Ruinen der Festung Orzorrotz freigelegt
Im Laufe der Jahrhunderte hat die Natur die Reste der Festung Orzorrotz in Nord-Navarra unter der Oberfläche verborgen. Von kastilischen Truppen wurde die Burg um 1522 zerstört. Im Jahr 2016, fast 500 Jahre später, kommen bei Ausgrabungen Teile des Fundaments zum Vorschein, erneut sichtbar wird somit die Geschichte dieses strategischen Ortes im ehemaligen Königreich Navarra. Neben Orzorrotz wurden auch andere Burgen zerstört, um den Navarrern nach der Eroberung ihren Widerstandsgeist zu nehmen.
Die Festungsanlage Orzorrotz gehörte mehrere hundert Jahre lang zu den Verteidungsanlagen des Königreichs Navarra, sie befand sich auf dem gleichnamigen Berg, auf einer Höhe von 900 Metern nahe der Orte Ituren und Zubieta im Norden Navarras.
Das Königreich Navarra (baskisch: Nafarroako Erresuma, spanisch: Reino de Navarra) existierte zwischen 824 und 1512 und war einst ein eigenständiger Staat. Es umfasste alle sieben Provinzen, die bis heute als historisches Baskenland angesehen werden, nördlich und südlich der heutigen Staatsgrenzen zwischen Frankreich und Spanien. Um 1200 wurden von der kastilischen Krone drei der vier Südprovinzen militärisch erobert (jene drei die heute die Autonome Gemeinschaft Baskenland bilden). Im Jahr 1512 und nach einem kurzen Wiederaufleben 1522 wurde auch Navarra der kastilischen Krone einverleibt. Danach wurden viele der navarrischen Festungen geschliffen, um ein erneutes Aufbäumen der Navarrer zu verhindern (1).
Geschichte der Festung Orzorrotz
Von der Festung Orzorrotz übrig geblieben sind nur Reste der Grundmauern. Die Grundfläche war zwanzig Meter lang und fünfzehn Meter breit. Den Archiven zufolge waren dort üblicherweise 10 bis 15 Soldaten stationiert. In Ausnahmefällen stieg diese Zahl auf 40 Männer an. Die ältesten Dokumente, in denen die Festung erwähnt wird, stammen aus dem 13.Jh. Die Burg könnte jedoch auch älter sein, wenn es nach Iñaki Sagredo geht, dem Verantwortlichen der Ausgrabungen und Archäologen der Gruppe „Gestión Cultural Larrate“, die sich dem Erhalt der Kulturgüter Navarras widmet (2).
Der Standort Orzorrotz war für das Königreich Navarra von großer Bedeutung. Von diesem Punkt aus konnten die gesamten Hauptverbindungswege der Grenzregion zwischen Navarra, Gipuzkoa und Lapurdi übersehen und kontrolliert werden: vom Gebirgspass Ezkurra im Westen bis fast ins Tal von Baztan im Osten (entlang der NA-170), auch vom Grenzübergang im Norden bis zum Pass von Belate im Süden auf der N-121 Richtung Iruñea. „Wir verfügen über eine ganze Reihe von Archiven der ehemaligen Grundherren von Bertiz und Donamaria, die sich diese Region untereinander aufteilten, sowie Dokumente ehemaliger Bewohner der Ortschaft Ituren, aus denen hervorgeht, wie von dieser Festung aus die Gegend verteidigt wurde“, erklärt Sagredo.
Erste Zerstörung
Bei den Ausgrabungen konnte festgestellt werden, dass die Festung sehr wahrscheinlich Mitte des 15.Jhs niedergebrannt und zerstört wurde, nach einer militärischen Auseinandersetzung der beiden großen navarrischen Adelsfamilien – Beaumonteses und Agramonteses – im sogenannten Navarresischen Bürgerkrieg von 1451 bis 1455 (3). Dabei handelte es sich um einen Thronfolge-Krieg, den Juan II von Aragón auslöste, als er nach dem Tod seiner Frau, der Königin Blanca von Navarra, den navarrischen Thron besetzte anstatt ihn seinem Sohn Carlos, dem rechtmäßigen Erben, zu überlassen. Der Krieg endete mit dem Sieg von Juan und führte mittelfristig zum Verlust der Unabhängigkeit Navarras, weil die Kastilier die internen Meinungs-Verschiedenheiten strategisch und militärisch zu nutzen wussten.
Zunächst wurde die zerstörte Burg zügig wieder aufgebaut. Im Jahr 1512 kam es dann – mit Hilfe der Adelsfamilie der Beaumonteses – zur Eroberung des südlichen Teils von Navarra durch das kastilische Königreich. Dennoch konnte Orzorrotz im Jahr 1521 von den verbliebenen Anhängern des navarrischen Königreiches noch einmal zurückerobert werden. Der Archäologe Sagredo zitiert aus einem in London gefundenen Dokument, in dem es von den Kastiliern heißt: „die Festung müsse unter ihre Kontrolle gebracht werden, weil es sich um eine Höhle von Dieben handle“. Allerdings war diese erneute navarrische Rückeroberung nur von kurzer Dauer. Eine Schlacht auf offenem Feld bei Noain, fünf km südlich von Pamplona, endete am 30. Juni 1521 mit einer verlustreichen Niederlage der Truppen des Königreichs Navarra. Auf einer weithin sichtbaren Anhöhe schuf der Künstler Joxe Ulibarrena 1996 ein Monument, das an diese Schlacht erinnert. Anhängerinnen der Unabhängigkeit Navarras treffen sich dort regelmäßig am letzen Sonntag im Juni.
Noain und Amaiur
Den aus der Schlacht von Noain siegreich hervorgegangenen kastilischen Truppen stand nun nichts mehr im Wege, eine weitere Offensive zu starten zur erneuten und definitiven Rückeroberung der Burgen von Orzorrotz und Doneztebe (spanisch Santesteban, an der N 121 von Pamplona Richtung Iparralde, Frankreich). Zuletzt gelang den Kastiliern im Juli 1522 die Einnahme der Festung Amaiur (spanisch Maya) im Tal von Baztan (65 km nördlich von Iruñea/Pamplona), auf der ca. 200 Männer unter dem Befehlshaber Vélaz de Medrano Widerstand geleistet hatten. Zuvor hatte Vélaz de Medrano vergeblich versucht, Orzorrotz zurückzuerobern. Die in Amaiur gefangenen genommenen Soldaten wurden nach Iruñea (Pamplona) gebracht, wo Vélaz de Medrano und sein Sohn vergiftet wurden. Bis zum Jahr 2012 erinnerte an der Stelle der ehemaligen Festung Amaiur allein ein Monolith an die Verteidiger der Unabhängigkeit des Königreichs Navarra. Vor vier Jahren wurde jedoch damit begonnen, die Reste der Festung Amaiur auszugraben und archäologische Nachforschungen anzustellen.
Zerstörung von Orzorrotz
Hinter der Zerstörung der Festung Orzorrotz stand das Ziel, „die navarrische Bevölkerung zu unterwerfen und ihren Stolz zu brechen“, betont Sergio Iparragirre, einer der an den Ausgrabungen beteiligten Freiwilligen. Genau diese Worte benutzte der kastilische Oberst Villalba in einem Schreiben an Kardenal Cisneros, der nebenbei militärischer Befehlshaber war und die Zerstörung vieler Reichtümer anordnete, unter anderem der Festungen Navarras. Es wird vermutet, dass die Festungsanlage noch im selben Jahr 1522 abgerissen wurde, allerdings lässt sich das nicht genau sagen, da es Dokumente aus dem Jahr 1523 gibt, die sich auf die Burg beziehen. Die Festung war über einer pyramidenförmigen Struktur aus Stein errichtet worden, von der bereits zwei Endpunkte freigelegt werden konnten.
Sie hatte mehrere Aussichtstürme, eine Wasserzisterne, ein Wohnhaus aus Holz für die Wachhabenden und einen Palast, der wenig mehr war als eine Hütte“, versichert Sagredo. Eine Besonderheit sticht den Ausgräbern ins Auge: beim Bau der Festung wurde Stein direkt auf Stein gesetzt, also kein Mörtel benutzt, was sie unter den Burgen Navarras einmalig macht. Verwendet wurde der in der Region vorkommende Sandstein. Der Dokumentation entsprechend war „das einzige aus Kalk erbaute Element der Anlage der Turm der Ehrungen“ (torre de homenaje).
Ohne Eile, ohne Pause
In dieser ersten Ausgrabungsphase von 2016 wurden unter anderem ein Zimmer freigelegt, eine Mauer von einem Meter Höhe, Armbrustpfeile, Nägel und kastilische Münzen aus dem Mittelalter. Die Gruppe Larrate hofft, das Projekt fortführen zu können und durch die Ausgrabung elementarer Teile die gesamte Anlage mit digitaler Hilfe rekonstruieren zu können.
„Die Idee ist, von Ituren und Zubieta aus eine grüne Route anzulegen, die zu den Ruinen dieser Festung führt, aber auch den historisch-kulturellen Reichtum der Region einbindet: mehrere Dolmen, die Kapelle auf dem Kamm des Berges Mendaur auf einer Höhe von 1.136 m“, beschreibt Sagredo und betont dabei die Anstrengung der Stadtverwaltung von Ituren. Für Julen Azcona, der gerade sein Archäologie-Studium abgeschlossen hat, liegt der Reiz darin, „etwas bekannt zu machen, was seit hunderten von Jahren von niemandem berührt wurde“. Der ebenfalls an der Ausgrabung beteiligten Izaskun Ruiz de Arbulo gefällt die angenehme Atmosphäre, trotz der schwierigen Bedingungen, die der Ort aufweist. Laut Iparragirre „müssen wir den navarrischen Stolz wiederfinden, den sie uns wegnehmen wollten.“
ANMERKUNGEN:
(1) Heute ist Navarra (baskisch Nafarroa) geteilt in die auf französischem Staatsgebiet liegende Provinz Nieder-Navarra (franz: Basse-Navarre) und die autonome Region Navarra innerhalb des spanischen Staates, nachdem politische Interessen in der Post-Franco- Zeit zu einer regionalen Abspaltung der Provinz von der Autonomen Region Baskenland (Euskadi) führten. Hauptstadt ist das für seine Feste bekannte Pamplona (baskisch: Iruñea).
(2) Information und Zitate aus dem Artikel: „El Castillo Orzorrotz resurge tras casi 500 años”, von Gaizka Azketa, erschienen in der baskischen Tageszeitung Gara am 22. August 2016.
(3) Navarresischer Bürgerkrieg, sowie Beaumonteses und Agramonteses: siehe Wikipedia (Link)
FOTOS:
(1) Ausgrabungen der Orzorrotz-Festung bei Ituren in Navarra (Foto: naiz.eus)
(2) Auch die Festung Amaiur im Baztan-Tal wird ausgegraben (Foto Archiv Txeng – FAT)
(3) Ausgrabung der Festung Amaiur im Baztan-Tal (Foto Archiv Txeng – FAT)
(4) Ausgrabung der Festung Amaiur im Baztan-Tal (Foto Archiv Txeng – FAT)
(5) Ausgrabung der Festung Amaiur im Baztan-Tal (Foto Archiv Txeng – FAT)