Vor den Wahlen 2023
Spanien: Treffen zwischen der postfranquistischen Volkspartei und der neofranquistischen Vox. Die Ultrarechte bringt sich als Juniorpartner für Regierungen in Position. Vox-Chef Abascal freut sich über die “Normalisierung” der Beziehungen zur PP. Und über den Wahlerfolg der italienischen Gleichgesinnten. In halb Europa stehen traditionell konservative Parteien vor der Frage, ob sie zur Regierungsübernahme auf Neofaschisten zurückgreifen sollen. Die Antworten und Strategien fallen unterschiedlich aus.
In Frankreich oder Deutschland wird die Ultrarechte bisher gemeinsam außen vorgehalten. Österreich spielte einst den Akzeptanz-Vorreiter. Von Oststaaten wie Polen oder Ungarn, wo die christdemokratische Rechte gar nicht vertreten ist, ganz zu schweigen. Nun ist Italien an der Reihe. Und Spanien?
In der vergangenen Woche ist es im spanischen Staat zu einem “Geheimtreffen” zwischen dem Chef der rechtskonservativen postfranquistischen Volkspartei (PP), Alberto Núñez Feijóo, und dem Führer der ultrarechten neofranquistischen Partei Vox, Santiago Abascal, gekommen. Das berichtete eine Person aus dem Umfeld von Vox, die anonym bleiben wollte, mehreren spanischen Medien. Dass die PP überhaupt kein Problem mit solcherlei Berichterstattung mehr hat, machte am Mittwoch der neue Parteiführer Feijóo deutlich. Gegenüber einer Journalistin des öffentlichen Fernsehsenders TVE erklärte er: “Wenn es sich um ein Geheimtreffen gehandelt hätte, hätten Sie davon nichts erfahren.” (1)
Koalieren?
Die Volkspartei PP regiert in den Autonomie-Regionen Andalusien sowie Kastilien-León bereits zusammen mit Vox. Auch in mehreren Rathäusern quer durchs Land hätten sich die Beziehungen zwischen den Parteien mittlerweile “normalisiert”, erklärte Vox-Chef Abascal bereits im August gegenüber der Tageszeitung El Mundo. Einen entsprechenden auf Youtube veröffentlichten Bericht betitelte das Blatt – “Abascal vertraut auf eine gute Beziehung zu Feijoo, um Sánchez loszuwerden”. Gemeint ist Pedro Sánchez von der sozialdemokratischen PSOE, spanischer Ministerpräsident in einer Koalition mit der linksliberalen Protestpartei Podemos.
Offenbar ist die Strategie von Vox aufgegangen, sich als möglichen Koalitionspartner der PP ins Spiel zu bringen. Umfragen sagen der Volkspartei seit Monaten einen Sieg bei der Parlamentswahl im kommenden Jahr voraus – mit Stand vom Montag würden 32 Prozent der Befragten ihre Stimme den Rechtskonservativen (Postfranquisten) geben. Um allein zu regieren, reicht das jedoch nicht. Als Koalitionspartner käme nur Vox in Frage, denen ein Stimmanteil von 15,1 Prozent vorhergesagt wird. Dessen ungeachtet behauptet die PP, das Treffen der vergangenen Woche sei eines von vielen gewesen, die Feijóo derzeit mit anderen Parteien abhält.
Blick nach Italien
Insbesondere der Wahlsieg der faschistischen “Brüder Italiens” am Sonntag dürfte dem Bestreben von Vox noch einmal Aufwind gegeben haben. Die Partei sieht im Wahlsieg der italienischen Faschistin Giorgia Meloni ein Vorbild für Spanien. Meloni verfügt seit langem über gute Beziehungen zu Abascal sowie dessen ultrarechter Partei. Erst im Juni sprach die künftige Premierministerin Italiens auf einer Wahlveranstaltung von Vox im Vorfeld der Regionalwahlen in Andalusien. Dabei schwärmte sie, dass Vox sich für die “natürliche Familie” und gegen “die LGBT-Lobby” einsetze, sowie für ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen, “gegen die Massenmigration” und die “internationale Großfinanz” einstehe.
Ebenso wie Meloni befürwortet Vox die Lieferung von Waffen an die Ukraine und bedauert, dass Spanien kein schweres Kriegsgerät sende. Die Ultrarechten verfolgen einen klaren Pro-NATO-Kurs und sprachen sich von Beginn an für den Beitritt Schwedens und Finnlands zum westlichen Militärbündnis aus. Mitte September erklärte der Sprecher der Partei im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Alberto Asarta, “große Teile der Linken und insbesondere der spanischen extremen Linken” hielten an ihrem “veralteten, altmodischen und abgestandenen Diskurs eines idealistischen Pazifismus” fest. Jedoch sei die NATO heute genauso wie zu Zeiten des Kalten Krieges als “defensives und abschreckendes” Instrument “notwendig und entscheidend”.
Entsprechende Positionen machen die Ultrarechten, die selbst als PP-Abspaltung gestartet waren, zu einem perfekten Koalitionspartner für die Volkspartei. Vergessen sind die Zeiten, als Vox die Rechtskonservativen als “feige Rechte” bezeichneten, die nicht hart genug seien. Sollte es im kommenden Jahr zu einer solchen Regierung kommen, ist davon auszugehen, dass die Ultrarechten der Juniorpartner in Madrid würden – zumindest vorerst also noch anders als in Italien. (1)
Frankreich-Syndrom
Bei den Wahlen im französischen Staat ist es seit langen Jahren zur Gewohnheit geworden, über rechte Wahlsiege erleichtert zu sein, weil sie das kleinere Übel darstellen und dadurch die Front National (Rassemblement National) verhindert werde. Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass es zwei Wahlgänge gibt und im zweiten Wahlempfehlungen für den stärksten bürgerlichen Kandidaten aus dem ersten ausgesprochen werden.
Das Fiasko der sozialdemokratischen Hollande-Regierung (wie auch das Scheitern von linker Politik in der sozialliberalen Koalition Spaniens) macht deutlich, dass eine linke Form der Politik aufgehört hat zu existieren. Sie hat versagt, jegliches Profil verloren und spielt hier wie da so gut wie keine Rolle mehr, jegliche Alternative ist verloren gegangen. Die Faschisten ziehen ihren Nutzen daraus und feiern vor allem in ehemals linken Hochburgen (mit Gewerkschaftstradition) große Erfolge.
Postfranquismus
Im spanischen Staat hat eine wertekonservative (christdemokratische) Rechte nie existiert. Die Rechte stammt direkt aus den Reihen des Franquismus (weshalb sie als Postfranquisten bezeichnet werden). Jahrzehntelang war diese Partei in der Lage, einen guten Teil der franquistisch-faschistischen Anhänger*innen an sich zu binden. Bis sich mit Vox ein Teil abspaltete, der direkt zu den Inhalten des Franquismus zurückgekehrt ist. Ohne Wenn und Aber: antifeministisch, gegen Gleichstellungsrechte jeglicher Art, patriarchale Gewalt wird negiert, Schwulen-, Lesbenfeindlichkeit wird zum Programm und Xenophobie gar nicht erst verschleiert. Vox hat mehrfach die Illegalisierung der baskischen Christdemokraten gefordert, die Autonomie-Statute sollen gekippt, franquistische Traditionen wieder eingeführt werden. PP-Chef Feijoo hat – ganz im Sinne der Franquisten – die sofortige Rücknahme des “Gesetzes zur Demokratischen Erinnerung“ (unzureichende Aufarbeitung des Franquismus) angekündigt, sollte er die nächsten Wahlen gewinnen. Für die PP ist die Aufarbeitung des spanischen Faschismus ein Tabu, Vox verkörpert ihn ganz direkt.
ANMERKUNGEN:
(1) “Vor den Wahlen im kommenden Jahr – Rechter Schulterschluss“, Junge Welt, Carmela Negrete, 2022-09-29 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Vox (junge welt)
(2) Feijoo, Abascal (elespanol)
(3) Feijoo, Abascal (huffpost)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-10-05)