Chaplin und die Hafenarbeiter
Gaur8 (bask: gaur zortzi – heute acht) ist der Titel der ausschließlich baskisch-sprachigen Beilage, die jeden Freitag mit der baskischen Tageszeitung Gara erscheint. In besonderem Format, angemessen in Schwarz-Weiß. Die Rubrik auf der vorletzten Seite zeigt ein großformatiges Foto vergangener Zeiten, um das damalige Leben der verschiedenen Regionen Euskal Herrias in Erinnerung zu rufen. Heute: Charlie Chaplin, Baiona, der Hafen Bilbao, Fischer in Mutriku, Warten auf den Zug, der Sklavenhändler.
“Behatxulo“ heißt eine Rubrik der Wochenend-Beilage Gaur8 der baskischen Tageszeitung Gara, erstellt von dem Journalisten Juanjo Egaña. Bilder aus der euskaldunen Vergangenheit. Eine erste Auswahl von sechs Bildern.
Charlie Chaplin, Atharratze 1931
“Charles Chaplin im Fronton von Atharratze, Pelota spielend und Bertso singend“ – so die Bildunterschrift von Behatxulo vom 06.11.2021 mit dem Foto eines beschwingten Chaplin: Am 17. August 1931 berichtete die Zeitung La Gazette in Bayonne auf ihrer Titelseite über den Besuch des Schauspielers und Filmregisseurs Charles Chaplin in dem baskisch-französischen Dorf Atharratze (frz. Tardets). Laut Schlagzeile tanzte Chaplin im Frontón (baskischer Pelota-Spielplatz) und sang ein Lied auf Baskisch. (1)
Andere Medien, darunter die Tageszeitung "Le Figaro", berichteten, dass Harry d'Abbadie d'Arraste, ein Freund Chaplins von baskischer Herkunft und Chaplins Regieassistent in "The Gold Rush", ihm einige Verse auf Baskisch über das Pelotaspiel beigebracht habe und dass Chaplin sie vor seinen Freunden auf dem Pelota-Platz in Atharratze gesungen habe. Nach Angaben der Zeitung "Le Figaro" war der Film "City Lights" fünf Monate lang in den Kinos zu sehen. Das Foto zeigt Charles Chaplin am 16. August 1931 vor Beginn einer Partie Cesta Punta (2) auf dem Pelota-Platz von Atharratze. Er hält einen Cesta-Punta-Korb in der Hand und blickt den Fotografen an.
Arriaga-Hafen Bilbao vor 150 Jahren
Im 19. Jahrhundert hinterließen zahlreiche Fotograf*innen Bilder der baskischen Küste für die Nachwelt. Eulalia Abaitua (3) zeigte uns Bilbao, die Flussmündung und die dort Arbeitenden. Zwischen 1860 und 1875 besuchten die Franzosen Jean Andrieu, Henri de Lestrange, Jean Laurent und Charles Monney das Baskenland und fotografierten die Küste von Bizkaia und Gipuzkoa. In Gipuzkoa hinterließen unter anderem Hermenegildo Otero, in Bizkaia Manuel Torcidá und in Lapurdi Ferdinand Berillon und Gastón Ouvrard Fotografien von den Häfen: Frauen beim Entladen von Kohlebooten und beim Flicken von Netzen, Hafenarbeiter, Fischer und andere mehr. (4)
Pedro Telesforo Errazquin Astigarraga, ein 1834 in Bilbao geborener Geschäftsmann, war ein begeisterter Fotograf. Er schuf mehr als 530 Fotoplatten, die im Baskischen Museum in Bilbao aufbewahrt werden. Seine Fotografien wurden zwischen 1859 und 1895 aufgenommen. Im Allgemeinen handelt es sich um Ansichten von Bilbao und seinen Straßen, der Flussmündung und des Hafens, wie zum Beispiel dieses Panorama des Arriaga-Kais, das um 1859 aufgenommen wurde und eine Montage aus zwei Fotografien darstellt. Pedro Telesforo Errazquin war einer der Gründer der Bank von Bilbao und der Eisenbahn-Gesellschaft Bilbao-Tudela und unter anderem der erste Präsident der Handels-, Industrie- und Schifffahrts-Kammer von Bilbao im Jahr 1886. Er starb 1898 in Paris, wohin er aus geschäftlichen Gründen gezogen war.
“Warten auf den Zug in Unzue“
Eine Gruppe von Fahrgästen wartet am Bahnhof Carrascal de Unzué auf die Ankunft des Zuges von Pamplona nach Zaragoza, der in Städten wie Tafalla, Tudela, Caparroso und Castejón hielt. Die Eisenbahnlinie zwischen Pamplona und Zaragoza war die erste, die in Navarra in Betrieb genommen wurde. Der erste Abschnitt, von Pamplona nach Caparroso, wurde im September 1860 eingeweiht, im Mai 1861 wurde der Abschnitt weiter nach Tudela eröffnet. Ein weiterer Abschnitt, der über Alsasua und Olazti (spanisch: Olazagutía) führte und Teil der Strecke von Paris nach Madrid war, wurde 1864 eingeweiht. (5)
Der dänische Schriftsteller und Dichter Hans Christian Andersen erzählte von seiner Reise durch Olazti im Jahr 1862, bevor dieses Teilstück fertiggestellt war. “In Olazti endete die Strecke, dort war die Lokomotive für die älteren Damen etwas Neues und Teuflisches: Beim Einsteigen bekreuzigten sich alle, und als sie ihre Plätze einnahmen und das Pfeifen des Zuges hörten, beteten sie". Das Bild, das den Artikel illustriert, wurde vom Pfarrer des Dorfes Unzue, Alberto Oficialdegui, zu Beginn des 20. Jahrhunderts gemacht.
Der Sklavenhändler
“Julian Zulueta, ein ‘vorbildlicher‘ Mann aus Alava, der durch den Sklavenhandel reich wurde“ ist der Titel des Portraits des in Araba geborenen Zulueta, der mit 18 Jahren auswanderte und mit Sklavenhandel seinen Reichtum ansammelte. In seinem Buch "Los pilotos de altura" (Piloten in der Höhe) schreibt Pío Baroja über den Sklavenhandel, über jene Reisen, bei denen sich die Schiffskapitäne "nicht um das Unglück der Afrikaner in Ketten kümmerten": "Sie betrachteten sie als Tiere, vom Geldhunger getrieben, nahmen sie so viele Schwarze an Bord, dass die einzelnen kaum mehr Platz hatten als die Toten in einem Sarg. Viele waren gezwungen, sich immer auf dieselbe Seite ihres Körpers zu stützen, aneinandergedrückt und ohne die Füße ausstrecken zu können. Auf dem harten Boden liegend, unbekleidet und von der Bewegung des Schiffes mitgerissen, waren ihre Körper mit Geschwüren übersät, die ineinander greifenden Eisen und Ketten zerrten an ihren Gliedern“. (6)
Das Porträt, das den Artikel illustriert, zeigt Julián Zulueta (1814-1878), geboren im Ort Anuntzeta in Alava, der ab 1832 in Havanna ansässig war. Er war Sklaven- und Menschenhändler. Ein skrupelloser Mann, der an Unternehmen beteiligt war, die sich am Sklavenhandel bereicherten und die mit dem Eisenbahn- und Seeverkehr, der Zuckerindustrie und einigen Kommunikationsmedien in Verbindung standen. Er war 1860, 1870, 1874 und 1876 Bürgermeister von Havanna. 1876 wurde er zum Senator auf Lebenszeit sowie zum Parlaments-Abgeordneten für die Provinz Alava ernannt.
Baiona im 19. Jahrhundert
“Baiona im 19. Jahrhundert, von Schwarz-Weiß zu Farbe“ ist das Bild unterschrieben, von Photoglob Zürich, im Besitz der Kongressbibliothek der USA. Die Suche nach Farbe stellte seit den Anfängen der Fotografie eine Herausforderung dar: Daguerreotypien, Ambrotypien und Albuminabzüge wurden u. a. von Hand koloriert. 1889 wurde auf der Internationalen Ausstellung in Paris ein Schweizer Verfahren zum Druck von Farb-Fotografien prämiert. Bis dahin gab es Bilder nur in Schwarz-Weiß. Das von der Schweizer Firma Orel Fussli & Co Mitte der 1880er Jahre entwickelte Verfahren ermöglichte es, unter dem Markennamen Photoglob Zürich Tausende von Farb-Fotografien zu vermarkten, die Ansichten der ganzen Welt boten. Einer der Befürworter dieser Initiative war der italienische Fotograf Giacomo Broggi. Die Farben der Fotografien sind im Allgemeinen stark pastellfarben. (7)
Die Library of Congress (8) besitzt eine Sammlung dieser Drucke, insgesamt 515 Fotografien, die zwischen 1890 und 1900 veröffentlicht wurden. In dieser Bibliothek befinden sich etwa zwanzig Bilder, die alle mit den Initialen P.Z. signiert sind, was dem Haus Photoglob Zürich entspricht. Sie zeigen Ansichten aus dem Baskenland, wie das vorliegende Bild, das Bild der Straße Port Neuf in Baiona (frz: Bayonne). Seine Größe ist 16,5 x 22,5 cm. Zokoa, Donibane Lohizune, Donostia, Biarritz und Hondarribia sind einige der baskischen Städte, die ebenfalls auf diesen Bildern zu sehen sind.
Fischer zu Hause in Mutriku, 1925
“Fischer zu Hause in Mutriku, 1925“, so der Titel des Fotos. Im selben Jahr fand in Donostia-San Sebastian die von Eusko Ikaskuntza (Gesellschaft für baskische Studien) organisierte Versammlung Baskischer Seefischer statt, drei Jahre später wurde ein Buch mit den vorgestellten Arbeiten veröffentlicht. Das Buch war mit Fotos von Fischerhäusern illustriert, unter anderem aus den Küstendörfern Elantxobe, Zierbena, Ondarroa und Lekeitio. (9)
Das Foto, das an der Tür des Berriatua-Turmhauses in Mutriku (Gipuzkoa) aufgenommen wurde, gehört zu einem Album, das bei dem Fotografen Indalecio Ojanguren aus Eibar in Auftrag gegeben wurde und in dem folgender handschriftlicher Text zu lesen ist: "Diese Fotos wurden aufgenommen, um die Arbeit zu vervollständigen, die dem Fischerei-Ausschuss von 1925 vorgelegt wurde, um eine Bestandsaufnahme der Probleme in der Fischerei vorzunehmen". Auf dem Foto steht links Francisco Arrizabalaga, und neben ihm, auf zwei speziellen Bänken sitzend, sind Jesús Arrizabalaga und Patxi Arrizabalaga zu sehen, in der Mitte sein Enkel und rechts der Sohn von Francisco.
ANMERKUNGEN:
(1) Charlie Chaplin (LINK)
(2) Jai Alai (baskisch: fröhliches Fest) oder Cesta-Punta (span: Spitzkorb) ist eine historische Variante des baskischen Pelotaspiels. Baskische Auswanderer brachten diesen Nationalsport in die USA, wo das Spiel bis heute verbreitet ist. Das Spielprinzip beruht auf dem Schleudern des Balles gegen die Wand, wobei der zurückspringende Ball nur einmal den Boden berühren darf, bevor er vom gegnerischen Spieler gefangen und seinerseits wieder gegen die Wand gespielt wird. Bei Cesta Punta handelt es sich um keinen Schläger, sondern um eine schmale korbförmige Verlängerung, die am Wurfarm festgebunden ist und mit einer Schwungbewegung enorme Beschleunigung des Balles ermöglicht. (LINK)
(3) “Eulalia Abaitua, Fotografin“, Baskultur.info (LINK)
(4) Arriaga-Hafen Bilbao, 19. Jahrhundert (LINK)
(5) Der Zug nach Unzue (LINK)
(6) Zulueta, der Sklavenhändler (LINK)
(7) Baiona im 19. Jahrhundert (LINK)
(8) Die Library of Congress (deutsch: Kongress-Bibliothek) ist die öffentlich zugängliche Forschungs-Bibliothek des Kongresses der Vereinigten Staaten. Sie befindet sich, auf mehrere Gebäude verteilt, in Washington, D.C. Die LOC ist angesichts ihres Medienbestandes die zweitgrößte, beim Bücherbestand die größte Bibliothek der Welt und insgesamt eine der bedeutendsten. (LINK)
(9) “Fischer zu Hause in Mutriku, 1925“ (LINK)
ABBILDUNGEN:
(*) Fotos aus Gaur8 (naiz.eus)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-11-13)