Die baskischste aller Sportarten
Auch wenn es im folgenden Text um Sport zu gehen scheint, so ist doch auch von baskischer Lebenskultur und von baskischer Tradition die Rede. Weltweit ist Pelota überall dort zu finden, wohin es baskische Migrantinnen getrieben hat auf der Suche nach einem besseren Leben: USA, Mexiko, Philippinen. Abgesehen von einer Frauen-Episode in den USA ist Pelota ein Männersport geblieben. Das Fernsehen verlieh dem Pelota Mano eine Popularität, die es sogar mit Fußball aufnehmen kann. Ein Erlebnisbericht.
Pelota ist sicherlich die baskischste aller Sportarten. Ich kann mich nicht erinnern, in Deutschland jemals Pelota gesehen zu haben, in den langen Jahrzehnten, die ich dort lebte. Erst als ich regelmäßig ins Baskenland reiste, wurden mir die kalten grünen oder blauen Fronton-Wände in jedem Ort zur Gewohnheit. Aber noch lange nicht vertraut. In den öffentlichen Frontons wird im Prinzip fast kein Pelota gespielt. Vielmehr werden die 30 mal 15 Meter großen Plätze in der Regel zweckentfremdet für Fronttennis, Fußball oder Pseudo-Squash. Viele Jugendliche nutzen es auch als Rückzugsort für die „Botellón“ (große Flasche) genannte Gewohnheit, sich am Wochenende hochprozentigen Alkohol zu besorgen und sich kollektiv zu betrinken.
Was das öffentliche Angebot anbelangt ist Pelota in Euskal Herria der am einfachsten zu praktizierende Sport, denn in jedem Ort, und sei er noch so klein, gibt es einen Fronton. Meist überdacht, aber lange nicht immer: in Mundaka an eine Kirchenwand geklebt, in Mendata oder Gesaltza als protzige Kollosalbauten mitten im Dorf, oder in Lekeitio in einem Wohnblock versteckt. Im Baskenland ist Pelota überall, mehr noch als Fußball – kaum zu glauben, aber wahr. (Fotoserie)
Pelota als Ereignis
Das eigentliche Pelota spielt sich also im Inneren ab, in den geschlossenen Frontons, dorthin muss gehen, wer sehen will, wie Pelota gespielt wird. In Mitteleuropa noch weniger bekannt als Pelota selbst ist die Tatsache, dass es dazu verschiedene Versionen dieses Sports gibt. Am bekanntesten dürfte noch das Korb-Pelota sein, dessen Bild am ehesten den Weg in den Norden gefunden hat. Dieses Cesta Punta hat gleich noch eine spielerische Nebenversion, das Remonte. Daneben gibt es Pelota mit einem hölzernen Schläger, etwas kleiner als ein Tennis-Schläger, das Pelota Palo. Die im Baskenland populärste und medial absolut dominierende Pelota-Version ist heutzutage jedoch Pelota Mano, das Spiel mit der Hand, entweder zu zweit oder in zwei Paaren. Diese mediale Vorherrschaft hat es in den vergangenen 30 Jahren erreicht, nach dem Ende des franquistischen Regimes. Radsport, Rudern und Fußball stellen dem Pelota eine harte Konkurrenz dar, dennoch behauptet jede dieser Sportarten ihre Hochburg.
Ich muss gestehen, dass ich Pelota in den Jahren, die ich im Baskenland lebte, selten live zu sehen bekam. Dennoch wurde ich mit der Zeit ein Fan, die guten Partien fanden mit rotem Kreuzchen Eingang in meine Wochenplanung. Wie beim Fußball ist der Eintritt zu Pelota-Spielen teuer, im Gegensatz dazu werden jedoch alle bedeutenden Pelota-Spiele im öffentlichen Fernsehen übertragen. Wenigstens zwei mal die Woche, das steigert den medialen Wert enorm. Das Kalenderjahr ist praktisch ausgefüllt mit Turnieren und Paarungen, die ständig Spannung vermitteln. Zweites Eingeständnis ist, dass ich die Spielregeln des Pelota Mano lange nicht umfassend kenne, doch verringert das meine Begeisterung nicht. Die Ästhetik macht das Rennen. Was sportliches Verhalten anbelangt, gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen Pelota und den meisten anderen Sportarten, die in Wettbewerbsform ausgetragen werden: egal wie es ausgeht, es gibt praktisch keinen Streit. Weder unter den Zuschauerinnen, die durchaus parteiisch sein können, noch unter den Spielern (Spielerinnen gibt es wenige), die eher Respekt und Freundschaft verbindet. Nie zuvor habe ich in dieser Hinsicht einen derart harmonischen Sport erlebt, der einerseits sportliche Spannung erzeugt, die Schlagzeilen beherrscht, und der die Beteiligten dennoch nicht konfrontiert. Eine überaus positive Seite dieses Sports. Von Nachteilen wird zu sprechen sein.
Premiere
Nach fünfzehn Lebensjahren im Baskenland kam ich zu dem Schluss, dass mein Pelota-Horizont neben der Flimmerkiste endlich mit einem praktischen Erlebnis erweitert werden musste. Um mein Monatsbudget nicht zu belasten gab ich mich im Vorfeld eines Halbfinalspiels im Doppel als Journalist aus und bekam ohne größere Probleme Zutritt zum Spiel. Dazu hatte ich beim Pelota-Verband angerufen und nach der Presse-Abteilung gefragt. Ich erhielt eine Handy-Nummer, der Inhaber war der Presse-Verantwortliche des Verbands. Um mich vorzustellen und ein wenig in der Welt der Profispiele zu schnuppern, ging ich drei Tage vor dem eigentlichen Spiel zu dem Termin, an dem die Spieler die Bälle für das kommende Match auswählen. Diese Prozedur gehört zur Inszenierung des großen Ereignisses. Um es zu verstehen, muss erklärt werden, dass die kleinen, ausschließlich handgenähten Bälle zwar ein ganz bestimmtes Gewicht und eine sehr bestimmte Größe haben, dass sie in ihrem Spielverhalten jedoch durchaus Unterschiede aufweisen. „Lebendig“ wird jene Pelota genannt, die gut von der Wand oder vom Boden abspringt, und die das Spiel schnell macht – nicht alle Spieler stehen darauf. Um Gerechtigkeit walten zu lassen, wählen beide Spieler (oder beide Teams) jeweils drei Bälle aus, die dann im Spiel zum Einsatz kommen. Um Verwechslungen zu vermeiden, werden die Pelotas handschriftlich markiert und vom Verantwortlichen bis zum Spiel unter Verschluss genommen. Thema Nummer eins bei der anschließenden Pressekonferenz war (wie immer) diese Ballauswahl.
Gefährliche Abgründe
Es kam der Tag des Halbfinales, ein Samstag, um sechs Uhr nachmittags sollte das Ereignis beginnen. Vormittags gabs im Stadtteil eine politische Versammlung von einiger Wichtigkeit, der mich zu einem für Samstag frühen Aufstehen zwang. Kaum beendet kam der Anruf einer Freundin, die ich seit einem Jahr nicht gesehen hatte, also anlassbedingt ein paar Weine trinken gehen in der Altstadt – „poteo“ heißt der Vorgang in diesem Land, in dem Alkohol eine viel zu große Rolle spielt. Poteo, bzw. die Mentalität, die hinter dieser Praxis steht, war einer der Gründe, die mich ins Baskenland gelotst hatten und die ich– trotz Kollateralschäden – zu schätzen wusste, wenn ich denn Zeit dazu hatte. Das war nicht immer der Fall, am Wochenende aber schon. Es ergab sich, dass wir von einer Kneipe zur nächsten zogen, Bekannte trafen, und schließlich im heimischen Barrio landeten, wo sich die Angewohnheit, das vorletzte Glas zu trinken (espuela) mitunter bis in die Nacht hinziehen kann. Die Stimmung war hervorragend, das Wetter ebenfalls. Meine Hypothek war lediglich, dass ich wegen der besonderen Tagesplanung weder ausreichend gefrühstückt noch zu Mittag gegessen hatte; abgesehen von einem Häppchen Tortilla. Dem gegenüber standen nicht gezählte Weine im (aus deutscher Sicht) Achtelformat.
Weitere Einladungs-Runden standen noch offen, um weitere Cosecheros und Crianzas zu verinnerlichen, doch mein innerer Schweinehund sagte mir, dass jetzt Schluss sei, dass es nun angesagt wäre, das Flüssige mit Bodenständigem zu unterfüttern. Zu fortgeschrittener Nachmittagszeit machte ich mich auf den Heimweg, um ein spätes Mittagessen zu feiern und mich aufs Ohr zu legen, wie es sich in baskischer Siesta-Tradition gehört. Als ich den Imbiss hinter mir hatte und mich gerade auf das Ausruhen konzentrieren wollte, klingelte das Telefon. „Du bist noch zu Hause? Ich dachte, du bist schon beim Pelota-Spiel“. Pelota – verflucht! Über dem Gelage hatte ich es komplett vergessen! Heute war das Halbfinale, zum dem ich mir den Eintritt erkämpft hatte! Stolz hatte ich die letzten Tage von meiner Errungenschaft erzählt, von meiner Aussicht, die Stars aus der Nähe ablichten zu können und wie einfach es doch gewesen war, Zugang zu bekommen. Ich konnte von Glück sagen, dass ich davon erzählt hatte, denn sonst hätte ich dieses historische Spiel im wahrsten Sinne verschlafen.
Ernstfall
Im Bruchteil einer Sekunde verwarf ich den Siesta-Plan, denn eine Gelegenheit wie heute, das Profi-Pelota kennen zu lernen, würde ich so schnell nicht wieder haben. Gerade noch ausreichend Zeit blieb mir, von meiner Wohnung zum Austragungsort zu kommen, dem neuen Bizkaia-Fronton in Bilbo. Als Ausnücherungs-Maßnahme ging ich zu Fuß bergan, vor der Halle gönnte ich mir noch einen starken Kaffee, um drinnen nicht unangenehm aufzufallen. Leicht angeschlagen aber beflügelt stand ich schließlich am Einlass. Mein Pressekontakt war nicht da. „Ich ruf ihn an“, sagte der Kontrolletti, für den mein Presseausweis nicht interessant war. Nach fünf Minuten war Mister Presse da und bat mich herein, mir war es peinlich, ihn von sicher wichtigen Arbeiten abgehalten zu haben, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Mann zwanzig oder mehr Presseleute einzeln am Eingang abholen sollte. Doch er war die Ruhe selbst. Ausschweifend erklärte er mir, wo ich mich bewegen konnte – im Prinzip überall, sogar neben den Fernsehkameras, die an der gefährlichsten Stelle des Frontons platziert waren. Es war mir und meinem Einfühlungsvermögen überlassen, nicht an der falschen Stelle zu sein und niemanden bei der Arbeit oder dem Spielgenuss zu stören. Eine ganz neue Interpretation von Free-Lance.
Public Relations
Bereits am Tag der Ballauswahl, als ich ihn mit Hilfe des Hausmeisters endlich fand, war er zuerst an meiner Geschichte interessiert und dann gesprächig. Um mich als Pelota-Freund und zumindest Minimal-Kenner zu outen hatte ich von meinen Erfahrungen in Markina erzählt. Dort, in der Hauptstadt des Pelota, hatte im Januar eine Punta-Cesta-Vorführung stattgefunden, mit Vorspiel von Jungen und Mädchen, und mit Info-Veranstaltung zur Geschichte des Jai Alai, wie Cesta und Remonte in den USA genannt werden. Dieses Spektakel in der „Universität“ des Pelota – wie Markina anerkennend genannt wird – war zum Abschied für zwei junge Cestistas organisiert worden, die für ein Jahr einen Vertrag in den USA bekommen hatten und auf dem Absprung waren. Mein Pressefreund hatte das Stichwort Markina gerne angenommen, machte seine Kommentare zu den beiden Jungprofis und begann eine Diskussion mit dem letzten verbliebenen Journalisten, der sich noch im Raum befand und ebenfalls Bescheid wusste, was sich in der Welt des Cesta Punta tat. Vertraulich, als wären wir alte Freunde, stellte Mister Presse in Aussicht, mir am Spieltag auch Zugang zu den Umkleidekabinen zu verschaffen. Das war es offenbar, was Journalisten begeistert, die Nase rein, so tief es nur geht. Freundlich lehnte ich ab, das müsse denn doch nicht sein, das Spiel sei genug der Ehre.
Nun war ich also in der Bizkaia-Arena, mein Alkoholspiegel senkte sich langsam, ich begann die einmalige Situation zu genießen. Sogleich bewegte ich mich hinab in den Kessel der Spielhalle, denn dieser Fronton ist sozusagen unterirdisch, er liegt etwa zwanzig Meter unter dem Eingangsbereich. Wie es sich für Bilbao gehört, ist dieser Fronton der größte des gesamten Baskenlandes – „somos de Bilbao“ ist der dazu passende Spruch, der oft im leicht arroganten Ton zu hören ist. Drei seitliche Balkonränge gibt es für fast dreitausend Zuschauerinnen, tatsächlich Rekord. Aber in diese große Zahl hatte sich bei der Planung ein baskischer Schildbürger-Streich eingeschlichen, denn nach der Einweihung des Millionen-Projekts war festgestellt worden, dass manche Zuschauerinnen nicht das komplette Pelota-Feld übersehen können. Peinlich aber wahr. Aber wie beim Fußball ist das sportliche Geschehen gelegentlich gar nicht erstrangig, vielmehr ist der Fronton ein sozialer Raum, an dem neben den Pelota-Spielen eine Menge weiterer Kommunikation und Geschäfte betrieben werden. Doch dazu gleich.
Haut gegen Wand
Im Gang war das Vorspiel, denn vor jedem großen Spiel gibt es ein „Vorspiel“, um den sport-kulturellen Akt in die Länge zu ziehen. Aber was heißt schon Vorspiel: die vier Pelotaris, die sich da abmühten, waren ebenfalls Profis aus der ersten Reihe, sie hätten ebenfalls im Halbfinale stehen können. Doch hatten sie in der eben abgeschlossenen Liguilla (kleine Liga), in der jeder gegen jeden zwei Mal angetreten war, nur die hinteren Plätze belegt. Deshalb standen sie heute nur im Vorprogramm. Für mich eine Gelegenheit mich zu orientieren, zu checken, wo mein Platz sein konnte ohne zu stören. Noch waren die Ränge nicht voll besetzt, trotz Starbesetzung sollte sich die Halle auch nicht füllen. Im Halbfinale gegenüber standen sich die großen Meister der vergangenen 15 Jahre. Auf der einen Seite Juan Martinez de Irujo (13 Meisterschaften) mit seinem Hintermann Beñat Rezusta; auf der anderen Seite Aimar Olaizola (13) und Mikel Urrutikoetxea (2). Vertreten waren somit 28 Txapelas, so werden die Baskenmützen genannt, die sich Turniersieger in die Trophäen-Sammlung stellen dürfen. Erste Sahne also.
Spielregeln
An dieser Stelle ist es hilfreich, die räumliche Form eines Fronton etwas genauer zu erklären. Er ist rechteckig, geschlagen wird an die linke Rebote- und vordere Frontis-Wand, rechts ist offen, dort befindet sich das Publikum. Öffentliche Frontons sind hinten ebenfalls offen, in Hallen werden sie mit einer weiteren Wand abgeschlossen, die ebenfalls bespielbar ist. Wie beim Squash wird der Pelota-Ball „la pelota“ abwechslungsweise geschlagen, die Spieler stehen sich nicht gegenüber, sondern gemeinsam der vorderen Wand, dem Frontis gegenüber. Die Pelota darf mehrere Wände berühren, muss aber bei jedem Schlag an diesem Frontis oberhalb einer ein Meter hohen Linie aufschlagen. Und darf danach nicht ins Seitenaus gehen. Der Aufschlag wechselt je nachdem, wer den letzten Punkt gemacht hat. Frontons haben eine Länge von 30 bis 54 Metern, auf kurzen Plätzen wird Pelota Mano gespielt, für Cesta Punta und Remonte mit deutlich höheren Ball-Geschwindigkeiten sind die langen Hallen vorgesehen, von denen es nicht so viele gibt. Die Zuschauerinnen sitzen logischerweise rechts vom Spielfeld, der „cancha“, oder auch dahinter, in manchen Hallen sind sie durch ein herabhängendes Netz vor Querschlägern geschützt. Bei Cesta Punta und Remonte ist dies immer der Fall, außerdem tragen die Spieler Helme. Im Nordbaskenland sind die Frontons an drei Seiten offen, was natürlich die Spielweise verändert. Weitere Pelota-Versionen wie das Trinquete müssen an anderer Stelle erklärt werden.
Wetten gehört dazu
Für mich begann ein zweistündiger Rundgang durch die komplette Halle, bei der ich kaum einen Raum ausließ. Völlig unkontrolliert, wer hier erst mal drin ist, kann sich nach Belieben bewegen. Ich begann neben der Cancha, wo sich die Wettanbieter tummeln, und wo die Pelotaris in einem kleinen mit Werbung verunstalteten Stand in kurzen Pausen Flüssigkeit zu sich nehmen. Hier unten wird gewettet was das Zeug hält, Kenner der Szene sprechen von hohen Beträgen bis hin zu Haus und Hof. Je nach Spielstand verändern sich die Wettangebote. Die Anbieter, alte Männer in dunkelrot und dunkelgrün, stehen mit dem Rücken zur Cancha und rufen ihre Angebote ins Publikum. Vieles funktioniert über Zeichensprache, bei Interesse stecken die Anbieter einen Wettzettel mit dem entsprechend notierten Betrag in einen aufgeschlitzten Tennisball und werfen ihn dem Käufer zu. Der leere Tennisball geht dann wieder zurück, all das während des Spiels. Gelegentlich wechseln große Geldscheine den Besitzer, das meiste wird jedoch bargeldlos organisiert, das System kennen nur jene, die es praktizieren. Das Jai Alai (Cesta und Remonte) in den USA verdankte seine Popularität der Tatsache, dass in den 40er Jahren Sportwetten gesetzlich verboten wurden, und nur bei Pelota eine Ausnahme gemacht wurde. Ebenfalls in den USA hatten baskische Frauen zwischen den 20er und den 60er Jahren eine Epoche, in der sie als Pelota-Spielerinnen ebenfalls zu Stars wurden. Seltsamerweise haben Frauen im Baskenland selbst diesen Status nie erreicht. Frauen-Pelota steckt heute in den Kinderschuhen.
Kanonen-Wettbewerb
Zwischen den Wettanbietern schängelte ich mich hin und her, schoss meine ersten Fotos und merkte, dass ich nach dem letzten Videoeinsatz vergessen hatte, auf meiner Kamera wieder das Zoom zu montieren. Ich hatte also „nur“ ein Normalobjektiv. Nochmal verflucht, was für ein Chaostag. Sportfotografie ist sowieso nicht meine Stärke, dachte ich, also egal. In Anbetracht des fehlenden Zooms fuhr ich die Bildqualität herauf, um die Fotos später zu schneiden. Lustig muss der Anblick schon gewesen sein, einen Amateur neben den Presseprofis zu sehen, die mit ihren dicken grauen Objektiv-Rohren jedes noch so kleine Detail in 30 Metern Entfernung digital festhielten. Im Vergleich musste ich wie ein 13-Jähriger beim ersten Schulausflug gewirkt haben. Doch die Kolleginnen sind tolerant, ich entkam unerkannt.
Die Stars liefen auf. Vier Paare (von acht) hatten sich in einer wochenlangen Liga an 14 Spieltagen für das Halbfinale qualifiziert. In der Endausscheidung ging es wieder jeder gegen jeden, die Punktbesten kämen ins Finale. Zu Beginn der Partie war angesagt, sich in der Mitte der Cancha aufzuhalten, um das Spielfoto zu machen: die Spieler stellten sich mit den beiden Schiedsrichtern zum Shooting an die Wand, dabei auch der Ballverantwortliche des Pelota-Verbands, der die ausgewählten Spielbälle in einem Holzkasten hütete. Die Zusammensetzung der Pelotari-Paare wird übrigens von den beiden Firmen bestimmt, die das Pelota-Geschäft kontrollieren, und deren Namen wie Clubnamen klingen – die Spieler selbst haben dabei nichts zu melden. Die Stars erhalten in der Regel gute Mitspieler, damit ihr Vorwärtskommen halbwegs gesichert ist.
Aufschlag
Der erste Aufschlag wird gelost, der Aufschläger sucht sich aus dem Holzkasten die selbstgewählte Pelota aus, mit der er sich einen spielerischen Vorteil verspricht. Der Aufschlag an sich ist bereits ein Vorteil, weil schnelle Punkte erzielt werden können, wenn er nicht gut retourniert wird. Favoriten gibt es keine für die heutige Partie, Irujo-Rezusta haben von 14 Spielen nur zwei verloren, die beiden anderen immerhin vier. Bis zum 6:6 Ausgleich bleibt das Spiel offen, mit langen Ballwechseln und spektakulären Punkten. Die beiden Frontis-Spieler können und müssen vorne variabel spielen, sich viel bewegen, dabei können sie sich gut in Szene setzen, wenn sie ihren Gegnern unholbare Bälle servieren, mit Vorbande oder quer, das sind die gefährlichsten Spielzüge. Die Hinterleute sind für lange Bälle zuständig, gelegentlich macht es den Eindruck, als ginge es für sie nur darum, die Pelota nur im Spiel zu halten und wieder sicher an den Frontis zu schicken, was aus zwanzig Metern Entfernung nicht immer einfach ist. Sind die Vorderleute stark, kann eine Strategie sein, das Spiel nach hinten zu verlagern, um die Spielstärke der Vorderen zu umgehen, die werden dann unter Umständen für eine Weile zu bloßen Zuschauern. In solchen Situationen geht es nicht mehr darum, den Punkt zu machen, sondern Fehler zu vermeiden. Nicht so beim aktuellen Spiel, bei dem es alles gab, hinten Qualität, vorne Spektakel.
Gleichstand
Nach dem Gleichstand zogen Aimar und Mikel, wie sie von Fans und im Fernsehen genannt werden, auf sechzehn davon. Nicht dass das Spiel langweilig geworden wäre und qualitativ schlecht schon gar nicht, nur die Spannung ging etwas verloren. Doch gingen beim Pelota noch Spiele verloren, nachdem einer 20:6 geführt hatte, oft kippt ein Spiel aus unerfindlichen Gründen. Bei deutlichen Spielständen können die besten Wetterfolge erzielt werden, weil die Quoten für die scheinbar Unterlegenen besonders günstig sind. Insofern erfuhr die Aktivität der Grün-Braunen keinen Einbruch, Männer aller Altersgruppen wetteten, wie es sich gehörte, wenn sie nicht gerade am Getränkestand Gin-Tonic oder Bier bestellten. Ich nutzte die Gelegenheit, mich bis in die dritte Galerie-Etage hinaufzukämpfen und mir Pelota aus der Vogelflug-Perspektive anzusehen – ein schönes Panorama. Oben waren eher jüngere Leute zu finden, ein paar Frauen mehr als unten. Insgesamt sind es geschätzte 85% Männer, die zum Spiel kamen. In den Rängen neben dem Spielfeld, von wo aus gewettet werden kann, könnten es durchaus 90% gewesen sein.
Die einzige Situation, die während des Spiels zu Pfiffen führen kann, sind knifflige Entscheidungen der Schiedsrichter (Linie oder Aus, wie im Tennis). Ansonsten gibt es nur Beifall, bei großen Finalen auch Anfeuerungsrufe für die einen oder anderen. Doch herrscht auf den Rängen Fairplay. Überaus beliebt sind lange Ballwechsel, wenn die Pelota an die hundert Mal gegen die Wand klatscht, bevor ein Punkt gemacht wird. Dann stehen alle zum Beifall. Oder wenn einer einen eigentlich unmöglichen Ball doch noch im Spiel halten kann – pelotarische Leckerbissen.
Mediale Verletzungsgefahr
Bisher war es wenig wahrscheinlich, dass ich bei der Live-Übertragung im baskisch-sprachigen Programm des öffentlichen Fernsehens erscheinen würde, zu versteckt waren meine Standorte. Doch der Spielstand – Juan und Beñat hatten sich herangearbeitet, lagen aber immer noch weit zurück – ließ ein baldiges Ende des Spektakels befürchten. So machte ich mich auf zum gefährlichsten Punkt der Halle: die Fortsetzung der Wand rechts neben dem Frontis. Wenn einer der Bälle mit Geschwindigkeiten von bis zu 120 kmh den Frontis verfehlt und rechts ins Aus geht, ist es ratsam, den Kopf aus der Flugbahn zu nehmen. Denn auf diese Art ereigneten sich auf der Cancha schon Todesfälle. Insofern hatte ich angenommen, dass genau dieser Platz ganz vorne streng verboten sei. Falsch gedacht – bevor nicht wirklich was passiert wird nichts verboten. Die beiden neben dem Frontis stationierten Kameraleute sahen aus wie Motorrad-Fahrer, die Kameras wurden über eine Lenkstange und zwei außenliegende Griffe gesteuert, umgeben waren sie von einem starken Plastikvisier zum Schutz vor Fehlschüssen. Auf dem Boden, zu Füßen der TV-Leute, saßen drei wagemutige Foto-Leute, ohne Schutz und nichts. An dieser Stelle kommt es gelegentlich zu Zusammenstößen, wenn ein Pelotari einen Querschlag noch zu erreichen versucht und sich weit rechts neben der Cancha auf den Boden wirft. Gut, dachte ich, ein Versuch ist es wert. Tatsächlich ist die Perspektive hervorragend, die Pelotaris stehen dir gegenüber, das Spiel kommt auf den Frontis zu. Das ist nicht einmal die allgemeine Fernsehperspektive, die rollt das Spiel von hinten auf, um einen besseren Gesamteindruck vom Spiel zu geben. Die Frontis-Perspektive ist die der spektakulären Fotos, der Stürze und Hechtsprünge, der Karambolagen von Spielern mit Zuschauern oder Wettanbietern, es sind die Zeitlupen-Fotos der Wiederholung. Die Freundinnen zu Hause am Bildschirm konnten sich nun mit eigenen Augen davon überzeugen, dass ich es bis zum kritischen Punkt des Geschehens geschafft hatte, an dem ich meine Gesundheit für ein paar gute Bilder riskierte.
Cesta-Punta-Spiele enden mit 35 Punkten, Aimar und Mikel reichte ein 22:12, um den ersten Schritt ins Finale zu machen, denn Pelota Mano endet bei zweiundzwanzig. Sobald der Schiedsrichter den letzten Punkt gut gibt, rennt eine Horde Zehnjähriger auf die Cancha, um sich von den Spielern ihre Schweißbändchen zu erbitten, mitunter auch vom Handgelenk zu reißen. Das gehört nicht zum Programm und ist auch nicht Tradition, doch ist es in den letzten Jahren zum allgemeinen Schlussakt geworden. Mit steinerner Geduld halten die Pelotaris die Nachwuchs-Attacke aus.
Das Phänomen
Verfolgen wir heutzutage die Ereignisse in einem Fußball-Stadion, fallen insbesondere die vielfältigen Sicherheitsmaßnahmen ins Auge. Der Body-Check beim Eintritt, die Sicherheitsleute rund um das Spielfeld, alle dem Publikum zugewandt, die Überwachungskameras – eine Totalkontrolle, der nicht das kleinste Detail entgehen soll. Dagegen ist das Pelota-Spiel eine Familienidylle, in der verschiedene Rollen auf derselben Bühne gespielt werden, mit allen Schauspielern in gegenseitigem Respekt.
Meine nächsten Pelota-Partien werde ich wie gewohnt wieder zu Hause im Fernsehen anschauen, denn im Gegensatz zum Fußball ist zum Pelota-Genuss kein PAY-TV nötig, es wird im baskischen Ersten übertragen. Dort geben nach dem Spiel alle Beteiligten ihre Kommentare ab, auf Baskisch, denn so gut wie alle Pelotaris kommen aus euskaldunem Umfeld. Ausnahme ist Juan Martinez de Irujo, der Vielfach-Sieger in allen Wettbewerben, Einzel und Doppel. Er macht zwar kostenlos Werbung für Baskisch-Schulen, sein eigenes Sprachniveau reicht aber nicht, um Interviews zu bestreiten.
Als ich vor Jahrzehnten meine erste Pelota-Mano-Partie sah, muss ich mich gefühlt haben wie heute bei einem Rugby-Spiel – ziemlich unverständig und ohne jegliche Begeisterung. Das hat sich über die Jahre geändert, heute betrachte ich mich als unbedingten Fan. Pelota ist ein Teil der baskischen Kultur, im Positiven (Fairplay) wie Negativen (Männer und Wetten). Das strenge Klatschen der Pelotas gegen die Wand verursacht ein unangenehmes Geräusch, der Hall der großen Hallen tut sein Übriges. Dazwischen die ständigen Rufe der Wettanbieter – eine überaus seltsame Klangkulisse. Der baskische Film-Regisseur Julio Medem hat diese Kulisse zu einem Dokumentarfilm genutzt: „La pelota vasca, la piel contra la piedra“ (Baskische Pelota, Haut gegen Stein) (1). In diesem 2003 vorgestellten Film zeichnete er mit Interviews den spanisch-baskischen Konflikt nach und schuf ein viel kritisiertes aber eindrucksvolles Werk, das bereits 10 Jahre später zu Geschichte wurde. Nicht nur zur Filmgeschichte. (2)
ANMERKUNGEN:
(1) Julio Medem, Wikipedia (Link)
(2) Der Text stammt vom Baskultur-Redaktionsmitglied Uwe Bein und war eigentlich für den Blog gedacht. Die Ausführlichkeit des Beitrags und seine einführenden Anteile haben ihm einen Platz im Portal verschafft.
FOTOS:
(1) Die Pelotaris des Halbfinales nach der Ballauswahl. (Foto Archiv Txeng)
(2) Pelota: Wettanbieter vor dem Publikum. (Foto Archiv Txeng)
(3) Pelota: Totalansicht der Bizkaia-Arena in Bilbo beim Halbfinale. (Foto Archiv Txeng)
(4) Frauen waren nur eine Epoche lang Protagonistinnen des Pelota. 2015 erinnerte eine Ausstellung in Bilbo an diese Zeit. (Foto Archiv Txeng)
(5) Pelota im Freien, mit nur einer Frontis-Wand, Etxauri/Navarra. (Foto Archiv Txeng)
(6) Auch Frauen spielten in den USA einst Cesta Punta, Ausstellung Bilbo. (Foto Archiv Txeng)
(7) Szene aus dem Halbfinal-Spiel. (Foto Archiv Txeng)
(8) Markina 2015 Pelota: Cesta Punta Fest mit Jugend- und Profi-Spielen. (Foto Archiv Txeng)
(9) Foto-Studien aus den USA, 50er Jahre, Ausstellung Bilbo. (Foto Archiv Txeng)