Israel begeht zweite Nakba
Verschiedene UN-Organisationen weigern sich, an der von der israelischen Armee angeordneten neuen Vertreibung im Gazastreifen teilzunehmen. Was gerade begonnen hat ist eine unvorstellbar große Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung, erst aus dem Norden von Gaza, voraussichtlich auch aus dem Süden und eingeschränkt aus dem West-Jordanland. Nachdem Israel den Exodus von 1,7 Millionen Menschen erzwungen hat, sollen sie in "die bekannten Schutzräume" im Süden gehen. Doch real existieren die gar nicht.
Nakba – Katastrophe, nennen die Palästinenser die Vertreibung aus ihrem Land, die sie 1948, nach der Gründung des Staates Israel, kollektiv erlitten haben. Alles spricht dafür, dass Israel nun eine zweite Nakba in Gang gesetzt hat.
Bei den Angriffen aus Gaza werden weder Einrichtungen der UNO noch die von unterschiedlichen Staaten finanzierten Krankenhäuser von fatalen israelischen Bombenangriffen verschont. Angesichts der von Israel begonnenen massiven Vertreibung haben sich fast 20 UN-Organisationen und NGO-Gruppen geweigert, sich an der Einrichtung einer "sicheren Zone" im Gazastreifen zu beteiligen, wenn diese nicht unter allen Konfliktparteien vereinbart wird.
Diese benannten Organisationen reagieren damit auf die Pläne der israelischen Armee, die nach der gewaltsamen Vertreibung von rund 1,7 Millionen Gaza-Bewohner*innen (von mehr als zwei Dritteln der Bevölkerung) und der Vertreibung fast aller Bewohner aus dem Norden des Streifens nun auch die Übernahme des Südens vorbereitet.
Es handelt sich um den größten Exodus der palästinensischen Bevölkerung seit der Nakba (Katastrophe), der Zwangsvertreibung der Palästinenser bei der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948. Viele der jetzt vertriebenen Menschen waren bereits Flüchtlinge im Gazastreifen, Nachkommen der Vertriebenen von 1948.
Am Mittwoch rief die Armee mit aus der Luft abgeworfenen Flugblättern zur Evakuierung mehrerer Dörfer im Gouvernement Khan Younis auf und forderte die Palästinenser auf, ihre Häuser zu verlassen und sich “in die bekannten Schutzräume zu begeben". Was folgen wird, ist klar: wer nicht geht wird ausgebombt und massakriert. Schon längst geht es nicht mehr um irgendwelche Hauptquartiere von Hamas, die sich überall und nirgendwo befinden.
Mehr als zwei Millionen Menschen leben südlich des Wadi Gaza, des Flusses, der die Enklave teilt, und es gibt keine "bekannten Schutzräume", wie die zionistische Armee sie nennt. Tatsächlich werden auch Khan Younis und andere Orte im Süden bereits angegriffen, und die Vertriebenen selbst wurden auf ihrem Weg aus dem Norden bombardiert.
Ein Drittel der mehr als 11.500 Todesopfer seit dem 7. Oktober sind im Süden des Gaza-Streifens zu beklagen. "Es gibt keinen sicheren Ort in Gaza, weder im Norden noch im Süden noch im Zentrum, nicht einmal das UN-Gebäude ist sicher", beklagte die UN-Agentur für Palästinaflüchtlinge (UNRWA).
Eine sichere Zone sollte auf dem Einverständnis aller Kriegsparteien basieren, mit dem Nötigsten ausgestattet sein und die freie Bewegung von Zivilisten innerhalb der Zone ermöglichen, so die Leiter dieser Organisationen. Sie warnten davor, dass die einseitige Einrichtung solcher Zonen unter den derzeitigen Umständen zu "großen Verlusten an Menschenleben" führen werde. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe, Martin Griffiths, der Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, sowie die Leiter der WHO und des UNHCR (Welt-Gesundheits-Organisation und UN-Flüchtlings-Kommissariat).
Darüber hinaus fordern sie Bewegungsfreiheit für humanitäres Personal, da Israel auch diese Organisationen ins Visier genommen hat. UNRWA-Direktor Philippe Lazzarini prangerte an, dass Israel "absichtlich versucht, die Bewegungen" im Gazastreifen abzuwürgen. Er bezeichnete es als empörend, dass die Organisation um Treibstoff betteln muss, nachdem Israel nur die Durchfahrt eines halben Tankwagens genehmigt und dessen Verwendung für Krankenhäuser oder Wasserversorgung untersagt hat.
Israel hat bereits 102 UNRWA-Mitarbeiter getötet, die höchste Zahl von UN-Helfern, die in einem Konflikt in der Geschichte der Vereinten Nationen getötet wurden. Der israelische Krieg geht somit nicht mehr nur gegen Hamas und die palästinensische Zivilbevölkerung, sondern auch gegen Einrichtungen der UNO und gegen Organisationen humanitärer Hilfe, wie Ärzten ohne Grenzen, das Rote Kreuz oder Medico International.
Ein neues Regime
Der israelische Vertreibungsbefehl ist ein Vorbote des "neuen Regimes", das Israel nach den Worten des Staatspräsidenten Isaac Herzog in Gaza durchsetzen will. Während er die Vertreibung der Bevölkerung der Enklave ablehnte, stellte er fest, dass in diesem neuen Regime "die einzigen, die die Sicherheit garantieren können, die israelischen Verteidigungskräfte sind", was auf eine Wiederbesetzung von Gaza hindeutet.
Unterdessen greift Israel weiterhin Krankenhäuser an. Am zweiten Tag seiner Operation im Al Shifa-Krankenhaus, in dem angeblich ein Teil des militärischen Hauptquartiers der Hamas versteckt ist, wurden keine Tunnel gefunden, keine Geiseln und keine Zentrale der islamistischen Organisation. Herzog versuchte, seine Aussagen mit der Behauptung zu untermauern, militärische Ausrüstung und einen Computer mit "Bildern von gefangenen Geiseln" gefunden zu haben, er bot jedoch keine überprüfbaren Beweise.
Das medizinische Personal verneinte militärische Aktivitäten der Hamas in der Einrichtung. Das Krankenhaus Al Shifa ist zu einem großen Gefängnis ohne Wasser, Strom und Essen geworden, ein Verbrechen, für das in die Geschichte eingehen wird", prangerte der Direktor an. Soldaten verhörten und verhafteten weiterhin Patienten und Vertriebene. Panzer, die das Ahli Arab Krankenhaus belagern, griffen dort ebenfalls an und hinderten die Sanitäter daran, sich um die Verwundeten zu kümmern.
Borrell appelliert an Israel
Der oberste Vertreter der Europäischen Union für Außenpolitik, der Spanier Josep Borrell, rief Israel auf, sich in seiner Reaktion auf die Angriffe von Hamas "nicht von Wut verzehren zu lassen", denn "ein Schrecken rechtfertigt nicht die Anwendung von Gewalt". In einer Rede zu Beginn seiner Nahost-Reise an der Seite des israelischen Außenministers Eli Cohen vermied der EU-Diplomatie-Chef jede Verurteilung der Aggression gegen den Gazastreifen und sagte, er verstehe die Angst und den Schmerz der israelischen Bevölkerung, doch müsse Israel im Einklang mit dem Völkerrecht reagieren. "Ich verstehe die Wut, aber ich möchte Sie bitten, sich nicht von der Wut leiten zu lassen. Das ist es, was nur Israels beste Freunde sagen können", sagte er.
In einem rhetorischen Spagat zwischen der klaren Unterstützung der EU für Israel, den unterschiedlichen Positionen ihrer Partner und den Beweisen für das Morden in Gaza betonte Borrell die Notwendigkeit, humanitäre Korridore zu öffnen und den Krieg zu unterbrechen. Der Unterschied zwischen einer "zivilisierten Gesellschaft" und einer "terroristischen" Gruppe liege in der Achtung des menschlichen Lebens. Er fügte hinzu, dass "Kriege, Technologie und Soldaten nicht ausreichen, um die Sicherheit Israels zu gewährleisten".
Borrell wird mit Staatspräsident Isaac Herzog und Minister Benny Gantz sowie mit Oppositionsführer Yair Lapid zusammentreffen, nicht aber mit Premierminister Benjamin Netanjahu. Seine scheinbar humanitären Aufrufe an die Verantwortlichen in Israel sind letztlich Schall und Rauch, denn die EU deckt den aktuellen Völkermord zu 100%.
Im Gegensatz zu dieser EU-Position forderte der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa den Internationalen Strafgerichtshof auf, Israels Kriegsverbrechen im Gazastreifen zu untersuchen, und prangerte eine kollektive Bestrafung an, die "in der Geschichte ohne Beispiel" sei. Ramaphosa rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, einen sofortigen Waffenstillstand zu fordern und rechtliche Schritte auf globaler Ebene einzuleiten.
Jerusalem
Der bewaffnete Flügel der Hamas, die Ezzedin al-Qassam-Brigaden, bekannte sich zu einem Anschlag auf einen Kontrollpunkt in Jerusalem, bei dem ein israelischer Soldat getötet und fünf weitere verletzt wurden, um "die Märtyrer von Gaza zu rächen". Die zionistischen Streitkräfte töteten die drei palästinensischen Angreifer auf der Stelle.
Libanon
Nach versuchten Angriffen der Milizen und dem Abschuss von Panzerabwehrraketen auf israelisches Gebiet hat die israelische Armee erneut in mehreren Runden Stellungen der Hisbollah und der Milizen im Libanon bombardiert. Seit dem 7. Oktober sind in der Region mindestens 103 Menschen getötet worden: 10 in Israel (3 Zivilisten) und 93 im Libanon (13 Zivilisten).
ANMERKUNGEN:
(1) “Las agencias de la ONU rechazan colaborar con la nueva Nakba” (UN-Organisationen verweigern Zusammenarbeit bei der neuen Nakba), Tageszeitung Gara, 2023-11-17 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Vertreibung – Nakba (cad ser)
(2) Vertreibung – Nakba (afp)
(3) Vertreibung – Nakba (afp)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-11-17)