kem1Totalverweigerung gegen Krieg

Seit mehr als 30 Jahren mobilisiert die antimilitaristische Bewegung KEM-MOC gegen Krieg, Waffenhandel und Militarismus. In den 1990er Jahren gab es eine Bewegung von Total-Verweigerern, die den Wehrdienst in der spanischen Armee boykottierten und zu Tausenden zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Weil dieser massive zivile Ungehorsam die Grenzen der Justiz sprengte, wurde die allgemeine Wehrpflicht im Staat aufgehoben und eine Berufsarmee eingeführt. KEM-MOC mobilisierte dennoch weiter gegen Krieg.

Die Abkürzung KEM-MOC ist zweisprachig baskisch-spanisch und steht für “Kontzientzia Eragozpenaren Mugimendua“ – “Movimiento de Objección de Conciencia“: Bewegung der Verweigerung aus Gewissensgründen. Seit fast 50 Jahren wird gegen Krieg, Militarismus und Militärdienst mobilisiert und agiert.

Die baskische Antimilitarismus-Bewegung KEM-MOC erzählt auf ihrer Webseite eine “kurze Geschichte der Bewegung für Kriegsdienst-Verweigerung“, die in Wirklichkeit gar nicht so kurz ist. Denn ihre Anfänge gehen zurück in die Zeit des Franquismus. In den 1980er / 1990er Jahren erlebte sie mit einer Totalverweigerungs-Bewegung, der große Teile der baskischen Jugend folgten, junge Männer und Frauen. Bis die spanische Regierung sich gezwungen sah, den allgemeinen Wehrdienst zu beenden und eine Berufsarmee einzuführen. (1)

Die ersten Schritte der Bewegung für Verweigerung aus Gewissensgründen sind, wie der Name schon sagt, eng mit der Kriegsdienst-Verweigerung verbunden. In den späten 1960er Jahren, als die allgemeine Wehrpflicht für alle jungen Männer galt, wurden die ersten gewaltfreien Camps organisiert, um das Recht auf Kriegsdienst-Verweigerung einzufordern.

Im Januar 1971 wurde Pepe Beunza als erster politisch motivierter Verweigerer des franquistischen Staates verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. In Europa schloss sich eine starke Solidaritätskampagne für ihn an. Seit diesem Zeitpunkt wurden verschiedene Initiativen ergriffen, um das Recht auf Kriegsdienst-Verweigerung und einen zum Militärdienst alternativen Zivildienst anzuerkennen. Im Jahr 1975 wurden Zivildienst-Projekte ins Leben gerufen von Verweigerern, die den Militärdienst verweigert hatten. Einige wurden verhaftet. Gleichzeitig begannen die ersten Treffen von Zivildienstleistenden, im Januar 1977 wurde die Bewegung für Kriegsdienstverweigerung (spanisch: MOC – Movimiento de Objeción de Conciencia) formell gegründet.

War Resisters' International

kem2In jenem Jahr beschloss die Zentralregierung, die Einberufung von Personen, die sich auf eine Verweigerung aus Gewissensgründen beriefen, auszusetzen. Es bildeten sich Gruppen von Verweigerern, die sich “Verweigerer aus Gewissensgründen“ nannten und sich unter dem Kürzel MOC koordinierten. Zwei Jahre später, 1979, fand der erste Kongress statt, auf dem die 1. Ideologische Erklärung verabschiedet wurde, der Keimzelle dessen, was wir heute als antimilitaristische Bewegung kennen. Im selben Jahr trat die Bewegung MOC der “War Resisters' International“ (IRG) bei.

Am 28. Dezember 1984 wurde im spanischen Parlament (von einer Mehrheit der sozialdemokratischen PSOE) das Gesetz über die Verweigerung aus Gewissensgründen (LOC) verabschiedet. Die Bewegung MOC beschloss, sich nicht an das Gesetz zu halten und den von ihr geregelte Sozialen Ersatz-Dienst (Prestación Social Sustitutoria, PSS) nicht zu akzeptieren. Am 20. Februar 1989 stellten sich die ersten Verweigerer (Insumisos) öffentlich vor: 57 im ganzen Staat, elf davon wurden verhaftet. Die Reaktion war eine breite soziale Unterstützung. Im April 1989 erklärten weitere 60 Wehrpflichtige ihre Totalverweigerung und im Juni weitere 75. Im Jahr 1990 gab es landesweit bereits 2.450 Insumisos. Es begannen die Prozesse, sowohl gegen die Verweigerer des Militärdienstes wie gegen die Verweigerer des Ersatzdienstes. Die Strafen reichten von 17 bis 28 Monaten. Doch die Repression führte nicht zu einem Einknicken der Bewegung, sondern zu einem Anstieg der Zahl der Insumisos. Die gesellschaftliche Unterstützung für die Bewegung und die Diskreditierung der Armee nahmen zu. Gleichzeitig stieg auch die Zahl der legalen Verweigerer aus Gewissensgründen, das heißt derjenigen, die sich bei ihrer Verweigerung auf das LOC-Gesetz beriefen.

Im Dezember 1991 wurde der Militärdienst dahingehend reformiert, dass Fälle von Ungehorsam gegenüber dem Militärdienst, die bis dahin in der Militär-Gerichtsbarkeit verhandelt wurden, in die zivile Gerichtsbarkeit überführt wurden. Auf diese Weise versuchte die Regierung, das schlechte Ansehen der militärischen Institution zu bremsen. Die Zahl der Gerichtsverfahren nahm zu und die Strafen werden reduziert. Die durchschnittliche Strafe betrug 14 Monate, wer zu weniger als einem Jahr verurteilt wurde, kam nicht ins Gefängnis. Als Antwort wurde die Kampagne "Alle oder keiner" ins Leben gerufen: diejenigen, die zu weniger als einem Jahr verurteilt wurden, weigerten sich, einen bedingten Straferlass zu unterzeichnen, und kamen somit doch ins Gefängnis. Die Zahl der Inhaftierungen nahm weiter zu, und im Gleichschritt auch der soziale Druck.

Knäste überfüllt

Die Gefängnisse füllten sich mit Insumisos. Angesichts des Erfolgs dieser Kampagne des zivilen Ungehorsams und ihrer sozialen Auswirkungen wurde im September 1993 die Gefängnis-Ordnung dahingehend geändert, dass den Insumiso-Häftlingen direkt der dritte Grad gewährt werden sollte, das heißt, sie sollten "nur" zum Schlafen im Gefängnis bleiben. Die Antwort war, auch diese Strategie zu unterlaufen, die Regeln des Freigänger-Grades (3. Grad) zu verletzen und die Behörden dazu zu zwingen, wieder in den zweiten Grad eingestuft zu werden: Tag und Nacht im Gefängnis. Die Zahl der widerständigen Gefangenen im zweiten und dritten Grad nahm weiter zu, Unterstützung und Selbstbeschuldigungen kamen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen.

Die Regierung zeigte sich von der “Eskalation“ überfordert. Angesichts dieser Situation trat 1996 das neue Strafgesetzbuch in Kraft, das die Verweigerung mit einem Beschäftigungsverbot bei öffentlichen Einrichtungen zwischen 8 bis 14 Jahren sowie Geldstrafen ahnden sollte. Im Jahr darauf wurde als Reaktion auf diese Strafrechtsänderung die Kampagne "Ungehorsam in der Kaserne" ins Leben gerufen. Die bestand im Wesentlichen darin, in die Kaserne zu gehen, um den Wehrdienst zu beginnen und nach Erlangung des Militärstatus die Kaserne zu verlassen und gemeinsam mit anderen Verweigerern die Gründe für den Ungehorsam öffentlich deutlich zu machen. Rechtlich gesehen entsprach diese Vorgehensweise dem Tatbestand der Fahnenflucht, die von Militär-und Kriegsgerichten verhandelt wurde. Die Strafen dafür reichten von 2 Jahren und 4 Monaten bis zu 6 Jahren Gefängnis. Auf diese Weise wurde die politische Auseinandersetzung wieder in den Bereich des Militärs zurückverlegt und der anti-militaristische Charakter der Verweigerung deutlich gemacht.

Ende der Wehrpflicht

kem31996 wurde die sozialdemokratische Regierung unter Felipe Gonzalez abgewählt, es folgte eine Regierung unter dem Alt-Franquisten und PP-Politiker José María Aznar. Schrittweise begann ein Prozess der Professionalisierung der Streitkräfte, sprich: einer Berufsarmee. Doch die Zahl der gesetzlich anerkannten Kriegsdienst-Verweigerer aus Gewissensgründen nahm weiter zu. Im Jahr 1997 erreichte sie 130.000 Personen. Im folgenden Jahr wurde das endgültige Ende des Militärdienstes für alle wehrtauglichen Männer verkündet.

Im November 2001 fand die letzte Einberufung aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht statt. Diejenigen, die den Dienst in der Kaserne verweigerten, wurden in der Regel zu zwei Jahren und vier Monaten verurteilt, diese Strafe musste im einzigen staatlichen Militärgefängnis verbüßt werden: in Alcalá de Henares (in der Umgebung der gleichnamigen Justizvollzugsanstalt). Dort mietete KEM-MOC eine Wohnung an, in der Insumiso-Gefangene während ihres Freigänger-Status (dritter Grad) wohnen und Freund*innen übernachten konnten, wenn sie bei den inhaftierten Verweigerern Besuche machten.

Berufsarmee

Die Zahl der legalen Verweigerer nahm weiter zu. Niemand wollte mehr Militärdienst leisten. Für den PSS-Ersatzdienst wurden zuvor geleistete freiwillige Dienste angerechnet, inhaftierte Verweigerer wurden begnadigt (nur nicht jene “Fahnenflüchtigen“ aus der Kaserne). Die neu geschaffene Berufsarmee fand kein ausreichendes Personal, teure Werbekampagnen wurden durchgeführt mit geringem Erfolg. Gleichzeitig wurden die Anforderungen an Bewerber für Berufssoldaten heruntergeschraubt, Frauen wurden zum Militärdienst zugelassen, Nichtspanier wurden angeworben, mit dem Angebot einer Einbürgerung als Gegenleistung.

Im November 2001 fand innerhalb der allgemeinen Wehrpflicht die letzte Einberufung statt. Zur Debatte stand eine Begnadigung der in Alcalá de Henares im Militärgefängnis inhaftierten Insumisos, doch KEM-MOC lehnte eine mögliche Begnadigung rundweg ab. Im Mai des folgenden Jahres wurden die letzten Insumisos dennoch aus dem Gefängnis entlassen. Die Verweigerungs-Kampagne kam somit zwar an ihr Ende, doch die antimilitaristische Arbeit wurde fortgesetzt. Dies wurde mittels verschiedener öffentlichkeitswirksamer Aktionen bekannt gemacht. In Bilbao zum Beispiel gab es eine gewaltfreie Aktion, bei der sechs Aktivisten in den Sitz der Militärregierung eindrangen. Einer von ihnen, zeitgleich mit der Premiere des Films “Spiderman“, kletterte auf einen der Wachposten, als Superheld verkleidet, aber mit einem umgedrehten Militär-Helm und einer auf die Brust genähten Blume. Er entrollte eine Fahne mit einem kaputten Gewehr.

In relativ wenigen Jahren war die Verweigerungs-Kampagne derart erfolgreich, dass sie zu einer weltweiten Referenz für gewaltfreie Aktionen des zivilen Ungehorsams wurde. Ausgangspunkt im spanischen Staat war, dass alle jungen Männer den obligatorischen Militärdienst abzuleisten hatten – am Ende der Kampagne gab es keinen Wehrdienst mehr und die militaristische Logik war stark in Frage gestellt, Verweigerung wurde zur normalsten Sache der Welt. Der Erfolg der Verweigerungs-Bewegung machte deutlich, dass gesellschaftlicher Wandel durch zivilen Ungehorsam erreicht werden kann.

NATO-Mitgliedschaft

Historisch gesehen bemerkenswert ist, dass die Integration des spanischen Staates in das westliche Militärbündnis NATO in den 1980er Jahren stattfand. Die Entscheidung für den NATO-Beitritt wurde am 30. Mai 1982 von der postfranquistischen Rechtsregierung unter Calvo-Sotelo getroffen, gegen die Haltung der sozialdemokratischen PSOE. Am 28. Oktober 1982 kam es zu einem Wahlsieg der PSOE und zu einem Regierungswechsel. Im Juni 1985 erfolgte der spanische Eintritt in die Europäische Gemeinschaft (mit Wirkung vom 1. Januar 1986). Nach diesem Beitritt war es an der Zeit, das von der PSOE versprochene Referendum über die weitere Mitgliedschaft Spaniens in der NATO abzuhalten. González und seine Partei standen der NATO-Mitgliedschaft 1982 kritisch gegenüber und stellten sie in Frage. Nach dem Wahlsieg kündigte die PSOE-Regierung jedoch an, die weitere Mitgliedschaft Spaniens zu verteidigen. (2)

Zu den Faktoren, die die PSOE-Regierung zum Umkippen brachten, gehörten der Druck der Vereinigten Staaten und mehrerer europäischer Länder, die Verbindung zwischen dem Verbleib in der NATO und der Mitgliedschaft Spaniens in der EG, sowie die vom spanischen Verteidigungs-Ministerium früh eingenommene Haltung pro-NATO. Hinzu kam die Ansicht, dass es unklug sei, das Militärbündnis in einer Zeit erhöhter Spannungen im Kalten Krieg zu verlassen. Das Referendum im März 1986 endete mit einer Mehrheit von 57% für die NATO und 43% dagegen. Im Baskenland und in Katalonien, wurde die Mitgliedschaft mehrheitlich abgelehnt.

Nicht nur Totalverweigerung

kem4In all den Jahren war die Totalverweigerung die wichtigste Kampagne von KEM-MOC, gleichzeitig hat sie auch in anderen Bereichen gearbeitet: in der Erziehung zu Frieden und Ungehorsam, in der Verweigerung von Steuern, in Kampagnen gegen Militärausgaben und für die Entmilitarisierung der Gesellschaft. Ebenso arbeitete die libertäre antimilitaristische Bewegung im internationalen Bereich an spezifischen Konflikten wie auf dem Balkan oder in Kolumbien.

Ab 2003 wurde die antimilitaristische Arbeit mit verschiedenen Aktions-Bereichen fortgesetzt. Die wichtigsten davon sind Aktionen gegen Militärgelände und Waffenfabriken, die im gesamten spanischen Staat innerhalb der Kampagne "Disobey the wars" stattfinden (Ungehorsam gegen Krieg). Daneben die Bewegung für gesellschaftliche Sozialausgaben anstelle von Militärausgaben. Und nicht zuletzt Kampagnen gegen Kriege und militärische Interventionen, die in vielen Fällen als "humanitäre" Einsätze oder gar als "Friedensmissionen" bezeichnet werden, hinter denen sich aber stets wirtschaftliche oder geostrategische Interessen verbergen, auch wenn versucht wird, das gute Ansehen der Armeen zu wahren. Im Laufe der Jahre wurden verschiedene Plattformen mit zahlreichen sozialen Kollektiven ins Leben gerufen, um auf unterschiedliche militarisierte Konflikte weltweit zu reagieren: Irak, Palästina, Afghanistan, Libyen.

“Die antimilitaristische Arbeit wird fortgesetzt, bis eine gerechte und friedliche Welt aufgebaut ist, in der es keine Notwendigkeit für Armeen oder Militärausgaben gibt. Aufgrund der Folgen des Klimawandels und der Energiekrise stehen schwierige Zeiten bevor, in denen die Rolle der Armeen bei der Verteidigung der Interessen der Reichen voraussichtlich überwiegen wird. Heute überrascht es niemanden mehr, wenn von ‘Kriegen um Öl‘ die Rede ist. Deshalb ist es heute wichtiger denn je, weiter für die Abschaffung der Armeen zu kämpfen und die Militärausgaben in Sozialausgaben umzuwandeln, nach dem Motto: Wer Frieden will, muss Frieden vorbereiten". (1)

Direkte Aktion

Am 26. November 2022 setzte KEM-MOC ihre antimilitaristische Kampagne am Sitz der Militärregierung in Bilbao fort. Unter dem Slogan "Bota kuartela" (Kaserne abreißen) wurde in einer gewaltfreien Aktion die Mauer der Militäreinrichtung angegriffen. Mit großen Abbruch-Hämmern, gelben Overalls und Helmen setzten mehrere Antimilitaristen der Gruppe den Abriss der Juan de Garay-Kaserne in Szene. Ziel sei es, "die Rückgabe der im Irala-Stadtviertel besetzten Flächen" zu fordern. Die 6.500 Quadratmeter müssten “den Bedürfnissen der Nachbarschaft" gewidmet werden. Zudem könnten durch die Abschaffung der Kaserne 48,8 Milliarden Euro eingespart werden könnten, die derzeit noch für "Kriegshaushalte" ausgegeben werden. Die baskische Ertzaintza-Polizei erschien, drei an der Aktion Beteiligte wurden identifiziert, die Militärbehörde stellt Schadenersatz-Forderungen. (3)

ANMERKUNGEN:

(1) “Breve historia del Movimiento de Objeción de Conciencia KEM-MOC“ (Kurze Geschichte der Bewegung der Gewissensverweigerung KEM-MOC), Quelle: Sinkuartel (Ohne Kaserne), Webseite der Fiesta-Gruppe von KEM-MOC im Baskenland, 2022-06-18 (LINK)

(2) “Referéndum sobre la permanencia de España en la OTAN” (Referendum über den Verbleib Spaniens in der NATO), Wikipedia (LINK)

(3) “Antimilitaristas 'derriban' un cuartel en Bilbao en protesta contra los presupuestos de guerra” (Antimilitaristen demolieren eine Kaserne in Bilbao aus Protest gegen Kriegshaushalte), El Salto Diario, 2022-11-26 (LINK)

ABBILDUNG:

(1) Direkte Aktion (kem-moc)

(2) Antimilitarismus (elsalto)

(3) Direkte Aktion (kem-moc)

(4) Antimilitarismus (elsalto)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-12-03)

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