Das Prekaritäts-Modell
Das Tourismus-Modell, das sich in Euskal Herria immer mehr ausbreitet, beunruhigt zunehmend große Teile der Bevölkerung. Viele Jahre lang konnten wir beobachten, was an der nahe gelegenen Küste von Lapurdi geschah, die als Zweitwohnsitz von Pensionären aus Paris besetzt wurde. Seit 20 Jahren breitet sich der touristische Trend auch im Südbaskenland aus, wobei die Hauptstädte besonders betroffen sind. In Donostia ist seit 150 Jahren der Adels-Tourismus, in Bilbao seit 25 Jahren der Guggenheim-Effekt.
Unter dem Titel “Dieser Tourismus lässt das Baskenland verarmen“ beschreibt der ehemalige Bilbo-Stadtrat Tasio Erkizia (Herri Batasuna) in der Tageszeitung Gara die Folgen des Massentourismus im Nord-Baskenland Iparralde und im Süd-Baskenland Hegoalde.
Ein Massentourismus, der die Einheimischen aus den Stadtzentren an die Peripherie verdrängt, ein Stadtmodell für die Besucher*innen, das die Zentren für die Einheimischen unbewohnbar macht. Ein Landesmodell, das dem spanischen Modell immer ähnlicher wird: Abbau der Basisindustrie, mehr Dienstleistung und Förderung des Tourismus.
Das Modell eines Landes, das sich auf den Tourismus konzentriert, führt zu einer fortschreitenden Verarmung des Baskenlandes, in verschiedenen Aspekten und auf verschiedenen Ebenen. Dennoch werden zu Beginn der langen Wochenenden und Feiertage, sei es Weihnachten, Ostern oder Sommer, im baskischen Fernsehen (EITB) am häufigsten jene Nachrichten wiederholt, die sich auf die Auswirkungen des Tourismus auf unser Land beziehen.
Die Belegung der Hotels und die Bewegungen auf den Flughäfen werden als Erfolgsmeldungen dargestellt, begleitet von unseriösen Behauptungen über die Milliarden von Euro, die sie angeblich in unseren Kassen hinterlassen. Es wird so getan, als ob unser Leben davon abhinge, als ob der Tourismus der wichtigste Wirtschaftszweig in unserem Land wäre. Es wird nichts darüber berichtet und noch weniger wird über die Auswirkungen dieses Wirtschaftsmodells nachgedacht, das einem Wirtschaftsbereich den Vorrang gibt, das sich im Wesentlichen auf den Dienstleistungssektor stützt, mit den sich daraus ergebenden Folgen für die Lebensweise der Mehrheit der baskischen Bevölkerung.
Erstens führt dieses Modell zu einer alarmierenden Prekarität bei Löhnen und Arbeitszeiten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Im Hotel- und Gaststätten-Gewerbe gibt es Arbeitszeiten, die sich nur schwer mit dem Privat- und Familienleben vereinbaren lassen, dazu Elendslöhne, die zu erheblichen Armutsnischen führen.
Die Prekarität, insbesondere bei jungen Menschen, ist ein konstantes Merkmal des gesamten Sektors der touristischen Dienstleistungen. Miserable Löhne in Verbindung mit befristeten Arbeitsverhältnissen führen zu ständiger Instabilität. In vielen Bars und kleinen Hotels sind höhere Löhne möglicherweise nicht bezahlbar, aber es ist ein Modell, das überall auf der Welt zu Instabilität und Armut am Arbeitsplatz führt, auch für Selbständige. Es handelt sich um ein lukratives Geschäft für einige wenige, aber ein weit verbreitetes Elend für die Mehrheit der Beschäftigten in diesem Sektor.
Zweitens: Ein Anstieg der Lebenshaltungskosten, der die gesamte Bevölkerung betrifft. Der Tourismus bringt einen Anstieg des Konsums mit sich, der einen allgemeinen Preisanstieg in allen Lebensbereichen mit sich bringt. Insbesondere bei den Wohnkosten, die für Arbeitnehmer-Familien, vor allem für die Jüngeren, zu einem Albtraum werden. Die Nachfrage nach Wohnraum steigt, was zu höheren Preisen und weit verbreiteter Spekulation führt. Die Wohnungspreise in Städten wie Donostia und Bilbo sowie in vielen Gemeinden an der baskischen Küste sind für Arbeitnehmer*innen unerschwinglich geworden, die Spekulation mit Grundstücken und Wohnungen ist alarmierend.
Auf diese Weise werden die Grundbedürfnisse für Arbeitnehmer*innen unbezahlbar, was zu Verarmung und Ausgrenzung großer Teile der Bevölkerung führt. Bald werden wir erleben, dass immer mehr Einheimische ihre Häuser im Sommer vermieten, während sie bei Verwandten unterkommen, um zu überleben.
Auch die in eine Minderheitenecke gedrängte Sprache und Kultur, Euskara und die baskische Kultur, leiden unter dieser Verarmung. Die derzeitigen politischen Verantwortlichen (von der neoliberalen PNV) wollen uns glauben machen, dass uns der Tourismus in der ganzen Welt als eigenständiges Land bekannt macht. Doch die Realität sieht anders aus, das Baskenland wird schlicht als eine weitere Region im spanischen Staat dargestellt. Ein zweitägiger Aufenthalt, so die durchschnittliche Aufenthaltsdauer ausländischer Touristen, erlaubt es bei Weitem nicht, die baskische Realität kennen zu lernen. Doch gibt es keine institutionellen Bemühungen, unsere sozio-kulturelle Realität zu zeigen, wobei die Weinkellereien der Rioja Alavesa möglicherweise noch den eindrucksvollsten und charakteristischsten kulturelle Aspekt darstellen.
Das Guggenheim Bilbao wird uns als wichtigster kultureller Traktor präsentiert, verschwiegen werden die beträchtlichen jährlichen Ausgaben, die die Institutionen zu leisten haben, zum Nachteil von Investitionen für die eigene euskaldune Kreativität. Wenn nun noch ein weiteres Guggenheim in Urdaibai errichtet wird, stellt sich automatisch die Frage: Welche Haushalts-Kürzungen werden dann bei den baskischen Aktivitäten und der Kultur vorgenommen? Diese Pläne ziehen zwar Touristen an, drängen aber unsere eigene Kultur stark in den Hintergrund. Darüber hinaus hat dieses Tourismusmodell längst damit begonnen, die Straßen, Hotels, das Wohnungsangebot usw. zu überschwemmen.
Einige Gebiete des Nord-Baskenlandes wie Donibane Loitzune (Saint Jean de Luz) oder Miarritze (Biarritz) sind schon seit Jahren völlig überfüllt, dieselbe Sorge erreicht nun auch Donostia (San Sebastian). Die Behörden gehen nach bekannten Mustern vor: Sie nutzen die Situation aus, um mehr Geld einzutreiben, indem sie eine "Tourismussteuer" vorschlagen. Unklar ist, ob dies der richtige Weg ist oder nicht. Sicher ist, dass damit das Grundproblem des übermäßigen und gesellschaftlich nicht vertretbaren Tourismus nicht gelöst wird. Es wird nicht lange dauern, bis sich dieses Problem auf Städte wie Bilbao ausweitet (viele, vor allem Bewohnerinnen der Altstadt, sind der Ansicht, dass dies bereits seit einigen Jahren geschehen ist).
Doch die Verantwortlichen zeigen sich gleichgültig, solange einige (befreundete) Privatunternehmen lukrative Geschäfte machen können. Ignoriert werden die negativen Auswirkungen auf die Bevölkerung, die Besorgnis erregende Prekarität an den Arbeitsplätzen und die sozio-kulturellen Folgen für die Gesellschaft, die immer stärker Richtung Monokultur und Abhängigkeit tendiert.
Dabei darf nicht vergessen werden, dass die politische Priorität des Tourismus in der Praxis zu Lasten von Investitionen in ein (emissionsarmes) Industriemodell mit möglichst wenig ökologischen Defiziten und ein grundlegendes Umdenken im primären Sektor (Landwirtschaft) geht, der für die Zukunft des Landes von grundlegender und transzendenter Bedeutung ist. (Es ist allgemein bekannt, dass der in Bizkaia mit Millionen geförderte Kreuzfahrt-Tourismus eine der schädlichsten Reiseformen überhaupt ist, im Jahr 2023 werden an die hundert solcher Meereshotels im Hafen Bilbao erwartet). Schließlich steht dieses Modell von oberflächlichem und anti-ökologischem Massentourismus der auf Umweltgipfeln beschworenen Emissionsreduzierung, der Notwendigkeit eines radikalen Umdenkens und grundsätzlichen Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe diagonal entgegen. Flugreisen sind mit heutzutage nicht mehr zu rechtfertigenden Umweltkosten verbunden, die zum Anlass genommen werden müssen, die Nutzung dieses umweltschädlichen Verkehrsmittels auf ein Minimum zu reduzieren.
Angesichts dieser Tatsachen wäre es vernünftig, über konkrete Maßnahmen für einen ökologischen Wandel auf Stadt und Provinzebene nachzudenken und nicht die Verkehrsbewegungen auf den Flughäfen als begrüßungswerte Zeichen des Fortschritts und des sozialen Wohlstands darzustellen. Inlandstourismus ist eine Reiseform, die den kulturellen Austausch fördert und der Wirtschaft ebenfalls einen gewissen Auftrieb geben kann – Auslands- und Massentourismus hingegen sind in nicht allzu ferner Zukunft nicht mehr tragbar.
An Initiativen für Inlandstourismus mangelt es nicht. Die Stadt Usurbil in Gipuzkoa, zum Beispiel, entwickelt ein entgegengesetztes Modell. Denn es geht nicht (wie die Tourismus-Entwickler den Massentourismus-Gegnern gerne vorwerfen) um die Frage Tourismus Ja oder Nein, sondern um die Art des Austauschs und um die Aktivität, die gefördert wird. Es geht um das sozio-ökonomische und sozio-kulturelle Modell, das mit der jeweiligen Art von Reisekultur verbunden ist. Das derzeitige Modell ist ein reines Geschäft für einige wenige, bloßer Kapitalismus. Doch für das Baskenland von morgen stellt es in jeder Hinsicht eine Verarmung dar.
ANMERKUNGEN:
(1) “Este turismo empobrece Euskal Herria” (Diese Art von Tourismus lässt Euskal Herria verarmen), Tageszeitung Gara, 2023-03-13, Tasio Erkizia, Aktivist der abertzalen Linken. Zur Verdeutlichung der Analyse wurde der Text leicht ergänzt. (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Kreuzfahrt (getxo udala)
(2) Guggenheim (bilabo.eus)
(3) Flughafen Bio (hosteltur)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-03-16)