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Frankreich schießt den Vogel ab

"Frankreich ist das Land in Europa, das seine Minderheiten-Sprachen am schlechtesten schützt". Die Aussage stammt von Davyth Hicks, dem Generalsekretär des Europäischen Netzwerks für sprachliche Gleichheit (ELEN). ELEN hat bei den Vereinten Nationen eine Beschwerde gegen den französischen Staat eingereicht wegen anhaltender Diskriminierung von Minderheiten-Sprachen wie dem Euskara. Nachdem der französische Verfassungsrat das in Iparralde praktizierte Verbindungs-Modell für illegal erklärt hat.

Im spanischen Staat existieren vier Sprachen mit offiziellem Verfassungs-Status: Katalan, Gallego, Euskara und Spanisch. Immerhin. Im chauvinistischen französischen Staat hingegen haben Bretonisch, Korsisch, Okzitanisch, Euskara (u.a.) keine legale Basis, werden nicht unterstützt oder geschützt.

Minderheitensprachen im französischen Staat, wie das Baskische, befinden sich in einer besonders schwierigen Situation, nachdem der Verfassungsrat den “verbindenden“ Unterricht, wie er von den Baskisch-Schulen (ikastolas) angeboten wird, für verfassungswidrig erklärt hat. Die Entscheidung des Verfassungsrats erfolgte nach der Abstimmung im Parlament über das “Gesetz zum Schutz und zur Förderung der Regionalsprachen“, das so genannte Molac-Gesetz. Sie war die Reaktion auf die Beschwerde von 61 Abgeordneten unter der Leitung von Bildungsminister Jean-Michel Blanquer. (1)

Diese Entscheidung gegen die sogenannten Minderheiten-Sprachen hat zu großen Mobilisierungen geführt, sowohl in der Bevölkerung als auch auf politischer Ebene. In Baiona (frz: Bayonne) versammelten sich 10.000 Menschen; als Antwort auf die Verfassungs-Entscheidung forderten 140 Parlamentarier eine Änderung der Verfassung; Sprachverbänden, die sich mit einer von Premierminister Jean Castex eingesetzten Delegation trafen, forderten einen praktikablen und akzeptablen Umgang mit den Sprachen und dem Verfassungs-Problem. Jetzt wird das “Europäische Netzwerk für sprachliche Gleichheit“ (ELEN) auf internationaler Ebene aktiv und hat bei der UNO eine Beschwerde gegen den französischen Staat wegen anhaltender Diskriminierung von Minderheiten-Sprachen eingereicht. ELEN steht für “European Language Equality Network“.

elen02Was ist ELEN?

“Das European Language Equiality Network vertritt alle europäischen Minderheiten-Sprachen. Wir haben 166 Mitglieder, die 46 Sprachen in 22 Staaten repräsentieren, so dass wir ein großes Netzwerk geworden sind, die größte internationale Organisation, die sich für die territoriale Förderung weniger verbreiteter Sprachen einsetzt. Wir sind europaweit tätig und haben zivilgesellschaftliche Mitglieder auf dem gesamten Kontinent.“ (2)

“Wir sind eine Organisation verschiedener Bewegungen. Im Baskenland gibt es Kontseilua, und im Nordbaskenland haben wir Mitglieder der Euskal Konfederazioa, wie Seaska. Über ELEN sind sie bei der UNO, der Europäischen Union und vor dem Europarat vertreten, wir versuchen, ihnen zu helfen und zu vermitteln. Unsere Arbeit besteht in der Lobbyarbeit im Bereich der Sprachrechte. Gleichzeitig führen wir Sprachprojekte durch in Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedern.“

Naiz: Die Anschuldigung richtet sich gegen "anhaltende Diskriminierung", aber Sie haben sie nach der Entscheidung des Verfassungsrates gegen das Immersionssystem vorgebracht...

Davyth Hicks: Im Fall des französischen Staates versuchen wir nun, das zu ändern, was das Problem verursacht. Wir sind jetzt aktiv geworden, weil alle wütend sind: Frankreich ist das schlechteste Land in Europa, was den Schutz seiner Sprachen angeht. In Spanien oder Großbritannien zum Beispiel sehen wir auch Probleme, aber sie haben eine Politik zum Schutz des Gälischen, Katalanischen oder Baskischen und sogar des Irischen eingeführt.

In Frankreich muss daran erinnert werden, dass wir uns im Jahr 2021 und nicht 1796 befinden. Wir müssen begreifen, dass sprachliche Vielfalt in der Europäischen Union normal ist, und dass es normal ist, wenn Eltern für ihre Kinder wählen, ob sie Baskisch oder Bretonisch lernen wollen. Die Übergabe der Sprachkenntnisse zwischen den Generationen wurde bereits gebrochen haben, die Zahlen der Sprecherinnen der gefährdeten Sprachen sind bereits rückläufig.

Wir haben die Geduld verloren. Das Molac-Gesetz (zum Schutz der Minderheiten-Sprachen) wurde mit großer Mehrheit in der National-Versammlung verabschiedet, aber dennoch haben sie unter der Führung von Minister Blanquer den Verfassungsrat als Waffe benutzt, um zu versuchen, das Gesetz zu schwächen. Indem sie es als verfassungswidrig bezeichneten und behaupteten, es sei illegal. Sie greifen auch den Gebrauch dieser Sprachen in den Schulen an, das verstößt gegen die Konvention über die Rechte des Kindes.

Die Erklärung, die wir jetzt an die UNO geschickt haben, ist nur der Anfang der Kampagne, wir werden nicht aufhören, bis sich etwas ändert. Das Molac-Gesetz ist in Ordnung, aber wir wollen in Brüssel substanzielle Änderungen erreichen, einen Status für das Bretonische in der Bretagne, das Korsische in Korsika, das Baskische in Iparralde ... In Iparralde muss dasselbe möglich sein wie im übrigen Baskenland. Es ist nicht akzeptabel, dass Frankreich so weitermacht, es ist eine systematische Diskriminierung der vorhandenen Sprachen, die ihre Entwicklung verhindert.

elen03Naiz: Was bedeutet die Anklage, die Sie bei der UNO eingereicht haben?

Davyth Hicks: Es handelt sich um ein förmliches Verfahren, das wir an Fernand de Varennes, den Sonder-Berichterstatter für Minderheitenfragen, geschickt haben. Mi ihm pflegen wir eine enge Beziehung. Es gibt mehrere formelle Verfahren, in deren Rahmen der Berichterstatter alle Beweise prüft und entscheidet, ob er eine formelle Mitteilung an den französischen Staat richten soll, um nach diesen Rechtsvorgängen zu fragen und ob sie korrekt umgesetzt werden. Wir hoffen, dass die UNO eine Mitteilung an den französischen Staat richtet, um anzufragen, was mit der Entscheidung des Verfassungsrates geschieht.

Naiz: Glauben Sie, dass wirklich etwas erreicht werden kann, oder handelt es sich um eine symbolische Aktion?

Davyth Hicks: Es handelt sich nicht um eine symbolische Aktion, sondern um einen notwendigen Schritt. Wir sind fest davon überzeugt, dass der Berichterstatter die Mitteilung an den französischen Staat sendet. Es handelt sich nicht nur um seine Meinung, er muss sich die Beweise ansehen, und die sind da: Frankreich bricht die Verträge, die der Staat ratifiziert hat. In der Zwischenzeit werden wir im Menschenrechtsrat, im Europarat oder in der Europäischen Union weitermachen. Wir werden nicht aufhören, denn Frankreich muss begreifen, dass wir uns im Europa des 21. Jahrhunderts befinden und dass alle das Recht haben müssen, ihre eigene Sprache zu benutzen.

Naiz: ELEN ist eine europäische Einrichtung, warum haben Sie mit der UNO begonnen und nicht mit der Europäischen Union?

Davyth Hicks: Das ist eine gute Frage. Obwohl die EU sagt, dass sie die verschiedenen Sprachen verteidigt, sind ihre Befugnisse begrenzt, sie kann nicht in die Sprachpolitik der Staaten eingreifen. Europa ist nicht erfreut über diese Situation, vor allem nach dieser Entscheidung, aber es hat keine Befugnisse. ELEN arbeitet an einer Richtlinie, um zu versuchen, dies zu ändern und die Sprachrechte zu verteidigen. Eines unserer Argumente ist, dass die EU zwar Pflanzen oder Fische retten kann, aber nicht ihre eigenen Sprachen, da steht eine langfristige Lobbyarbeit bevor.

Naiz: Um diese Lobbyarbeit zu leisten, ist Unterstützung wichtig. Gibt es andere Institutionen oder Bewegungen, die Sie bei dieser Aktion begleiten?

Davyth Hicks: Natürlich haben wir die Unterstützung aller unserer Mitglieder, und es gibt andere Regierungen, die große Fortschritte bei der Förderung ihrer Sprachen gemacht haben, Finnland ist ein gutes Beispiel. Wir sind keine staatliche Organisation, wir sind die Zivilgesellschaft. Wir begleiten den Europarat, der die Unterzeichnung der Europäischen Charta der Sprachen anstrebt. Wir würden gerne mehr Treffen haben, uns mit dem Europarat zusammensetzen und die Charta unterzeichnen lassen, aber wir sind wieder einmal mit der französischen Verfassung konfrontiert. Die muss geändert werden, es muss heißen, dass Französisch die Staatssprache ist, und Bretonisch die Staatssprache in der Bretagne, Baskisch im Baskenland ... oder so ähnlich.

elen04Naiz: Welche Länder haben die wirksamste Politik zum Schutz ihrer Sprachen?

Davyth Hicks: Wenn es darum geht, den Verlust gefährdeter Sprachen zu stoppen und die Zahl der Sprachen zu erhöhen, muss man sich das Baskenland, Katalonien und vielleicht auch Wales ansehen. Eine Kombination aus starker Autonomie, Sprachpolitik und Infrastrukturen, die das Rückgrat bilden, und einer starken Zivilgesellschaft, die sich für die Umsetzung der Dinge einsetzt, bringt die Dinge weit voran.

In Frankreich gibt es eine sehr gut entwickelte Zivilgesellschaft, aber es gibt keine offizielle Unterstützung oder Anerkennung. Die regionalen Institutionen haben keine Befugnisse, also braucht man für alles staatliche Unterstützung. Außerdem wird alles potenziell illegal betrachtet. Es gibt Dinge, die seit 50 Jahren praktiziert werden und sehr erfolgreich sind. Aber jeden Moment kann die Regierung kommen und sagen, dass ihr etwas nicht gefällt, dass ihr der Unterricht der Sprachverbindung nicht gefällt, und alles kann zusammenbrechen.

Das Problem besteht darin, dass die Weitergabe der Sprachen von Generation zu Generation unterbrochen ist oder nur noch in sehr geringem Maße stattfindet. Bildung ist notwendig, um die Zukunft der Sprachen zu sichern. Wenn es möglich wäre, Sprachpläne zu erstellen, wenn sprach-verbindender Unterricht normalisiert wäre und nicht bezahlt werden müsste, oder wenn der öffentliche Unterricht nicht ausschließlich auf Französisch wäre, sähe die Situation ganz anders aus. All das muss erreicht werden.

Naiz: Sie befürworten eine Änderung der Verfassung.

Davyth Hicks: Ja, wenn das Problem in der Verfassung liegt, dann muss sie geändert werden. Jetzt sagt die Regierung, es sei keine Zeit dafür, aber wie der Abgeordnete Paul Molac sagt, wenn der Wille da ist, ist alles möglich. Der zweite Verfassungs-Artikel, der besagt, dass Französisch die Staatssprache ist, wurde 1992 eingeführt. Damals wurde gesagt, dass er das Englische bremsen sollte, aber vielleicht wurde er auch eingeführt, um Frankreich von der Ratifizierung der Europäischen Charta abzuhalten. In Wirklichkeit wird sie als Banner benutzt, um die Entwicklung von Territorial-Sprachen zu verhindern.

Naiz: Glauben Sie, dass der Angriff Regierung jetzt erfolgt, weil die Verteidigung der Sprachen stärker und immer erfolgreicher wird?

Davyth Hicks: Ja, vielleicht sehen sie diesen Erfolg. Die Unterstützung für die Bildung wächst, auch wenn der französische Staat versucht, dies zu verhindern. In der Geschichte Frankreichs ist dies seit 1796 der Fall, also seit der Revolution. Im 20. Jahrhundert mit der Nationalen Erziehung hat sich die Situation verschlechtert. Es gibt eine lange Geschichte der Ausrottungspolitik (von Sprachen), das wurde in Großbritannien praktiziert, auch in Spanien. Aber heute kann es so nicht mehr weitergehen, wir schreiben 2021 und sprachliche Rechte sind Menschenrechte, also könnte Frankreich auf der falschen Seite der Geschichte stehen.

Naiz: Wie beurteilen Sie die Situation im Baskenland?

Davyth Hicks: Das französische Baskenland hat große Probleme, in Euskadi ist das Euskara stärker, und in Nafarroa existieren ebenfalls diverse Probleme (3). Durch unsere Mitglieder sind wir über alle Probleme informiert, sie leisten eine fantastische Arbeit. Frankreich ist viel schlimmer als Spanien, natürlich gibt es Probleme im spanischen Staat, aber in Frankreich gibt es keine Sprachrechte. Deshalb müssen wir uns auf Situationen konzentrieren, die wirklich bedenklich sind. Diese Sprachen sind in Gefahr, sie könnten für immer verschwinden, dagegen werden wir hart kämpfen.

Naiz: Iparralde ist die Region, in der die eigene Sprache am besten entwickelt ist im ganzen französischen Staat ...

Davyth Hicks: Wenn wir die Situation der Sprachen vergleichen, ist das Ergebnis asymmetrisch. Das Euskara hat mehrere Vorteile, zum Beispiel gegenüber dem Bretonischen. Baskisch verfügt über Kommunikationsmittel, die aus Euskadi selbst kommen, Fernsehen, Radio, Zeitungen ... und die Sprache verbindet die Bevölkerung über die Grenze hinweg. Somit hat sie eine stärkere Basis. Die Elsässer haben das auch mit Deutschland. Auf Korsika gibt es mehr Autonomie, das stärkt die Sprache und wirkt sich auf sie aus, wodurch das Korsische stärker wird. Die Bretagne hat nichts davon und versucht, über den Regionalrat mehr Kompetenz hinsichtlich der Sprache zu erlangen und den Haushalt zur Förderung dafür zu erweitern.

Es gibt viele Dinge, die wir erreichen wollen, aber es wäre gut, wenn wir zunächst eine gewisse Kontrolle im Bildungsbereich erreichen könnten. Dafür gibt es eine Unterstützung der Mehrheit, das geht über die politischen Parteien hinaus, das haben wir bei der Abstimmung über das Molac-Gesetz gesehen. Es erhielt eine große Mehrheit und das ist sehr ermutigend. Vielleicht ändern sich bald etwas.

elen05Naiz: Obwohl es sehr schwierig war, in Ipar Euskal Herria ist es gelungen, die Tendenz umzukehren und die Zahl der Baskisch-Sprecherinnen zu erhöhen …

Davyth Hicks: Ihr habt die Organisationen der Zivilgesellschaft, Euskal Konfederazioa, Seaska, Kontseilua, und all die Menschen, die in Baiona protestiert haben. Wenn die Zivilgesellschaft in der richtigen Weise organisiert ist, wird sie zu einer treibenden Kraft.

In Paris können sie sagen, dass sie das nicht zulassen und verhindern werden, aber letztendlich müssen sich die Dinge ändern, wir müssen hartnäckig sein. Ich habe gesehen, dass die Zahl der Rednerinnen und Redner zugenommen hat, was sehr ermutigend ist. Frankreich ist hoffnungslos, der Angriff gegen die anderen Sprachen kommt, wenn sich erste Erfolge einstellen. Sie haben gesehen, dass der sprach-verbindende Unterricht in Bretonisch und Baskisch erfolgreich ist – das ist der Zeitpunkt des Gegenangriffs. Es handelt sich um eine tiefgreifende systemische Diskriminierung von Seiten des Staates.

Wir brauchen eine Infrastruktur, eine Rechtsgrundlage, eine Sprachpolitik, es muss einen Plan geben, es kann nicht ewig debattiert werden, die Entwicklung darf nicht davon abhängen, wer gerade an der Regierung ist.

ANMERKUNGEN: 

(1) “Francia es el peor país de Europa en la protección de sus lenguas“ (Frankreich ist das schlechteste Land Europas was den Schutz seiner Sprachen betrifft), Tageszeitung Gara, 2021-08-21) (LINK)

(2) ELEN – European Language Equality Network (Europäisches Netzwerk zur Gleichstellung von Sprachen (LINK)

(3) Sprachsituation in Nafarroa (Navarra): Im Gegensatz zur Autonomen Region Baskenland ist die Region Navarra eingeteilt in drei Sprachzonen. Der Norden (Pyrenäen) ist offiziell zweisprachig, weil das Euskara dort stark verbreitet ist; das Zentrum um Iruñea-Pamplona ist bedingt zweisprachig, je nach Ort, die Euskara-Förderung ist freiwillig und relativ; der Süden (Ribera) gilt als ausschließlich spanisch-sprachig, Euskara wir in öffentlichen Schulen nicht gefördert, nur Privatschulen organisieren Unterricht. Je nach Regierung (rechts oder sozialliberal) werden Fördermaßnahmen eingeführt oder abgeschafft, die regionalistische Rechte hat keinerlei Interesse an der Förderung von Euskara.

ABBILDUNGEN:

(1) ELEN (elen)

(2) Nationalstolz (wort.lu)

(3) ELEN (elen)

(4) Davyth Hicks (elen)

(5) Nationalstolz (dnn)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-09-05)

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