Der blinde Weltmeister
„Sag nie, es sei nicht möglich“. Mit 46 Jahren hat Aitor Frantsesena aus Zarautz in San Diego, USA die Surf-Weltmeisterschaften für Personen mit körperlicher Einschränkung gewonnen. „Es klingt wie ein Märchen“ – oder – „der Wille kann Berge versetzen“ – oder – „mit entsprechender Begeisterung und Anstrengung ist fast alles erreichbar“ … das oder Ähnliches könnte sich Aitor Frantsesena gesagt haben, um sich zu motivieren und seinen physischen Möglichkeiten nicht von vornherein Grenzen zu setzen.
Aitor Frantsesena, dem baskischen Surfer ohne Augenlicht, gelang Ende 2016 der große Coup: in den USA wurde er Weltmeister im Surfen mit Handicap.
Aitor, der leidenschaftliche Surfer aus Zarautz – dem Ort mit einem der schönsten und längsten Strände des Baskenlands in Gipuzkoa, unweit von Donostia-San Sebastian – wurde 1970 geboren. Von Beginn an war sein Leben von großen Herausforderungen geprägt. Bei seiner Geburt wurde ein Glaukom diagnostiziert, eine Augenkrankheit, die auch grüner Star genannt wird und die einen Verlust von Nervenfasern am Sehnerv zur Folge hat. Das führte dazu, dass er mit 14 Jahren nach einer Operation das rechte Augenlicht komplett verlor und das linke zu einem grossen Teil. Dennoch fühlte er sich von klein auf wohl im Wasser. Aber erneut traf ihn das große Pech, als er im Jahr 2011 beim Surfen von einer Welle erfasst wurde und durch den heftigen Schlag das restliche Augenlicht im linken Auge verlor.
Mit Eigendisziplin
Um seiner körperlichen Einschränkung zu trotzen, steckte Aitor – unter Freunden Gallo genannt – seine ganze Energie in das Surfen und entwickelte Fähigkeiten, die ihn letztendlich mit 46 Jahren zum Weltmeister-Titel führten. Jene Weltmeisterschaften für Surfer mit physischer Einschränkung fanden vom 8. bis 11. Dezember 2016 in San Diego, Kalifornien statt. Mit Unterstützung seines Freundes und Helfers Ibon Illaramendi – Koala genannt – erreichte er das oberste Treppchen des Siegerpodests in der Kategorie „Sichtbehinderung“ (visually impaired), wie es die International Surfing Association (ISA) nennt, wenn sie ihre Adaptive Surfing Championships durchführt: die Meisterschaften für Behinderte. Was für ein Sieg war das!
Der Brasilianer Elias Figue Diel hatte den Titel in der Disziplin der Blinden zum Greifen nahe, aber in den letzten fünf aufregenden Minuten konnte Aitor zwei Wellen mit einer Punktwertung von 6,33 und 6,17 reiten und den Brasilianer überholen. Am Ende waren die Ergebnisse sehr ähnlich: 12,50 für den Sieger aus Zarautz, 12,10 für den zweiten Figue Diel, 11,83 für den Australier Matt Formston und 5,77 für den Franzosen Gwendal Du Fretay. Es war das erste Mal, dass diese Disziplin bei den ISA Championships ausgetragen wurde, somit wird Aitor Frantsesena auch in die Annalen dieser Meisterschaften eingehen.
„Im Laufe der Zeit habe ich so viele Surfer trainiert und jetzt werde ausgerechnet ich Weltmeister. Es ist unglaublich!” So die bewegten Worte von Aitor Frantsesena, gleich nachdem er aus dem Wasser kam. Aitor ist beliebt in Euskal Herria, das zeigte sich noch am selben Tag, als der Surfer Axi Muniain die folgende Nachricht in den sozialen Netzen verbreitete: „Ich bin stolz auf dich. Für uns warst du schon immer der Champion, aber jetzt bist du ganz offiziell unser Weltmeister”. Einer der bekanntesten und erfolgreichsten baskischen Surfer, Aritz Aranburu, ebenfalls aus Zarautz, war jahrelang Schüler von Frantsesena. Auf Aritz Aranburu hatte Aitor immer gesetzt, er war davon überzeugt, dass der Junge ganz nach oben gelangen würde. Und so kam es auch bei Aritz. Er schickte dem neuen Champion sogleich eine Nachricht: „Jetzt haben wir einen Weltmeister in unserem Heimatort: Gallo, den neuen World Champion”.
„Ich fühle die Welle”
Was Aitor Frantsesena erreicht hat, kann nur mit einer banalen Lebensphilosophie beschrieben werden: „Surfen ist alles für mich“, so hat er es in der Vergangenheit immer wieder formuliert. „Ich könnte fast sagen, dass ich mit dem Brett unter dem Arm geboren wurde. Mein ganzes Leben lang habe ich Wellen geritten, warum hätte ich das lassen sollen, als ich blind wurde, ich habe mich sogar noch verbessert“. Aitor beschloss, seinem Willen keine Grenzen zu setzen. „Hören, Tastsinn, Gerüche, diese Sinne habe ich weiter ausgebildet, seit ich blind bin. Ich fühle jede Bewegung, ich fühle die Welle”. Zwei Bücher hat er über das Wellenreiten geschrieben. „Blindheit hin oder her, ich geniesse das Leben aus vollen Zügen”. Das ist die Philosophie eines Surf-Weltmeisters, der nicht nur Wellen reitet, sondern auch Grenzen überschreitet.
ISA World Adaptive Surfing Championships
Die International Surfing Association (ISA) (2) setzt von Jahr zu Jahr stärker auf die Weltmeisterschaften für Behinderte und nimmt regelmässig neue Einteilungen vor. Dieses Mal gab es zwei Disziplinen für Athleten, die aufrecht surften, je nach ihrer Einschränkung, anders als 2015, als es nur einen einzigen Teilnehmer gab und einen mit eingeschränktem Sehvermögen.
Die Einteilungen bzw. Wettbewerbs-Kategorien sind: Kategorie AS-1: Surfer, die stehend oder auf Knien surfen, der hintere als Helfer. Kategorie AS-2: Surfer, die paarweise stehend oder auf Knien surfen, ebenfalls der hintere als Helfer. Kategorie AS-3: Surfer, die allein und sitzend auf einem Wasserski surfen. Kategorie AS-4: Surfer, die liegend surfen – ein Surfer aus Baiona wurde Dritter. Kategorie AS-5: Surfer, die nicht stehen und Hilfe brauchen, um zu den Wellen zu gelangen, dann jedoch alleine surfen. Kategorie AS-6: Surfer mit eingeschränktem Sehvermögen – hier wurde Gallo erster.
Interview mit Aitor Frantsesena
In einem Interview spricht Aitor Frantsesena darüber, was seiner Ansicht nach die Geheimnisse beim Surf-Training sind. Wichtig seien Beständigkeit, die Auswahl des richtigen Materials für den jeweiligen Moment und für den aktuellen Leistungsstand, sowie eine gute Analyse jedes Surfgangs und jeder Welle. Alle müssen wissen, was sie gerade gemacht haben und was nötig ist, um sich weiter zu verbessern. (3)
Was ist die Voraussetzung für einen guten Surfer? Aus welchem Holz sind Champions geschnitzt? – Du musst wissen, was du willst. Wenn du es weißt, kannst du an den Grundlagen arbeiten. Du musst wissen, wie Wellen funktionieren, alles über das Arbeits-Material, du brauchst ein gutes Körpertraining, solltest psychisch stabil sein, um alles zu ertragen, eine angemessene Ernährung und gute Technik.
Wie sieht das Fitness-Training für den Surf-Sport aus? – Bevor du ins Wasser gehst musst du dich ordentlich warm machen. Schwimmen gehört zum Surfen, du brauchst starke Beine, dabei helfen Radfahren und Laufen. Rhythmus-Wechsel und Belastung mit zusätzlichen Gewichten steigert die Ausdauer. Auch spezifisches und auf dich zugeschnittenes Training, damit du dich wohl und stark fühlst. Und vorher jeweils Dehn-Übungen, denn ein flexibler Körper fördert die Schnelligkeit und Beweglichkeit.
Wie schaffst du es, ohne Augenlicht zu surfen? – Von klein an war ich sehr diszipliniert und habe hohe Ansprüche an mich selbst gestellt. Jeden Tag Übungen, um stark zu sein, Dehnen, Bauchaufzüge … und Ausdauer-Training. Viel geholfen hat mir, dass ich bereits gesurft habe bevor ich blind wurde. Jetzt surfe ich nach Gefühl, ich habe nichts vergessen. Dazu habe ich das Glück, unglaublich fitte Leute um mich herum zu haben, die mir im Wasser als Caddie helfen, denn alleine kann ich nicht ins Wasser. Mit Begeisterung und Willen kannst du viel erreichen. Mein Motto ist wie der Titel meines Buchs: „Wollen ist Können“, wenn du wirklich willst, kannst du mit viel Arbeit alles erreichen. All das brauche ich zum Surfen. Auf eine Art habe ich mit dem Surfen angefangen, nun muss ich es anders machen, ich muss viel lernen, um weiter zu kommen.
(Publikation Baskultur.info 2017-01-26)
ANMERKUNGEN:
(1) Informationen aus dem Artikel „Inoiz esan ezinezkoa dela“ (Sag nie, es sei nicht möglich) von Unai Zubeldia in der einzigen ausschließlich baskisch-sprachigen Tageszeitung BERRIA (Die Neue) vom 13.12.2016 (Link)
(2) Die International Surfing Association (ISA) ist ein Sportverband in San Diego. Sie organisiert verschiedene Disziplinen von Surfen und Wellenreiten, dazu gehören Bodyboard, Knieboard, Longboard, Tandem, Skimboard und Bodysurfen. Neuerdings werden auch Para-Wettbewerbe organisiert. Die ISA wurde durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) offiziell als Gremium anerkannt, das weltweit für die Verwaltung des Wellenreitsports verantwortlich ist. Sie ging 1976 aus der International Surfing Federation (ISF) hervor, die seit 1964 für die Organisation der jährlichen Weltmeisterschaften zuständig war. Der Verband ist eine gemeinnützige Organisation, die sich für die Entwicklung des Sports einsetzt, Kriterien für das Lehren des Sports in Surfschulen und für die Bewertung von Wettkämpfen festlegt und sich mit Themen wie Antidoping im Surfsport auseinandersetzt. Darüber hinaus ist sie zuständig für die Veranstaltung der World Surfing Games (einst World Championships). Seit 1980 werden zudem Junior World Championships und seit 2007 Masters World Championships ausgetragen. Die erste Weltmeisterschaft fand 2011 in der Kategorie Stand Up Paddle (SUP) statt. Zu den Mitgliedern zählen 64 offizielle nationale Surfverbände, die auf sechs Kontinenten angesiedelt sind. Die Zentrale befindet sich in San Diego, Kalifornien. (Wikipedia)
(3) Interview auf der Webseite Redbull.com (Link)
FOTOS:
(1) Aitor Frantsesena (Foto: persönliche Webseite quererespoder.org)
(2) Freude nach dem Sieg von Aitor Frantsesena (Foto: as.com)
(3) Surfszene (Foto: isaworlds.com/adaptive/2016/es)
(4) Aitor Frantsesena und aritz Aranburu (Foto: redbull.com)
(5) Freude nach dem Sieg von Aitor Frantsesena (Foto: berria.eus)