cwahn21Vom Leben in Kasernen

Fast niemand spricht mehr von der Pandemie, Coronavirus ist zum Nicht-Wort geworden, nicht zuletzt wegen der neuen Pandemie, die mit Ukraine anfängt und mit Krieg aufhört. Pandemie vorbei? Wenn in China gerade 50 Millionen weggesperrt sind? Auch im Baskenland steigen die Zahlen wieder, nach Karneval und demnächst nochmal nach Ostern. Denkt jemand an eine Bilanz? Dass die Pandemie ein riesiges soziales Experiment war? Aus dem die Politik ihre Schlüsse zieht. Die da unten sollten dies ebenfalls tun.

Das Krisen-Management der Pandemie war in vieler Hinsicht ein Try-and-Error-Spiel. Aber nicht alles. Die Milliardenprofite der Pharmaindustrie waren gut durchdacht, der Militäreinsatz ebenfalls. Das gibt zu denken.

“Was die während der Pandemie mit uns gemacht haben, war ein riesiges soziales Experiment“, schrieb mir ein Freund aus dem Gefängnis. Mit “wir“ meinte er nicht nur jene hinter, sondern auch alle vor den Gittern. “Die Herrschenden werden Bilanz ziehen und diese soziologische Erfahrung bei Gelegenheit wieder in die Waagschale werfen. Wir müssen einsehen, dass sich die Welt – und wir mittendrin – in einer Übergangszeit befindet, in der ein neues sozial-ökonomisches Paradigma und eine neue Weltordnung langsam Gestalt annimmt. Was in der Ukraine geschieht, ist ein Beispiel und Zeichen dafür. Vereinfachende Analysen helfen nicht“. Erkenntnisse, die fast Schmerzen verursachen.

Das Eichmann-Syndrom

cwahn22Coronavirus ist eine wichtige Motivation für Bürgersinn und Gehorsamkeit. Die Polizei in Gasteiz sah sich zum Einschreiten gezwungen in einem Haus, in dem sich 28 Roma (hier Gitanos genannt) versammelt hatten. Migranten und Roma. Menschen, die sich ständig berühren, die sich umarmen, die schreien und Krach machen. Der Virus verbreitet sich schneller beim Schreien. Der europäische Bürgersinn hingegen, zeichnet sich durch Stille und Individualismus aus. Keine Massen und Berührungen, keine lauten Töne.

Die anständigen Vertreter der multinationalen Konzerne entscheiden per Telefon die Zerstörung von Feuchtgebieten einer ganzen Region. Sie grüßen sich mit Ellbogen und kaufen in ehemaligen Kolonien Millionen von Hektar auf. Von New York aus lassen sie einen Wald abholzen und am selben Ort Mais für Biodiesel pflanzen. Berge werden durchlöchert, um Minen anzulegen. Umweltschädliche Industrie-Anlagen werden in den Süden verlegt, um dort Millionen von Schweinen und Hühnern zu produzieren. Wenn Ebola aufkommt, sind Fledermäuse und Schuppentiere schuld. Mit Verachtung schauen sie auf jene Menschen (aus allen Ecken der Welt), die nicht wissen was Bürgersinn ist.

Die Kaserne tanzt

Die Militaristen haben sich schon immer um uns gekümmert. Im Indischen Ozean beschützen sie seit Jahren die Piratenfischer aus unseren Häfen (Anakrana-Syndrom). Auf diesem Weg wird garantiert, dass in unseren Restaurants ausreichend Fisch-Delikatessen serviert werden können. Im Mittleren Osten und im Golf von Guinea werden Schlachten geführt gegen Terroristen und Freibeuter, oder gegen terroristische Korsaren, um die freie und kontinuierliche Versorgung mit Erdöl zu sichern. Freie und ungebremste Versorgung bedeutet, dass das Erdöl, das bis gestern dort in der Erde war, heute bei uns ankommt, in den Benzintanks unserer Fahrzeuge und in unseren Heizungen. Auf wundersame Weise.

Tatsache ist, dass sich die Militaristen in den Zeiten der Neuen Normalität um uns kümmern können, ohne über die Grenzen ausrücken zu müssen. Seit die Pandemien die Grenzzäune übersprungen haben und im spanischen Staat einmarschiert sind, haben die Uniformierten nicht aufgehört, Straßen, Installationen, Hospitäler zu desinfizieren. Bei Millionen von Pressekonferenzen standen sie Gewehr bei Fuß. Die Geschichte mit der Desinfektion müssen sie eines Tages noch erklären, bislang konnte ich nämlich noch keinen wissenschaftlich fundierten Grund dafür erkennen, nur propagandistische Offensichtlichkeiten. Die Pressekonferenzen waren nichts als Kasernen-Predigten aus schlechten Filmen. “Derzeit wird nicht in Erwägung gezogen, die Armee ausrücken zu lassen, um die Bewegungs-Einschränkungen zu kontrollieren“, hieß es gelegentlich in Madrid. Wenn dieser Moment kommt, falls er denn kommt, können wir nur hoffen, dass nicht Menschen mit Piraten verwechselt werden, jene Untermenschen aus unbekannten Territorien.

Empathisch, praktisch, gut

cwahn23In letzter Zeit haben sich die Militärs auch in Spurensucher verwandelt. Vom Hauptquartier in Gasteiz aus widmen sich dreißig bis vierzig Militärs Anrufen. Tageszeitungen publizieren Berichte dieser heroischen Missionen. Jene, die ihren Arbeitstag sonst dazu nutzen, Kampf-Simulationen durchzuführen – so die Berichterstatter – sind nun Teil eines Call-Centers. Die kostenlosen Werbe-Berichte erzählen von der delikaten, empathischen und behutsamen Aufgabe, mit der sie betraut sind. Am Rande wird erwähnt, dass “die Gesundheitskrise die Spurensuche erforderlich macht, keine Information darf verborgen bleiben“. Will heißen, wenn sie dich von der Kaserne aus anrufen, musst du dein Leben und das deiner Familie jenem Leutnant erzählen, der vorher Kampf-Simulationen praktizierte. Übungen, um in Afghanistan, Irak, Somalia oder Nigeria besser töten zu können.

Um die spanischen Truppen mit dem nötigen Material auszustatten, hat die Regierung kürzlich beschlossen, zwei Komma eins Milliarden Euro für die Anschaffung von 345 Panzerwagen auszugeben. Die größte Ausgabe in der Geschichte der Landarmee, heißt es in einer Schlagzeile. Diese “8x8“-Apparate zeichnen sich aus durch “beste Eigenschaften zum Schutz, zu tödlicher Wirkung und operativer Beweglichkeit“. Dass sie mit einer hohen Fähigkeit zu tödlicher Wirkung ausgerüstet sind, soll heißen, dass mit ihnen viel abgeschlachtet werden kann. Jeder Apparat wiegt so viel wie 15 Autos. Dieser Kram wird selbstverständlich ebenfalls mit Erdöl betrieben.

Profitabel

Unter den Unternehmen, die von diesem saftigen Vertrag profitieren, ist Indra, der große spanische Multi der Grenztechnologien. Auch der nordamerikanische Multi General Dynamics, der hat hier sogar eine Niederlassung, in Asturien. Der Panzerwagen-Vertrag war eine der großen Nachrichten des Sommers. Kaum vorstellbar, wie viel Arbeitsplätze dadurch gesichert werden. Gewerkschafter und Linke haben die Nachricht mit Sekt begrüßt.

Übrigens, mit dem Geld für einen Panzerwagen könnten die Kosten für 300 Betten in Intensivstationen über 30 Tage hinweg bezahlt werden. Mit den Kosten des Vertrags könnten somit 200.000 Personen auf Intensivstationen gepflegt werden. Der Regional-Präsident hat neulich aufgeschlüsselt, was während der Pandemie an Extra-Beträgen für Gesundheit ausgegeben wurde, für Schutzanzüge, Atemgeräte, Intensivbetten. Die Ausgaben entsprechen drei Komma fünf Panzerwagen. Blieben also noch 342 Kampfwagen. Unterdessen sind wir verzweifelt, weil viel zu viele Intensivbetten mit Covid-Patient*innen belegt sind.

cwahn24Der Ministerpräsident bittet eindringlich, dass wir so lange wie möglich zu Hause bleiben. Der Gesundheits-Minister fordert zur Einschränkung der Mobilität auf. Der Innenminister hingegen geht beispielhaft voran und hat Deportationsflüge nach Mauretanien, Marokko, Kolumbien und in die Dominikanische Republik angesetzt. Wir lernen daraus, dass Deportationen “elementare wirtschaftliche Aktivitäten“ sind. Air Europa kann sich freuen. Das Unternehmen hat zuerst die Geldbeutel einer reichen Familie gefüllt mit dem schmutzigen Geschäft der Ausweisungen und nun wird das Unternehmen von der Regierung finanziell “gerettet“.

Gehorsams-Anstalten

In einer Schule in Bilbo beginnt demnächst wieder der Unterricht. Ein Tag zuvor werden die Eltern zu einer Versammlung vorgeladen, ein einziger Tagesordnungspunkt: die Sanktionsliste. Bei einem leichten Vergehen erfolgt ein Tag Ausschluss. Ein leichtes Vergehen ist zum Beispiel, die Maske runterzulassen. Bei schweren Vergehen erfolgt der Ausschluss für eine Woche. Darunter ist zum Beispiel zu verstehen, wer am Bleistift eines Mitschülers lutscht. Den Verweigerer-Eltern werden Argumente geliefert. Eine Mutter denkt: Kind, wenn du in die Klasse kommst, lutsch die Bleistifte von allen und sie werfen dich raus bis Juni.

Die Klassen beginnen. Tische sind aufgestellt mit der vorgeschriebenen Distanz. Während des Unterrichts darf niemand seinen Platz verlassen. Berühren verboten. In den Pausen der ersten Tage setzen sich die Kinder in Reihe auf den Boden des Schulhofs mit einem Meter fünfzig Abstand. Nach wenigen Wochen werden im Hof Bezugsgruppen eingerichtet. Jede Gruppe bewegt sich in der für sie vorgesehenen Zone. Individuelle Ausweise werden gedruckt. Foto, Schul-Identifikations-Nummer, Name und Familienname, Wohnort, Schuljahr, Gruppe. Ein Schüler wird an einem Vormittag sechs Mal nach seinem Ausweis gefragt. Wenn du außerhalb deiner Bezugsgruppe erwischt wirst, bedeutet dies Ausschluss. Verboten ist auch, ohne Begleitung eines Lehrers im Hof spazieren zu gehen. Nicht einmal zum Klo. Bei Zuwiderhandlung wirst du nach Hause geschickt. Schule fürs Leben.

Zucht und Ordnung

Als ich davon erfahre habe ich den Eindruck, dass die Schule nicht gerade im Zentrum der Stadt liegt, eher in einem jener Stadtteile, in denen es viele Kinder von Familien gibt, die sich nicht benehmen “wie es sich gehört“. Wenn es regnet, finden die Pausen im Klassenzimmer statt. Es wird einfach der Unterricht gestoppt. Die Kinder holen ihre Handys raus und schicken sich gegenseitig Botschaften. In Gruppen zu dreien machen sie Kampf-Videospiele gegen unbekannte Gegner.

cwahn25Ein Schüler hat seinen Stift zu Hause vergessen. Sein Freund leiht ihm einen. Da es zuhauf Alkohol und Handgel gibt, taucht der Junge den Stift in Desinfektionsmittel. Eine Lehrerin erwischt die beiden. Material auszutauschen ist ein schweres Vergehen. Eine Woche Hausarrest. Während alle zuschauen, wie die beiden das Klassenzimmer verlassen, schiebt ein Mädchen unter der Schulbank Gummibärchen zu ihrer Freundin.

Kasernen, die Krankenhäuser sein wollen, Schulen die Kasernen werden wollen. Wie der Katalane Albert Pla es besingt: Alle Dinge der Welt entscheiden irgendwann, ihren Ort zu wechseln. Das geschieht immer öfter. Der Besserwisser Rob Wallace stellt fest: “Wir müssen aufhören, die Erde zu stehlen und Massen-Migration zu provozieren. Nur so können wir verhindern, dass die Erreger auftauchen“. Doch macht es nicht den Eindruck, als ob der ausgerastete Kapitalismus seine Raubzüge bremsen wird. Aus diesem Grund sind die Bauernvölker und Ureinwohner*innen immer wieder dazu gezwungen, Widerstandsnester aufzubauen gegen die ausbeutenden multinationalen Konzerne. Öl-Pipelines werden sabotiert, Monokulturen in Brand gesetzt, Ländereien zurückerobert, Biodiversität wird propagiert. Gegen die unaufhörlichen Wendungen des Kapitals wollen sie lediglich, dass die Dinge an ihren angestammten Platz zurückkehren: die Berge, die Flüsse, die Wälder, die Wüsten, die Gletscher.

Epilog

Der erste Beitrag “Euskal Corona-Wahn (1)“ wurde am 30-12-2021 bei Baskultur.info publiziert. Die Reihe wird notwendigerweise fortgesetzt. (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Corona (efe)

(2) Corona (20m)

(3) Corona (elmundo)

(4) Corona (rtve)

(5) Corona (abc)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-03-24)

Für den Betrieb unserer Webseite benutzen wir Cookies. Wenn Sie unsere Dienstleistungen in Anspruch nehmen, akzeptieren Sie unseren Einsatz von Cookies. Mehr Information