JMJ01
Zum Tod des Zivil-Gouverneurs Jauregi

Juan María Jáuregui Apalategui, bekannt als Juan Mari Jauregi (Legorreta, 16. August 1951-Tolosa, 29. Juli 2000), war ein baskischer Politiker der PSOE-PSE, der vom "Kommando Buruntza" der Untergrund-Organisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA) erschossen wurde. In frühen Jahren war er selbst bei ETA, dann wurde er Kommunist und trat schließlich zur PSOE über. In deren Auftrag wurde er Zivil-Gouverneur von Gipuzkoa, in einer Zeit, als wegen der Todesschwadronen und “schmutzigem Krieg“ ermittelt wurde.

Die politische Karriere von Juan Mari Jauregi bewegt sich zwischen Franquismus und spanischer Demokratie, zwischen ETA-Mitgliedschaft und Staatspolitik.

Biografisches

Juan Mari Jauregi studierte Soziologie an der Jesuiten-Universität im Bilbao-Stadtteil Deusto. Als Aktivist im Kampf gegen den Franquismus beteiligte er sich in dessen Endphase an den Protesten gegen das als Burgos-Prozess bekannte Verfahren gegen sechzehn Angeklagte, bei dem 1970 sechs ETA-Mitglieder zum Tode verurteilt wurden (1). Landesinterner und Druck aus dem Ausland führten schließlich zur Umwandlung der Urteile. Bereits in seiner Studienzeit lernte Jauregi den legendären ETA-Führer José Miguel Beñaran “Argala“ kennen. Wegen seiner Aktivität bei ETA wurde Jauregi später (1972/1973) für anderthalb Jahre im Gefängnis von Basauri (Bilbao) inhaftiert. (2)

Die Organisation ETA spaltete sich in zwei ideologisch verschiedene Strömungen, ETA-m und ETA-pm (3), letztere wollten den bewaffneten Kampf beenden, wandten sich dem Trotzkismus zu, aus dieser Strömung ging später die Partei Euskadiko Ezkerra hervor. Als Teil der Minderheit der Organisation, die den bewaffneten Kampf aufgeben wollte, verließ Jauregi 1972 zusammen mit Roberto Lertxundi und Francisco Letamendía ETA und schloss sich der Kommunistischen Partei Spaniens unter der damals illegalen Führung von Santiago Carrillo an. Jauregi war von 1973 bis 1989 Mitglied der Kommunistischen Partei (2).

JMJ02Eintritt in die PSOE

Obwohl die Strategie, während der Transition und den Verhandlungen über ein Autonomie-Statut für das Baskenland keine ausreichenden Ergebnisse brachte, war in den 1980er Jahren das Ende von ETA-pm (político-militar) abzusehen, man verhandelte eine Selbstauflösung und wollte in eine legale politische Organisation übergehen: Euskadiko Ezkerra (EE, Euskadi -Linke). Die Kommunistische Partei Euskadis weigerte sich, mit Euskadiko Ezkerra im Zuge der Konvergenz mit der Sozialistischen Partei Euskadis (PSE-PSOE) zu fusionieren. Deshalb verließ Jauregi die kommunistische Formation und die zugehörige kommunistische Gewerkschaft Comisiones Obreras (CCOO), um sich der PSE anzuschließen, dem baskischen Ableger der “Sozialistischen Arbeiter-Partei Spaniens“ (PSOE), die sich damals noch nicht von marxistischen Ideen verabschiedet hatte (4).

Stadtrat und Statthalter Madrids

In der gipuzkoanischen Stadt Tolosa wurde Jauregi zum Stadtrat gewählt und im September 1994 als Nachfolger von José María Gurruchaga zum Zivil-Gouverneur von Gipuzkoa ernannt, eine politisch-administrative Funktion im Auftrag der spanischen Regierung (Juan Alberto Belloch war Innenminister, Felipe González war Premierminister). Die damalige Innenministerin Margarita Robles hatte Jauregis Ernennung befürwortet, unter anderem um die Ermittlungen in der Intxaurrondo-Kaserne der Guardia Civil in Donostia voranzutreiben, die zur strafrechtlichen Verfolgung ehemaligen Politikern und mit Terroristen-Fahndung beauftragten Zivilgardisten im so genannten "Fall Lasa und Zabala" führen sollten. Die beiden jungen Lasa und Zabala waren zwei nach Iparralde geflüchtete Aktivisten (ebenfalls aus Tolosa), die dort von der Guardia und den GAL-Todesschwadronen entführt, gefoltert und ermordet worden waren (5). Pikanterweise waren die Terrorschwadronen mit Billigung (oder mehr) von Felipe Gonzalez zusammengestellt worden (6).

Jauregi sollte die Ermittlungen in dieser Untersuchung forcieren und erleichtern, und den mit den Ermittlungen beauftragten Polizei-Kommissar uneingeschränkt unterstützen. Dies führte später zur Inhaftierung des ehemaligen Zivil-Gouverneurs Julen Elgorriaga, ebenfalls Sozialdemokrat von der PSOE, der 1982 nach dem Wahlsieg von Felipe Gonzalez eingesetzt worden war, am “schmutzigen Krieg“ gegen die baskische Unabhängigkeits-Bewegung beteiligt war und deshalb im Jahr 2000 zu 67 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Dasselbe galt für den omnipotenten General der Guardia Civil, Enrique Rodríguez Galindo. Der Kommandant der Intxaurrondo-Kaserne machte die Kaserne in Donostia zum berüchtigten Folterzentrum schlechthin, für den Kampf gegen ETA war Galindo in den 1980er Jahren jedes Mittel recht, auch die Aufstellung von Todesschwadronen im französischen Baskenland. Auch er wurde zu einer langen Strafe verurteilt, verbüßte aber nur einen kleinen Teil davon (7).

JMJ03Jauregis Exil

Bereits zwei Jahre später, im Mai 1996, nach der Regierungs-Übernahme durch die postfranquistische PP unter Führung des ehemaligen Falangisten José María Aznar, wurde Jauregi aus dem Amt des Zivil-Gouverneurs entfernt. Nach seiner Entlassung verließ er das Baskenland. Tatsächlich war er während seiner Zeit als Zivilgouverneur mehrfach ins Visier der ETA geraten: Bei der Verhaftung des ETA-Mitglieds Valentín Lasarte und der Auflösung des Kommandos Donosti hatte sich herausgestellt, dass dieses einen Anschlag mit Autobombe auf Jauregi vorbereitet hatte und seine Bewegungen praktisch seit seiner Ernennung zum Gouverneur verfolgt hatte.

Angesichts der Bedrohung – Jauregi war zu einem bevorzugten Zeil von ETA geworden – bemühte sich das Innenministerium des ultrarechten Jaime Mayor Oreja darum, Jauregi bei der Firma Aldeasa (Flughafen-Läden) auf den Kanarischen Inseln unterzubringen. Weil er diesen Job zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten erledigte, wurde er später zum Leiter der Lateinamerika-Abteilung in Chile ernannt, wo er vor seiner Ermordung drei Jahre lang lebte und arbeitete.

Der Anschlag

Jauregi war verheiratet und hatte eine Tochter. Er reiste gelegentlich ins Baskenland, um seine Familie (die in Tolosa lebte, wo seine Frau Maixabel Lasa als öffentlich Bedienstete tätig war) und Freunde zu besuchen. Wenn er im übrigen spanischen Staat unterwegs war, hatte er keine Leibwächter bei sich, weil er das so wollte. Am 29. Juli 2000 machte er Urlaub in Tolosa, auch um seine Silberhochzeit zu feiern. Am Vormittag hatte er sich mit einem Freund, dem Nachrichtenchef des öffentlichen Fernsehen Euskal Telebista (EITB), Jaime Otamendi, in dem belebten Café des Pelota-Frontons Beotibar verabredet. Während sie sich unterhielten, näherten sich zwei Mitglieder der ETA dem Tisch und schossen ihm zweimal in den Hinterkopf. Er wurde vor Ort vom Rettungsdienst behandelt und in ein medizinisches Zentrum gebracht, wo er kurz nach dem Eintreffen starb.

Die Verantwortlichen für den Anschlag waren Mitglieder des Kommandos Buruntza, das ein Jahr später, im August 2001, von der baskischen Polizei Ertzaintza festgenommen wurde. Vor dem politischen Sondergericht Audiencia Nacional in Madrid wurden 2004 die Mitglieder des Kommandos Ibon Etxezarreta Etxaniz, Luis María Carrasco Aseginolaza und Patxi Xabier Makazaga Azurmendi des Mordes für schuldig befunden und zu 39 Jahren Gefängnis verurteilt. Carrasco und Makazaga (Leiter des Kommandos) hatten die Cafeteria betreten, während Ibon Etxezarreta mit einem Fluchtauto wartete. Demselben Kommando wurden dreißig weitere Anschläge zugeschrieben.

JMJ04Maixabel Lasa

Die Ehefrau und Witwe von Juan Mari Jauregi, Maixabel Lasa (*1951, ehem. PSOE-Mitglied), wurde ein Jahr nach dem tödlichen Attentat von der PNV-Regierung des Lehendakari Juan José Ibarretxe zur Direktorin des “Büros zur Betreuung des Opfer des Terrorismus“ berufen (Oficina de Atención a las Víctimas del Terrorismo), eine Funktion, die sie 11 Jahre innehatte, die letzten drei Jahre bei einer sozialdemokratischen Regierung (PSE-PSOE) unter Patxi Lopez. Im Gegensatz zu den zumeist ultrarechts angehauchten spanischen Opferverbänden (Covite, AVT) demonstrierte sie einen Arbeitsstil, der nicht auf Hass und Vergeltung abzielte, sondern auf die in der baskischen Politik übliche Versöhnung. Sie hatte keine Probleme damit, sich später mit zwei der Mörder ihres Mannes zu treffen, die sich vorher von ETA losgesagt hatten.

Weil sie sich mit ihrem Amtsvorgänger Txema Urkijo 2020 bei einer Veranstaltung zur Euskadi-Regionalwahl auf einem Foto gezeigt hatte, wurde sie mit einem Partei-Ausschluss-Verfahren der PSOE belegt. Dem kam sie mit dem Austritt zuvor. Derzeit (2021) wird ein Spielfilm gedreht über ihr Leben. “Maixabel“ ist ein Filmdrama unter der Regie von Icíar Bollaín, mit Blanca Portillo und Luis Tosar in den Hauptrollen. Der Film basiert auf realen Begebenheiten und erzählt die Geschichte von Maixabel Lasa, der Witwe des ermordeten baskischen Politikers Juan Mari Jauregi und eine der ersten unter den Opfern, die sich bereit erklärte, einen der Mörder ihres Mannes im Gefängnis zu besuchen. (8)

Bereits 2015 war Maixabel Lasa in dem Dokumentarfilm "Zubiak" (bask: Brücken) zu sehen, den Jon Sistiaga und Alfonso Cortés-Cavanillas beim dem Zinemaldi-Filmfestival von San Sebastián uraufgeführt hatten. Der Film dokumentiert ihr Treffen mit Ibon Etxezarreta, einem der drei Mitglieder des "Kommandos Buruntza". In einem späteren Interview sagte sie über diese Begegnung:

“Mein Mann wäre stolz auf mich. Er glaubte, wie ich, an die Notwendigkeit, zweite Chancen zu geben.“ – “Eine Begegnung zur Verständigung trägt dazu bei, Wunden zu schließen, zu heilen. Für das Opfer, für den Täter und für die Gesellschaft. Wir sehen, dass die spanische Regierung zu keinen Vereinbarungen kommt, weil sie nicht redet.“ – “Das Konzept von Terrorismus wird banalisiert. Die Jugendlichen von Alsasua, zum Beispiel, müssen sich zwar verantworten, aber nicht auf diese Weise. Hätte sich derselbe Vorfall in Sevilla ereignet, wäre er nicht als ‘Terroranschlag‘ eingestuft worden.“ – “2011 war ich das erste Opfer, das sich mit dem direkten Täter traf. Ich verbrachte fast drei Stunden mit ihm in Nanclares. Als ich den Ort verließ, fühlte ich mich, als wäre mir eine Last von den Schultern genommen worden. Ende 2012 schickte mir Ibon einen Brief, in dem er den Schaden anerkennt, den er mir und den Opfern von drei anderen Morden zugefügt hat.“ (9)

ANMERKUNGEN:

(1) “Der Burgos-Prozess 1970 – Franco auf der Anklagebank“, Baskultur.info, 2020-12-05 (LINK)

(2) Juan Mari Jauregi, Wikipedia (LINK)

(3) Im Laufe ihrer Geschichte spaltete sich die Organisation ETA mehrfach in verschiedene ideologische Strömungen mit unterschiedlicher Strategie. Bei der 6. Versammlung im Sommer 1970 fand ein Schwenk zu marxistisch-leninistischen Positionen statt. Aus der folgenden Spaltung gingen ETA-V und ETA-VI hervor, bzw. ETA militar (ETA-m) und "ETA político-militar" (ETA-pm). Die Differenzen führten nach dem Tod Francos im November 1975 zu einer unterschiedlichen Strategie bei der Bewältigung des Übergangs. ETA-pm, ursprünglich die wichtigste bewaffnete baskische Organisation, beschloss in der Versammlung VII, in diesem Prozess den politischen Mitteln den Vorrang vor den militärischen zu geben und löste sich wenige Jahre später nach Verhandlungen mit der Regierung auf. ETA-m existierte weiter bis 2018.

(4) Die Entsorgung des Marxismus bei der PSOE erledigte der damals unumstrittene Parteichef Felipe Gonzalez, indem er als Generalsekretär 1979 zurücktrat, nachdem sich seine Strategie anfangs nicht durchsetzen ließ, auf Marxismus als Partei-Ideologie zu verzichten.

(5) “GAL, spanischer Staatsterror – Der Polizeimord an Lasa und Zabala“ Baskultur.info, 2018-10-17) (LINK)

(6) “Freund der Terrorschwadronen – Spanischer Ex-Präsident beschuldigt“, Baskultur.info, 2020-06-26 (LINK)

(7) Enrique Rodriguez Galindo, General der Guardia Civil (LINK)

(8) Spielfilm-Drama “Maixabel“ (LINK)

(9) Maixabel Lasa: "Encontrarte con tu victimario le sana a él y a ti" (Maixabel Lasa: Dich mit dem Täter zu treffen hilft ihm und dir selbst“), El Periodico, 2019-10-06 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Witwe Lasa (elcorreo)

(2) Jauregi (voz de galicia)

(3) Gedenkfeier (diario vasco)

(4) Maixabel Lasa (elmundo)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-08-06)

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