euskara einst bis Santander gesprochen wurde. Santander ist die Hauptstadt Kantabriens und liegt weitere 80 Kilometer westlich von Castro Urdiales. Doch das ist Hunderte, wenn nicht Tausende von Jahren her. Insofern hat die Bitte der Stadtverwaltung der kantabrischen Küstenstadt nach Unterstützung beim Aufbau einer Baskisch-Schule für Erwachsene (auf Baskisch Euskaltegi genannt) einen besonderen Charakter. Eigentlich ist es für die baskische Regierung in Vitoria-Gasteiz keine große Angelegenheit, über solche Anfragen zu befinden, denn es gibt Haushaltsmittel für die sogenannte „Alphabetisierung“ des Baskenlandes. Das Besondere am Hilfegesuch aus Castro ist, dass die Stadt eben nicht im Baskenland, sondern in der spanischen Nachbarprovinz Kantabrien liegt, im Ausland sozusagen. Zwar dicht an der Grenze zum baskischen Bizkaia, gerade mal 35 Kilometer von Bilbao entfernt, aber eben doch in einer offiziell einsprachigen Provinz.
Bask*innen in Castro
Weil in Bilbao bzw. im Baskenland insgesamt die Lebenshaltungskosten sehr hoch sind, haben im Laufe der Jahre viele Menschen Bizkaia verlassen und sind in die attraktive Küstenstadt Castro Urdiales gezogen. So wird geschätzt, dass 35% der Einwohner*innen der kantabrischen Stadt (32.000 EW) aus Bizkaia stammen, ein beträchtlicher Anteil, der einen Bedarf an Euskaltegi-Sprachschulen verständlich macht. Soviel zum Hintergrund der Anfrage aus Castro, von deren Küste aus der Hafen von Bilbao zu sehen ist.
Was sind Euskaltegis?
Weil das Sprechen der baskischen Sprache immer wieder verboten war, zuletzt in den 40 Jahren des Franquismus, wurde das Euskara dramatisch zurückgedrängt und in vielen Orten überhaupt nicht mehr gesprochen. Manche sprachen von der Gefahr, Baskisch könnte aussterben. Deshalb begann die baskische Regierung in den späten 1970er Jahren auf zwei Wegen, Kenntnis und Gebrauch des Baskischen in allen Sektoren des Alltags wieder anzukurbeln. Zum einen über Sprachunterricht an Schulen, sodass heute alle Schüler*innen mit der Sprache in Kontakt kommen, bzw. sie lernen können, wenn sie wollen.
Zum zweiten über die Einrichtung von Erwachsenenschulen – Euskaltegis, deutsch: Orte des Baskischen. Praktisch in jedem Ort des Baskenlandes gibt es heute wenigstens ein Euskaltegi. Dort können Titel erworben werden, die zum Beispiel für eine Bewerbung im öffentlichen Dienst Voraussetzung sind. Der Besuch dieser Schulen ist jedoch kostenpflichtig. Viele baskische Stadtverwaltungen zahlen den Studierenden nach bestandener Prüfung allerdings einen Teil der Gebühren zurück. (1)
Im baskischen Regierungsviertel Lakua (Vitoria-Gasteiz) wurde fürs erste Bereitschaft bekundet, dem Castro-Anliegen nachzukommen. Doch muss dafür eine entsprechende Formel gesucht werden, die Subvention verwaltungstechnisch umzusetzen. Denn es wäre ein Präzedenzfall: zum ersten Mal würde die baskische Regierung einen Vertrag aushandeln mit einer spanischen Administration, die nicht aus dem Baskenland stammt, um einen Baskisch-Unterricht teilweise zu finanzieren.
Weitergeleitet wurde das Anliegen aus Castro an die Verantwortlichen von HABE, der Koordinationsstelle für die Alphabetisierung und Re-Euskaldunisierung von Erwachsenen (Helduen Alfabetatze eta Berreuskalduntzerako Erakundea – Coordinadora para la Alfabetización y Reuskaldunización de Adultos). In ihrem Schreiben an die baskischen Behörden erklärte die für den Bereich Bildung und Kultur zuständige Stadträtin Elena García Lafuente von der lokalen Partei CastroVerde (Grünes Castro), aufgrund der Nähe zur Grenze zwischen Kantabrien und Bizkaia gäbe es eine starke Verbindung, insbesondere mit Bilbao, wo viele Bewohner*innen aus Castro Urdiales arbeiten, studieren oder ihre Freizeit verbringen. Vor diesem Hintergrund, versicherte die Politikerin, stünden viele Personen aus der Stadt vor der Notwendigkeit, Baskisch zu lernen, um sich im Baskenland zu integrieren. (1)
"Blinde Passagiere"
Es ist kein großes Geheimnis, dass Castro Urdiales eine demografische Einmaligkeit darstellt. Offiziell und laut Zählung des Nationalen Instituts für Statistik von 2018 (Instituto Nacional de Estadistica) hat die Stadt 31.955 Einwohner*innen. Doch dürfte die reale Zahl doppelt so hoch liegen. Denn viele der aus Bizkaia stammenden ziehen es vor, sich nicht anzumelden und stattdessen weiterhin die steuerlichen Vorteile Bizkaias zu genießen und die bessere Gesundheitsversorgung.
Beide Faktoren tragen dazu bei, dass der Bedarf an einer Euskara-Lerneinrichtung bereits eine alte Geschichte ist. Stimmen aus der kantabrischen Regierung versichern, dass bereits vor 10 Jahren ein Vorschlag auf dem Tisch lag, in der Städtischen Sprachschule (Escuela Municipal de Idiomas) Baskisch-Unterricht anzubieten. Gleich 300 Personen meldeten sich zur Voreinschreibung – viel zu viele für das kleindimensionierte Angebot. Unzureichende Lern-Bedingungen und mangelnde Lehrqualität haben seither zu einem Rückgang des Interesses geführt, so die Erklärung, weil die Lern-Erwartungen nicht befriedigt wurden. Momentan wird eine einzige Euskara-Klasse angeboten im Anfänger-Niveau. Daneben gibt es in der Stadt private Akademien, die Euskara in verschiedenen Lernstufen anbieten.
Zur Unterstützung bereit
Weil die Baskisch-Angebote in Castro nicht ausreichend sind, sehen sich viele Castro-Bask*innen gezwungen, auf bizkainische Euskaltegis zurückzugreifen. Das hat viel Fahrerei zur Folge. Andere haben angesichts umständlicher täglicher Transportwege auf Euskara verzichtet. Deshalb wurden die Verantwortlichen der Koordinationsstelle HABE per Brief dazu ermuntert, die Eröffnung eines Euskaltegi in Castro in Erwägung zu ziehen. Die baskische Regierung hat diese Anfrage offiziell bestätigt. Selbstverständlich sei man bereit zu helfen. Über die Baskischen Kulturzentren in aller Welt (Euskal Etxeak – Baskische Häuser), internationale Organisationen und Universitäten wird Euskara seit Langem auch im Ausland gelehrt und verbreitet. Selbst in Barcelona und Madrid gibt es solche Euskal Etxeak (2), Unterstützung dort ist kein Problem – doch in Kantabrien bzw. Castro gibt es keine derartige Einrichtung – wozu auch!
Deshalb muss die Regierung in Gasteiz eine Formel finden für den spezifischen Fall Castro. Denn außerhalb der Region Baskenland, Navarra und dem auf französischer Seite liegenden Iparralde (frz. Baskenland) gibt es keine Präzedenzfälle von öffentlichen Verwaltungen, die um Hilfe gebeten hätten für das Euskara-Studium. In der Region Baskenland wird die Euskara-Lehre von HABE koordiniert, in der Region Navarra ist es die Kompetenz von Euskarabide (Euskara-Weg) und in Iparralde, wo die baskische Sprache keinen offiziellen Status hat, ist das „Öffentliche Büro für die baskische Sprache“ zuständig (Oficina Pública de la Lengua Vasca).
Euskara in aller Welt
Außerhalb der Grenzen von Euskal Herria (der baskische Begriff für das gesamte Baskenland) wird die Euskara-Lehre vom baskischen Etxepare-Institut organisiert. Dieser von der baskischen Regierung abhängige Organismus verwaltet das Programm Euskara Munduan (Euskara in der Welt). Hierüber wird der Unterricht in den Euskal Etxeak und in weiteren internationalen Organisationen finanziert bzw. subventioniert. Momentan studieren dank dieses Programms in aller Welt ca. 2.000 Personen die baskische Sprache.
Daneben unterzeichnet Etxepare jedes Jahr Vereinbarungen mit Universitäten weltweit, um die Lehre der Sprache außerhalb ihres natürlichen geografischen Standortes zu fördern. Derzeit sind es 34 Universitäten in 18 Ländern, die weitere 1.700 Personen mit Euskara-Kenntnissen versorgen. In Deutschland wird dies in Berlin, Frankfurt und Leipzig praktiziert. Die Subventionierung von Euskara in Castro Urdiales ist in jeder Hinsicht ein Sonderfall. (1)
Derzeit existieren 193 Euskal-Etxea-Zentren in aller Welt, in 71 davon läuft das Programm „Euskara Munduan“. In Europa sind dies Barcelona, Madrid, Valencia, Valladolid, Mallorca, Paris, Bordeaux, Rom, Brüssel und Berlin. In Argentinien gibt es 28 Euskal Etxea, 7 im kleinen Uruguay, 3 in Chile, eines in Mexiko. In den USA werden 15 Zentren gezählt, daneben gibt es welche in Kanada, Kolumbien, Brasilien, Peru, Kuba und Australien. (3)
Euskara-Akademie in Castro
In den vergangenen 20 Jahren wurden 400 Schülerinnen und Schüler in der von Soraya Cerro geleiteten Baskisch-Akademie in Castro unterrichtet. Sie stammt aus dem bizkainischen Grenzort Muskiz, die Einrichtung ist sehr gefragt. In diesem Kursjahr haben sich 50 Personen für Baskisch angemeldet. Es handelt sich vor allem um Leute, die sich auf Posten in der baskischen öffentlichen Verwaltung bewerben wollen, dafür müssen sie eine Euskara-Prüfung bestehen. Denn das Bewerbungssystem im spanischen Staat funktioniert nicht wie in Deutschland per Individual-Bewerbung und Auswahl durch die Behördenleitung. Vielmehr müssen alle Bewerber*innen verschiedene Prüfungen durchlaufen, für jede Stelle, immer und immer wieder, ein ewiger Bewerbungskreislauf bis es einmal klappt. Mittleres Euskara-Niveau ist das Minimum, das wird geprüft. (3)
Das Alter der „Bewerber*innen“ in der Akademie liegt zwischen 25 und 35 Jahren. Daneben kommen 80 bis 90 Schülerinnen und Schüler aus der Grundschule, Mittelstufe und Abiturkursen, die Unterstützung brauchen, um den Teil der Schulfächer besser zu verstehen, die auf Baskisch unterrichtet werden. Auch daraus lässt sich schließen, dass viele Kinder in Bilbao gemeldet sind, weil sie sonst dort nicht zur Schule gehen könnten.
„Wir haben hier Leute aus Muskiz, aus Bilbao und aus Barakaldo, wir machen nämlich sehr kleine Lerngruppen, unser Unterricht geht auf individuelle Bedürfnisse ein“, erklärt Soraya über die Arbeit in der Akademie. Die Initiative des Rathauses findet sie vernünftig, sie hat allerdings Zweifel, ob aus dem Vorschlag etwas wird. „Das wird sicher schwierig, die baskische Regierung finanziert sicher nicht alles, und von der kantabrischen Regierung ist gleich gar nichts zu erwarten!“ (3)
Meinungsverschiedenheiten
Nicht alle sind begeistert von der Vorstellung, demnächst vielleicht eine Baskisch-Schule in der Stadt zu haben. Vor allem die Tatsache, dass sich viele Bask*innen aus Bizkaia in Castro nicht anmelden, obwohl sie hier leben, sorgt für Kritik. „Wenn die sich anmelden, bekommen wir mehr staatliche Zuschüsse, dann können in der Stadt auch mehr soziale Leistungen angeboten werden. Die sich nicht anmelden, konsumieren Leistungen, zahlen aber nicht dafür“, sagt einer, der darauf anspielt, dass die Zahl der Bask*innen in Castro auf bis zu 30.000 geschätzt werden, legal und nicht legal. „Wenn sie unbedingt studieren wollen, sollen sie gehen und es in Bizkaia tun. Das Rathaus wäre besser beraten, wenn sie Englisch und Chinesisch anbieten, Sprachen, die in der Welt gesprochen werden“, ist eine weitere Meinung. Andere sind einverstanden, „jedes Sprachangebot ist richtig und wertvoll, die Leute müssen auswählen können“. Castro hat für die nächsten Tage und Wochen ein delikates Gesprächstema mehr. (4)
Optimismus
Bei der Initiatorin Elena García Lafuente herrscht dennoch Optimismus, dass bereits im kommenden Oktober 2019 mit dem Unterricht in einem Euskaltegi begonnen werden kann. Es kam schon zu einem Treffen mit der Stadträtin von CastroVerde und dem baskischen Ressort. „Sie haben es zumindest nicht abgelehnt“, berichtet sie. „Wir wissen, dass außerhalb der Region Baskenland keine Euskaltegis aufgebaut werden, aber es gibt ja noch andere Möglichkeiten“. (1)
(Publikation Baskultur.info 2019-03-16)
ANMERKUNGEN:
(1) Information aus „Castro Urdiales solicita ayuda al GV para abrir un Euskaltegi” (Castro Urdiales bittet die baskische Regierung um Hilfe, ein Euskaltegi einzurichten), Tageszeitung Deia, 2019-03-14 (LINK)
(2) Publikation bei Baskultur.info: „Baskische Auswanderung – Euskal Etxeak, Baskische Zentren“ (LINK)
(3) Information aus „Castro pide al Gobierno vasco que abra un euskaltegi ante la apabullante demanda” (Castro bitte die baskische Regierung um Unterstützung, angesichts der überwältigenden Nachfrage ein Euskaltegi zu eröffnen), Tageszeitung El Correo, 2019-03-14 (LINK)
(4) Zitate aus Deia, 2019-03-15: „Petición al Gobierno Vasco” (Anfrage an die baskische Regierung) (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Euskara (FAT)
(2) Castro Urdiales (FAT)
(3) Bilbao Straße in Castro (FAT)
(4) Castro Urdiales (FAT)
(5) Baskische Namen in Castro (FAT)
(6) Castro Urdiales (FAT)
(7) Auf Baskisch leben