Baskischer Vorgänger der japanischen Todes-Flieger
Für die republikanische Fliegerei der 1930er Jahre gilt der Leutnant Felix Urtubi Ercilla aus der baskischen Kleinstadt Elorrio als erster Pilot der Geschichte, der ein gegnerisches Flugzeug durch ein gezieltes Rammen zum Absturz brachte und gleichzeitig selbst in den Tod ging. Ganz freiwillig war Urtubis Flugaktion nicht. Doch war der baskisch-republikanische Kämpfer auf die Situation vorbereitet. Sein Tod ging der später legendären japanischen Kriegs-Taktik aus dem Zweiten Weltkrieg voraus.
Der republikanische Flieger Felix Urtubi gilt als erster in der Flug-Geschichte, der einen tödlichen Kamikaze-Zusammenstoß praktizierte, Jahre bevor die Praxis durch die Japaner bekannt wurde.
Die wenig bekannte Biografie des republikanischen Piloten Felix Urtubi Ercilla (1904-1936) wurde erst kürzlich wieder ausgegraben. Für die republikanischen Reihen, die im Spanienkrieg zu Verlierern wurden, ging er als Held in die Geschichte ein. Manche gehen soweit, ihn als ersten Kamikaze-Flieger der Geschichte zu bezeichnen. Denn als sein Flieger angeschossen wurde und ihm klar war, dass er unweigerlich abstürzen würde, entschied Felix Urtubi, das gegnerische faschistische Flugzeug zu rammen und so zum Absturz zu bringen. Er war 32 Jahre alt. Der Vorfall fand nur einen Monat nach dem faschistisch-franquistischen Militarputsch vom 18. Juli 1936 statt. (1)
Felix Urtubi Ercilla wurde im Jahr 1904 in Elorrio geboren und lebte in den Nachbarorten Arrasate und Aretxabaleta. In letzterem war sein Großvater Bürgermeister, er war graduierter Philosoph und Apotheker. Als Ortsvorsteher rief dieser Großvater im 19.Jahrhundert für die Provinz Gipuzkoa die Erste Spanische Republik aus. Großvater Felix vererbte seinem Enkel nicht nur den Familiennamen, sondern auch den Vornamen. (2)
Väterlicherseits entstammte Felix einer über mehrere Generationen andauernden Apotheker-Tradition in Aretxabaleta. Auch Vater Pablo Urtubi Errazquin war Apotheker. Felix Mutter Matilde hingegen stammte aus dem Ortsteil Udala des größeren Ortes Arrasate am Fuße des 1.200 m hohen Udalatz-Bergs. Bereits als Kind legte er sich darauf fest, Pilot zu werden. Die Familie lebte in Arrasate. José Ramón Intxauspe, Mitglied des Memoria-Vereins Intxorta 1937 erforschte sein Leben und veröffentlichte das Ergebnis in dem Buch „Gerra Zibila Aretxabaletan. Ezin ahaztu!“ (Bürgerkrieg in Aretxabaleta. Nicht vergessen!). In diesem Buch wird hervorgehoben, dass Urtubi bereits in der Anfangszeit seiner Zugehörigkeit zur Luftwaffe durch seine Verwegenheit und Bestimmtheit auffiel. Sein Kampfgeist stach schon während seiner Ausbildungszeit hervor.
Bei einem Wettbewerb innerhalb seiner Kampfgruppe (Grupo 33 de Burgos), sah er sich aufgrund eines Kühlerschadens am Flugmotor widerwillig zur Landung gezwungen. Kurzerhand schulterte er den lädierten Kühler und ging zu Fuß bis zum nächsten Ort, der mehrere Kilometer entfernt lag. Dort reparierte er den Kühler und kehrte auf dieselbe Weise zu seinem Flugzeug zurück, um den unterbrochenen Flug fortzusetzen, erzählt der Historiker. Nach mehreren heldenhaften Alleingängen wurde ein Disziplinarverfahren gegen ihn eröffnet, weil er den angeordneten Dienst angeblich nicht korrekt ausführte. Infolgedessen wurde er in das damalige spanische Protektorat Marokko versetzt. Von Madrid aus musste er den General Cabanellas nach Marokko bringen. Miguel Cabanellas Ferrer (1872 – 1938) war Armeegeneral und neben Mola, Queipo und Franco einer der Drahtzieher des Militärputsches vom 18. Juli 1936.
Im Jahr 2008 war Cabanellas einer von 35 hohen Amtsträgern, der im Zusammenhang mit dem neu verabschiedeten Memoria-Gesetz angeklagt wurde. Vorgeworfen wurden ihm illegale Verhaftungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die er während des spanischen Krieges begangen hatte. Da er jedoch bereits 1938, also siebzig Jahre zuvor verstorben war, wurde er vom zuständigen Richter aus der Gruppe der Angeklagten ausgenommen.
Einsatz auf Seiten des Feindes
Am 18. Juli 1936, dem Tag des franquistischen Militärputsches gegen die gewählte Zweite Republik, befand sich Urtubi im Militärstützpunkt von Tetuan, auf afrikanischem Boden. Der Krieg erwischte ihn kalt, dazu an einem ziemlich unerfreulichen Ort: als überzeugter Republikaner im Herzen des Feindes! Am 26. Juli wurde er beauftragt, eine Truppenbewegung der republiktreuen Armee bei Cadiz (Andalusien) zu bombardieren und sein Flugzeug danach nach Sevilla zu steuern. Die Generäle von Sevilla hatten sich bereits auf Seiten der Putschisten gestellt. Urtubi war in den Augen der Aufständischen bereits verdächtig, mit republikanischen Ideen zu sympathisieren. Deshalb bekam er von seinen faschistischen Vorgesetzten einen Kontroll-Begleiter zugeteilt.
Die Maschine, die Urtubi zu jener Zeit flog, war eine Breguet 19, ein leichter Doppeldecker-Bomber aus französischer Produktion, der ab 1924 in großen Stückzahlen produziert wurde. Im fast drei Jahre dauernden spanischen Krieg kamen insgesamt 135 Maschinen dieser Art auf republikanischer Seite zum Einsatz. Die Breguet 19 war für zwei Personen ausgerichtet, vorne saß der Pilot und knapp hinter ihm war bei Bedarf Platz für eine weitere Person. Hatte dort wenige Tage zuvor der General Cabanellas Platz genommen, so war es jetzt der junge Leutnant Juan Miguel de Castro Gutierrez, der den korrekten Ablauf des Auftrags kontrollieren sollte.
Flucht aus Marokko
Urtubi, der immer eine Pistole bei sich trug und sie offenbar selbst in diesem kritischen Moment unentdeckt mitführen konnte, erschoss seinen Bewacher beim Überflug über die Meerenge von Gibraltar. Entschlossen und eiskalt wechselte er den Kurs und landete mit seinem Flugzeug auf dem Militärflugplatz von Getafe circa 15 Kilometer südlich von Madrid, in republikanisch kontrolliertem Gebiet.
Genau einen Monat später, am 18. August, wurde Urtubis Maschine – in diesem Fall flog er eine Hawker Fury Maschine – über der Region Extremadura von einem Nazi-Piloten mit einer Heinkel 51 abgeschossen, woraufhin er als tot erklärt wurde.
Der General Ignacio Hidalgo de Cisneros y López de Montenegro (1896-1966), oberster Befehlshaber der republikanischen Luftwaffe erklärte daraufhin: “Wir mussten von Urtubis Tod ausgehen, ein wahrer Trauertag für uns. Eine Woche später erhielten wir Nachricht, dass zwischen unseren Linien ein Bauer mit seinem Esel als mutmaßlicher Spion aufgegriffen worden war, der behauptete, ein Flieger zu sein. Es war Urtubi“.
Dieser war im letzten Moment mit dem Fallschirm abgesprungen und hatte in einem nahegelegenen Waldstück Schutz gefunden. Mehrere Tage lang wanderte er nachts und versteckte sich tagsüber, holte sich von den Wäscheleinen zivile Kleidung und organisierte sich einen Esel. Auf republikanischer Seite angekommen, entging er nur knapp der Erschießung, weil er für einen faschistischen Spion gehalten wurde.
Kurze Zeit später wurde er erneut mit einem heiklen Auftrag betraut. Der aufständische General Yagüe war zu jenem Zeitpunkt kurz davor, mit seinen Truppen Madrid einzunehmen und Urtubi sollte in einem Aufklärungsflug Details dieser Operation in Erfahrung bringen.
Die Schlächter und ihre Kameraden
Juan Yagüe Blanco (1891- 1952) war ein erfahrener Militärgeneral, der bereits unter König Alfons XIII am Kolonialkrieg gegen Marokko teilgenommen hatte (1920 bis 1926). (3) Im Jahr 1934 war er Oberbefehlshaber über die marokkanische Söldnerlegion, die unter anderem bei der Niederschlagung des Aufstands der asturianischen Minenarbeiter des selben Jahres eingesetzt worden war.
Als überzeugter Falange-Anhänger und persönlicher Freund des Diktators José Antonio Primo de Rivera (1903 bis 1936), spielte er beim Militärputsch von 1936 und der anschließenden Franco-Diktatur eine bedeutende Rolle. Er war Oberbefehlshaber der Division, die Extremadura besetzte und leitete die marokkanische Truppe während der Schlacht am Ebro. Er gilt als Verantwortlicher des Massakers von Badajoz, bei dem am 15. August 1936 etwa 4.000 Zivilisten exekutiert wurden, was 10% der damaligen Bevölkerung entsprach. Aufgrund dieses Genozids bekam er den Beinamen „Der Schlächter von Badajoz“. Nach dem Krieg wurde er von Franco zum Luftfahrtminister ernannt. Während des Zweiten Weltkriegs pflegte er vertraulichen Kontakt mit Reichsmarschall Hermann Göring.
Urtubis Ende
Als Urtubi sich über Toledo befand, tauchten plötzlich drei faschistische Flugzeuge der italienischen Flugstaffel „Flechas Negras“ auf (Schwarze Pfeile). Laut Buchautor Intxauspe, hatte Urtubi angesichts dieser Übermacht keine Chance. Eine der gegnerischen Maschinen konnte er abschießen. Weil er keine Munition mehr hatte, entschloss er sich, eine zweite Maschine zu rammen, sodass beide in Flammen aufgingen und zu Boden stürzten. Dieses Manöver ereignete sich am 13. September 1936.
Urtubis dramatisches Ende war bereits angekündigt. Er selbst hatte seinen Flug-Kameraden gegenüber zuvor versichert: „Der Tag, an dem ich keine andere Wahl habe, werde ich sterben. Aber soweit es in meiner Macht steht, wird mich ein gegnerisches Flugzeug auf diesem letzten Weg begleiten“. Der Buchautor Intxauspe sieht daher in Urtubi den ersten Kamikaze-Flieger der Geschichte. „Er war der Vorgänger der Kamikaze-Flieger. Seine heroische Aktion blieb nicht unbeachtet und wurde in der republikanischen Presse mehrfach gefeiert und hochgelobt. Die Titel der Veröffentlichungen lauteten „Glorreicher Tod eines Edelmanns der Lüfte. Der Leutnant der Luftwaffe Urtubi starb als Held“ (La Libertad); „Die wunderbare Geste eines republikanischen Piloten“ (La Voz); „Tod eines Helden. Leutnant Urtubi, Glanzlicht der volkseigenen Luftwaffe“ (El Sol).
Urtubi starb im Alter von 32 Jahren im Militärgrad eines Leutnants und erhielt post mortem den Titel Hauptmann. Er war verheiratet mit María Cruz Robla Román und hatte eine dreijährige Tochter, die den Namen seiner Mutter trug, Matilde. Leider gehört Felix Urtubi 80 Jahre nach seinem Ableben zu den vielen Tausenden, deren Leben und Wirken in Vergessenheit geraten sind.
ANMERKUNGEN:
(1) Der vorliegende Artikel basiert zu großen Teilen auf einer Reportage von Iban Gorriti in der Tageszeitung Deia vom 8.10.2017 unter dem Titel „Un vasco, precursor de los kamikazes japoneses “ (Ein Baske, Vorgänger der japanischen Kamikaze).
(2) Elorrio ist eine ca. 7.000 Einwohner zählende Kleinstadt in der Provinz Bizkaia, im Grenzgebiet zur Provinz Gipuzkoa. Elorrio ist bekannt für seine historische Altstadt, seine gut erhaltenen Paläste und eine aus dem Altertum stammende Nekropolis.
(3) Rif-Krieg: Als Rifkrieg, auch Zweiter Marokkanischer Krieg, wird der zwischen 1920 und 1926 militärisch ausgetragene Konflikt zwischen den Rifkabylen unter Mohammed Abd al-Karim und Spanien bezeichnet.
ABBILDUNGEN:
(1) Urtubi mit Familie (mugalari.info)
(2) Breguet-Flugzeuge (mugalari.info)
(3) Presse (genealogiadeandarporcasa)
(4) Urtubis Opfer Juan Miguel Castro Gutierrez (links) (genealogiadeandarporcasa)