Der den Wind kämmte
Zwei Jahrzehnte sind seit dem Tod des baskischen Künstlers Eduardo Chillida vergangen, eine bedeutende Figur der Bildhauerei des 20. Jahrhunderts. Er starb 78-jährig am 19. August 2002 in seiner Geburtsstadt Donostia (San Sebastian). Chillida war vieles gleichzeitig: Architekt, Beobachter, Torhüter und Kunstschaffender. Seine Kunstwerke sind in der halben Welt zu finden. Chillida selbst bezeichnete sich als "Architekt der Leere". Zwanzig Jahre ohne Eduardo Chillida, den Bildhauer, der den Wind kämmte.
Der baskische Bildhauer Eduardo Chillida (1924-2002) hinterließ eine große Anzahl großformatiger Werke, die in öffentlichen Räumen zu finden sind. Ein natürliches Denkmal schuf er sich mit dem Skulpturenpark Chillida Leku (Chillida-Ort) in der baskischen Stadt Hernani.
20 Jahre nach dem Tod von Eduardo Chillida erinnert Sohn Luis an seinen Vater. Er ist der Präsident der “Stiftung Eduardo Chillida und Pilar Belzunce“. "Er war ein Mensch, der über alles nachdachte und sich zu allem Fragen stellte: Warum die Äste der Bäume auf die eine oder andere Weise wachsen, über die Bewegung des Wassers und der Wellen ... Seine Arbeit basierte auf diesen Beobachtungen". - "Die Welt der Kunst war für ihn immer gegenwärtig", betont der Sohn, "vor allem durch Großvater Pedro, seinen Vater, der eine militärische Laufbahn einschlug, ein großer Kunstliebhaber war und seine Kinder zu Kreativität anregte". (1)
Eduardo Chillida wurde am 10. Januar 1924 in Donostia-San Sebastián geboren, im spanischen Staat führte der General und Putschist Primo de Rivera eine Diktatur. Chillidas Kindheit an der malerischen Muschelbucht prägte sein Verhältnis zu Landschaft und Raum. Schon in jungen Jahren beobachtete er die Wellen an diesem Ort, an dem er Jahrzehnte später seinen Windkamm aufstellen sollte.
Fußball und Architektur
Im Alter von 18 Jahren war Chillida Torhüter beim Fußballclub Real Sociedad San Sebastian, doch zwang ihn eine Knieverletzung, den Fußball aufzugeben. Die Vermutung liegt nahe, dass in seinen Skulpturen etwas von der Fähigkeit großer Torhüter steckt, Raum und Zeit zu kontrollieren, eine aufmerksame Beziehung zur Umgebung, intuitive Entscheidungsfindung. In der Arbeit des Torhüters und des Bildhauers treffen das Geistige und das Manuelle aufeinander.
Chillida begann eine Ausbildung in Architektur, doch brach er das in Madrid begonnene Studium ab, um sich auf Zeichnung und Skulptur zu konzentrieren. Dieser Berufswechsel entsprach einem intellektuellen Reifungsprozess. Für Chillida war Architektur "eine künstlerische Schöpfung, die dazu bestimmt war, Antworten auf die Bedürfnisse des Menschen zu geben", während die Bildhauerei "keine Antworten geben muss, sondern das Unbekannte in Frage stellen will".
Paris-Etappe
Chillida war ein Beobachter, ein Fragensteller, der 1948 nach Paris zog, wo er unter dem Einfluss der griechischen Kunst seine ersten figurativen Skulpturen aus Gips schuf. Über sie erhielt er frühe Anerkennung, als er 1949 im Salon de Mai ausstellte. Ein Jahr später beteiligte er sich zum ersten Mal an einer Gruppenausstellung in der Galerie Maeght, die jungen Künstler*innen gewidmet war. Es waren entscheidende Jahre des Lernens und Experimentierens.
"Für ihn war das eine Schlüsselperiode", stellt Luis Chillida fest. "Er hat sie immer als solche betrachtet. Statt an einer Universität zu studieren, ging er nach Paris und besuchte Museen und Ausstellungen. Er war ein Schwamm, er saugte alles auf. Als er 1951 zurückkehrte, beschloss er, diese Etappe zu beenden und einen eigenen Weg zu suchen. Er entdeckte Eisen als Arbeitsmaterial und begann mit einer Arbeit, die stark auf Abstraktion basiert, ohne jedoch die Botschaft aufzugeben". - “Mein Vater hat sich nicht als abstrakter Künstler gesehen", fügt Luis hinzu. “Er sah seine Ausdrucksformen außerhalb der Tradition, das Dargestellte hatte abstrakte Anteile. Eine Andeutung von Grenzen oder ein Amboss von Träumen – welche Form sollte das annehmen? Sicherlich keine festgelegte Form. Vater hat versucht, seine Empfindungen auszudrücken“.
Ein eigener Stil
Die frühen 1950er Jahre waren für Chillida sowohl persönlich als auch künstlerisch von grundlegender Bedeutung. Er heiratete Pilar Belzunce, mit der er acht Kinder hatte. Chillida begann, eine persönlichere Sprache zu entwickeln, die auf Erkundung und Infragestellung beruhte, eine intuitive Reise in die Geheimnisse, inspiriert von Natur, Musik und dem Universum, mit Verbindungen zu den Wurzeln baskischer Kultur.
Chillida reiste häufig nach Paris, wo er eine enge Beziehung aufbaute zum Künstler, Galeristen, Mäzen und Filmproduzenten Aimé Maeght (2). Im Jahr 1954 (im Alter von 30 Jahren) begann er mit den Türen für die Basilika des Klosters von Arantzazu (Gipuzkoa) mit öffentlichen Aufträgen (3). Mehr als 40 Werke im öffentlichen Raum sind weltweit in verschiedenen Städten zu sehen (Berlin, Barcelona, Sevilla, ...), sie verkörpern Chillidas Gedanken und Versuche zu Raum, Umfang und Architektur und thematisieren universelle Werte wie Toleranz und Freiheit.
Anerkennung
Schon bald erhielt er Anerkennung für seine Arbeit. Im Jahr 1958 wurde er mit dem Graham Foundation Award in Chicago und dem Großen Internationalen Skulpturenpreis der Biennale von Venedig ausgezeichnet. In den folgenden Jahrzehnten gab es immer wieder Auszeichnungen, vom Kandinsky-Preis 1960 bis zum Wilhelm-Lehmbruck-Preis 1966, vom deutschen Kaissering 1985 bis zum Praemium Imperiale in Japan 1991. Im Jahr 1987 erhielt er den Prinz-von-Asturien-Preis für Kunst.
Luis Chillida erzählt, sein Vater "fühlte sich anerkannt, und manchmal schämte er sich sogar ein wenig für die Anerkennung, die er erhielt. Als die Skulptur ‘El peine del viento‘ (Windkamm) 1977 in San Sebastián installiert wurde, war es ihm peinlich, wenn er hinging und die Leute ihn ansprachen, also ging er nur noch in den frühen Morgenstunden, um sich sein Werk ungestört anzusehen und eine Weile zu bleiben".
"Er war anspruchsvoll und sehr methodisch", erinnert sich Sohn Luis. "Er ging gerne zur gleichen Zeit in die Werkstatt, um zu arbeiten und seiner täglichen Routine nachzugehen. Und ständig war er mit Fragen beschäftigt. Im Hintergrund seiner Arbeit existiert ein wichtiger philosophischer Aspekt. Der kommt durch das Material zum Ausdruck und vermittelte Fragen, auf die es in vielen Fällen keine klare Antwort gibt".
Ausstellungen
Chillidas Werke sind in Sammlungen auf der ganzen Welt vertreten und wurden in mehr als 500 Einzelausstellungen gezeigt. 1966 organisierte das Museum of Fine Arts in Houston die erste Retrospektive des damals 42-jährigen Künstlers, der Anfang der 1980er Jahre nacheinander im Guggenheim Museum in New York, im Palacio de Cristal in Madrid und im Museum der Schönen Künste in Bilbao ausstellte – zum ersten Mal im Baskenland. Das Museum Reina Sofía in Madrid und das Guggenheim in Bilbao widmeten Chillida Ende der 1990er Jahre eine umfangreiche Retrospektive. Im aktuellen Jahrhundert waren Chillidas Werke im Jeu de Paume in Paris, in der Eremitage in Sankt Petersburg, in der Stiftung Joan Miró in Barcelona und im Rijksmuseum in Amsterdam zu sehen. (1)
Im September 2000 wurde Chillida Leku (“Leku“ bedeutet auf Baskisch Ort) in Hernani eingeweiht, einem Ort, den der Künstler als Zeichen seiner Identität wählte, um der Öffentlichkeit sein Werk im Dialog mit der Natur zu zeigen. Herzstück des Skulpturenparks ist das Bauernhaus Zabalaga.
Chillida Leku
Der Skulpturenpark besteht aus einem Museumsgebäude und einem Grüngelände von 12 Hektar. Wirtschaftliche Schwierigkeiten und Management-Probleme führten zu einer achtjährigen Schließung von 2011 bis 2019. Das Museum entstand um ein ehemaliges Bauernhaus aus dem Jahr 1543, dem Caserío Zabalaga (Zabalaga-Hof). Chillida und seine Frau entdeckten den Hof als Ruine, kauften ihn 1983 und ließen ihn über Jahre hinweg vom baskischen Architekten Joaquín Montero restaurieren. Im Jahr 2000, noch zu Chillidas Lebzeiten, wurde das Anwesen als Chillida-Leku-Museum eröffnet. (4)
2010 musste das Museum aufgrund von finanziellen Problemen infolge der Finanzkrise für die Öffentlichkeit schließen, die Betreuung der Sammlung und der Leihverkehr für externe museale Ausstellungen der Werke wurden aber fortgesetzt. Nach der Übernahme des Nachlasses des Künstlers 2017 durch eine Schweizer Galerie (5) wurde das zuvor renovierte und erweiterte Museum im April 2019 wieder eröffnet. Dabei wurden die Außenanlagen neugestaltet. Zudem wurde der Skulpturenpark in Nebenbereichen für Skulpturen weiterer Künstler geöffnet. (6)
Chillida Leku begann im Jahr 2000 als "ein Ort zum Arbeiten" und entwickelte sich "ohne eine feste Idee". Chillida schuf "eher einen Ort als ein Museum", ausgehend von seinem Interesse an öffentlichen Werken: "Für ihn musste die Skulptur mit der Umwelt verbunden sein, und hier passte er seine Arbeit an die natürliche Umgebung an, indem er nachdachte und umdachte. Chillida Leku ist ein weiteres Werk meines Vaters". Dieses Zentrum beherbergt nach den Worten der aktuellen Leiterin Mireia Massagué "das größte und repräsentativste Werk" von Chillida, sowie "das Archiv mit seinem dokumentarischen Nachlass". (1)
Im Skulpturenpark sind derzeit etwa 40 Skulpturen Chillidas aufgestellt. Sie zeigen anschaulich seine stilistische Breite: es handelt sich um Arbeiten von einem Meter Höhe wie die Skulptur “Éstella V“ bis zur 27 Tonnen schweren und neun Meter hohen “Buscando la luz“, oder der 60 Tonnen schweren “Lotura XXXII“. Die für die Skulpturen verwendeten Materialien variieren von Cortenstahl und Stein, überwiegend einem rosafarbenen Granit, bis zu Beton. Im Museumsgebäude befinden sich kleinere Skulptur-Arbeiten des Künstlers, erstellt aus unterschiedlichen Materialien wie Alabaster, Terracotta, Gips und Holz. Auch Zeichnungen werden ausgestellt. (4)
In Deutschland ist Chillida durch seine Skulptur vor dem Bundeskanzleramt mit dem Titel “Berlin“ einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Das Gedenken zum zwanzigsten Jahrestag seines Todes (August 2022) fand im Familienkreis statt. Für das Jahr 2024 ist eine größere Gedenkveranstaltung auf dem Museumsgelände geplant.
ANMERKUNGEN:
(1) Information aus: “Veinte años sin Eduardo Chillida, el escultor que peinaba el viento” (20 Jahre ohne Eduardo Chillida: der Bildhauer, der den Wind kämmte), El Español Online, 2022-08-18 (LINK)
(2) Aimé Maeght (1906 Hazebrouck, Frankreich - 1981 in Saint-Laurent-du-Var, war ein Graveur, Lithograf, Kunsthändler, Galerist, Mäzen, Verleger, Filmproduzent und Gründer der Fondation Maeght, die sich der modernen und zeitgenössischen Kunst des 20. Jahrhunderts widmete. (Wikipedia)
(3) “Exkursion Arantzazu-Gipuzkoa / Bergkloster mit Kunstpolemik Reisen“, Baskultur.info, 2014-05-06 (LINK)
(4) Chillida Leku (wikipedia)
(5) Hauser & Wirth ist eine 1992 gegründete Galerie für zeitgenössische Kunst in Zürich, mit weiteren Ausstellungs- und Verkaufsräumen in London und New York und einer Sammlung in Henau im Kanton St. Gallen.
(6) “Neueröffnung Chillida Leku – Chillidas Erbe aus der Schweiz verwaltet“, Baskultur.info, 2017-12-12 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Chillida (elperiodico)
(2) Chillida (elperiodico)
(3) Chillida (elperiodico)
(4) Chillida (wikipedia)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-11-05)