amsel01Minderheitensprachen in Europa

Die baskisch-deutsche Text- und Poesie-Anthologie "Die Stimmen der Amsel" erschien im Oktober 2018 im österreichischen EYE-Verlag, der sich auf Literatur in Minderheiten-Sprachen spezialisiert hat, das zwölfte Buch der Sammlung "Am Herzen Europas", die der österreichische Künstler Gerald Nitsche ins Leben gerufen hat. Das Werk umfasst eine Einführung in baskische Sprache und Kultur, eine Bibliografie der Geschichte des Euskara, eine umfangreiche Textsammlung sowie Biografien der Autorinnen.

Baskisch-deutsche Text- und Poesie-Anthologie "Die Stimmen der Amsel" im österreichischen EYE-Verlag (2018). Literatur in Minderheiten- oder Nicht-Hegemonial-Sprachen. Zwölftes Buch der Sammlung "Am Herzen Europas". Herausgeber: Gerald Nitsche, Koordination und Übersetzung Mikel Babiano.

Diese Neuigkeit einer baskisch-deutschen Text- und Poesie-Anthologie mit dem Titel "Die Stimmen der Amsel" auf dem Buchmarkt würde im Baskenland wahrscheinlich unbemerkt bleiben, wenn nicht Mikel Babiano aus Urretxu (Gipuzkoa) einen großen Anteil an der Entstehung dieses Buches hätte. Er war für die Auswahl der Gedichte verantwortlich (anfangs mit Iñaki Bastarrika) und für die Beschaffung der Übersetzungs- und Veröffentlichungs-Rechte. (1)

amsel02Mikel Babiano (2) hat auch die Bibliografie zusammengestellt und die Biografien der dokumentierten Autor*innen verfasst, viele der abgebildeten Fotos stammen ebenfalls von ihm. Das Buch besteht aus fünf Teilen: einer didaktischen Einführung in die baskische Literatur und Sprache; dem Prolog des Herausgebers Gerald Nitsche (3); einer Gedicht- und Text-Anthologie; der Bibliografie zur baskischen Kultur und Literatur sowie interessanten Internet-Links zur baskischen Kultur und Literatur; und schließlich den Biographien aller in der Anthologie vertretenen Schreiber*innen. Ein Interview aus der Tageszeitung Diario Vasco (Gipuzkoa). (4)

Frage: Wie kam es zu diesem Projekt?

Mikel Babiano: Ich hatte einem Freund des Verlegers Gerald Kurdoglu Nitsche bei der Übersetzung einiger Gedichte ins Baskische geholfen. Der Verleger war auf der Suche nach jemandem für das Projekt einer baskisch-deutschen Gedicht-Anthologie, der Freund empfahl ihm, sich an mich zu wenden. Zu jener Zeit lehrte ich Baskisch und baskische Literatur an der Universität Berlin. Von Anfang an war ich von dem Projekt begeistert und wir machten uns an die Arbeit. In den letzten Jahren haben wir das Projekt vollendet. Mit dem Verleger stehe ich seit Jahren per E-Mail in Kontakt, 2019 haben wir uns persönlich getroffen, um das Buch in Frankfurt bei der Buchmesse vorzustellen. Das Projekt gründet auf dem Enthusiasmus und dem Wunsch des Verlegers Gerald Nitsche, seiner Ansicht nach gibt es viele Vorurteile gegenüber dem Baskischen und der baskischen Kultur.

Frage: Welche Verbreitungsaktivitäten haben Sie bisher durchgeführt?

MB: Die offizielle Präsentation des Buches fand auf der Frankfurter Buchmesse statt. Es war interessant, ich habe viele Verleger getroffen, vor allem österreichische. Ich habe auch andere Stände besucht, unter anderem den des Baskenlandes. Die folgenden Präsentationen fanden in der Bibliothek von Landeck (Tirol, Österreich), einer Buchhandlung in Innsbruck (Hauptstadt von Tirol), einem Kulturzentrum in der Nähe von Innsbruck, dem Kulturzentrum von Plawenn (Südtirol, Italien) und dem Kulturzentrum von Wien. Der Empfang war angenehm und mein Eindruck war überaus positiv. Das Publikum war sehr interessiert und stellte viele Fragen. Im Allgemeinen sprachen wir über Literatur und die baskische Sprache und trugen Gedichte auf Baskisch und Deutsch vor. Ich habe einige der Gedichte gesungen, was mir viel Spaß gemacht hat. Das Buch ist zum Preis von 25 Euro erhältlich.

Frage: Was sind die Merkmale dieses Werks? Inwiefern ist es anders?

MB: Es gibt weitere Anthologien mit baskischen Gedichten (auf Spanisch, Französisch, Italienisch, Englisch). Dies ist jedoch die erste zweisprachige Anthologie in Baskisch und Deutsch. (1) Außerdem ist die Zahl der ins Deutsche übersetzten baskischen Werke nicht sehr groß, etwa 40, meist Romane aus den letzten Jahrzehnten. Insofern ist es eine Ehre, einen Beitrag leisten zu können. Wir haben uns auf Gedichte der zeitgenössischen Literatur in baskischer Sprache konzentriert, fast alle Autoren sind noch am Leben. Wir wollten aber auch das Panorama von Poesie erweitern und uns nicht ausschließlich auf geschriebene Poesie beschränken. So haben wir einige Balladen, populäre Lieder und Wiegenlieder aus dem 16. bis 19. Jahrhundert hinzugefügt.

amsel03Auf diese Weise haben wir auch die lange mündliche Tradition der baskischen Literatur berührt, einschließlich einiger Bertso-Reime (5) von Maialen Lujanbio (6), ohne dabei Gedichte zu vergessen, die für die soziopolitische Realität des 20. Jahrhunderts repräsentativ sind. Weitere wichtige Meilensteine sind die direkte Übersetzung aus dem Baskischen ins Deutsche, die Vielfalt der Autorinnen und Autoren, und die thematische Vielfalt ihrer Texte. Der Titel des Buches "Die Stimmen der Amsel" verweist auf diese Vielfalt und auf die große Präsenz der Vögel in der Geschichte der baskischen Literatur, ob mündlich oder schriftlich. Schließlich ist der besondere Raum hervorzuheben, den schreibende Frauen einnehmen, ein bewusster Versuch, ihrer Literatur und ihren Stimmen Geltung zu verschaffen. Sie sind bis heute weniger bekannt, selbst in unserem engsten Umfeld, es gibt noch viel zu tun. Im Baskenland gibt es viele Frauen, die Gedichte auf Baskisch schreiben, mehr denn je. Das wollten wir in dieser Anthologie widerspiegeln, um sie sichtbar zu machen.

Frage: An wen richtet sich das Buch?

MB: Vor allem an Deutschsprachige, die sich für die baskische Literatur und Kultur interessieren. Es kann aber auch von all jenen gelesen werden, die sich für baskische Literatur interessieren. Und natürlich von Studierenden des Baskischen oder des Deutschen, die beide Sprachen vergleichen und durch sie lernen können.

Zum Buch-Inhalt:

Geschichte, Kultur, Sprache

Der Herausgeber bezeichnet das 2018 erschienene Buch als “das erste, in dem eine so umfassende Gedichtauswahl direkt aus dem Baskischen ins Deutsche übersetzt wurde“ (1). Dabei musste unter den heutzutage vielen baskischen Schreiber*innen eine Auswahl getroffen werden, einzige Voraussetzung: dass die Autor*innen einen Poesieband veröffentlicht haben. Berücksichtigt wurden bekannte und weniger bekannte, sie sollten unterschiedlichen Alters sein und verschiedene Stile vertreten, die Beteiligung von Schreiberinnen hatte Vorrang. Zu finden sind im Band neben Poesie auch Balladen, Volkslieder, Schlaflieder und Bertso-Texte.

Für Nicht-Kenner*innen der baskischen Realität wird erklärt, welche Gebiete zu Euskal Herria gehören, dem historischen Baskenland und wie viele Personen der baskischen Sprache mächtig sind. Das Euskara gilt als “isolierte Sprache“ ohne bekannte Verwandtschaft, seit dem 19. Jahrhundert haben verschiedene Forscher über seinen Ursprung recherchiert (Bähr, Schuchardt, Bouda, Vennemann, Haase). Seit dem Mittelalter haben Besucher Tagebücher und Reisechroniken verfasst und baskische Begriffe aufgeschrieben, Aymeric Picaud, Arnold von Harff, Wilhelm von Humboldt, Victor Hugo, Richard Ford, Kurt Tucholsky, Ernest Hemingway.

Mündlich und schriftlich

Die baskische Sprache hat historisch gesehen zwei Varianten, die mündliche und die schriftliche, wobei erstere deutlich älter ist und in einer Zeit entstand, als die allerwenigsten überhaupt schreiben konnten. Bis zum 19. Jahrhundert wurde wenig aufgeschrieben, entweder wurde es mündlich überliefert oder es ging verloren. Das erste auf Baskisch geschriebene Buch stammt aus dem Jahr 1545 und erschien in Bordeaux. Der Autor Bernat Etxepare schrieb in “Linguae Vasconum Pimitiae“ über nicht idealisierte, natürliche Liebe. Es war ihm bewusst, dass er der erste war, deshalb kommentierte er: “Euskara, jalgi hadi plazara, jalgi hadi mundura“ – Baskisch, geh auf den Platz hinaus, geh in die Welt hinaus“. Heutzutage trägt die dem “Goethe-Institut“ vergleichbare Institution seinen Namen. Wenig verwunderlich ist, dass das erste ins Baskische übersetzte Buch das Neue Testament war, 1571 in La Rochelle erschienen, Joannes Leizarraga hatte es 73 Jahre nach Luthers deutscher Bibel-Version übersetzt.

Seit dem 17. Jahrhundert gab es mehr Leute, die auf Baskisch schrieben, die meisten waren Priester, entsprechend handelte es sich um religiöse Texte, in Dialekt geschrieben und meist in Iparralde veröffentlicht. Einer der ältesten abgedruckten Texte, “Partida tristea Ternuarat“ – Traurige Abfahrt nach Neufundland – handelt von Walfang und der Entbehrung, ein halbes Jahr auf Fangreise verbringen zu müssen und nicht zu wissen, ob es eine Rückkehr gibt. Die Aufklärung beeinflusste die traditionell-katholische Denkweise. Der Anthropologe und Linguist Wilhelm von Humboldt besuchte das Baskenland 1799 und 1801 zwei Mal. Seine Tagebücher und Schriften über das Baskenland erregten im damaligen Europa großes Interesse, viele hörten zum ersten Mal von diesem Volk, das “eigentümliche Sitten hat und eine uralte Sprache spricht“. Beginn einer Legende.

amsel04Aufklärung und Fueros

Aufklärung und französische Revolution schufen den Liberalismus und führten zu einer Reihe von Kriegen. Die napoleonische Invasion auf der iberischen Halbinsel und die Karlistenkriege Mitte des 19. Jahrhunderts. Bei Letzteren ging es um die baskischen Fuero-Sonderrechte, die die baskische Gesellschaft seit der kastilischen Eroberung im Jahr 1200 genossen und die den Liberalen ein Dorn im Auge waren. Die Kriege gingen für die baskischen Traditionalisten ebenso verloren wie die Fueros für Araba, Bizkaia und Gipuzkoa.

Das erste Buch, das eine baskische Frau veröffentlichte, war “Ipui Onac“ (Schöne Geschichten) im Jahre 1804 von Bizenta Mogel. 40 Jahre später erschien die erste Zeitung “Uscal Herrico gaseta“ von Agosti Xaho 1848. Gleichzeitig sahen in jenem Jahrhundert viele Personen Anzeichen dafür, dass die baskische Sprache und Kultur bald aussterben würden. Der Schriftsteller Juan Ignazio Iztueta fasste es zusammen: “Wenn das Baskische ausstirbt, dann werden die Fueros auch nicht weiterleben; aber wenn das Baskische überlebt, dann werden die Fueros wieder in Kraft treten“.

Zum Aussterben kam es vorerst nicht, dafür sorgte nicht zuletzt ein Mann namens Sabino Arana, der für ein neues baskisches Selbstwertgefühl und für eine Renaissance der baskischen Kultur und Sprache sorgte. Er erfand neue Begriffe und eine neue Flagge, die bis heute die offizielle darstellt und gründete gleich noch eine Partei: die Baskisch-Nationalistische Partei EAJ-PNV. Zur baskischen Renaissance gehörte “ein idealisiertes Bild der baskischen Gesellschaft, in der die kräftigen Männer auf dem Land oder beim Fischfang arbeiten und die Mütter auf Haushalt und Kinder achten“. Kritisiert wurde “das Leben in der Großstadt, als sei diese der Untergang der Zivilisation“, Tatsache war, dass die Industrialisierung viele spanische Migrant*innen ins Baskenland zog. Die Städte wuchsen rapide, die Gesellschaft veränderte sich rasant und es gab immer mehr Leute, die lesen und schreiben, jedoch weniger Personen, die Baskisch sprechen konnten.

Als 1918 der Erste Weltkrieg zu Ende war (Iparralde hatte gelitten, Frankreich war am Krieg beteiligt, Spanien neutral geblieben), wurden der Verband für die Förderung der Baskischen Sprache und Kultur (Eusko Ikaskuntza) und die Akademie der Baskischen Sprache (Euskaltzaindia) gegründet, beide existieren bis heute. Sabino Arana und andere wollten das Euskara so makellos wie möglich haben und spanische Lehnwörter durch baskische Neuwörter ersetzen, die Diskussion ist auch aus anderen Ländern bekannt.

Verbot und Zensur

Infolge des Spanienkriegs (der sog. Bürgerkrieg) mussten Tausende Bask*innen ins Exil, es begann eine 40-jährige Diktatur, die die baskische Sprache erneut an den Rand ihrer Existenz führte. Denn Spanisch war alleinige offizielle Sprache, alles was mit Nationalismus und Baskisch zu tun hatte, war bei Strafe verboten. Iparralde wurde zum utopischen Ort, an dem Euskara und die Ikurriña-Flagge erlaubt waren. Einige Autoren publizierten im Exil, andere lebten dort, wie Jon Mirande (1925-1972), Sohn nordbaskischer Paris-Migranten. Er hielt sich weder an Tradition noch an Renaissance und versuchte eine neue Dichtkunst. Seine Themen waren Prostitution, Alkohol, Pädophilie, er “machte eine Reise durch die Nacht und die Seele und wollte von Gott nichts wissen“ – kein Wunder, dass seine Werke in der katholischen Gesellschaft des damaligen Baskenlandes als unmoralisch galten, einige seiner Gedichte wurden erst posthum veröffentlicht. “Die Gedichte von Mirande blieben wie eine Insel in der Geschichte der 1960er, aber sein Einfluss auf Mikel Lasa und Gabriel Aresti ist zu erkennen“.

Auch Aresti (1937-1977) beschäftigte sich “mit Gottes Tod und der Befreiung der Gesellschaft auf symbolische Art und Weise“, sein Werk “Harri eta Herri“ (Stein und Volk) machte ihn zum sozialen Dichter. Für ihn war das Land durch die franquistische Herrschaft “verwüstet und versteinert“, Baskisch hatte keinen Platz, der Zensurapparat war omnipräsent. Die Schreibenden mussten “diskrete Wege finden, um zu sagen, was sie wollten“. Metapher, die die Leser*innen verstehen würden: das Haus als Symbol für die baskische Kultur, der winterliche Weißdorn, der Regen, das graue Wetter. Joxean Artze benutzte für sein Gedicht “Txoria Txori“ die Figur des Vogels, um seinem Drang nach Freiheit Ausdruck zu geben. Durch die Vertonung von Liedermacher Mikel Laboa (1934-2008) wurde daraus das bekannteste baskische Lied, das alle Generationen gemeinsam singen. Trotz Zensur provozierten in den 1960ern einige das Regime, die avantgardistische Theatergruppe Jarrai, oder die Musikgruppe Ez Dok Amairu bedeuteten Hoffnung für die baskische Kultur, Namen wie Xabier Lete, Lourdes Iriondo oder Antton Valverde wurden zu Hoffnungsträger*innen. Auch Jose Luis Alvarez Enparanza “Txillardegi“, der das Ende der Kunstbewegung beschrieb und bei der Gründung von ETA mitwirkte. Neue Verlage wurden gegründet, neue Bücher in baskischer Sprache herausgegeben.

amsel05Batua-Vereinheitlichung

Um eine zukunftsträchtige Literatur zu schaffen, mussten die Euskara-Dialekte (euskalkiak) überwunden und eine einheitliche Sprachversion geschaffen werden: Modernisierer standen Traditionalisten gegenüber. Die Euskaltzaindia-Akademie machte sich an die Arbeit und entwickelte das Batua (Vereinheitlicht), jüngere Schriftsteller wie Bernardo Atxaga oder Koldo Izagirre bedienten sich erfolgreich der neuen Form. Nach dem Tod des Massenmörders (1975) hielt das Batua Einzug in Medien und Schulen und wurde neben Spanisch ko-offiziell, immer mehr Leute lernten Euskara, auch Erwachsene. Atxaga und Izagirre gründeten bereits 1977 “Pott Banda“, eine avantgardistische Literaturgruppe, zu der auch Jon Juaristi, Ruper Ordorika und Joseba Sarrionandia gehörten. Izagirre benutzte zum Schreiben surrealistische Bilder, Sarrionandia verarbeitete seine Folter- und Knast-Erfahrung in einem Buch mit Gedichten und Kurztexten. Beide kämpften gegen eine bürgerliche Literatur.

Frauen schreiben

Seit Anfgang 1970er Jahre begannen immer mehr Frauen, ihre literarischen Spuren zu hinterlassen. Amaia Lasa und Arantxa Urretabizkaia gehörten zu den ersten, gefolgt von Amaia Iturbide, Tere Irastortza, Mari Luz Esteban, Aurelia Kontxa und Jule Goikoetxea, Leire Bilbao und Beatriz Chivite, die alle ihre ersten Gedichtbücher publizierten. “Literatur ist ein Spiegel der Gesellschaft: es gibt fast keine Schriftsteller mehr, die Priester sind, und das Gewicht von Gott und Religion ist aus den Romanen und Gedichten verschwunden. Themen und Schreibweisen sind vielfältiger“ – genau das soll mit dem an dieser Stelle vorgestellten Gedichtband gezeigt werden.

“Heutzutage liest man im Baskenland sowohl Originalbücher als auch Übersetzungen, dabei gibt es zwei interessante Projekte“. Zum einen “Munduko Poesia Kaierak“ vom Susa-Verlag (Welt-Gedicht-Hefte, aus der Originalsprache ins Baskische) (7), bei dem Gedichte aus aller Welt ins Baskische übersetzt werden (aus dem deutschen Sprachraum bislang Paul Celan und Ingeborg Bachmann); zum anderen “Literatura Unibertsaleko Bilduma“ (Universelle Welt-Literatur), mit dem EIZIE, der Verband der Übersetzer, Dolmetscher und Korrektoren (+ innen) des Baskenlandes (mit Hilfe von Etxepare) Welt-Literatur ins Baskische übersetzt (8). Aus deutsch-sprachiger Sicht interessanter ist allerdings die Gedicht- und Text-Sammlung “Basque Poetry – das Portal der baskischen Poesie“ (9). Hier sind, alphabetisch und nach Jahrhunderten geordnet, die relevantesten Schreiberinnen und Schreiber zu finden, mit ein- oder mehrfacher Übersetzung in die deutsche Sprache. Zweifellos umfangreicher als die hier vorgestellte Anthologie – aber eben kein Buch.

Baskisch gibt es nun vom Kindergarten an aufwärts, mittlerweile können die meisten Disziplinen auch an der Universität studiert werden. “Die Zahl der Bücher, die auf Baskisch erscheinen, ist in den letzten Jahren gestiegen. Es waren 41 am Ende der 1970er Jahre und 2.023 (inclusive zweisprachige) im Jahr 2010“. “Harri eta Herri“ (Aresti, 1964) “Etiopia“ (Atxaga, 1978) und “Bitartean heldu eskutik“ (Kirmen Uribe, 2001) gelten als meistverkaufte Bücher der baskischen Poesie.

amsel06Bertsolaritza

Eine Einführung in die Kultur der baskischen Sprache kann nicht enden, ohne auf das Phänomen Bertsolaritza hinzuweisen, eine Form von mündlicher Dichtkunst, die ebenso alt ist wie aktuell. Bei den öffentlichen Vorstellungen erhalten die teilnehmenden Bertsolaris (zwischen zwei und acht) ein bestimmtes Thema, zu dem sie nach kurzer Überlegung spontan Gedichte improvisieren, sogenannte bertsoak. Bei diesem Spontan-Reimen müssen gewisse Regeln beachtet werden, Reime, Silbenzahl, Melodie, gesungen wird vor Publikum. In allen baskischen Provinzen finden Meisterschaften statt (txapelketak), alle vier Jahre die gesamt-baskische. Das Finale zieht tausende von Zuschauer*innen an, die die Sänger*innen live erleben wollen, die Veranstaltung dauert sechs Stunden. Maialen Lujanbio konnte im Jahr 2009 eine alte Männerdomäne durchbrechen und als erste Frau die Txapela gewinnen, die riesige Baskenmütze für die Gewinnerin. Ihren Erfolg wiederholte sie 2017, ihre Bertsos gehören zur vorliegenden Gedicht-Sammlung. Bertsolaritza ist unilaterale baskische Sprach-Kunst – es gibt keine Übersetzung.

Wer ist Mikel Babiano?

Seit 2006 verbindet Mikel Babiano Unterricht mit Übersetzung. Er hat sich der Lehre des Baskischen und der baskischen Literatur gewidmet und war unter anderem an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, der Freien Universität Berlin, der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, der Öffentlichen Universität von Navarra und der Deutschen Schule Donostia tätig. Insgesamt verbrachte er etwas mehr als fünf Jahre in Deutschland, teilweise im Rahmen von Lehraufträgen, die von der baskischen Regierung und dem Etxepare-Institut organisiert wurden. Heute lehrt er an der Universität des Baskenlandes in Vitoria-Gasteiz in den Fachbereichen Übersetzen und Dolmetschen, Englische Philologie und Deutsche Philologie. Er ist spezialisiert auf die Übersetzung von Essays und Literatur, aus der englischen und deutschen Sprache vor allem ins Baskische und Spanische. Mikel Babiano spricht auch andere Sprachen wie Russisch, Französisch, Katalan, Italienisch und beherrscht die Gebärdensprache. (2)

Wer ist Gerald Kurdoğlu Nitsche?

Gerald Kurdoğlu Nitsche (eigentlich Gerald Nitsche, *1941 in Wien) ist ein österreichischer Künstler, der auch als Herausgeber von Büchern mit dem Schwerpunkt Minderheiten-Literatur und als Galerist tätig ist. Er lebt und arbeitet in Graf/Landeck in Österreich. Nitsche ist Maler, Zeichner, Schreiber und Verleger. Seit 1962 machte er zahlreiche Ausstellungen im europäischen Ausland, der Türkei und Japan. Mehrere Auszeichnungen und Preise, 2007 das Bundes-Ehrenzeichen für Kultur. Zur Schule ging Gerald Nitsche in Kärnten, Innsbruck, Tirol und Landeck, bevor er das Bischöfliche Gymnasium Paulinum in Schwaz besuchte. Er studierte an der Universität Innsbruck, Wien und an der Akademie der bildenden Künste Wien und an der Koninklijke Academie van Beeldende Kunsten in Den Haag. 1967 bekam Nitsche ein Diplom für Malerei und Lehramtsprüfung.

Nitsche war als Lehrer tätig, von 1978 bis 1980 und 1993 bis 1999 auch an der österreichischen Schule in Istanbul. Im Jahre 1993 änderte Nitsche aus Protest gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus seinen Namen und nahm als zweiten Vornamen Kurdoğlu an. 1990 gab er “Österreichische Lyrik – und kein Wort Deutsch, Anthologie der Wenigerheiten“, heraus und 1996 das erste interkulturelle Deutsch-Lesebuch "Brücken" beim Österreichischen Bundesverlag. Im gleichen Jahr gründete Nitsche den EYE-Verlag und veröffentlichte “Literatur der europäischen Wenigerheiten“: Juden, Jenischen, Roma und Sinti, der “Gastarbeiter“, der Kurden, Armenier und Basken. Nitsches künstlerische Werke waren seit 1962 in mehr als 250 Ausstellungen zu sehen, darunter zahlreiche Ausstellungen in Italien, Deutschland, Frankreich, Japan, Bosnien, Türkei, der Schweiz und Österreich. (3)

amsel07Weitere Übersetzungen

Bereits im Jahr 1995 gab der Pamiela-Verlag eine Anthologie deutscher Schriftsteller*innen heraus: “Ezabatuak – Idazle alemanak“ (die  Ausgelöschten – Deutsche Schriftsteller*innen) von Eduardo Gil Bera als Herausgeber. Im Gegensatz zu “Die Stimmen der Amsel“ handelt es sich um Übersetzungen von Deutsch nach Euskara. Enthalten sind Gedichte von Else Lasker-Schüler, Ivan Goll, Claire Goll, Paula Ludwig, Ernst Toller, Armin T. Wegner, Albert Ehrenstein, Walter Mehring, Klabund, Erich Mühsam, Ferdinand Hardekopf, Max Herrmann-Neisse. Das Vorwort ist in Euskara, das Buch richtet sich also an ein baskisches Publikum, es ist nicht mehr lieferbar. (*) Im Jahr 2011 publizierte die Übersetzungsgruppe EuskAlema den Gedichtband “Poema Hautatuak – Ausgewählte Gedichte“ von Bertold Brecht und Gabriel Aresti, mit einem ausführlichen zweisprachigen Vorwort, das folgerichtig sowohl deutsches wie baskisches Publikum anspricht. Auch dieses Werk ist nicht mehr lieferbar.

Buchvorstellung Bilbo

Am 10. November 2021 wird / wurde die beschriebene baskisch-deutsche Poesie-Anthologie “Die Stimmen der Amsel“ von Mikel Babiano in Bilbao vorgestellt, zum ersten Mal in Euskal Herria. Die Veranstaltung wurde organisiert vom baskisch-deutschen Kulturverein BASKALE im Kulturcafé BIRA. (10)

ANMERKUNGEN:

(1) Die Stimmen der Amsel, Anthologie baskischer Literatur. Serie: Am Herzen Europas 12. EYE-Literatur-Verlag der Wenigerheiten, Landeck, Tirol, Österreich. Hrg: Gerald Nitsche, Koordinator: Mikel Babiano Lopez de Sabando. Alle Zitate stammen aus dieser Publikation. (LINK)

(2) “Professor tras cinco años en Alemania“ (Professor an der UPV nach mehr als fünf Jahren in Deutschland) Tageszeitung Diario Vasco, 2019-11-09 (LINK)

(3) Gerald Kurdoğlu Nitsche, Wikipedia (LINK)

(4) “Mikel Babiano: Existen más antologías de poemas vascos, pero es la primera en euskera y alemán“ (MB: Es gibt mehr baskische Gedicht-Anthologien, aber dies ist die erste auf Baskisch und Deutsch), Tageszeitung Diario Vasco, 2019-11-09 (LINK)

(5) Bertsolarismo (span), Bertsolaritza (bask): Die Kunst des improvisierten Gesangs in Versen, um sich zu unterhalten oder eine Aussage zu machen, in Reimform und mit einer festgelegten Metrik. Bertsolaritza ist eine populäre kulturelle Ausdrucksform, die im gesamten Baskenland eine große Tradition hat; er war schon vor der Verschriftlichung des Baskischen vorhanden, da er aus der spontanen mündlichen Literatur hervorgegangen ist. Es handelt sich um eine Kunstform, die mit dem irischen Sean-nós, der Payada des amerikanischen Südkegels, dem Trovo der Alpujarras und dem kubanischen Repentismo verwandt ist. Diese Art der "dialektischen Diskussion" entspricht einem Muster, das in einer Vielzahl von Kulturen zu finden ist und zur asiatischen Tradition, zur griechischen und römischen Kultur sowie zur Geschichte des muslimischen Mittelmeerraums gehört. (LINK)

(6) Maialen Lujanbio (1976), Bertsolari aus Hernani, Gipuzkoa. Gewinnerin der gesamt-baskischen Meisterschaft 1009 und 2017. (LINK)

(7) Susa-Verlag: “Munduko Poesia Kaierak“, Welt-Gedicht-Hefte, aus der Originalsprache ins Baskische (LINK)

(8) “Literatura Unibertsaleko Bilduma“, Universelle Welt-Literatur, EIZIE, Verband der Übersetzer, Dolmetscher und Korrektoren des Baskenlandes (LINK)

(9) “Basque Poetry – das Portal der baskischen Poesie (LINK)

(10) Buchvorstellung Bilbao, baskisch-deutscher Kulturverein Baskale (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Anthologie-Buchtitel

(2) Mikel Babiano (M.B.)

(3) Gerald Kurdoglu Nitsche (prutz)

(4) Anthologie-Buchtitel

(5) Basque Poetry

(6) Anthologien (FAT)

(7) Maialen Lujanbio (wikipedia)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-10-26)

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