kreuz001Ohne Rücksicht auf Verluste

Malaga gegen Barcelona: Warum die einen im spanischen Staat Kreuzfahrt-Schiffe begrüßen und die anderen sie ablehnen … Die Tatsache, dass einige Städte im spanischen Staat die Ankunft von Kreuzfahrt-Schiffen fördern, während andere dies einschränken, mag paradox erscheinen, hat aber einen gemeinsamen Hintergrund: Es droht die Massifizierung, Überfüllung und Übersättigung. In der Regel werden die Interessen der Reisenden höher bewertet als die der Einheimischen, die sich häufig überrannt fühlen.

Hinter dem Fachbegriff „Demokratisierung des Kreuzfahr-Tourismus“ steht nicht etwa, dass die Tickets künftig verlost werden. Hinter dem neuen Konzept steht eine generelle Preissenkung, die es nun auch der Mittelschicht ermöglicht, sich solche Reisen finanziell zu erlauben: Masse statt Elite. Der Arbeiterklasse bleibt, die Kreuzfahrer zu empfangen.

In Malaga hat man Glück, so scheint es jedenfalls, wenn man den Worten von Carlos Rubio, Präsident der Hafenbehörde, Glauben schenken will. "Wir erwarten insgesamt 46 Zwischenstopps von Kreuzfahrtschiffen, das ist viel, ein Rekord", erklärte er diese Woche gegenüber den Medien. In diesem Mai wird Malaga mit 35 Kreuzern alle bisherigen Rekorde übertreffen. Am vergangenen Dienstag liefen fünf Kreuzfahrer mit insgesamt 7.000 Passagieren an Bord im Hafen von Málaga ein. Die Flaggen, die auf den Masten wehten, waren italienisch, portugiesisch, von den Bahamas oder Malta.

Aufgrund seiner geografischen Lage ist Malaga ein bevorzugter Hafen für das Anlegen von Kreuzfahrtschiffen, die aus der Karibik kommen, bevor sie ins Mittelmeer weiterfahren. Obwohl Malaga historisch gesehen nicht auf der spanischen Hitliste steht wie Barcelona, die Balearen oder die Kanaren, vervielfacht die Stadt ihre Besucherzahlen in einem touristischen Höllen-Tempo. "Die Stadt empfängt alle sehr gut, sie verstopfen die Stadt keinesfalls, da es sich um eine andere Art von Tourismus handelt", verteidigte Rubio. Er argumentierte, dass es sich bei einigen dieser Kreuzfahrtschiffe um Luxusschiffe handelt und sie kleiner sind.

Die Kanarischen Inseln sind eine weitere Gemeinde, die den Kreuzfahrt-Tourismus mit offenen Armen empfängt. Dank Unternehmen wie Costa Fortuna, die im Sommer ihren Dienst aufnehmen, wird die Zahl der KF-Zwischenstopps auf den Inseln außerhalb der Hochsaison (von Oktober bis April) in diesem Jahr steigen, mit 1,3 Millionen Passagieren bei 644 Zwischenstopps. Vergangenen März berichtete die lokale Presse über die Ankunft der brasilianischen MSC Seaview in Santa Cruz de La Palma mit 5.500 Passagieren an Bord. "Ein Drittel der Bevölkerung", hieß es damals. Für die Saison 2023-2024 wird mit 26 zusätzlichen Schiffen gerechnet, um auf die Zahl von 1,5 Millionen Kreuzfahrt-Passagieren zu kommen.

kreuz002Etwas weiter entfernt im Mittelmeer überlegen gleichzeitig immer mehr Städte, wie sie die Ankunft von Kreuzfahrtschiffen an ihren Küsten begrenzen können, angesichts der Gefahr einer Übersättigung. Im vergangenen Jahr war Palma de Mallorca der erste spanische Hafen, der die Zahl der Kreuzfahrtschiffe auf drei pro Tag beschränkte, nur eines davon darf mehr als 5.000 Passagiere tragen. Ähnliche Begrenzungen sind auch in Städten wie Barcelona, Valencia oder Cádiz ein Thema, wo die negativen Folgen der Überfüllung durch Touristen bereits spürbar sind.

Eine scheinbar paradoxe Situation zwischen Städten, die die Ankunft von mehr Kreuzfahrtschiffen bejubeln, und solchen, die darüber nachdenken, wie das Ganze begrenzt werden kann. Für Felio José Bauzá, Präsident der Aecit (Spanischer Verband wissenschaftlicher Tourismus-Experten) und Professor an der Universität der Balearen, haben "nicht alle Gebiete die gleichen Eigenheiten. Auf den Balearen sprechen wir von Insellage, und das Inselgebiet ist in Bezug auf Ressourcen, Raumangebot oder Abfallaufkommen sehr begrenzt, so dass wir hier stärker als an anderen Orten unter Übersättigung leiden", erklärt er. Das Zusammentreffen von mehr als vier Kreuzfahrtschiffen auf der Insel führt dazu, dass die Insel in Bezug auf Zugang, Transport und Dienstleistungen einen Kollaps erleidet, stellt er fest.

Die “Demokratisierung des Tourismus“, der Boom bei den Tourismus-Unterkünften und das Verschwinden von Vermittlern wie Reisebüros haben dazu geführt, dass immer mehr Kreuzfahrtschiffe im spanischen Staat ankommen. Zwischen 2006 und 2019, dem letzten Jahr vor der Pandemie, stieg die Zahl von 3.111 auf 4.236. Nach der Gesundheits-Krise hat das Land bei den KF-Passagieren einen Rekord nach dem anderen aufgestellt. Das hat viele Städte dazu veranlasst, Maßnahmen zu ergreifen, wie es Venedig und Dubrovnik bereits getan haben.

Dein “Heute“ ist meine “Vergangenheit“

Eine andere Art, diesen Gegensatz zu verstehen, ist eine Reise durch die Zeit: Málaga befindet sich heute in der Vergangenheit anderer Häfen, die ihr Limit der Überfüllung bereits erreicht haben. Lluís Garay Tamajón, Professor für Wirtschaftswissenschaften und Leiter des Master-Studiengangs für soziale Verantwortung von Unternehmen, ruft in Erinnerung, dass sich diese Entwicklung anhand der Theorie von Richard Butler über die Lebenszyklen touristischer Reiseziele interpretieren lassen: Erkundung, Engagement, Entwicklung, Konsolidierung, Stagnation, Reife und schließlich Niedergang oder Umkehr.

"Palma kann als Reiseziel verstanden werden, das sich bereits seit Jahrzehnten in einer Phase der Reife befindet und sogar mit Umstellungs-Projekten begonnen hat", erklärt Garay. "Bei dieser Art von Reisezielen werden die Vorteile, die der Tourismus in Form von Arbeitsplätzen oder der Schaffung von Wohlstand mit sich bringt, durch Nachteile wie die Sättigung der Infrastrukturen, den Anstieg der Preise oder den Verlust der Geschäftsstruktur aufgewogen". Málaga ist mit 118.330 Besuchern gegenüber 345.099 auf der Insel Mallorca noch nicht an diesem Punkt angelangt.

Diese Entwicklung hat sich im letzten Jahrzehnt vollzogen, dem Jahrzehnt des Wachstums des Kreuzfahrt-Tourismus. Bauzá hat diesen Perspektiv-Wechsel aus erster Hand miterlebt, von den ersten Fahrverboten im Jahr 2012 bis zum Boom der Touristen-Unterkünfte zwischen 2015 und 2017, der kurz darauf zu ihrer Regulierung führte, bevor die Pandemie begann. Und schließlich "ein Wiederaufleben der Überbelegung, die die Probleme des Zugangs zu Wohnungen beeinflusst".

Aus diesem Grund hat der sozialdemokratische Stadtrat von Ibiza Sitzungen anberaumt, um einen Pakt zur Begrenzung der Anzahl der Kreuzfahrtschiffe auf der Baleareninsel zu erreichen. In diesem Jahr sollen es 227 Schiffe sein, drei oder vier Schiffe können am selben Tag zusammenkommen auf einer Insel mit knapp 50.000 Einwohner*innen. Der Ibiza-Inselrat selbst hat auf eine der Folgen dieses Widerspruchs hingewiesen: die Insel nimmt jenes Kontingent auf, das Palma de Mallorca nicht mehr aufnehmen kann. Also ein Nebeneffekt der Beschränkung auf drei Kreuzfahrtschiffe pro Tag im Hafen der großen Nachbarinsel.

Beschränkung von links und Liberalisierung von rechts?

Barcelona ist eine der Städte, in denen die Debatte am hitzigsten geführt wird. Im vergangenen Sommer legte die katalanische Stadtverwaltung den Bericht über die Konsequenzen des Schiffsverkehrs im Hafen der Stadt vor. Darin ist der Hinweis zu finden, dass bei einem jährlichen Zuwachs von 7% bis zum Jahr 2030 mit 3,5 Millionen Kreuzfahrt-Passagieren und 900 Schiffen pro Jahr zu rechnen sei, wenn keine Vorschriften eingeführt würden. Das Dokument bezifferte den maximalen täglichen Zustrom während der Spitzenmonate auf 25.000.

kreuz003Bürgermeisterin Ada Colau (Podemos) schlug im vergangenen Jahr vor, die Zahl der Ankünfte von Kreuzfahrtschiffen auf drei pro Tag zu begrenzen, was vom Hafen von Barcelona abgelehnt wurde. Dort wurde ein eigener Plan zur Verringerung der Auswirkungen von Kreuzfahrtschiffen aufgestellt. Diese Woche legte Colau einen formellen Vorschlag vor, der einen Baustopp des neuen KF-Terminals und den Widerruf einer der bereits erteilten Genehmigungen vorsieht, um die Zahl der Liegeplätze von sieben auf fünf zu reduzieren. Nach Ansicht der Stadtverwaltung halten sich die Riesenschiffe nur wenige Stunden in der Stadt auf und bringen einen sehr geringen wirtschaftlichen Nutzen.

Im April stellten die Professoren Jordi Suriñach und Esther Vayà von der Universität Barcelona eine von der CLIA (Cruise Lines International Association) in Auftrag gegebene Studie vor, aus der hervorging, dass Kreuzfahrt-Passagiere nur 4,1% der in der Hauptstadt ankommenden Touristen ausmachen, dass sie aber 13% der Tourismussteuer, das heißt 1,2 Millionen Euro, einbringen. Nach ihren Angaben liegt die geschätzte Zahl der Kreuzfahrt-Passagiere bei 2,2 Millionen, da ein und derselbe Reisende nicht mehrfach gezählt werden darf. Ein Krieg der Berichte, Krieg der Daten.

In anderen Mittelmeerstädten ist die Dynamik ähnlich. In Valencia hat Sandra Gómez (stellvertretende Bürgermeisterin und soziademokratische Bürgermeister-Kandidatin) versprochen, die Zahl der in den Häfen der Levante ankommenden Schiffe zu begrenzen. "Wir haben das Billigmodell der PP in ein nachhaltiges und qualitativ hochwertiges Modell umgewandelt", fügte sie hinzu. In Cádiz sind Bürgermeister José María González Kichi und Teófila Martínez, Ex-Bürgermeisterin und derzeitige Präsidentin der Hafenbehörde der Bucht von Cádiz, in Bezug auf die Regulierung von Kreuzfahrtschiffen aneinandergeraten.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, es handele sich um eine Auseinandersetzung zwischen einer protektionistischen Linken und einer liberalen Rechten. Für Bauzá ist dies jedoch Schwarz-Weiß-Malerei. "Die Einwohner haben dieselben Probleme mit der einen oder anderen Regierung, die müssen sich um die Probleme der Bewohner und Besucher kümmern, unabhängig davon, welcher Partei sie angehören", sagt er. "Es stimmt, dass die Rechte mehr Maßnahmen zur Steuerung der Verkehrsströme als zur Beschränkung unternimmt, aber die Realität ist, dass die Probleme überall auftauchen.

"Sie muss nicht direkt mit der politischen Ausrichtung der Behörden verknüpft sein, sondern sollte auch im Zusammenhang mit den Erwartungen der Interessengruppen jedes Reiseziels gesehen werden", fügt Garay hinzu. Er erinnert daran, dass der Ansatz der sozialen Verantwortung "aus liberaleren Auffassungen von Unternehmen und wirtschaftlicher Entwicklung hervorgeht". "In diesem Sinne sollten sich die lokalen Regierungen dieser Reiseziele stärker der Notwendigkeit bewusst sein, ein Gleichgewicht zwischen den Anforderungen der verschiedenen Interessengruppen herzustellen und der Notwendigkeit, die Entwicklung von Aktivitäten wie dem Kreuzfahrt-Tourismus zu fördern oder zu begrenzen."

"Ich glaube auch, dass es für die lokalen Regierungen noch Spielraum gibt, um mehr Verhandlungsmacht mit den Unternehmen zu haben. Letztere haben ebenfalls Spielraum für Verbesserungen, was die Einbeziehung von Nachhaltigkeits- oder Verantwortungs-Maßnahmen bei ihrer Aktivität angeht, in Bezug auf ihre möglichen ökologischen, sozialen oder wirtschaftlichen Auswirkungen", schließt er. Die Unternehmen neigen dazu, viel Geld zu investieren, um Touristen und Bürger zu überzeugen, so dass "das Marketing manchmal Vorrang vor echten, wirksamen Maßnahmen hat".

Ein schwieriges Gleichgewicht

kreuz004Zwischen Reife und Niedergang ist es schwierig, das richtige Gleichgewicht zu finden. Abgesehen von den Auswirkungen auf die Umwelt, wie Bauzá anmerkt, ist der Zugang zu Wohnraum eine der großen Herausforderungen für die spanischen Städte, die vom Tourismus leben. Eine der Schwierigkeiten besteht darin, dass die Zuständigkeit für Tourismusfragen in regionalen Händen liegt, doch "nichts ist grenzüberschreitender als der Tourismus". Aus diesem Grund plädiert er für eine Grundverordnung, die die Kriterien vereinheitlicht, um zu verhindern, dass in diesem Gegensatz sich die einen den Kopf bedecken, während die anderen kalte Füße haben.

"Ein gewisses Gleichgewicht kann gefunden werden, wenn es eine frühzeitige Planung der Entwicklung gibt, in der Verpflichtungen mit den Unternehmen eingegangen werden, damit die geschaffenen Arbeitsplätze eine Mindestqualität haben und nicht prekär sind", sagte Garay. "Außerdem müssen negative Konsequenzen so weit wie möglich vermieden werden. Dazu können wirtschaftliche Sekundärfolgen gehören, wie die Unsicherheit der Arbeit selbst oder die Schädigung lokaler Unternehmen und Arbeitsplätze".

"Aus wirtschaftlicher Sicht besteht die Tendenz, einen Konflikt zu sehen zwischen einer Tätigkeit, die Wohlstand und Beschäftigung schafft, und Anwohnern, die ihren Lebensstil beibehalten wollen und negative soziale Auswirkungen wahrnehmen", fügt er hinzu. "Das ist zum Teil richtig, aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass eine schlecht geplante Entwicklung zum Verlust von Aktivitäten und Sektoren führt, sei es im traditionellen Tourismus oder in anderen Sektoren (der Handel ist einer der Hauptbetroffenen).

Es handele sich um die Millionen-Dollar-Frage, scherzt Bauzá, die will er haben, wenn er die Frage beantworten kann. Seiner Meinung nach kommt es auf den Einzelfall an, aber die Zukunft deutet auf Beschränkungen und Quotensysteme für Schiffe hin, wie es bereits an Orten wie den Cíes-Inseln, dem Strand der Kathedralen (Galicien) oder dem Leuchtturm von Creus (Katalonien) geschieht. "Es ist nicht möglich, ein allgemeines Kriterium festzulegen, vielmehr muss ein Gleichgewicht zwischen Nutzen und Belastung gewahrt werden", schließt er. "Die Analyse muss nach Zonen erfolgen". In der Zwischenzeit werden die spanischen Häfen weiterhin Rekorde brechen. Bis wann?

ANMERKUNGEN:

(1) “El ciclo de la vida (turística)“ (Der (touristische Lebenszyklus), El Confidencial, 2023-05-09 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Hafen Barcelona (el independiente)

(2) Hafen Malaga (el confidencial)

(3) Kreuzfahrt (el confidencial)

(4) Hafen Venedig (el pais)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-05-15)

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