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Vom Industriestandort zum Tourismus-Ziel

Bilbo (Bilbao), die heimliche Hauptstadt des Baskenlandes, hat es in 20 Jahren geschafft, weltberühmt zu werden. Gelungen ist der Wandel von der Stadt, in der Jahrzehnte lang Wohnhäuser und Fabrikschlote eine unfreiwillige Koexistenz führten zum nachahmenswerten Beispiel für die Welt der ab-laufenden Industrie-Epochen. Viele Superlative wurden der Stadt in diesen letzten Jahren zugeschrieben, so viele, dass sich zwangsläufig die Frage stellt, was vorher war und zu welchem Preis all das geschah.

Bilbo-Bilbao hat in den vergangenen 20 Jahren einen kometenhaften Aufstieg in die touristische Weltspitze geschafft, der die Industrie-Geschichte der Stadt fast in Vergessenheit geraten ließ.

Wer sich in Bilbo umschaut, insbesondere an den Orten, die in den vergangenen 20 Jahren um- oder neu gestaltet wurden, mag sich fragen, wie es da vorher aussah, was vorher an jenen Stellen zu finden war. Wer dann nicht eine fachkundige Person aus der Stadt neben sich hat, findet nur schwer eine Antwort, denn kein Prospekt, keine Tafel informiert über diese Geschichten. Es scheint, dass Bilbo in den 90er Jahren neu erfunden wurde, neu gegründet – interessant ist die Gegenwart, nicht die Geschichte. Fokus dieser Geschichtslosigkeit ist das Areal um das neue Guggenheim-Museum, ein riesiges Gelände mitten in der Stadt. Es liegt förmlich auf der Hand zu fragen, was an einem für urbanistische Spekulation derart attraktiven Ort vorher gewesen sein mag. Wieder geht die Aufklärung nur über gut informierte Einheimische.

Dass im Nervión-Fluss wieder Fische schwimmen, ist positiv zu sehen, denn viel zu lange wurden Abwässer und Industriereste direkt eingeleitet. Es besteht kein Badeverbot mehr und die Stadtverwaltung macht sich allen Ernstes Gedanken, nach Pariser oder Münchner Vorbild am Fluss einen künstlichen Strand mit allem Zubehör einzurichten. Nichts ist unmöglich, dafür sind die Bilbainos im Baskenland bekannt, weil sie gerne übertreiben und sich selbst für das Nonplusultra halten. Bilbainada wird das genannt und etwas ist dran, humorvoll wird kolportiert, Bilbainos würden entscheiden, wo sie geboren werden wollen!

Bilbo liegt nicht direkt am Atlantik, dennoch führt der Nervión auf den ca. 14 km bis zur Altstadt Salzwasser, weil es bis dahin keine Wasserbarriere gibt. Aus der Luft macht Bilbo den Eindruck einer Großstadt, Tatsache ist, dass sich an beiden Enden der Stadt im Tal weitere Städte anschließen: Basauri und Etxebarri auf der östlichen Seite, Barakaldo, Sestao Erandio, Getxo, Portugalete und Santurtzi auf der westlichen, die Ortsgrenzen sind nicht zu erkennen. Weil Bilbo zwischen zwei Bergreihen in einem relativ engen Tal liegt, trägt es den liebevollen Beinamen „el bocho“, was schlicht „Loch“ bedeutet.
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Geschichte Bilbao

Auf dem nahegelegenen Malmasin-Berg finden sich Reste einer alten Siedlung aus der Zeit des 3. Jhs. vor Christus. Auf den Bergen Avril und Artxanda wurden Teile von Beerdigungs-Stätten gefunden, die 6.000 Jahre alt sind. In der San Antón-Kirche existieren Reste der Mauern aus dem 11. und 12. Jahrhundert, lange vor der Stadtgründung. Die Geschichten aus dem Mittelalter sind nicht einfach nur anekdotisch, sie sind vielmehr aufschlussreich, um zu verstehen, warum Bilbo zum lokalen Machtfaktor wurde und nicht Bermeo oder Portugalete, die ebenfalls Voraussetzungen dazu hatten.

Das historische Bilbao bestand aus einem kleinen Teil der heutigen Altstadt. Dass es einen (nicht am Meer liegenden) geschützten Hafen gab, war ausschlaggebend für Landherren und Königshaus, Bilbao im Jahr 1300 mit dem Stadtrecht auszustatten, was den Bau einer Mauer nach sich zog sowie das Marktrecht. 1310 wurden die Rechte erweitert, indem verordnet wurde, dass alle Waren von Kastilien ans Meer über die San-Antón-Brücke von Bilbo zu gehen hatten – zum Nachteil von Bermeo, welches bis dahin die reichste Stadt gewesen war. Weitere Exklusivrechte folgten. 1372 veranlasste der König, dass Waren von und nach Bilbo zollfrei sein sollten, auch die Verschiffung von Eisenerz wurde auf die Stadt konzentriert. Mitte des 17. Jhs. wurde der Woll-Transport von Santander nach Bilbao umdirigiert. Mit diesen wirtschafts-politischen Entscheidungen, die von der Macht des Handels-Bürgertums zeugten, erlangte Bilbo eine zentrale Rolle im europäischen Handel. Die wichtigsten Verbindungen gingen Richtung Flandern und England, aber auch nach Frankreich, Portugal, Italien und in die Häfen von Sevilla und Barcelona.

Bis 1443 war San Antón eine Art Festung, danach wurde das zu den ältesten der Stadt zählende Gebäude zur Kirche geweiht. 1511 erhielt Bilbo mit dem „Consulado“ eine Art mittelalterliche Handelskammer, die wirtschaftliche und juristische Funktionen hatte und zum Machtfaktor wurde. 1602 wurde Bilbo anstelle von Bermeo zur Hauptstadt von Bizkaia erklärt. Seit dem 18. Jh. standen sich die Interessen der Großgrundbesitzer und der Handelsklasse gegenüber, was zu Konflikten führte. Erstere versuchten mehrfach, Zweitere mit der Gründung von Konkurrenzhäfen zu schwächen. Die alte Kernstadt wuchs von drei auf sieben Straßen, die der Altstadt Bilbao bis heute ihren Namen geben: Zazpikaleak – Siete Calles. Nach verschiedenen Überschwemmungen und einem Stadtbrand wurden die Mauern abgerissen, die ersten Erweiterungen bezogen sich auf den Arenal (Hafen) und Atxuri. Zu einer geplanten Stadterweiterung kam es wegen des Widerstands des Bürgertums jedoch erst Ende des 19. Jhs.

Während des sog. Unabhängigkeits-Krieges (1808-1813) war Bilbo fünf Jahre lang von französischen Truppen besetzt, Napoleon hatte die Absicht, die baskischen Provinzen in seinen Staat einzugliedern. Seltsamerweise erinnert der Name des Avril-Berges neben Bilbao an einen der Besetzer-Generäle. Während der Karlistenkriege in den 30er und 70er Jahren des selben Jahrhunderts wurde das liberale Bilbao drei Mal von den Karlisten belagert. Trotz dieser Kriege war das 19. Jh. entscheidend für die Zukunft von Bilbo und Bizkaia. Neue Techniken erlaubten den massiven Abbau von Eisenerz in allen Bergen des linken Nervión-Ufers. Die Ereignisse überschlugen sich: 1857 kam der Zug, im gleichen Jahr wurde die Bilbao Bank gegründet, 1890 die Börse. Mit englischer Hilfe entstanden Bergwerke und große Fabriken wie die Hochöfen in Sestao. Der Bedarf an Arbeitskräften führte zu einer massiven Einwanderng aus spanischen Provinzen, Bilbao wuchs von 10.000 Ew (1880) auf 80.000 (1890). Gleichzeitig organisierten sich die Arbeiter/innen gegen die katastrophalen Arbeits- und Lebens-Bedingungen. Zwischen 1890 und 1910 kam es zu fünf Generalstreiks, sozialistische und kommunistische Organisationen wurden gegründet. Die klein gewordene Stadt musste sich öffnen, es kam zu Eingemeindungen der Nachbarorte Abando (1870-1890), Begoña und Deustu (1925). Im Rahmen der Stadterweiterung wurde 1890 außerhalb des alten Stadtkerns das Arriaga-Theater eingeweiht, 1892 folgte das neue Rathaus. Der Niederlage des Karlismus folgte die Entwicklung und Etablierung des baskischen Nationalismus, vorangetrieben von dem aus Bilbo stammenden Sabino Arana (1865-1903), der später die Baskisch Nationalistische Partei (PNV) gründete. Anders als die anderen südbaskischen Großstädte Donostia (San Sebastián), Gasteiz (Vitoria) und Iruñea (Pamplona) war Bilbao bis in die 90er Jahre des 20. Jhs. die Stadt der Arbeiter/innen-Bewegung, die schmutzige Stadt mit Charakter und starken Volksbewegungen.
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Krieg von 1936/37

Der Diktatur von Primo de Rivera in den 1920er Jahren folgten wechselhafte Jahre zwischen Republik und Repression, bis im Juli 1936 die faschistischen Generäle um Franco putschten und – unterstützt von der Oligarchie und der katholischen Kirche – das Land in einen Krieg trieben. Der fand im Baskenland praktisch nur in Bizkaia statt, da die übrigen Provinzen nach kurzem Widerstand direkt in die Hände der Aufständischen fielen. Die baskische Regierung, die am 7.Oktober 1936 von der republikanischen Zentral-Regierung ein Autonomie-Statut zugesprochen bekam, hatte ihren Sitz in Bilbo, von hier aus wurde die Verteidigung des übrig gebliebenen Territoriums organisiert, bis am 19.Juni 1937 franquistische Truppen mit italienischer und deutscher Hilfe die Stadt einnahmen.

Als einzige baskische Provinz, die auf Seite der Republik blieb, erlebten Bilbo und Bizkaia von Beginn an Luftangriffe, den ersten 13 Tage nach dem Aufstand. Erst von Seiten der schwachen Verbände der franquistischen Luftwaffe, später von den besser ausgerüsteten italienischen und nazideutschen Verbündeten. Bilbo erlebte Dutzende Angriffe, meist gezielt auf Einrichtungen von Bedeutung, Flugabwehr gab es keine, auch keine Schutzbunker, die Menschen suchten Zuflucht in Minen, Fabriken, unter Brücken oder in Eisenbahn-Tunnels. Verletzt oder getötet wurden vor allem Zivilist/innen, Zeitzeug/innen erzählen, die Piloten flogen so tief, dass ihre Gesichter erkennbar waren. Wenig bekannt ist, dass der für die Nordfront zuständige General Emilio Mola von den Verantwortlichen der Legion Condor forderte, sie sollen die Industrie von Bilbo dem Erdboden gleich machen, denn in der Industrie sah er den Ursprung allen Übels: die Arbeiterbewegung und sozialistische Ideen. Der Historiker Angel Viñas berichtet, dass die Nazis sich dieser Anordnung widersetzten, sie konnten nicht nachvollziehen, weshalb etwas zerstört werden sollte, das hinterher erobert werden würde. Vertraglich hatten sich die Nazis den Oberbefehl über die deutsche, italienische und franquistische Luftwaffe gesichert, ohne sie ging nichts.

Die Bevölkerung von Bilbo sah sich ohnmächtig den Attacken gegenüber, vor diesem Hintergrund ist die Reaktion auf eine Bombardierung am 4. Januar 1937 zu verstehen: als Vergeltung stürmte eine aufgebrachte Menschenmenge das Gefängnis, in dem Personen eingesperrt waren, die dem Militärputsch nahestanden. Mehr als 200 wurden gelyncht. Ähnliche Racheaktionen ereigneten sich in Barakaldo und im kantabrischen Santander. Nach dem Fall von Bilbo füllte sich die Stadt mit Gefängnissen: Schulen und Klöster wurden umfunktioniert, eingesperrt wurden nicht nur politische Gegner, Lehrkräfte waren bereits aufgrund ihres Berufs verdächtig, falsche Denunzierung war ein gängiges Mittel, sich lästige Nachbarn oder Konkurrenten vom Hals zu schaffen. Die Jesuiten-Universität im Stadtteil Deustu (Deusto) wurde zum Konzentrations-Lager, in dem vor allem Nichtbasken den Tod fanden. Tausende Gefangene mussten Zwangsarbeit leisten.
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Nach dem Krieg wurden in Bilbo die Brücken wieder aufgebaut, die die baskische Regierung 1937 vor ihrer Flucht hatte sprengen lassen. Bergbau und Schwerindustrie wurden reaktiviert, es kam erneut zu starker Einwanderung, die in den Bergen um Bilbo zu unmenschlichen Behausungen führte. Die franquistische Wohnungspolitik ließ diese Baracken abreißen und ersetzte sie mit großen Wohnblocks, Santutxu, San Inacio, Otxarkoaga sind Beispiele dafür. An vielen dieser Häuser sind bis heute die Alu-Schilder der falangistischen Baubehörde zu sehen. Die Arbeiter-Bewegung kam trotz Diktatur und Repression wieder in Gang, 1947 kam es in der Euskalduna-Werft (heute Guggenheim) zum ersten Streik im Staat, es folgten weitere Ausstände im Baugewerbe. In den bleiernen 50er Jahren wurde ETA gegründet als antifaschistische Abspaltung des orientierungslosen Exil-Nationalismus. In den 60er Jahren wurde die Autobahn nach Donostia gebaut und die öffentliche Universität eröffnet. Nach Ende des Franquismus übernahm die christdemokratisch-nationalistische Partei PNV das Zepter, seither stellte sie durchweg die Bürgermeister und Stadtverwaltungen.

Vom Industrie-Zeitalter zum Guggenheim-Effekt

In den 70er Jahren gelangte der Bergbau an seine Limits, Minen wurden geschlossen, die Hochöfen Vizcaya (AHV) waren 1995 das letzte Relikt aus der „Eisenzeit“. Nach dem Beitritt Spaniens zur EU (1986) wurden in Brüssel Entscheidungen getroffen, die Bilbaos Zukunft stark beeinflussten. Mit dem Argument von Produktionsquoten wurde 1986 (neben anderen Standorten) die hochmoderne Euskalduna-Werft geschlossen, was 6.000 Arbeiter/innen und ähnlich viele Zulieferer ihrer Arbeit beraubte. Diese Entscheidung ebnete den Weg für eine neue Epoche: Dienstleistung und Tourismus. Wenig später wurde in Bilbo die Entscheidung getroffen, auf die Attraktion eines weltbekannten Museums zu setzen und die eigene Zukunft auf Gedeih und Verderb damit zu verbinden.

So wurde – ideal am Fluss gelegen, mitten in der Stadt – am ehemaligen Standort der Euskalduna-Werft das Guggenheim-Museum gebaut. Die G-Stiftung in New York hatte verzweifelt einen europäischen Standort gesucht, um ihre angesammelten Kunst-Bestände dem Publikum vorführen zu können. Doch wollte sich niemand auf den Knebel-Vertrag einlassen, den sich die Stiftung vorstellte – bis die Verantwortlichen in Bilbo mit ihrer rotweißen Fahne winkten. Der Vertrag sah vor, dass die Baukosten alleine die baskische Seite tragen sollte, und dass im Gegenzug allein in New York entschieden würde, was in Bilbao ausgestellt wird. Die baskischen Kulturhaushalte dienten jahrelang ausschließlich der Finanzierung des Vorzeige-Projekts. Dies erzeugte eine bis heute anhaltende Anti-Haltung gegenüber dem Silberpalast am Fluss, viele Bilbainos und Bilbainas waren auch 20 Jahre nach Eröffnung nie im Museum – aus Prinzip. Tatsächlich konnten mit dem sog. G-Effekt Millionen von Tourist/innen in die Stadt gezogen werden, dennoch beklagt sich der Tourismus-Sektor bis heute darüber, dass die Mehrheit der Besucher/innen nur einen Tag bleibt, um danach zu attraktiveren Zielen weiterzureisen.

Dabei füllt das Museum nur einen kleinen Teil der Fläche, die durch die Werft-Schließung frei wurde. Gebaut wurden ein Einkaufszentrum, die Bilbliothek der privaten Jesuiten-Universität, eine Aula der öffentlichen Universität, ein Block mit Luxuswohnungen, der Kongress-Palast Euskalduna, sowie ein Turm von 165 m Höhe, mit dem ein baskischer Energie-Multi dazu überredet wurde, seinen Verwaltungssitz in Bilbo zu belassen und nicht nach Madrid zu ziehen (über die Höhe der damit verbundenen Steuergeschenke kann nur spekuliert werden).
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Heute erinnert sich kaum jemand mehr an den Container-Terminal, der den Museum-Eingang noch einige Jahre zierte. Im Schlepptau des erwarteten Effekts wurden Hotels und Restaurants eröffnet, alle setzten auf dieselbe Karte, Bilbo wurde immer mehr zur Monokultur. Doch wie gefährlich es ist, wenn auf ein Produkt allein gesetzt wird, zeigte sich in den Jahren der sog. Wirtschaftskrise, als die Besuchszahlen aus dem spanischen Staat dramatisch sanken. Der große Einbruch wurde nur verhindert, weil die Zahlen aus dem Ausland die Verluste zumindest ausglichen. Dennoch mussten erst wenig zuvor eröffnete Tourismus-Betriebe wieder geschlossen werden, weil der Kuchen nicht für alle ausreichte.

Zeitgleich mit dem berühmten Museum wurde von Bilbo an die Küste (Plentzia) eine U-Bahn gebaut, die Metro-Bilbao, die seither mehrfach erweitert wurde und die Verkehrsprobleme des Großraums etwas lindert. Auch ein Naturereignis trug dazu bei, dass Bilbo einen Schub von Modernisierung erfuhr: heftiger Regen verbunden mit einer Sturmflut führte am 26. August 1983 zu verheerenden Überschwemmungen in vielen Teilen Bizkaias, 34 Menschen verloren im Baskenland ihr Leben. Die Altstadt Bilbaos stand ca. drei Meter unter Wasser, entsprechende Zeichen erinnern daran. Lager, Werkstätten und Gastbetriebe, traditionell im Straßengeschoss untergebracht, waren zerstört. Einige Gebäude mussten abgerissen werden, viele andere wurden saniert, was sich im Nachhinein als Segen für die Altstadt herausstellte, die heute in fast perfekt restauriertem Zustand dasteht.

Tourismus und Dienstleistung

Zum Thema Deindustrialisierung und Strukturwandel in Bilbo wird vielfach das Argument bemüht, die Arbeitsplätze in der Industrie seien eben durch andere in Dienstleistung und Tourismus ersetzt worden. Dieses Argument vernachlässigt (bewusst) die Tatsache, dass die Industrie-Beschäftigung von fester Arbeit geprägt war, die Leute waren gewerkschaftlich gut organisiert und stellten einen gesellschaftlichen Machtfaktor dar. Die Arbeitsplätze in Gastronomie und Tourismus hingegen zeichnen sich aus durch Befristungen, Saison- und Konjunktur-Abhängigkeit, lange Arbeitszeiten ohne Ruhezeit, schlechte Bezahlung – alles Ausdruck prekärer Arbeitsbedingungen. Die wenigsten Beschäftigten sind gewerkschaftlich organisiert, vielmehr handelt es sich bei diesem Personenkreis um eine „Manövriermasse“ auf dem Arbeitsmarkt, der die Arbeitslosen-Statistik im Sommer hoffnungsvoll und im Winter schlecht aussehen lässt. Tatsache ist, dass die Armut in den vergangenen 30 Jahren stark zugenommen hat, obwohl die baskische Sozialpolitik deutlich besser funktioniert als im Rest des Staates. Mehr als 90% der jeweils abgeschlossenen neuen Arbeitsverträge sind befristet, Zehntausende Autónomo-Kleinunternehmer fristen ein arbeitsintensives und unsicheres Dasein.
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Was in Bilbao in Sachen Tourismus geschieht, insbesondere in der Altstadt, ist weltweit keine Neuheit, Städte wie Paris, Mailand, Venedig oder Lisabon, aber auch das baskische San Sebastián leben seit Jahrzehnten mit dieser Situation. Die Einheimischen, die sich zu Beginn wirtschaftliche Vorteile davon versprochen hatten, merken allerdings langsam, dass die Geschichte auch Nachteile hat. Insbesondere die Geschwindigkeit, in der sich alles abspielt, ist Grund zur Besorgnis. Vor 15 Jahren gab es in der Altstadt praktisch keine Straßen-Cafes, nun gibt es keine Straße mehr ohne. Touristen-Pulks von 50 oder mehr machen die engen Straßen der Altstadt oder den Markt teilweise unbegehbar; Bürgersteige sind mit Tischen belegt, dass Fußgänger/innen auf die Straße ausweichen müssen; alteingesessene Läden schließen, weil die Mieten steigen, die Preise in der Gastronomie ebenfalls, die Immobilien schon lange. Das Ladenangebot entwickelt sich immer mehr zur Monokultur, die nur noch Tourismus-Interessen bedient: Souvenirs, Fastfood und iberischer Schinken. Was seit jeher öffentlicher Raum zu öffentlicher Nutzung war, wird zunehmend privatisiert und vermarktet, die Straßen Jardines und Maria Muñoz der Altstadt sind Beispiele dafür.

Im Gegensatz dazu wird die Innenstadt (Gran Vía) mit der Ansammlung von Geschäften und Banken immer mehr zum weltweiten Abziehbild. Tourismus muss – wenn er verträglich sein will – das Gleichgewicht bewahren zwischen den Interessen der Besucher/innen und der Besuchten – in ökologischen Kreisen ist diese Feststellung längst Grundlage für künftige Planungen, bei den Verantwortlichen in Bilbo ist sie leider noch nicht angekommen. Wie weit der Attraktions-Wahn der Stadtverwaltung ging, macht ein Rückblick ins Jahr 2005 deutlich, als versucht wurde, einen Formel-1-Stadtparcours à la Monaco nach Bilbo zu holen, was allein am Widerstand der Bevölkerung scheiterte (das Rennen ging an Valencia). Wer Urlaub mit Konsum verbindet ist in Bilbao richtig, von der Osterwoche bis Ende Oktober ist jedes Wochenende ein Spektakel geboten, sei es ein Halbmarathon, ein Theaterfest, Feuerwerk, Turmspringer, Ruder-Regatten, Paddle-Meisterschaften, Konzerte, Schachturniere, verkaufsoffene Nächte, Oktoberfeste, Straßentheater, Basque Feste, Gastronomie-Märkte, etc. Tourismus in Bilbo begann jedoch nicht mit dem berühmten Museum, Ende des 19. Jhs., nachdem sich mit der Industrialisierung in Getxo eine neue baskische Oligarchie formiert hatte, war Las Arenas gefragt, in Portugalete gab es Strand und Heilbad für Reiche, um eine Verkehrs-Verbindung zu schaffen wurde die Bizkaia-Brücke gebaut (Colgante, Puente Bizkaia, heute Weltkulturerbe). Nun kommt die Mehrheit der Tourist/innen aus Katalonien und Madrid, bzw. aus Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland. Mit dem Neubau des Kongress-Zentrums Euskalduna und der Verlegung der Messe Bilbao (Bilbo Exhibition Centre, BEC) nach Barakaldo wurde ein weiterer Reise-Zweig gefördert, der Messe und Kongress-Tourismus.

Euskara in Bilbo

Die baskische Sprache hat in Bilbo einen schweren Stand, mehrere Ereignisse in der Geschichte haben dazu geführt. Als Handelsplatz zwischen Kastilien und dem Meer war die Stadt traditionell Durchgangsort für Auswärtige. Die massive Einwanderung während der industriellen Revolution Mitte des 19. Jhs. und erneut in den 1950er Jahren brachte viele Nicht-Euskaldune in die Stadt, die aufgrund der sozialen Situation andere Sorgen hatten, als Baskisch zu lernen. Die ersten Sozialisten trugen ebenfalls ihren Teil dazu bei, indem sie die Sprache und ihre Sprecherinnen als hinterwäldlerisch markierten. „Habla cristiano“ – Sprich christlich! war die spanische Losung gegen das Euskara, mit christlich war Spanisch gemeint. Je nach politischer Konjunktur war das Sprechen des Euskara mehrfach verboten, zuletzt in den vier Dekaden des spanischen Faschismus unter Franco. Wer erwischt wurde, bekam eine Strafe, angefangen bei Kindern in der Schule. Verantwortlich ist jedoch auch die baskische Politik, die nur ungenügend das Lernen und Praktizieren der Sprache fördert, der vorige Bürgermeister von Bilbo war ein bekannter Baskisch-Hasser, zum ersten Mal in der Geschichte sprechen aktuell (2016) alle Bürgermeister der vier großen baskischen Städte Euskara, ein Zeichen dafür, welche Geringschätzung der Sprache entgegengebracht wird. Erst in den 80er Jahren wurde begonnen, Euskara in den Schulen zu unterrichten. Bilbo steht in dieser Hinsicht in krassem Gegensatz zu benachbarten Orten, an der Küste oder in ländlichen Gebieten, wo die Sprache nie ihre Bedeutung verloren hat.
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FOTOS:

(1) Tourismus Bilbao: Wortspiele am Boot (Foto Archiv Txeng – FAT)

(2) Bilbo: Straßentheater (Foto Archiv Txeng – FAT)

(3) Bilbo Touri-Bus (Foto Archiv Txeng – FAT)

(4) Bilbo: lange Kauf-Nächte für die Klein-Ökonomie (Foto Archiv Txeng – FAT)

(5) Bilbo: Basque-Fest – Englisch ist angesagt (Foto Archiv Txeng – FAT)

(6) Bilbo-Tourismus: Spiele und Unterhaltung (Foto Archiv Txeng – FAT)

(7) Bilbo Touri-Bus (Foto Archiv Txeng – FAT)

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