Strategiewechsel inbegriffen
Gegründet wurde die ETA während der Franco-Diktatur, auch nach der sogenannten Demokratisierung Spaniens hielt sie an ihrem militanten Kampf fest. 2018 hat sie sich definitiv aufgelöst. Nachdem in der Organisation bereits seit Jahren über einen Strategiewechsel und ein Ende des bewaffneten Kampfes diskutiert worden war, hat der bewaffnete Arm der linken Unabhängigkeits-Bewegung im Mai 2018 seine endgültige Auflösung bekannt gegeben. Damit endete eine blutige und gleichzeitig vielschichtige Etappe.
“Die baskische Stadtguerilla dankt ab“, Kommentar zur Auflösung der ETA, aus dem Jahr 2018 von Raul Zelik in der Schweizer Wochenzeitung WOZ.
Die ETA entstand 1959 mitten in der Franco-Diktatur. Nachdem die USA 1947 ihr Versprechen, alle faschistischen Regimes in Europa zu stürzen, gebrochen hatten und stattdessen einen Pakt mit Franco schlossen, stellte sich die Frage nach dem Widerstand in Spanien neu. Ende der fünfziger Jahre nahm die ETA den Kampf auf. Ging es ihr zunächst um die Verteidigung der baskischen Kultur, so definierte sie sich unter dem Einfluss der Befreiungs-Bewegungen Algeriens und Kubas schon bald als anti-koloniale, sozialistische Organisation. Sie verübte auch keineswegs nur Anschläge, sondern baute Gewerkschaften, Sprachschulen, Kulturvereine und politische Schulungsgruppen auf. Das verstand man damals auch im Ausland: Anlässlich des Burgos-Prozesses, bei dem 1970 zahlreiche ETA-Mitglieder angeklagt wurden, verfasste Jean-Paul Sartre ein viel beachtetes Solidaritäts-Manifest.
Der Widerstand von ETA blieb nicht ohne Folgen. Dass das Baskenland nach Francos Tod 1975 ein Autonomiestatut erhielt und dass die baskisch-christdemokratische Partei PNV und die sozialdemokratische PSOE in Madrid von den franquistischen Eliten als Verhandlungspartner ernst genommen wurden, hatte auch mit dem Druck der bewaffneten Linken zu tun. Die Bereitschaft des Franquismus zu Reformen nahm in dem Maße zu, wie eine Revolution ähnlich der in Portugal wahrscheinlicher wurde.
Hoch umstritten war die Entscheidung eines Teils der ETA, den bewaffneten Kampf nach der Demokratisierung 1978 zu intensivieren. Die Anschläge wurden immer blutiger. Begründet wurde das damit, dass die Demokratisierung von 1978 eine Farce gewesen sei: König Juan Carlos sei von Franco eingesetzt worden, der Zentralstaat habe sich das Recht vorbehalten, die Autonomie einseitig zu suspendieren, und die Franquisten hätten sich Schlüsselpositionen in Justiz, Polizei und Konzernen gesichert. Tatsächlich wurde kein einziges Verbrechen der Diktatur nach Francos Tod vor Gericht gebracht (siehe Amnestie-Gesetz von 1977).
Mit der Amtsübernahme des PSOE 1982 wurde alles noch schlimmer. Regierungschef Felipe González ließ rechte Todesschwadronen aufbauen, die Grupos Antiterroristas de Liberación (GAL), die in Frankreich (im Nord-Baskenland) Bask*innen ermordeten. Und auch der Einsatz von Folter durch die Guardia Civil wurde eher professionalisiert als bekämpft: Einem Bericht der baskischen Autonomie-Regierung zufolge wurden seit der Einführung der Demokratie mehr als 2.000 Personen durch die spanische Polizei gefoltert. (Anm: Die Dunkelziffer liegt deutlich höher.)
Da dem Baskenland zudem das Recht verweigert wurde, in einem Referendum über den eigenen politischen Status zu entscheiden, hielt die ETA an ihrer Strategie fest. Sie kämpfte bis zuletzt für ein sozialistisches, selbstbestimmtes Baskenland all “jener Menschen, die dort leben und arbeiten“. Anders als oft behauptet wird, ging es ihr nicht um ein ethnisches Projekt, sondern um soziale Veränderungen und die Gründung einer baskischen Republik. Dabei kooperierte die ETA eng mit Gewerkschaften, Stadtteilinitiativen, Jugendgruppen und feministischen Organisationen.
Zugleich aber wurde die ETA bei ihren Attentaten ab Ende der achtziger Jahre immer wahlloser. Der Einsatz von Autobomben, monatelange Entführungen und die Erschießungen von (konservativen und sozialdemokratischen) Gemeinderäten und Lokalpolitikern bedeuteten nicht nur menschliche Tragödien, sondern hatten auch fatale politische Folgen: Die eigentlichen Ursachen des Konflikts gerieten in den Hintergrund. Doch das änderte nichts Grundlegendes an der Verankerung der ETA in der baskischen Gesellschaft. In etwa hundert Gemeinden stellte die linke Unabhängigkeits-Bewegung immer wieder die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, die größte Kundgebung im Land ist bis heute die jedes Jahr mit etwa 100.000 Teilnehmer*innen stattfindende Solidaritäts-Demonstration für die ETA-Gefangenen.
So war die ETA bis zu ihrer Auflösung eine echte Stadtguerilla. Das zeigte sich auch in den internen Debatten, in denen über linke Kommunalpolitik, die Autonomie sozialer Bewegungen oder die Beteiligung an den Institutionen gestritten wurde. Wie groß die Unterstützung trotz aller Kritik nach wie vor ist, zeigte sich auch 2012, als das neue Linksbündnis Euskal Herria Bildu (Baskenland Vereinigen) aus dem Stand auf 25 Prozent der Stimmen kam. Bei den Autonomie-Wahlen 2016 waren es, nachdem die spanische Justiz dem Bildu-Vorsitzenden Arnaldo Otegi (der in seiner Jugend selbst ETA-Mitglied war) die Kandidatur untersagt hatte, etwas weniger: 22 Prozent. Doch damit erhielt die Unabhängigkeits-Linke immer noch genauso viele Stimmen wie die beiden spanischen Volksparteien PP und PSOE zusammen. (1)
Nachbemerkung:
Nicht nur das Ende von ETA hat die baskische Unabhängigkeits-Bewegung nachhaltig beeinflusst. Auch der strategische Rechts-Schwenk der baskischen Linken hat tiefe Spuren hinterlassen: fortan setzt sie ausschließlich auf Parlamentarismus und institutionelle Arbeit, zu Ungunsten von Mobilisierung auf der Straße, soziale Bewegungen werden dabei eher misstrauisch betrachtet. Zum einen wurde die (nunmehr offiziell genannte) baskische Linke für andere linke Tendenzen kooperations- bzw. koalitionsfähig. Zum anderen ging ein zahlenmäßig schwer zu kalkulierender Teil der Linken den Schritt zur Realpolitik nicht mit, es kam zur Gründung von neuen außerparlamentarischen Organisationen und Bewegungen.
Die Politik der spanischen Regierung erfuhr durch die Waffenabgabe und Auflösung von ETA keinerlei Änderung – sehr zur Überraschung der internationalen Konflikt-Vermittler, die Vergleichbares weltweit nie zuvor erlebt hatten. Die spanische Rechte hielt ebenso an der vollständigen Verbüßung aller Strafen für die Gefangenen fest, wie an der Zerstreuung derselben auf Gefängnisse im gesamten Staat.
Dies änderte sich mit dem Amtsantritt des Sozialdemokraten Pedro Sanchez in Koalition mit der Protestpartei Podemos. Als Minderheitskoalition war man auf Stimmen von außerhalb angewiesen, darunter die baskische Linke, die sich ihre Zustimmung mit der Verlegung der Gefangenen ins Baskenland “bezahlen“ ließ. Dazu kommt, dass auf Druck von Bildu und der rechten PNV die Kompetenz für die baskischen Gefängnisse an die Regional-Regierung übertragen wurde, was für die Gefangenen einige Verbesserungen brachte, vor allem aber für die Angehörigen, die nun keine Tausende von Kilometern mehr zurücklegen müssen.
Trotz der politischen Wende der baskischen Linken und vielfachen Entschuldigungen für den verursachten Schaden, führt die spanische Rechte (vor allem die Ultrarechte) weiterhin Kampagnen und Wahlkampf mit ETA-Parolen. Südlich des Ebros gilt EH Bildu als ETA-Nachfolge, die Kandidat*innen werden als ETA-Mitglieder bezeichnet. Dem beugen sich auch die baskischen und navarrischen Sozialdemokraten, die aus Angst vor einer Abstrafung aus Madrid auf Bündnisse mit Bildu verzichten, obwohl die politischen Differenzen sich deutlich verringert haben. Das zeigte sich zuletzt nach den Kommunalwahlen im Mai 2023, bei denen die offizielle baskische Linke als deutliche Siegerin hervorging: nur Podemos ist zu Verhandlungen über Mehrheiten bereit.
ANMERKUNGEN:
(1) “Die baskische Stadtguerilla dankt ab Kommentar zur Auflösung der ETA“, 2018 von Raul Zelik, WOZ, Schweiz, Nr. 19, 10. Mai 2018 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) ETA (diario16)
(2) ETA (diariovasco)
(3) Politische Gefangene (elcorreo)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-06-04)