40 Jahre Antifaschismus
"Weder der spanische Staat noch die Eliten haben Angst vor der extremen Rechten" – so der Journalist Miquel Ramos (Valencia, 1979). In seiner Arbeit hat er sich auf die extreme Rechte und soziale Bewegungen spezialisiert, schreibt regelmäßig für verschiedene Medien und Fernseh-Kanäle. Jetzt hat er ein Buch veröffentlicht mit dem Titel "Antifaschisten. So wurde die Ultrarechte seit den 1990er Jahren bekämpft". Das Buch ist eine Geschichte des Antifaschismus "von innen erzählt und nachgezeichnet".
In seinem Werk "Antifaschisten. So wurde die Ultrarechte seit den 1990er Jahren bekämpft" beschreibt Miquel Ramos die Entwicklung der extremen Rechten in den letzten vierzig Jahren, um zu erklären, womit die antifaschistische Bewegung und die Gesellschaft im Allgemeinen konfrontiert sind.
Das im Kulturzentrum Katakrack (Iruñea-Pamplona) geführte und in der baskischen Tageszeitung Gara publizierte Interview mit dem valencianischen Journalisten Miquel Ramos beginnt mit dem Tod des 22-jährigen Antifaschisten Guillem Agulló. Er wurde am 11. April 1993 in Montanejos (Valencia) von Neonazis erstochen. In der Region lösten dieser Mord und seine skandalöse juristische Aufarbeitung eine starke Betroffenheit aus. Zum Interview: (1)
Der Tod von Guillem Agulló hat in einer neuen Generation junger Menschen, die sich für Politik zu interessieren beginnen, Reaktionen ausgelöst. Was hat dieser Tod bei Ihnen bewirkt?
Der Tod von Guillem Agulló (2) traf mich hart und ging mir nahe. Erstens, weil Valencia klein ist und wir alle uns aus den linken regionalistischen Kreisen Valencias kannten. Auch weil eine der Personen, die Guillem an diesem Abend begleiteten, eine Schulfreundin war. Es war ein traumatisches Ereignis, das in der gesamten valencianischen Gesellschaft seinen Widerhall fand. Es hatte bereits eine Reihe von Hassverbrechen der extremen Rechten gegeben, von Leuten, die nicht mehr aus der Zeit des Franco-Regimes und der Transition (des “demokratischen Übergangs“) stammten, sondern eine neue Ultrarechte darstellten, die sich der Jagd auf Menschen verschrieben hatte. Der Tod von Guillem zeigte, dass nicht mehr nur schwache Menschen angegriffen wurden, wie Sonia, eine transsexuelle Frau, die auf der Straße lebte, oder Lucrecia, eine schwarze Migrantin, die in einem verlassenen Haus wohnte. Es ging gegen einen jungen Mann, einen engagierten Linken und Antifaschisten wie Guillem. Jeder von uns hätte der Nächste sein können. (1)
Von Franco-Nostalgikern über Vox bis hin zu den Skinheads: Wie hat sich die extreme Rechte von der Transition bis heute verändert? (3)
In Spanien läuft die extreme Rechte immer hinterher. Die ehemaligen Franco-Minister wurden nach dem Ende des Regimes – durch Gottes Gnaden – zu den “Architekten“ der Demokratie. Dann kam die Zeit, in der Spanien Europa immer ähnlicher wurde und neofaschistische Parteien auftauchten, die sich nicht streng auf Faschismus und Nationalsozialismus bezogen, sondern sich “demokratische“ Diskurse und Namen wie “Nationale Demokratie“ zulegten. Doch waren es dieselben wie jene, die in den 1980er und 1990er Jahren aus Nazigruppen hervorgegangenen waren. Sie begannen, ihren Platz in einem demokratischen System zu suchen.
Um an Wahlen teilzunehmen.
Das Buch erzählt die Entwicklung der extremen Rechten, weil es notwendig ist, zu erklären, womit die antifaschistische Bewegung zu kämpfen hat. Anfangs waren wir mit para-polizeilichen Gruppen konfrontiert, dann mit Staatsterrorismus und Nazigruppen. Irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem die extreme Rechte begann, zu den Wahlurnen zu gehen. Zunächst schnitten sie schlecht ab, aber die Erfahrung der “Plataforma Per Catalunya“ (Plattform für Katalonien) zum Beispiel war erschreckend. Sie fingen an, sich neue Strategien auszudenken. In der Folge konnten wir die neuen politischen (Nazi)-Parteien nicht mehr nur mit Demonstrationen bekämpfen, nun waren Bündnisse angesagt. Das Buch versucht darzustellen, dass der Faschismus dabei ist, überall einzudringen. Der Appell geht an die verschiedenen Akteure in der Gesellschaft, sich des Problems bewusst zu werden und zu handeln, soweit sie dazu in der Lage sind.
In verschiedenen Teilen Spaniens wie Madrid, Barcelona und Valencia kam es in den 1990er Jahren häufig zu gewalttätigen Aktionen der extremen Rechten. Im Baskenland war die Präsenz dieser Gruppen im Vergleich dazu jedoch minimal. Woran liegt das?
Das Baskenland hatte eigene Probleme. Es gab keine extreme Rechte, die in den Stadtvierteln, in denen sich Linke aufhielten, auf die Jagd hätte gehen können. Doch gab es para-polizeiliche Kräfte und Staatsterrorismus. Der spanisch-baskische Konflikt und die Gewalt auf beiden Seiten prägten nicht nur die Politik in Euskal Herria (4), sondern die gesamte Politik auf staatlicher Ebene und auch alle sozialen Bewegungen außerhalb des Baskenlandes.
In einem Kapitel mit dem Titel "Alles ist ETA" sprechen Sie darüber. Warum haben Sie sich entschieden, dieses Thema in einem Buch über die extreme Rechte zu behandeln?
Das ist wichtig für Menschen, die die 1990er Jahre und das folgende Jahrzehnt nicht miterlebt haben. Die Gewalt, die den Konflikt umgab, hat die Arbeit der sozialen Bewegungen und die linke Militanz selbst stark beeinflusst. Innerhalb der Linken gab es heftige Debatten über diesen Konflikt. Einerseits wurden bestimmte bewaffnete Aktionen abgelehnt, andererseits war die offiziell verbreitete Geschichte nicht akzeptabel. Die Illegalisierungen, Inhaftierungen, Folterungen (im Baskenland) konnten nicht gutgeheißen werden ... Ich verstehe, dass man sich in Euskal Herria vielleicht nicht vorstellen kann, was wir außerhalb des Baskenlandes erlitten haben, wie wir diese Geschichten durchlebt haben. Ich denke, dieser Dialog ist notwendig, vor allem in einer Zeit, in der die Gewalt (von beiden Seiten) nicht mehr im Zentrum des Konflikts steht. Es ist notwendig, darüber zu sprechen, um Wunden zu heilen und Menschen einander näher zu bringen.
Es war schwierig, das Kapitel zu schreiben.
Tatsächlich stand ich innerlich stark unter Druck und habe das Kapitel mehrmals geändert. Es hat mich die meiste Energie gekostet. Ich weiß, dass es sich um ein heikles Thema handelt, weil es viele Empfindlichkeiten berührt. Das Thema wird (von interessierter Seite) immer noch instrumentalisiert. Aber mir schien, dass wir darüber sprechen müssen. Dass wir vermitteln müssen, wie das alles außerhalb von Euskal Herria erlebt wurde. Wie bewaffnete Aktionen (von ETA) sich in einer Region wie Valencia ausgewirkt haben. Wie haben wir das erlebt? Nun, wir hatten eine schlechte Zeit. Das "Alles ist ETA" (der Justiz) bringt dies zum Ausdruck (5). Die Situation war grenzwertig, die Debatten wurden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt, weil die Atmosphäre so feindselig war, dass es mehr als heikel war, über bestimmte Themen zu sprechen, selbst auf familiärer Ebene.
Ein weiteres Kapitel ist Xavier Vinader und seinen Nachforschungen im Baskenland über rechtsextreme Para-Polizei-Gruppen gewidmet, die Keimzellen der späteren GAL-Todesschwadronen. Der Staat hat die extreme Rechte nie als Gefahr gesehen …
Xavier Vinader hat es gesagt: Die extreme Rechte ist dort, wo der Staat nicht hinkommt. Hier hatten wir unsere eigene Operation Gladio (6). Die hatte hier im Staat andere Namen: BVE oder GAL (7), rechtsextreme Söldner, die mit dem Innen-Ministerium verbunden waren. Aber das ist heute für den Staat kein Problem mehr. Erstens, weil die extreme Rechte den Status quo nicht in Frage stellt, weder die neoliberale Ordnung noch die Einheit Spaniens. Darüber hinaus wird die extreme Rechte benutzt, um diejenigen anzugreifen, die den Staat in Frage stellen. Die extreme Rechte bedient sich des Kulturkampfes. Themen wie den Kampf gegen den Feminismus oder gegen Migranten werden benutzt, um nicht über ihren wirklichen Charakter zu sprechen: Parteien, die sich mit den Eliten ganz gut verstehen. Der Staat hat die extreme Rechte nie als Bedrohung angesehen.
Inwieweit ist die extreme Rechte im Staatsapparat verankert? Ist dies mit anderen europäischen Ländern vergleichbar?
Ich wage nicht zu behaupten, dass es vergleichbar ist. Obwohl ich weiß, dass es in anderen Ländern diese Probleme gibt. Aber hier wird das Problem nicht aufgegriffen. Der Staat hat kein Interesse daran, diese Ausbrüche von Faschismus einzudämmen, die wir in den Chatrooms von Polizei und Militärs beobachten können, wo davon die Rede ist, halb Spanien zu erschießen, wo rassistische und sexistische Beleidigungen an der Tagesordnung sind. Es passiert nichts, solches Verhalten wird nicht sanktioniert. Oft sind es Polizei oder Militär selbst, die solche Informationen heimlich an die Presse geben. Einige von ihnen erschrecken, wenn sie diese Art von Chats sehen. Und da sie ihren Vorgesetzten nicht trauen, wenden sie sich an Journalisten. Wenn es die Demokraten sind, die sich verstecken müssen, haben wir ein echtes Problem.
Der extremen Rechten, wie Vox oder dem Front National (in Frankreich), ist es gelungen, sich in der Öffentlichkeit als eine ganz normale politische Partei zu präsentieren. Aber dieser Strategiewechsel hat sich angebahnt. Wie kam es dazu?
Ich werde häufig gefragt, ob der Antifaschismus gescheitert ist, weil wir heute 52 Vox-Abgeordnete im Parlament haben. Meine Antwort: es ist die Gesellschaft, die gescheitert ist. Sie ließen junge Männer und Frauen allein, um sich einem Monster entgegenzustellen, vor dem gewarnt worden war, es könnte die Institutionen erreichen. Der Faschismus sprach die gesamte Gesellschaft an, nicht nur die Gruppen, gegen die er sich richtete. Er war eine Bedrohung für das, was meiner Meinung nach der Grundpfeiler der Demokratie sein sollte: die Menschenrechte. Aber nur wenige Menschen fühlten sich angesprochen, weil sie dachten, dass die extreme Rechte mit Franco gestorben war. Das Buch berichtet jedoch von einer Reihe von Menschen, die diese Gefahr sahen und ihr Leben aufs Spiel setzten, indem sie sichtbar Position bezogen.
Hinter diesen Formationen steckt eine Menge Geld. Wer finanziert die extreme Rechte?
Es ist nicht einfach, die Spur des Geldes zu verfolgen. Aber es ist klar, dass sich die Eliten keine Sorgen um die extreme Rechte machen. Es ist offensichtlich, dass die heutige extreme Rechte aus der (postfranquistischen) PP kommt. Die PP hatte den Vorzug, diese extreme Rechte über viele Jahre hinweg einzudämmen, nur selten wagten sich welche, die Grenze zu überschreiten. Die Abspaltung begann mit der Regierung Zapatero. Damals wurden innerhalb der "Neokon"-Rechten Stimmen laut, die PP sei nicht mutig genug, die Politik der PSOE in Bezug auf Abtreibung, gleichberechtigte Ehe oder Memoria Historica (Aufarbeitung des Franquismus) zu neutralisieren. Wenn die PP an die Regierung kommt, stellt sie (für diese sozialdemokratischen Errungenschaften) die Finanzierung ein oder macht sie inhaltsleer, aber sie streicht sie nicht, sie wagt es nicht. Das akzeptiert die extreme Rechte, deshalb beginnt hier der Absprung mit (den Abtreibungsgegnern) Hazte Oír (8), Abogados Cristianos (Christliche Anwälte) (9) oder anderen ultrakatholischen Lobbys, die sich bei Vox zusammenfanden.
Nun wissen viele Leute nicht, wie sie mit Vox umgehen sollen. Die Medien wissen nicht, wie sie mit der extremen Rechten umgehen sollen.
Viele Journalisten fragen sich, was sie mit der extremen Rechten anfangen sollen. Aber einige von uns, die seit Jahren darüber berichten, werden lächerlich gemacht und als Aktivisten abgetan. Die meisten Medien sind Unternehmen, die mit Geldverdienen beschäftigt sind und sich zunehmend dem Spektakel verschrieben haben. Der Beruf ist prekär, es gibt immer weniger Recherche-Journalismus und immer mehr Krieg um die Klicks. Die extreme Rechte weiß das und spielt auf diesem Terrain, sie liefert Schlagzeilen. Was von Journalisten erwartet werden kann ist, als Journalisten zu agieren. Das Wichtigste ist, dass man ihnen nicht den Diskurs abnimmt. Die zweite Aufgabe besteht darin, ihre Lügen zu entlarven. Aber wenn den ganzen Tag über ETA, Katalonien, nicht begleitete Migrantenkinder und die Queer-Lobby lamentiert wird, muss die extreme Rechte nicht extra eingeladen werden, ihr Bett ist schon gemacht.
Auf politischer Ebene sind die französischen Versuche gescheitert, gegenüber dem Front National einen Sperrgürtel zu schaffen. In der Tat hat sich Macron einen Teil dieses Diskurses zu eigen gemacht. Und die Präsidentschafts-Wahlen vor Kurzem (April 2022) zeigen, wie Le Pen dem Elysée immer näherkommt.
Das Problem ist nicht die parlamentarische Vertretung, die die extreme Rechte erreicht, sondern die Tatsache, dass es ihr gelungen ist, ihren gesunden Menschenverstand und ihren Diskurs auf die übrigen Parteien und den Rest der Gesellschaft zu übertragen. So praktizieren die spanischen Sozialdemokraten (PSOE) eine Politik, gegen die die extreme Rechte wenig einzuwenden hat. Zum Beispiel die Einwanderung oder das Knebelgesetz (ley mordaza) selbst (10). Außerdem übernehmen sie mit der Grenzpolitik der EU bereits einen Teil von deren Argumente.
Sie haben in einem Interview gesagt, dass es schwierig ist, den Einmarsch in die Ukraine von einem faschistisch-antifaschistischen Blickwinkel aus zu analysieren. Aber Tausende von Neonazi-Kämpfern sind dorthin gezogen. Wenn der Krieg vorbei ist, wird das ein Problem für ganz Europa sein?
Der Einmarsch in die Ukraine hat zu einem Schulterschluss der offiziellen westlichen Berichterstattung geführt. Es wird nicht mehr darüber gesprochen, wovor viele Menschen bereits vor dem Einmarsch gewarnt haben. Ich selbst habe einen Monat vor dem Einmarsch einen Artikel veröffentlicht, in dem ich über das neonazistische Pulverfass Ukraine schrieb. Das wurde auch von der BBC und anderen Medien veröffentlicht, die nicht gerade verdächtigt werden, Putins Geschichte zu kaufen. Ich habe über die Nazis auf der russischen Seite berichtet und habe die Rechtfertigung der Invasion als eine Art von Entnazifizierung nicht übernommen. Aber das Gleichgewicht war bereits gestört. Ich musste meine Veröffentlichungen einschränken, weil ich mich angegriffen fühlte, wenn ich das tat, was ich immer tue, nämlich Informationen über Nazis zu veröffentlichen, egal auf welcher Seite sie stehen. Doch wenn wir aufhören, darüber zu reden, bedeutet das, dass einige dieser rechtsextremen Kämpfer nach dem Ende des Konflikts mit einer militärischen Ausbildung und vielen Kontakten nach Hause zurückkehren werden.
Nachtrag: Guillem Agulló
Guillem Agulló i Salvador (1974 - 1993) war ein junger Aktivist der linken valencianischen Unabhängigkeits-Bewegung. In den frühen Morgenstunden des 11. April 1993 wurde er in seinem Heimatort Montanejos mit Messerstichen ermordet. Zahlreiche linke Organisationen gingen von einem politischen Tatmotiv aus, da die für den Mord Verantwortlichen für ihre rechtsextreme Ideologie bekannt waren. (2)
Das Gerichtsverfahren: Im Prozess 1995 in Castellón de la Plana verurteilte ein Richter den Angeklagten und geständigen Täter, Pedro Cuevas, wegen Mordes zu 14 Jahren Gefängnis und sprach die übrigen Mitglieder der Gruppe frei. Tage später war einer der Beschuldigten, Juan Manuel Sánchez, an einem weiteren Messerangriff im Stadtteil Carmen in Valencia beteiligt. Von der 14-jährigen Haftstrafe verbüßte Pedro Cuevas nur 4 Jahre, den Rest in Freiheit.
Die Richter des Provinzgerichts von Castellón wiesen die Behauptung der Staatsanwaltschaft zurück, es habe sich um ein politisches Attentat gehandelt. Sie reduzierten die Aggression auf eine Schlägerei unter Jugendlichen, so dass nur 14 Jahre Gefängnis herauskamen. Späteren Zeugenaussagen zufolge sangen die Angreifer nach dem Mord jedoch das Faschisten-Lied "Cara al sol" (Gesicht in der Sonne) und machten den faschistischen Gruß. Nach Angaben von Guillem Agullós Vaters war ein Mitglied der rechtsextremen Gruppe “Acción Radical de Burjasot“ derjenige, der die Angreifer von der Anwesenheit seines Sohnes in Montanejos informierte. Zu dieser Gruppe gehörte von 2004 bis 2018 der Vorsitzende der rechtsextremen Partei “Democracia Nacional“ (DN), Manuel Canduela. Der Vater informierte, ein Freund seines Sohnes habe ihm berichtet, er werde von Nazi-Gruppen bedroht und habe daran gedacht, Valencia zu verlassen. Aufgrund dieser neuen Informationen hat der Vater die Staatsanwaltschaft aufgefordert, die Ermittlungen wieder aufzunehmen.
Forderung nach Prozess-Wiederholung: Der Mörder Pedro Cuevas wurde nach 4 Jahren Haft wegen guter Führung aus dem Gefängnis entlassen. Bei den Kommunalwahlen 2007 kandidierte er auf der Liste der rechtsextremen Partei Nationale Allianz. Ein weiterer Beteiligter, Manuel Canduela, war von 2004 bis 2018 Präsident der DN-Partei. Im Jahr 2005, zwei Jahre vor seiner Kandidatur, wurde Pedro Cuevas im Rahmen der so genannten "Operation Panzer" verhaftet, bei der ein Neonazi-Netzwerk ausgehoben wurde, das unter dem Namen “Frente Antisistema“ (Anti-System-Front, FAS) operierte. Die Guardia Civil beschlagnahmte in seiner Wohnung 40 Hakenkreuz-Armbinden, einen Nazidolch und Schlagringe sowie Gussformen zur Herstellung von Schnallen mit dem Kürzel SS.
Neben Cuevas wurden 17 weitere Mitglieder der FAS angeklagt, darunter zwei Armee-Angehörige. Der Staatsanwaltschaft zufolge wurde die Gruppe von einem der wichtigsten Führer der “Alianza Nacional“ in Valencia angeführt, Juan Manuel Soria, in dessen Wohnung Schriften über den Nationalsozialismus sowie ein Mitgliedsausweis der esotherisch-rechten Verbindung “Neue Akropolis“ gefunden wurden. Ebenfalls im Rahmen der Operation Panzer angeklagt ist Alejandro Serrador, zweiter Stadtrat in Silla (Valencia) für die rechtsextreme Partei España 2000, deren Vorsitzender José Luis Roberto sein Verteidiger ist. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft bewahrte das Ratsmitglied Gegenstände mit "Neonazi-Utensilien" sowie ein Dutzend Klingenwaffen auf.
Nazi-Belästigung der Familie: Nationalsozialistische Gruppen in Valencia haben die Familie Agulló in den zwanzig Jahren seit der Ermordung Guillems weiter bedroht. Zu jedem Jahrestag des Verbrechens gehen Anrufe ein, vor ihrem Haus in Burjasot tauchten Graffiti mit keltischen Kreuzen auf, auch an Freunde gerichtet: "Du wirst sterben wie dein Freund. Montanejos 93", anonyme Briefe, in denen es hieß: "Rote, wir werden euch töten", und Anrufe auf dem Mobiltelefon von Guillems Schwester. Die Polizei hat bisher niemanden wegen dieser Vorfälle verhaftet. (2)
Miquel Ramos
Miquel Ramos ist als Journalist spezialisiert auf die Themen “Extreme Rechte und “Soziale Bewegungen“. Er ist Mitgründer einer unabhängigen Tageszeitung, Mitarbeiter eines Radioprogramms bei Radio Klara. Er schloss sein Studium in Soziologie und Anthropologie ab, schreibt für verschiedene Magazine wie La Marea, El Salto, Público, La Directa und hat Beiträge geleistet für die spanisch-sprachiger Version von The New York Times. In verschiedenen Fernseh-Sendern hat Ramos mitgearbeitet und Bücher und Texte publiziert zu Themen wie Gender und Extreme Rechte, Valencia gestern und heute, sowie Migration, Homophobie und Hass-Verbrechen. Die Studie “Von den Neocons zu Neonazis: die radikale Rechte im Spanischen Staat“ hat er im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung koordiniert (2021).
ANMERKUNGEN:
(1) “Ni al Estado español ni a las élites les inquieta la extrema derecha” (Weder der Staat noch die Eliten sind über die extreme Rechte beunruhigt), Tageszeitung Gara, 2022-04-30 (LINK)
(2) Guillem Agulló i Salvador (Burjasot, Valencia, geb. 1974 in Montanejos, Castellón; ermordet am 11. April 1993) war ein junger Aktivist der linken valencianischen Unabhängigkeits-Bewegung. In den frühen Morgenstunden des 11. April 1993 wurde er in seinem Heimatort Montanejos mit Messerstichen ermordet. Zahlreiche linke Organisationen gingen von einem politischen Tatmotiv aus, da die für den Mord Verantwortlichen für ihre rechtsextreme Ideologie bekannt waren. (LINK)
(3) Transition, auch: “demokratischer Übergang“, Bezeichnung für die Jahre nach Francos Tod 1975 bis zur Verabschiedung einer neuen spanischen Verfassung, der Legalisierung aller verbotenen Parteien und Gewerkschaften, der Autonomie-Statute, der Verabschiedung des Amnestie-Gesetzes und der Wahl eines neuen spanischen Parlaments.
(4) Euskal Herria: historischer Begriff für alle sieben baskischen Provinzen, vier im Süden, drei im Norden, ohne Berücksichtigung der Grenze. Heute wird EH als politischer Begriff angesehen, der in Navarra verpönt ist, in Euskadi jedoch bei der Fernseh-Berichterstattung benutzt wird. Bei der Wetterkarte wird auf Grenzen verzichtet und Euskal Herria als Ganzes dargestellt.
(5) “Alles ist ETA” – war eine politisch-juristische Kampfformel, mit der seit 2022 Parteien und andere Organisationen der baskischen Linken illegalisiert wurden. Alles, was sich auch nur scheinbar in diesem politischen Bereich bewegte, wurde mit ETA gleichgesetzt, eine politische Hexenverfolgung, die häufig mit Apartheid oder dem McCarthyismus verglichen wurde. Betroffen waren auch Institutionen, die keinesfalls mit ETA zu tun hatten.
(6) Gladio (ital: Kurzschwert) war eine Stay-Behind-Organisation in Italien, die dort im Fall einer Invasion von Truppen des Warschauer Paktes Guerilla-Operationen und Sabotage gegen die Invasoren durchführen sollte. Sie ging hervor aus der Kooperation des italienischen Militär-Geheimdienstes der Nachkriegszeit (SIFAR) mit der CIA und war seit 1964 in die NATO integriert. Die Existenz der Organisation wurde aufgedeckt, als im Juli 1990 der italienische Untersuchungs-Richter Felice Casson im Rahmen seiner Untersuchungen von Terroranschlägen im Archiv des damals bestehenden Militär-Geheimdienstes SISMI Dokumente fand, die auf eine geheime Organisation namens Gladio hinwiesen. Im August 1990 informierte Premierminister Giulio Andreotti die Öffentlichkeit erstmals über die Existenz der Organisation. Ähnliche Stay-Behind-Organisationen anderer Staaten Westeuropas wurden infolge der Aufdeckung von Gladio 1990 bekannt. (LINK)
(7) BVE und GAL: “Batallón Vasco-Español” (Baskisch-Spanisches Bataillon) und “Grupos Antiterroristas de Liberación” (Antiterroristische Befreiungs-Gruppen); zwei der bekanntesten Todesschwadronen, die in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren Jagd auf Personen aus der baskischen Linken machten. Die Gruppen setzten sich zusammen aus Polizisten, Militärs, Ultrarechten, gekauften Killern und genossen Unterstützung aus der Politik.
(8) Hazte Oír (Mach dich hörbar) (HO) ist eine spanische rechtsextreme, ultra-katholische und ultra-konservative Vereinigung, die im Februar 2001 von Ignacio Arsuaga gegründet wurde. Seit 2013 ist sie Teil der Interessen-Gruppe CitizenGo, einer von HazteOir selbst gegründeten Organisation mit ähnlichen Merkmalen. HO ist eng mit der Faschisten-Partei Vox verbunden, wenn nicht von derselben ins Leben gerufen. Vor wenigen Jahren charterte die Organisation einen orange-farbenen Bus, mit dem zu Abtreibungs-Kliniken gefahren oder gegen die Anerkennung von Schwulen-, Lesben- und Trans-Rechten polemisiert wurde. Eine Zeit lang erhielt HO als gemeinnützige Organisation staatliche Subventionen.
(9) “Abogados Cristianos“ (Christliche Anwälte). Anwalt-Verband hinter dem sich eine ultrarechte, ultra-katholische Lobby versteckt.
(10) Das “Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit“ der Rajoy-Regierung (Ley Mordaza, oder: Knebelgesetz genannt) ist eine Einschränkung der Versammlungs-Freiheit, das der Polizei willkürlich Repressions-Rechte zugesteht und die Freiheit der Berichterstattung limitiert. Die Sanchez-Regierung versprach bei den Wahlen die Aufhebung des Gesetzes, will mittlerweile aber nur noch eine Abschwächung desselben.
ABBILDUNGEN:
(1) Miquel Ramos Buch
(2) Guillem, Vater (eldiario)
(3) Miquel Ramos (naiz)
(4) Carlos Palomino (publico)
(5) Euskal Herria Antifaxista
(PUBLKIKATION BASKULTUR.INFO 2022-05-01)