Miserable Arbeitsverträge im Tourismus
Bei der Zunahme von Beschäftigung im Bereich Tourismus ist das Baskenland führend. Zweifelhaft hingegen ist die Qualität von Bedingungen und Verträgen. Der Sektor Tourismus in der Autonomen Gemeinschaft Baskenland (auch CAV oder Euskadi genannt) beschäftigt 120.000 Personen, das sind 26% mehr als im vergangenen Jahr. Das Hotel- und Gaststättengewerbe macht hierbei den Großteil aus. Doch Quantität der Arbeitsverhältnisse kann – wie so oft – der Qualität derselben nicht das Wasser reichen.
Es liegt fast in der Natur der Sache, dass der saisonbedingte Arbeitsmarkt Zeitverträge mit miesen Arbeitsbedingungen zu Tage fördert. Eine Tendenz, die aber leider insgesamt auf dem Arbeitsmarkt zu verzeichnen ist: weniger als 10% Festverträge insgesamt.
Tourismus: Baskenland führend
Euskadi und Rioja sind jene autonomen Regionen (im spanischen Staat), die im zweiten Quartal 2019 die größte Steigerung bei der Beschäftigung im Tourismus-Bereich verzeichneten. Im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2018 sind es 26% mehr Beschäftigte, laut einer Umfrage, die veröffentlicht wurde von Turespaña, dem für Tourismus-Werbung verantwortlichen staatlichen Organismus. Der Tourismus-Sektor beschäftigte in Euskadi 120.313 Personen, von denen 94.642 abhängig Beschäftigte waren und 25.671 Kleinunternehmer (im Baskenland Autonomos genannt). In beiden Bereichen waren Zuwächse zu verzeichnen.
Auf staatlicher Ebene nahm die Beschäftigung im Tourismus-Bereich im zweiten Quartal lediglich um 1,5% zu und erreichte die Ziffer von 2,69 Millionen Beschäftigten. Das sind 39.538 mehr als im Vergleichszeitraum 2018. Diese Zahl bedeutet eine historische Rekordbeschäftigung, sie liegt um 75.000 Arbeitsstellen über dem Niveau vor der Wirtschaftskrise im Jahr 2007.
Der Tourismus-Sektor macht 13,6% der staatlichen Gesamt-Beschäftigung aus, die Arbeitslosigkeit im Sektor liegt bei 11,1%, was die niedrigste Quote für ein zweites Quartal seit 2009 bedeutet. Damit unterschreitet die Arbeitslosigkeit im Tourismus-Sektor die Ziffer der Gesamt-Arbeitslosigkeit um 2,9%, in staatlichen Schnitt liegt sie bei 14%.
Staatliche Beschäftigung
Im zweiten Quartal 2019 nahm die Zahl der Beschäftigten im Staat im Vergleich zu 2018 um 461.000 zu – fast eine halbe Million! Doch über die Dauer der Arbeitsverhältnisse und die Arbeitsbedingungen werden geflissentlich keine Angaben gemacht. 8,6% davon sind dem Tourismus zugeordnet, insbesondere für den Transport von Reisenden, so die Statistik. Im Hotel- und Gaststätten-Gewerbe hingegen wurden leichte Rückgänge verzeichnet. Die Studie spricht von einer Zunahme der Festverträge (67,2%) und einer Abnahme der Temporal-Verträge (-4,6%) –diese Angabe darf getrost bezweifelt werden, denn im ganzen Land kommen unter den Neuverträgen die unbefristeten Verträge auf nicht einmal 10%. Und das schon seit einiger Zeit. (1)
Arbeitsmarkt: 5% Festverträge
Von dieser für die Beschäftigten äußerst negativen Entwicklung berichtet ein zweiter Artikel aus derselben Tageszeitung (2): nur 5% der Neueingestellten erhielten in der letzten 10 Jahren direkt einen Festvertrag. 75,51% der Verträge des ersten Quartals 2019 sind eine “Aneinanderreihung von Zeitverträgen“. Das Hotel- und Gaststätten-Gewerbe zeichnet sich durch eine besonders hohe Prekarität und arbeitstechnische Unsicherheit aus.
Nach Angaben der kleinen baskischen Gewerkschaft LSB-USO erhielt mehr als die Hälfte der Neubeschäftigten der vergangenen 10 Jahre einen Zeitvertrag, nur 5,39% der neueingestellten Baskinnen und Basken erhielten direkt einen unbegrenzten Festvertrag. Die Festeinstellung, so die Kritik, nimmt auf allen Ebenen ab.
Die Studie der christlichen Gewerkschaft trägt den Titel “Anomalien unseres Arbeitsmarktes“, sie wurde von der Statistik-Abteilung der Gewerkschaft angefertigt und kürzlich der Öffentlichkeit vorgestellt. Danach wurden von den 471.094 Neuverträgen mehr als 75% als limitierte “Werks- oder Dienst-Verträge“ definiert oder als “Produktions-Aushilfen“. Für viele Personen reiht sich ein Zeitvertrag an den nächsten, die Gewerkschaft spricht deshalb von einer “Aneinanderreihung von Zeitbegrenzungen, die die Arbeitsverhältnisse unsicher gestalten“
In den vergangenen 10 Jahren stieg die Zahl der Beschäftigten zwar um 1.068.400, doch mehr als die Hälfte davon gelangte nur über Zeitverträge auf den Arbeitsmarkt, die Ziffer der Festbeschäftigten sank insgesamt um 2%. Die Tendenz ist klar: neue Verträge werden im Vergleich zu 2018 immer seltener unbefristet angeboten. Mehr noch: um die 30% der Zeitverträge laufen weniger als eine Woche! Das erklärt auch die hohe Zahl von mehr als einer Million Neubeschäftigten. Denn viele Arbeitsstellen werden nacheinander von verschiedenen Personen ausgefüllt, oder von denselben Personen mit einem neuen Vertrag. So verheimlichen die Statistiken die fatale Realität der Arbeitsverhältnisse. Im Zeitraum Juni-Juli sank der Anteil der Festverträge um 14%, dank Tourismus, Gastronomie und Hotelgewerbe.
Nach Ansicht der Gewerkschaft hat die wirtschaftliche Entwicklung bereits im vergangenen Jahr 2018 ihren Höhepunkt erreicht und befindet sich nun wieder im Niedergang. Für die ersten beiden Quartale liegt der Anteil der Festverträge bei 9,67%. Diese Ziffer sinkt sogar auf nur 6,29%, wenn ausschließlich die Neuverträge gezählt werden und nicht die Verträge, die von befristet zu unbefristet umdefiniert werden.
Millionen Jobs – nicht ausreichend zum Leben
“Wenn die Arbeitslosigkeit in Minischritten zurückgeht und pro Jahr 20 Millionen Jobs angeboten werden, hat das zur Konsequenz, dass viele Arbeitnehmer*innen in dauerhafter Prekarität leben, das ist absehbar“, sagte die Gewerkschaftssprecherin.
In der Studie ist zu lesen, dass es 2010 im spanischen Staat fast 12 Millionen feste Arbeitsverträge gab, gleichzeitig gab es 4 Millionen Menschen mit einem oder mehreren Zeitverträgen. Neun Jahre später “ist die Zahl der Arbeitsplätze um eine Million gestiegen, doch mehr als 50% davon sind Zeitverträge“.
Was die Dauer der Zeitverträge betrifft, kommt die Gewerkschaft zur folgender Feststellung: 27,5% aller Verträge, oder 30,5% aller Zeitverträge dauern weniger als eine Woche. “Dazu wird die Formel von Montag bis Freitag benutzt, um die Bezahlung der wöchentlichen Ruhetage einzusparen, die eigentlich aus den fünf Arbeitstagen resultieren. Das Arbeitsverhältnis beginnt dann erneut am Montag. Das erklärt, weshalb es trotz so vieler Verträge nur eine Million mehr Beschäftigte gibt“.
An die öffentliche Verwaltung gerichtet
Von der öffentlichen Verwaltung fordert die Gewerkschaft deshalb, bei der Arbeitsinspektion schärfere Kontrollen einzuführen und sich auf die Unregelmäßigkeiten zu konzentrieren, um zu zeigen, dass die Zeitbegrenzung der Verträge “aus betrieblichen Gründen und aus Gründen der Produktion“ nicht gerechtfertigt sind. Die Standard-Verträge sollen dafür vereinfacht werden, um “Werkverträgen und Serviceverträgen“ die Grundlage zu entziehen, denn dieses Konzept ist ein Dschungel zugunsten limitierter Verträge“. Befristete Anstellungen und insbesondere ihr Missbrauch sollten unter Strafe gestellt werden. “Die Rechtfertigung für Zeitverträge muss strenger kontrolliert werden“. (2)
Arbeitsbedingungen im städtischen Radverleih
Nicht nur private Unternehmer nutzen die Hintertüren der Privatisierung, der deregulierenden “Arbeitsmarkt-Reformen“ und der daraus folgenden prekären Arbeitsverhältnisse. Auch die öffentliche Verwaltung scheut vor solchen Machenschaften nicht zurück. Jüngstes Beispiel ist BilbaoBizi, der Service kostenloser Fahrräder mit Hilfsantrieb, mit dem die Stadt Bilbao große Propaganda betreibt. (3)
Um den (fast) kostenlosen Räder-Verleih in Gang zu setzen hätte die Stadtverwaltung eine eigene Abteilung eröffnen und Leute einstellen können. Stattdessen wurde ein Subunternehmen mit dem Service beauftragt, in diesem Fall NextBike. Die dort Beschäftigten erzählen, dass das Unternehmen wegen der großen Nachfrage nach Rädern von Beginn an völlig überfordert war. Bereits 2018 war es zu Beschwerden von Seiten der Nutzerinnen gekommen, weil es zu wenige funktionierende Räder gab und diese teilweise in schlechtem Zustand waren – Grund: Arbeitsüberlastung.
Unterstützt von der linken Gewerkschaft LAB haben die Beschäftigten dieser Dienstleistung nun begonnen, auf ihre miserablen Arbeitsbedingungen öffentlich aufmerksam zu machen. “Das Team ist vom anfallenden Arbeitsaufwand komplett überfordert, zudem werden die geltenden Tarifverträge nicht angewandt. Die Löhne reichen nicht an die 1000 Euro, die Belegschaft ist viel zu klein, um den Anforderungen der notwendigen Arbeit gerecht zu werden. Die Räder müssen gewartet und in höchster Eile an ihre Standorte zurückgebracht werden, um den Vertrag mit dem Rathaus zu erfüllen, der eine bestimmte Anzahl verfügbarer Räder auf den Straßen garantiert. Deshalb greift das Subunternehmen auf Leiharbeiter zurück, um punktuelle Engpässe zu überwinden. Gleichzeitig haben die meisten der Sub-Beschäftigten keinen vollen Job und werden zu vielen Überstunden gezwungen“. Als Folge dieser Stress-Situation kam es bereits zu einem Unfall.
Die entstandene Situation ist aus der Sicht der Beschäftigten nicht länger erträglich. Sie machen nicht nur das eigene Unternehmen für die Lage verantwortlich, sondern auch die Stadtverwaltung Bilbao, die die billigste aller Varianten für den Räder-Service gewählt hat. Seit Monaten verhandelt die Belegschaft mit dem Subunternehmen, das Rathaus schaut weg. Für Mitte August wurde nun zu einer Protest-Kundgebung aufgerufen – die Rad-Nutzer*innen wurden zu Solidarität und Unterstützung aufgerufen. “Wir brauchen gute öffentliche Angebote und würdige Arbeitsbedingungen“. (3)
Nachrichten wie die eben zitierte sind praktisch täglich in den lokalen Tageszeitungen zu lesen, nicht nur in kritischen Beiträgen und Medien. Dabei handelt es sich einerseits um multinationale Konzerne, die solcherart Missbrauch betreiben. Gleichzeitig aber auch um die postmodernen Dienstleister, die ihre Leute mit Pizzas und mittlerweile Waren aller Art auf die urbane Piste schicken, immer in höchster Eile – Telepizza, Amazon, Globo, Deliveroo und ständig neue Unternehmen aus einer atomisierenden Dienstleister-Gesellschaft.
ANMERKUNGEN:
(1) “Euskadi encabeza el avance del empleo ligado al turismo”, Tageszeitung Deia 2019-08-07 (Euskadi führend beim Anstieg von Beschäftigung im Zusammenhang mit dem Tourismus) (LINK)
(2) Artikel “Mercado laboral: 5% de contratos fijos” (Arbeitsmarkt: 5% Festverträge) Tageszeitung Deia, 2019-08-06 (LINK)
(3) “Los trabajadores de BilbaoBizi denuncian precarias situaciones laborales” (Die Beschäftigten von BilbaoBizi beklagen ihre Arbeitsbedingungen) Tageszeitung Gara, 2019-08-07 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Kellnerin (eleconomista)
(2) Gastronomie (hogapage)
(3) Dienstleistung (youtube)
(4) Kellner (period.mediterr.)
(5) Hotel (clusterturismogalicia)
(6) Hotel (elpais)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2019-08-11)