Wege zur Universal-Sprache
Es heißt, die vom polnischen Augenarzt Zamenhof entwickelte Esperanto-Sprache sei eine der großen gescheiterten Utopien des 20. Jahrhunderts. Am 14. April 2017 jährte sich zum 100. Mal der Todestag jenes Sprachschöpfers, dessen Traum es war, eine universelle Sprache zu schaffen. Es gibt Gründe, dass Zamenhof nach Hochs und Tiefs in der Esperanto-Entwicklung heute zufrieden sein könnte. Die Tageszeitung Gara taucht in die Geschichte der Kunst-Sprache ein und setzt sie in Zusammenhang mit dem Euskara.
Vor 120 Jahren entwickelte der polnische Arzt Zamenhof die Universalsprache Esperanto, die seither um Anerkennung kämpft. Euskara und Esperanto haben es schwer gegen die dominante Sprach-Konkurrenz.
Bis heute, 120 Jahre nach ihrer Entwicklung und 100 Jahre nach dem Tod ihres Schöpfers hat das Esperanto überlebt, die neuen Technologien sind mittlerweile ihre besten Verbündeten. Ludwik Lejzer Zamenhof (1859-1917) lebte in einem Kontext von Kriegen und Kämpfen. Er ging davon aus, dass gegenseitige Unkenntnis und Unverständnis der Ursprung seien für die weltweiten Konflikte. Daraus ergab sich für ihn die Notwendigkeit, eine Hilfs-Sprache zur universalen Kommunikation zu entwickeln. Die Regierungen und offiziellen Mächte reagierten auf seinen Vorschlag einer gemeinsamen Sprache verständnislos, eine Ignoranz, die sich ein Jahrhundert später in seiner Heimatstadt wiederholte. (1)
Der schwierige Weg zur Universal-Sprache
Ein Sprichwort besagt, niemand sei Prophet im eigenen Land, dieses Motto hat sich der Stadtrat von Zamenhofs Geburtsort Bialystok offenbar zu eigen gemacht. Mit zwölf zu elf Stimmen wurde ein Vorschlag abgelehnt, aus Anlass seines 100sten Todestages am 14. April ein Zamenhof-Jahr auszurufen. Die Abgeordneten der polnischen Rechtspartei stimmten dagegen, sie waren der Meinung, die Erfindung Zamenhofs sei total utopisch und ohne jeglichen Wert für die Menschheit. Sie stützten damit die weit verbreitete These, das Esperanto sei eine der großen gescheiterten Utopien des 20. Jahrhunderts.
Dabei ist das Erbe des polnischen Mediziners durchaus lebendig, sie ist ohne Zweifel die erfolgreichste künstliche Sprache in der Geschichte der Menschheit. Ludwik Lejzer Zamenhof war vor allen Dingen ein Idealist und hoffnungsvoller Mensch. Davon ausgehend erhielt die neue Sprache ihren Namen Esperanto – Hoffnung. Auch die Symbologie, die die Welt des Esperanto umgibt, hat mit Hoffnung zu tun: die grüne Farbe eines fünfzackigen Sterns symbolisiert die fünf Kontinente. Erzählt wird, dass Zamenhof die Idee bereits in seiner Jugendzeit hatte, als er die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel las. Doch war Zamenhof nicht der erste, der von einer Sprache träumte, die zur Universalsprache werden sollte. Nur wenige Jahre zuvor hatte der schwäbische Pfarrer, Lyriker und Philanthrop Johann Martin Schleyer zum Beispiel die sogenannte Plan-Sprache Volapük entwickelt: mit einem gewissen Anfangs-Erfolg, es gründeten sich Volapük-Gesellschaften in Europa und Amerika. (2)
Zamenhof war sich darüber bewusst, dass eine neue Universal-Sprache mit keiner existierenden Sprache allzu viele Ähnlichkeiten haben dürfte, insbesondere nicht mit den Sprachen der dominierenden Nationen jener Zeit. Deshalb bemühte er sich, romanische. germanische und slawische Sprachen zu mischen auf dem Weg zu einer Komposition mit einfachen, regelmäßigen und sich wiederholenden Grundsätzen. Es sollte eine Sprache sein, die leicht erlernbar und einfach zu verinnerlichen war. Esperanto sollte die zweite Sprache aller Erdbewohnerinnen sein, Zamenhof und spätere Anhängerinnen verbanden sie mit den Idealen von Frieden und Gleichberechtigung, sie sollte eine ergänzende Sprache sein ohne Exklusiv-Anspruch. Und sie sollte der Kommunikation innerhalb der internationalen Beziehungen dienen.
Friedens-Sprache zwischen den Kriegen
Dem ersten Welt-Kongress der Esperantist/innen im französischen Ort Bolougne-sur-Mer im Jahr 1905 folgten viele Treffen und Konferenzen im Zusammenhang mit der Sprache, die von ihren Sprecher/innen und Förder/innen als „Friedens-Sprache“ betrachtet wurde. An vielen Orten wurde die Sprache mit einiger Begeisterung aufgenommen, in Katalonien ist Zamenhof unter den ausländischen Ärzten derjenige mit den zweitmeisten Straßennamen. Doch war das Esperanto 1914 mit dem großen Krieg konfrontiert und mit dessen Konsequenzen.
Zamenhof musste zusehen, wie seine Ideale an der Realpolitik scheiterten. Zu Beginn machte es den Anschein, als würde Esperanto als internationale Sprache mit dem Französischen in Konkurrenz treten. Obwohl viele Konferenzen auf französischem Boden stattfanden, betrachteten die dortigen Machthaber die Sprache mit viel Misstrauen. General und Präsident de Gaulle tat seine Geringschätzung mehrfach in aller Öffentlichkeit kund. In Ländern wie Japan wurde der Verkauf von Esperanto-Büchern verboten, die Sprecherinnen wurden verfolgt. Für die Nazis stellte Esperanto eine jüdische Welt-Verschwörung dar, für Stalin war sie verdächtig, eine Spionage-Sprache zu sein. Für den US-amerikanischen Senator Joseph McCarthy, bekannt durch seinen Anti-Kommunismus und Gesinnungs-Terror war die Kenntnis von Esperanto „praktisch ein Synonym“ für Sympathie mit dem Kommunismus. Während des Zweiten Weltkrieges und dem Kalten Krieg wurden die Esperantist/innen verfolgt oder ignoriert, marginalisiert und kritisiert.
Esperanto aktuell
Heutzutage ist das Esperanto eine entwickelte Sprache, die mittels der Empfehlungen der Esperanto-Akademie ihren Weg geht. Die Welt des Esperanto unterhält normale Beziehungen mit internationalen Organismen und ist Teil der Sprach-Programme verschiedener Universitäten. Tausende Personen in aller Welt sprechen Esperanto, die Zahl wird auf zwei Millionen geschätzt – das wären mehr Sprecher/innen als beim Euskara. Auffällig viele Sprecher/innen gibt es in Ungarn, Bulgarien, Brasilien und China. Mittlerweile gibt es eine lange Reihe von linguistischen Schriften und Publikationen. Unter den Esperanto-Sprechenden gibt es bekannte Persönlichkeiten wie den Ökonomie-Nobelpreis-Träger Reinhard Stelten oder die Schach-Weltmeisterin Judit Polgar.
Esperanto und Euskara
Aitor Arana (Legazpi, 1963) ist Autor von Kinder-Literatur in baskischer Sprache, Lehrer und Esperanto-Experte. Er hat eine Methode entwickelt, Esperanto von der baskischen Sprache aus zu lernen, hat ein Wörterbuch mit beiden Sprachen publiziert und verschiedene baskische Autoren ins Esperanto übersetzt, darunter Bernardo Atxaga. Im Interview mit der baskischen Tageszeitung Gara gibt er Auskunft über das Verhältnis der beiden unterdrückten Sprachen. Auf die Frage, ob es Sinn macht, in einer von der englischen Sprache dominierten Welt das Esperanto zu fördern, sagt Aitor Arana, dass es sicher Versuche gibt, die Öffentlichkeit von dieser Behauptung zu überzeugen. Die Unterstützung mache aber durchaus Sinn. Obwohl die große Mehrheit das Esperanto nicht kennt, war die Sprache auf kleiner Ebene dennoch ein Vehikel internationaler Kommunikation. In Bezug auf Englisch komme es auf den Standpunkt an.
Interview Aitor Arana
Was bedeutet das? Würden wir an einem anderen Ort leben, würden wir als internationale Sprache nicht an das Englische denken. In Pakistan nimmt die arabische Sprache diese Funktion ein, für die Menschen in Tansania ist es das Suaheli und in Südamerika ist Spanisch die internationale Sprache. Es hängt vom Ort ab, die Wahrnehmung ist unterschiedlich. Tatsache ist, dass uns glaubhaft gemacht werden soll, Englisch sei die internationale Sprache schlechthin.
Du sagst, das Esperanto kommt der baskischen Sprache zu Gute. Wie das? Für das Esperanto sind alle Sprachen der Erde wichtig, wir Esperantist/innen verteidigen die Existenz aller Sprachen. Esperanto ist nicht die Sprache einer Großmacht, sondern von Leuten mit gutem Willen und pazifistischen Ideen. Wir verteidigen, dass die Quechua-Bevölkerung Quechua sprechen kann, wie die Engländer/innen Englisch sprechen und die Spanier/innen Spanisch. Für die mächtigen Sprachen hingegen ist das unwichtig. Sie interessiert nur, über andere Sprachen zu herrschen, sei es mit Hilfe von Waffen, über die Wirtschaft oder die Religion. Hinter dem Esperanto steht kein Imperium, deshalb sind aus dieser Sicht alle anderen Sprachen wichtig, Esperanto unterstützt ihre Nutzung.
Auf welche Art? Wenn jedes Volk zur Kommunikation seine Sprache benutzt und das Esperanto für die Beziehungen nach außen, dann stellt sich niemand über die anderen. Wir alle wären auf der gleichen Ebene, das Euskara wäre gesichert, wir müssten nicht die enorme Last der herrschenden Sprachen empfinden. Wenn vor hundert Jahren die Ideale des Esperanto umgesetzt worden wären, ginge es den sogenannten „Minderheiten-Sprachen“ heute viel besser.
Warum hat das Esperanto so wenig Fortschritte gemacht? Weil es keine Unterstützung gab und gibt von Seiten der Regierungen, alle versuchen, ihre eigene Sprache aufzudrängen ohne Rücksicht auf andere.
Ein paar Tausend Esperantistas in Bilbo und Iruñea
In seinen Anfängen fand das Esperanto in Euskal Herria (Baskenland) Freund/innen und Anhänger/innen, dennoch ist heute schwer zu sagen, wieviele Sprecher/innen es insgesamt gibt. Aitor Arana spricht von wenigen Tausend, weil die Sprache im Baskenland nicht sehr erfolgreich ist. Aktiv sind heutzutage nur zwei Esperanto-Vereine, in Iruñea (Pamplona) und in Bilbo (Bilbao) – es gab schon bessere Zeiten! 1905 wurde in Sestao die Esperanto-Gesellschaft „Fido, scienco kaj tradicio” gegründet. Ihr folgten weitere 1906 in Bilbo, Portugalete und Donostia (San Sebastián), vier Jahre später war Iruñea an der Reihe. Ab 1909 wurde in Bilbo die Zeitschrift „Nova Sento“ herausgegeben und laut spanischem Esperanto-Jahrbuch von 1911 gab es in Bilbo um die 300 Sprecherinnen, in Donostia ungefähr hundert. Doch konnte die Sprache nicht nur in den großen Städten Wurzeln schlagen, sondern auch in kleineren wie Algorta, Tafalla, Santurtzi oder Tolosa und in kleinen Ortschaften wie Beizama, Arrona oder Caseda. Unter den Vereinsmitgliedern fanden sich bekannte Leute wie der Linguist Isaak Lopez-Mendizabal. Nach dem Krieg von 1936 wurde Esperanto einige Jahre lang verboten. Zwei Mitglieder der ersten baskischen Autonomie-Regierung waren aktive Esperantisten: die Sozialisten Juan Gracia Colás und Santiago Aznar. (3)
Internet – Esperanto-Plattform
Die englische Sprache ist innerhalb der internationalen Beziehungen zweifellos zur Hauptsprache geworden. Die Esperantist/innen sehen darin jedoch nicht das definitive Scheitern ihres Sprachprojekts. Vielmehr verteidigen sie, dass eine universelle, neutrale und zugängliche Sprache heute notwendiger sei denn je. Ob sie nun utopischen Charakter hat oder nicht, in jedem Fall ist um das Esperanto ein internationales Netz von Sprecher/innen entstanden, die ständig in Verbindung sind und deren Zahl dank der neuen Technologien beständig wächst.
Im 20. Jahrhundert war das Internet hilfreich für den Zugang zu Kursen, Lexika und Foren der Sprache. Viele Expertinnen gehen davon aus, dass die Zahl der Esperanto-Sprecher/innen weiter steigen könnte aufgrund des einfachen Zugangs, den heutzutage die sozialen Netze bieten, zudem kann die Sprache in relativ kurzer Zeit gelernt werden. Soziale Netze und Internet sind heute die großen Verbündeten der Esperantist/innen, es gibt verschiedene Gruppen bei WhatsApp und Telegram. Daneben Lern-Programme wie Duolingo, das von 600.000 englisch-sprachigen Studierenden genutzt wird. Auch von Google wurde Esperanto als Sprache integriert.
Der Schriftsteller, Semiologe und Philosoph Humberto Eco (1932-2016) untersuchte die Esperanto-Grammatik und stellte fest, dass es sich „um eine sehr gut gemachte Sprache“ handelte, nach wirtschaftlichen Aspekten und mit linguistischer Effektivität, die „Bewunderung verdienen“. Laut Eco ist Zamenhofs Projekt nicht gescheitert, der polnische Arzt schuf nicht nur eine Sprache, sondern auch ein Ideal von Brüderlichkeit und Pazifismus, das bis heute andauert. Vielleicht wäre Zamenhof heute – hundert Jahre danach – zufrieden mit der Beurteilung dieses berühmten Autors.
ANMERKUNGEN:
(1) Information aus „La Lengua universal, una utopía que perdura y se abre paso en la red” (Die universelle Sprache, eine Utopie, die sich über Internet verbreitet), baskische Tageszeitung Gara 15.4.2017, Mertxe Aizpurua
(2) Volapük: Nach der Musiksprache Solresol (1817/1856) war Volapük die zweite Plansprache überhaupt, die nennenswerte Verbreitung fand. Wie Solresol ist sie Forschungs-Gegenstand der Interlinguistik. Zunächst versuchte Schleyer, aus sechs europäischen Sprachen – Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Russisch – eine gemischte Sprache zu konstruieren. Dieser wollte er den Namen „Völkerdolmetsch“ geben. Weil aber eine gemeinsame Verständigung unter den verschiedenen Völkern eine gemeinsame Schreibung voraussetzt, versuchte er es zunächst mit der Aufstellung eines „Weltalphabets“ (Wikipedia Volapük).
(3) Im Sommer 1936, als der durch den faschistischen Militärputsch ausgelöste Krieg bereits im Gang war, gestand die republikanische Regierung den drei baskischen West-Provinzen (Araba, Bizkaia, Gipuzkoa) ein Autonomie-Statut zu, am 7.Oktober 1936 wurde mit dem Christdemokraten José Antonio Aguirre von der Baskisch Nationalistischen Partei (PNV) als Präsident die erste baskische Regierung vereidigt.
ABBILDUNGEN:
(1) Zamenhof mit Esperanto-Symbol (Baskultur)
(2) Weltkongress 1905 (wikipedia)
(3) Sowjetische Briefmarke mit Zamenhof#
(4) Globale Esperanto-Verteilung (taringa.net)
(5) Zamenhofs Grab, Warschau (wikipedia)
(6) Sowjetische Briefmarke mit Zamenhof
(7) Esperanto Alphabet (taringa.net)