Ukraine und baskische Rüstungsindustrie
Die baskische Rüstungs-Industrie bereitet sich auf einen großen Aufschwung vor, aufgrund des Krieges in der Ukraine. Die russische Invasion hat bei der Zentralregierung zur Selbst-Verpflichtung geführt, den Verteidigungs-Haushalt auf 2% des Brutto-Inlands-Produkts zu erhöhen. Eine Chance für den Rüstungs-Sektor – ein Rückschlag für Bemühungen um politische Entspannung. Wie werden die Gewerkschaften reagieren? Mit Freude über sichere Arbeitsplätze? Oder mit Kritik an Kriegs- und Rüstungspolitik?
Wo Krieg ist gewinnen und verlieren Staaten und ihre Armeen. Wer immer gewinnt sind die Rüstungs-Industrien, die alle technologischen Fortschritte in die Waagschale werfen, um noch besser und moderner zu töten und zu vernichten.
Könnte der Westen einen hypothetischen Dritten Weltkrieg gewinnen? Diese Frage stellen sich viele nach dem Einmarsch in der Ukraine, und die Antwort ist nicht immer positiv. "Russland hat Grund, uns zu fürchten, aber unsere Verteidigung weist viele Mängel auf", so spanische Militärs, die namentlich nicht genannt werden wollen. Sowohl in der NATO als auch in der EU wird auf diese angeblichen “Schwächen“ hingewiesen, die unter anderem auf die kontinuierliche Verringerung der Militärausgaben zurückzuführen sind. Nach Angaben der Weltbank brachte der spanische Staat zwischen 1983 und 1985 ganze 3% des Brutto-Inlands-Produkts für “Rüstung und Verteidigung“ auf, während das Budget bis 2020 auf 1,4% sank. Eurostat spricht sogar von weniger als 1%, drei Zehntel weniger als der Durchschnitt der Europäischen Union. (1)
Der Krieg in der Ukraine hat allen Rüstungsagenten und Militaristen beste Argumente frei Haus geliefert, endlich wieder in die Spirale eines Wettrüstens einzutreten und kräftig Geld auszugeben und Geld zu machen. Die NATO hat sich ein Ziel von 2% Militärausgaben des BIP gesetzt und der spanische Ministerpräsident Sánchez hat sich verpflichtet, dieses Ziel anzupeilen. Im konservativsten Szenario würde dies eine Erhöhung des Militärhaushalts um 0,6% des BIP oder 7,2 Milliarden Euro bedeuten. Dies ist eine hervorragende Nachricht für die boomende baskische Rüstungs-Industrie, die aus mehr als zwanzig Unternehmen besteht, darunter wichtige Namen wie ITP Aero, Sapa und Expal. Auf staatlicher Ebene beträgt der Anteil baskischer Waffen-Unternehmen etwa 15% des Gesamtvolumens des Sektors, während der Anteil der Autonomen Region Baskenland (Euskadi) am spanischen BIP nur 5,93% beträgt. Die Region ist also überdurchschnittlich mit Rüstungs-Industrie ausgestattet und verdient gutes Geld an jedem Konflikt weltweit, ob in der Ukraine, in Afghanistan oder im Jemen.
Die Zahlen
6,1 Milliarden Euro beträgt der Umsatz der Rüstungs-Industrie im spanischen Staat. 81% der Rüstungsgüter aus diesem Staat werden ins Ausland verkauft. Das Land ist weltweit der siebtgrößte Exporteur.
Nach Angaben des Verteidigungs-Ministeriums stellen mehr als 370 Unternehmen Produkte und Dienstleistungen für eine Tätigkeit in Rechnung, deren Umsatz 6,1 Milliarden Euro übersteigt, 81% aus dem Export. Von diesem Industriesektor hängen 21.000 direkte und 30.000 indirekte Arbeitsplätze ab. KPMG, das globale Netzwerk unabhängiger Firmen zur Unternehmens- und Management-Beratung (2), schätzt jedoch, dass die Unternehmen des Sektors im Jahr 2020 aufgrund der Covid-Krise 19% ihres Umsatzes verloren.
Krieg kurbelt Konjunktur an
Nun könnte der Krieg in der Ukraine die Situation umkehren, denn er hat die römische Maxime "Si vis pacen, para bellum" ("Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor") wieder ins Bewusstsein gerückt und zur kapitalistischen Parole gemacht. "Die Invasion hat die Wahrnehmung der Bevölkerung verändert, die nun deutlicher die Notwendigkeit sieht, auf militärische Entwicklung zu setzen und die Eigenproduktion in der Verteidigungs-Technologie zu stärken“, analysiert Ricardo Martí Fluxá, Präsident des Verbandes der Rüstungs-Unternehmen TEDAE, ehemals Präsident des baskischen Unternehmens ITP Aero und ehemaliger Staatssekretär für Sicherheit. "Wir brauchen Haushalts-Stabilität und einen umfassenden politischen Konsens, um die Rüstungs-Industrie (euphemistisch Verteidigungsindustrie benannt) nicht länger in Frage zu stellen". Die Profite aus der Rüstungs-Produktion sollen gesichert werden, dafür sind zerschossene Wohnblocks und Leichen auf den Straßen von Mariupol und Jarkov die beste Reklame. Wer vom Krieg profitieren will, setzt nicht auf Entspannung und Ausgleich, sondern auf Provokation. Die empathische Anteilnahme großer Mehrheiten der europäischen Bevölkerung wird zur Basis der Akzeptanz, dass Aufrüstung unverzichtbar sei.
Hochmoderne Systeme
"Es würde ausreichen, 2% des BIP auszugeben", sagt Fluxá. Juan Tomás Hernani, der Geschäftsführer von Satlantis in Bizkaia (ein Unternehmen, das kleine Satelliten für die NASA baut), hält dies jedoch für zu wenig: "Die Zahlen haben einen Haken, denn Ausgaben und Kredite werden addiert. Langfristige Verpflichtungen lassen also nur wenig Spielraum für Ausgaben". Der Satlantis-Geschäftsführer, der das Nemo-Projekt mit Kleinsatelliten für die Küstenüberwachung leitet, räumt ein, dass "wenn Russland eine Armee mit einer Million Soldaten und einem BIP ähnlich dem Spaniens hat, dann deshalb, weil wir Schulen und Krankenhäuser haben". In dieser Behauptung steckt eine forsche Lüge, das BIP von Russland und Spanien auf eine Stufe zu stellen ist mehr als frech. Die Absicht dahinter ist, die öffentliche Meinung zu manipulieren. In diesem Sinne folgt seine Schlussfolgerung: “dass wir aus diesem Grund mit Bedacht ausgeben müssen" – gemeint sind nicht Rüstungsausgaben, sondern solche für Krankenhäuser und Schulen (die es in Russland angeblich nicht gibt).
Interessenkonflikte
Doch hier prallen die Ansichten von Militär und Industrie aufeinander. Erstere fordern "eine ausgewogene Reihe von Betriebssystemen" und "eine einheimische Entwicklung dieser Systeme, um zu verhindern, dass sie in die Hände der Vereinigten Staaten fallen". Das heißt, dass die modernsten Systeme nicht unter Ausschluss der übrigen beschafft werden sollten. "Operative Kriterien sollten Vorrang vor geschäftlichen Kriterien haben", so die Sichtweise der Militärs.
Die Industrie konzentriert sich auf langfristige Projekte, aber es werden sofortige Fähigkeiten benötigt. Satlantis setzt sich für die Homogenisierung der Armeen auf dem Weg zu einer europäischen Armee ein, hält aber die Entwicklung moderner Systeme und Produkte für eine gute Sache. "Wir müssen herausfinden, wo wir konkurrenzfähig sind und wo nicht. In der Kleinsatelliten-Technik zum Beispiel sind wir ganz vorne mit dabei", sagt er.
TEDAE-Rüstungs-Präsident Fluxá stimmt zu, dass "Investitionen in Forschung und Entwicklung effizienter sind, wenn der Bedarf klar ist". Er verweist auf Erfolge wie das Kampfflugzeug Eurofighter – auf das das künftige FCAS-Projekt folgen wird – oder den A400M-Militärtransporter in der Luftfahrt und das gepanzerte Fahrzeug 8x8 am Boden. Und er glaubt, dass es notwendig ist, Fortschritte bei der kryptografischen Sicherheit und der Digitalisierung zu machen. Er behauptet, dass der Sektor "krisensichere Arbeitsplätze schafft" und erinnert uns daran, dass seine Technologie dualen Charakter aufweist: die für militärische Zwecke entwickelte Technologie findet auch im zivilen Bereich Anwendung. Die Gewerkschaften werden sich freuen.
Die Starprojekte der baskischen Rüstungsindustrie
Das Unternehmen Egile in der baskischen Provinz Gipuzkoa ist ein gutes Beispiel. Es stellt Teile für Hubschrauber und Flugzeuge her. Einige fliegen mit Tarnfarbe, andere mit einem roten Kreuz auf weißem Grund. "Wir wissen nicht, wofür sie verwendet werden. Aber es stimmt, dass eine Erhöhung des Verteidigungs-Budgets von Vorteil sein könnte, weil mehr Teile für neue Flugzeuge und Ersatzteile für andere benötigt werden, die mehr fliegen", erklärt der kaufmännische Direktor von Egile, Philippe Roulet, wo nur ein kleiner Teil des Umsatzes aus Verteidigungs-Projekten stammt. "Wenn das Budget erhöht wird, könnte dies den Rückgang bei den VIP-Hubschraubern ausgleichen", fügt er hinzu, geht jedoch davon aus, dass die Auswirkungen "in ein oder zwei Jahren" zu spüren sein werden.
Die Rüstungs-Abteilung von Sener ist der gleichen Meinung. "In dieser Branche ist der Fortschritt immer langsam. Nicht nur wegen ihrer Komplexität, sondern auch wegen der hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung. Deshalb kann eine Aufstockung des Budgets eine langfristige Wirkung haben", sagt Geschäftsführer Orbe. Er sieht jedoch einige Unternehmen, die früher profitieren könnten, insbesondere solche, die Munition herstellen. "Das geschah mit den Instalanza-Granatwerfern", sagt er und bezieht sich auf die C90, die Spanien der ukrainischen Armee zur Bekämpfung russischer Panzerfahrzeuge zur Verfügung gestellt hat. Baskisches Kriegsgut im aktuellen Krieg.
Neuer Kalter Krieg
In der Ukraine stehen sich die beiden großen Blöcke gegenüber, in die die globale Geopolitik heute geteilt ist. "Im Bereich der Verteidigung befinden wir uns in einem neuen Kalten Krieg", sagt Hernani von Satlantis. Deshalb hat das Unternehmen beschlossen, "die westliche Seite" zu beliefern. Technologie-Lieferungen an China "wären völlig unvereinbar", fügt er hinzu und weist darauf hin, dass China den Vorteil hat, dass seine Machthaber Fünfjahrespläne ohne Widerstand aufstellen können.
Aus diesem Grund schlägt Fluxá (TEDAE-Rüstung) eine engere öffentlich-private Zusammenarbeit vor und lobt die Unterstützung, die die baskische Regierung der Rüstungs-Industrie zuteil werden lässt. Hernani (Satlantis) ist der gleichen Meinung und weist darauf hin, dass "man nicht nach Likes regieren kann, sondern die Interessen und Bedürfnisse des Landes berücksichtigt werden müssen". Sie alle betonen die Notwendigkeit, sich der technologischen Eigenständigkeit anzunähern und deren Notwendigkeit gut zu erklären, um das Stigma zu beseitigen, das dem Sektor anhaftet. Sicher nicht ohne Grund.
"Wir haben einen Traum von unblutigen Kriegen gelebt, was dem Wesen des Krieges widerspricht, der gewalttätig und zerstörerisch ist. Jetzt sehen wir, dass der Krieg nahe ist und dass wir uns schützen müssen", betonen Militärquellen.
ANMERKUNGEN:
(1) Zahlen, Namen und Zitate aus: “La industria vasca de armamento se prepara para un importante auge por la guerra de Ucrania” (Die baskische Waffenindustrie bereitet sich auf einen großen Boom aufgrund des Krieges in der Ukraine vor), Tageszeitung El Correo, 2022-04-03 (LINK)
(2) KPMG International ist ein globales Netzwerk rechtlich selbständiger und unabhängiger Unternehmen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung, Rechtsberatung und Unternehmens- bzw. Managementberatung mit Sitz in London und operativer Hauptzentrale in Amstelveen. Das Kürzel setzt sich zusammen aus den Namen der Gründer: Klynveld, Peat, MArwick,Goerdeler. (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Rüstung (elcorreo)
(2) Rüstungsprofit (diariosolidario)
(3) Waffen (elpais)
(4) Feministischer Protest (ecuador etxea)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-04-03)