Vorteile von Zweisprachigkeit
Der Wissenschaftler Albert Costa hat im Mai 2017 ein Buch vorgestellt, in dem er die Unterschiede in den Gehirnen von Menschen feststellt, die eine Sprache sprechen und solchen, die mehrsprachig sind. Mehr als die Hälfte der Bewohner*innen des spanischen Staates spricht mehr als eine Sprache. Sei es eine Fremdsprache oder die Sprache einer der autonomen Regionen Galizien, Baskenland oder Katalonien. Aus neurologischer Sicht gibt es im Bereich Zweisprachigkeit nach wie vor viel Neues zu entdecken.
Neurologie ist eine Wissenschaft, die den Zusammenhang zwischen Erkenntnis, nervlicher Umsetzung und Sprache erforscht. „Unsere Muttersprache erlernen wir scheinbar ohne jegliche Anstrengung. Wie unser Gehirn diesen Lernprozess neurologisch verarbeitet und in Sprache umsetzt, davon haben wir aber noch wenig Ahnung“.
Worte des Psychologen und Sprachforschers Albert Costa. „Wir wissen schon einiges, aber noch lange nicht alles über eine jener Qualitäten, die uns letztendlich zu Menschen macht“. Im Wege stehen allerdings nicht nur wissenschaftliche Begrenzungen. Oft ist es auch die Politik, die Sprachen, ihrer Entwicklung und Erforschung im Wege steht. Es könnte einfach sein, wenn Sprache als das begriffen würde, was sie ist: ein Vehikel zur Verständigung zwischen verschiedenen Wesen. Zusätzliche Sprachen bedeuten zusätzliche Verständigung und Kommunikation. Doch ist Sprache für viele ein politischer Faktor. Imperien, Kolonialmächte und zentralistische Staaten neigen dazu, sprachliche Vielfalt durch ihre Dominanzsprache zu ersetzen. Das haben die Römer in Europa praktiziert, die Kastilier und Portugiesen in Lateinamerika. Sprache wurde zu einem Instrument von Unterdrückung und kulturellem Genozid. Tausende von Sprachen sind unter solchen Umständen in der Geschichte verloren gegangen – ein Prozess, der sich bis heute fortsetzt.
Euskara
Die Benutzung der baskischen Sprache war in der Geschichte mehrfach verboten, je nach politischem Kontext. Auch in Zeiten des Nichtverbotes hatte sie einen schweren Stand. Sie galt als unzivilisiert, ihre Sprecher*innen waren markiert. Ein häufig benutzter Satz gegen das Euskara war „sprich christlich!“. Mit „christlich“ war Spanisch gemeint. Alles andere außer der Kommunikation auf Kastilisch (später Spanisch genannt) war nicht christlich. Und wer konnte es sich schon erlauben, in jenen Gesellschaften kein Christ zu sein. Bis heute bringen Regierungen wie die französische, spanische, italienische oder türkische wenig bis gar kein Verständnis auf für Sprachen, die sie als Konkurrenz betrachten, als Bedrohung für das eigene Sprachmonopol. Dabei stellt Mehrsprachigkeit in sehr unterschiedlicher Hinsicht eine Bereicherung dar.
Mehrsprachigkeit
Seit Jahren ist der Psychologe Albert Costa mit Forschungen über Mehrsprachigkeit beschäftigt. Das menschliche Gehirn speichert einen Wortschatz von schätzungsweise 50.000 Vokabeln. Es ist in der Lage, jede Sekunde drei Worte abzurufen und irrt sich nur in einem von tausend Fällen. Costa hat herausgefunden, wieviel Zeit das Gehirn benötigt, um einen Gedanken in ein Wort umzusetzen: 200 Millisekunden. „Das menschliche Wesen ist in der Lage, relativ schnell und zutreffend Sprache zu produzieren. Dabei laufen verschiedene Prozesse fast gleichzeitig ab: wir müssen wissen, was wir sagen wollen; wir müssen die richtigen Worte finden, um den Gedanken zu vermitteln und in einen Satz zu fassen; schließlich müssen wir eine Sprachbewegung ausführen, an der um die 300 Muskeln beteiligt sind“. Seine Schlußfolgerungen hat Albert Costa in einem Buch publiziert: „El cerebro bilingüe. La neurociencia del lenguaje“, in deutscher Übersetzung: „Das zweisprachige Gehirn. Die Neurowissenschaften der Sprache“ (1).
Albert Costa arbeitet als Wissenschaftler am Zentrum für Gehirn- und Wahrnehmungs-Forschung an der katalanischen Universität Pompeu Fabra in Barcelona. Er selbst spricht vier Sprachen, mit seinen Untersuchungen versucht er, die neurologischen Charakteristika von Zweisprachigkeit zu definieren. Als Neurowissenschaften werden die Forschungsbereiche Medizin, Psychologie und Biologie bezeichnet, in denen Aufbau und Funktionsweise von Nervensystemen untersucht werden.
„Üblicherweise wird davon ausgegangen, dass zweisprachige Personen solche sind, die mit zwei Sprachen aufgewachsen sind. Ich dagegen würde sagen, wer in einer anderen Sprache ein Bier bestellen kann, ist zweisprachig“, sagt er humorvoll. Sagen will er damit, dass der Begriff der Zweisprachigkeit „immer erklärender Adjektive oder Beschreibungen bedarf“ wie zum Beispiel „von Kindesbeinen an, äußerst kompetent“. Costa erinnert daran, dass auch „im Erwachsenenalter eine zweite Sprache erlernbar ist, obwohl es dabei Aspekte gibt, die deutlich schwieriger sind, wie zum Beispiel die Wortklänge“.
Sprachtalente
Wie dem auch sei, die beste Form, eine Sprache zu beherrschen, ist das Erlernen von klein auf. „Babys, die zwei Sprachen hören, beginnen diese zu unterscheiden und ein entsprechendes Repertoire aufzubauen. Sie orientieren sich an den Klängen, am Tonfall, an einzelnen Worten und an der Grammatik“, erklärt Costa und betont, dass die ersten Lebensmonate zum Erlernen mehrerer Sprachen die fruchtbarsten sind. „Nach dem ersten Lebensjahr lässt diese Fähigkeit langsam nach“, sagt Costa. Kinder sind besser in der Lage, Klänge zu imitieren, die sie hören. Dadurch entwickeln sie die Fähigkeit, ein größeres Repertoire an Lauten zu produzieren. Diese Fähigkeit ist bei unterschiedlichen Sprachgruppen ziemlich verschieden. Menschen aus Arabien sind bekannt für ihre gute Aussprache von Fremdsprachen, sie haben besonders geübte Artikulationsorgane. Dasselbe gilt für Personen aus dem slawischen Sprachraum. Auf Menschen aus spanischsprachigen Ländern hingegen trifft das Gegenteil zu.
Zweisprachigkeit – oder Bilingualismus – ist voller Klischees, einige treffen zu, andere nicht. In die zweite Kategorie fällt das Vorurteil, zweisprachig aufwachsende Kinder würden in ihrer schulischen Entwicklung zurückbleiben. „Die Mehrheit der vorliegenden Studien bestätigt, dass diese Hypothese nicht zutrifft. Oder, falls sie einen Wahrheitsanteil hätte, wäre das Defizit minimal. Eltern sollten sich davon nicht beunruhigen lassen. An Eltern richtet er den folgenden Rat. „Nehmen wir eine in Spanien lebende Familie als Beispiel, der Vater spricht Spanisch und die Mutter Englisch. Es kann vorkommen, dass das Kind aus Faulheit auch der Mutter auf Spanisch antwortet. Hier sollte die Mutter Geduld und Strenge zeigen und mit dem Kind weiterhin Englisch sprechen“. Selbstverständlich ist die Anzahl der Sprachen begrenzt, die ein Kind lernen kann, denn in jeder Sprache bedarf es eines beträchtlichen Inputs. „Es ist nicht gerade üblich, dass ein Kind in fünf verschiedenen Sprachen angesprochen wird“, schmunzelt Costa.
Jonglieren mit den Sprachen
Trotz eindeutiger Vorteile der Babys, sind auch Erwachsene noch in der Lage, Fremdsprachen zu lernen. Es fällt ihnen nicht mehr so leicht und ihr Akzent wird nicht mehr so gut sein, weil Aussprache im Kindesalter einfacher erlernbar ist. Aber es gelingt. Dabei haben es einsprachig aufgewachsene Personen immer ein bisschen schwerer. „Zweisprachige Personen müssen ständig mit den Sprachen jonglieren. Sie müssen kontrollieren, in welcher Sprache sie sprechen, damit ihnen nicht Worte der anderen Sprache dazwischen kommen. Der Schlüssel ist folgender: wenn du zwei Bälle bewegen kannst, kannst du jonglieren. Wenn du das nicht kannst, wenn du also einsprachig bist und folglich nur einen Ball hast, musst du zuerst eimal jonglieren lernen“, erklärt Costa.
Doch haben die Zweisprachigen auch Nachteile. In der Regel verfügen sie über einen etwas kleineren Wortschatz in jeder Sprache und leiden bisweilen unter dem Phänomen „es liegt mir auf der Zunge“. Das passiert vor allem mit Worten, die weniger gebräuchlich sind. Es ist ganz natürlich, dass eine zweisprachige Person weniger Worte in einer bestimmten Sprache benutzt als eine einsprachige“.
Heilende Wirkung
In der Wissenschaft wird derzeit untersucht, ob Personen, die zwei Sprachen sprechen, weniger Defizite oder Krankheiten haben, die mit sinnlicher Wahrnehmung in Verbindung stehen: Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Erinnerung, Lernen, Problemlösen, Kreativität, Planen, Orientierung, Imagination, Argumentation, Introspektion, Wille oder Glauben. „Wir wissen, dass Zweisprachige mit Alzheimer später zum Arzt gehen als die Einsprachigen. Das kann daran liegen, dass das Sprechen von zwei Sprachen eine Art Training für das Gehirn darstellt, genauso wie Lesen, Sport treiben oder Domino spielen. Wer diese Aktivitäten ausübt hat eine größere kognitive Reserve im Bereich Wahrnehmung und Verarbeitung von sinnlichen Erfahrungen. Forschungen zufolge tauchen bei dieser Personengruppe Schäden des Gehirns erst später auf. Der biologische Verfall beginnt später, sie sind besser geschützt“, erklärt Costa.
Eine weitere spezielle Folge des Bilingualismus ist das ausgeprägtere Überlegen vor Entscheidungen. „Wenn jemand mit einem Problem konfrontiert wird und zwar in einer Sprache, die nicht die Muttersprache ist, tendiert diese Person dazu, länger zu überlegen, somit ist die Antwort weniger spontan oder intuitiv. Man könnte sagen, dass sich das Gehirn in diesem Fall auf den Modus „lieber nochmal drüber nachdenken“ einstellt. Auf die Frage, ob Mehrsprachigkeit Vorteile habe für die Menschheit, sagt Alberto Costa: „Es ist eine Bereicherung, je mehr Sprachen du sprichst, desto mehr Poesie wirst du lesen können!“
Baskische Poesie ist sicher nicht einfach zu verstehen. Selbst langjährige Neubeginner*innen tun sich schwer, alle Nuancen und Dialekt-Hinterlassenschaften zu identifizieren. Dem Schriftsteller und antifranquistischen Regimekritiker Gabriel Aresti aus Bilbao (1933-1975) half das, die franquistische Zensur auszutricksen. Die verstand nicht, dass sich hinter Sendeja und Hoffnung mehr als Straßennamen versteckten. „Askaotik Sendejara Bilbaon esperantza oso mehar, ilun eta laburra da“, schrieb er. Den Zensoren entging, dass die „enge, dunkle und kurze Hoffnung“ gerade auf sie gemünzt war und nicht auf die Wegeverbindung in der Altstadt Bilbaos. Ein Meisterwerk der Poesie, bei deren Verständnis die Kenntnis der baskischen Sprache hilfreich ist.
ANMERKUNGEN:
(1) Information und Zitate aus den Artikeln „Radiografia del cerebro de los biligües“, El Correo 22.5.2017 (Radiografie des Gehirns von Zweisprachigen); und „Ser bilingüe tiene un coste: nuestros niños no dominan igual el castellano" (Zweisprachig zu sein hat seinen Preis: unsere Kinder beherrschen Spanisch nicht so gut), La Vanguardia 16.12.2009 (Link)
FOTOS:
(1) Zweisprachiges Schild in Bilbo (FAT)
(2) Zweisprachiges Straßenschild (FAT)
(3) Einsprachig Spanisch ist unakzeptabel (FAT)
(4) Einsprachig Baskisch ist nie einsprachig (FAT)
(5) Arestis Gedicht in der Hoffnungs-Straße (FAT)