Zu Weihnachten eine Spritze!
Wer hätte es gedacht! Wieder kein Weihnachten, wie es sich für eine ordentliche Konsum-Gesellschaft gehört. Wieder Angst und Impfdruck, in diesem Fall verbunden mit der Forderung, einen Ausweis vorzulegen, um in die Disko, ins Flugzeug oder ins Groß-Restaurant eingelassen zu werden: Richter stehen an vorderster Corona-Front. Die sechste Corona-Welle ist in aller Munde, Omikron ist die neue Vokabel, die wir lernen müssen. Wer kann, sollte schnell noch die Weihnachtsreise absagen. Schöne Bescherung!
Trotz aller Trauer und Ausdauer, die die Erd-Bevölkerung in zwei Jahren Pandemie zeigte, ist alle Hoffnung auf Normalisierung mit einer derben Bruchlandung zu Ende gegangen. Mit der sechsten Covid-Welle wird alles auf Null zurückgefahren. Faites vos jeux – das zynische Spiel beginnt erneut!
INHALT:
* (31-12) Opfer-Privilegien * (30-12) Inflation und Kaufkraftverlust * (29-12) Raubzug der katholischen Kirche * (28-12) Covid-Umfrage * (27-12) Kein Vergeben, kein Vergessen * (26-12) Der beliebte Erzbischof * (25-12) Covid, Masken, Kollaps * (24-12) Die faule Krankenschwester * (23-12) Die Reform der Arbeits-Reform * (22-12) Ein Kreuz weniger in Buruntza * (21-12) Argala bedeutet schlank * (20-12) Carrero im Nürnberger Prozess * (19-12) Baskisches Nein zum Schnellzug * (18-12) Alzheimer-Spenden-Marathon * (17-12) Stolpersteine in Navarra * (16-12) Zwangsräumung droht * (15-12) Tourismus-Wohnungen im Süd-Baskenland * (14-12) Euthanasie in Euskadfi * (13-12) Markt der Sozialen Bewegungen * (12-12) Folteropfer in Navarra * (11-12) Niemand darf Laura Orue vergessen * (10-12) 40 Jahre zu Unrecht in Haft * (09-12) Dolores, die Passionsblume * (08-12) Tod eines Fußball-Fans durch Neonazis * (07-12) In schlechter Verfassung * (06-12) Die ungeliebte Verfassung * (05-12) Illegale Flaggen im Stadion 1976 * (04-12) Internationaler Euskara-Tag * (03-12) Haushalts-Verhandlungen * (02-12) Schlechte Luftqualität in Euskadi * (01-12) Baskinnen aus aller Welt *
HINWEIS: Nach einem intensiven Jahr 2021 mit genau 365 täglichen Nachrichten (mit Jahrestagen) endet diese Serie bei baskultur.info. Sie wird fortgesetzt auf der neuen Webseite baskenland-info.net, die im Januar auf Sendung geht. Bei Baskultur.info ist weiterhin eine regelmäßige Kolumne zu lesen mit Kommentaren zu aktuellen Themen. URTE BERRI ON - EIN BESSERES NEUES JAHR!
(2021-12-31)
OPFER-PRIVILEGIEN
Das spanische Innenministerium schließt ein Jahr ab, in dem die Zerstreuung der baskischen politischen Gefangenen (ETA) Schritt für Schritt ein Ende gefunden hat. Zerstreuung (dispersión) bedeutet, dass die Gefangenen nicht wie üblich und rechtlich vorgesehen in Heimatnähe eingesperrt waren, sondern so weit entfernt wie irgend möglich. Für Besuche mussten bis zu 2.200 Kilometer zurückgelegt werden, der finanzielle Aufwand für die Angehörigen war enorm, es kam zu insgesamt 16 Toten durch Verkehrsunfälle. Im Jahr 2021, unter der sozialliberalen Koalition von Sozialdemokraten und Podemos, kam es zu 288 Überstellungen mit 202 ETA-Gefangenen (86 Gefangene wurden zweimal verlegt). Die Vereinigung der ETA-Opfer AVT hebt hervor, dass bis zu 112 der in Heimatnähe verlegten Gefangenen Bluttaten begangen habe.
Diese Zahlen bestätigen die radikale Veränderung, die die Landschaft des staatlichen Strafvollzugs im ablaufenden Jahr 2021 erlebt hat. Erstens wegen der Auflösung von ETA, ein Meilenstein, der den Anfang vom Ende der gegen die Gefangenen angewandten illegalen und menschenrechts-feindlichen Zerstreuungspolitik bedeutete. Zweitens der Amtsantritt von Pedro Sánchez als Premierminister, der die Tür für die Rückverlegung der Gefangenen öffnete. Das Innenministerium begann mit denjenigen, die leichte Strafen erhalten hatten, und ging dann zu Gefangenen über, die für folgenschwere Attentate verurteilt wurden.
Bereits Mitte 2021 gab es in den Gefängnissen Südspaniens (Andalusien, Murcia) keine ETA-Gefangenen mehr. Nach der letzten Zählung verbüßen derzeit 94 der 183 ETA-Gefangenen (51%) ihre Strafe in den vier Anstalten von Euskadi und in Navarra. Nachdem der Opfer-Verband von den jüngsten Verlegungen erfuhr, wurde der Regierung gestern vorgeworfen, das ETA-Umfeld "zu einem Zeitpunkt zu belohnen, wenn unsere Verwandten an unseren Weihnachtsfesten fehlen“. Ein eher schwaches Argument, denn demokratisch-rechtsstaatliche Justiz sollte für alle gleich gelten, unabhängig ob Basken oder Andalusier, Ostern oder Neujahr. Für die Opferkreise, die sich traditionell im Umfeld der spanischen Ultrarechten bewegten, waren diese Rechtsprinzipien immer viert- oder fünftrangig. Gefordert wurde nicht Justiz, sondern Rachejustiz, die dreißig Jahre lang tatsächlich in Form der letztlich gegen die Angehörigen gerichteten Zerstreuungs-Politik praktiziert wurde. Es liegt nicht lange zurück, dass aus diesen Kreisen gefordert wurde, die Gefangenen (ob Bluttaten oder nicht) sollten doch “im Gefängnis verfaulen“ – sicher ein ganz speziell demokratisches Rechtsverständnis.
Die spanischen Opfer-Verbände lassen verlauten, sie fühlten sich "zutiefst gedemütigt" und bedauerten die Gesten der Sánchez-Regierung, "um EH Bildu zu gefallen", einer linken baskischen Wahlkoalition, deren Abgeordnete ansonsten auch schlicht als “ETA-Leute“ bezeichnet werden. Doch nicht alle Opfer agieren gleich. Leute wie Maria Jauregi, Tochter des getöteten PSOE-Zivilgouverneurs, oder Rosa Lluch, Tochter des ermordeten katalanischen Sozialdemokraten Ernest Lluch, denen ebenfalls eine Person am Weihnachtsbaum fehlt, werden abgrundtief verachtet, weil sie die gesetzlich vorgeschriebenen Rechte für alle Gefangene einfordern. Auch im Wissen, dass es sich um die Mörder ihrer Väter handelt.
Bei den üblichen Januar-Demonstrationen der baskischen Linken für die Rechte der politischen Gefangenen war in den vergangenen Ausgaben (mit Ausnahme des Covid-Jahrs 2021) in der ersten Reihe Rosa Rodero zu sehen, Witwe eines baskischen Polizisten, der ebenfalls von ETA getötet worden war. Solche Bilder werden von der Ultrarechten mit Grausen aufgenommen, diese Frauen werden mehr verachtet als jedes einsitzende ETA-Mitglied. Wer die Regierung mit franquistischen Argumenten attackiert, macht unfreiwillig deutlich, wie notwendig die Gründung der Organisation ETA vor 62 Jahren war – als Form des entschlossenen Widerstands gegen eine faschistische Diktatur im besten Einverständnis mit den Nationalsozialisten der Konzentrationslager und des Holocaust. Trotz Abwesenheit von ETA stehen baskische Verhältnisse weiterhin spanischen Verhältnissen gegenüber. Eine unvollständige Demokratie versus Franquismus.
RÜCKBLICKE: * (1945) Die letzten Gefangenen verlassen das Konzentrationslager Gurs in Südfrankreich, an der baskischen Grenze zu Bearn. Zuerst waren dort baskische Kriegsflüchtlinge eingesperrt, zuletzt kriegsgefangene Nazis. * (1978) ETA tötet in Laudio einen Immobilienhändler und Polizeispitzel. * (1982) Das baskische Fernsehen EITB geht auf Sendung. * (2013) In der Altstadt von Iruñea (Pamplona) öffnet das alternative Kooperativen-Projekt Katakrak: Buchladen, Verlag, Kantine, Veranstaltungsraum, mit Spenden finanziert, in freiwilliger Arbeit aufgebaut. * (2019) China berichtet der WHO von 27 Fällen einer unbekannten Lungenentzündung in der Großstadt Wuhan. Symptome wurden bereits drei Wochen vorher beschrieben: Beginn der Coronavirus-Pandemie, die auch das Baskenland stark betraf. * (2020) Großbritannien verlässt die EU (nach dem Referendum vom Juni 2016), gegen den Willen Schottlands und Nordirlands.
(2021-12-30)
INFLATION UND KAUFKRAFTVERLUST
Höchster Wert seit drei Jahrzehnten. Für den starken Anstieg im letzten Monat des Jahres sind die Strompreise verantwortlich, in geringerem Maße auch Nahrungsmittel. Damit sind die Preise zum Jahresende, wie befürchtet, regelrecht explodiert. Die durchschnittliche jährliche Inflationsrate stieg im Dezember auf 6,7% und übertraf damit alle Prognosen von vermeintlichen Experten. Dies geht aus den am Donnerstag vom Nationalen Statistik-Institut (INE) veröffentlichten Daten hervor.
Seit fast drei Jahrzehnten wurden solche Werte nicht mehr erreicht, zuletzt im Jahr 1992, dem Jahr der Olympischen Spiele und der Weltausstellung in Sevilla. Es ist die zwölfte positive Quote in Folge und liegt einen Punkt höher als im November (5,5%), ebenfalls historisch. Die Frage ist nun: wurde der Höhepunkt bereits erreicht oder wird die Entwicklung 2022 weitergehen? Alles wird von der Entwicklung der Energiekosten abhängen, die im vergangenen Jahr ungebremst nach oben gingen. Denn verantwortlich für diesen ausufernden Verbraucher-Preisindex ist nach Angaben der Statistikbehörde der Strom. Dessen Preis schwankt zwar von Tag zu Tag, erreicht aber immer neue Rekordhöhen. Im Dezember wurde erstmals in der Geschichte an mehreren Tagen über 300 Euro pro Megawattstunde (MWh) erreicht, in den Spitzenzeiten sogar 400 Euro.
So wird der Dezember zum teuersten Monat: Die Stromrechnung für einen Durchschnittsverbraucher wird auf 119 Euro steigen, 24% mehr als im November. Dieser Anstieg ist hauptsächlich auf den Anstieg des Strompreises auf dem Großhandelsmarkt zurückzuführen, der einen Durchschnitt von rund 242 Euro/MWh erreicht und damit zum teuersten Monat in der Strompreis-Geschichte wird (der Rekordwert im Oktober lag bei 200 Euro/MWh).
Neben Strom haben auch Lebensmittel, wenn auch in geringerem Maße, diesen unkontrollierten Preisanstieg verursacht, in der Weihnachtszeit nicht verwunderlich. Zu bedenken ist auch, dass die Preise im Vergleich zum Vorjahr aufgrund der Coronavirus-Pandemie niedriger waren. Die Preise für Kraftstoffe sind für Privatfahrzeuge im Dezember dieses Jahres gesunken, während sie ein Jahr zuvor noch gestiegen waren. Weitere Einzelheiten zur Preisentwicklung stehen aus.
MONATLICHER ANSTIEG UM 1,3%
Der Verbraucherpreisindex verzeichnete im Dezember mit einem Anstieg von 1,3% den fünften Anstieg in Folge und lag einen Punkt über dem im November verzeichneten Anstieg und dem zweithöchsten monatlichen Zuwachs seit mindestens zwei Jahren nach dem Oktober (+1,8%). Es versteht sich fast von selbst, dass trotz solch massiver Mehrkosten die Familieneinkünfte nicht im selben Maß anstiegen. So ist jeder Prozentpunkt auch eine Prozentpunkt an Kaufkraftverlust. Selbst gute Tarifabschlüsse, wie sie zuletzt im Baskenland erzielt werden konnten, gleichen diesen Verlust auf persönlicher Ebene nicht aus. Erneut findet eine massive Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben statt. Besonders betroffen sind jene 30% der Bevölkerung, die an der Grenze zur Armut leben. Von den 10% von extremer Armut betroffenen ganz zu schweigen. Gleichzeitig bilanzieren Banken wie Santander oder BBVA Milliardengewinne, ebenso wie der baskische Energiemulti Iberdrola, derzeit der Inbegriff des Brachial-Kapitalismus.
RÜCKBLICKE: * (1970) Der franquistische Ministerrat beschließt, die sechs Todesurteile aus dem Burgos-Prozess nicht zu vollstrecken und sie in Haftstrafe umzuwandeln. * (1978) ETA erschießt in Igorre einen Taxifahrer, der als “Kollaborateur der spanischen Besatzungskräfte“ bezeichnet wird. * (1980) In Biarritz stirbt der ETA-Aktivist und Flüchtling Joxe Martin Sagardia durch eine Autobombe der ultrarechten Gruppe BVE. * (1985) Ein Wächter und Ex-Zivilgardist wird in Usurbil von ETA erschossen. * (2004) Das baskische Parlament beschließt mehrheitlich den Plan Ibarretxe, ein Vorschlag zur Reform des baskischen Autonomie-Statuts, der das Entscheidungsrecht vorsieht und die Basken als Nation definiert. * (2006) Bei einem ETA-Anschlag auf das T4-Parkhaus am Flughafen Madrid sterben trotz Vorwarnung zwei Autofahrer.
(2021-12-29)
KATHOLISCHE KIRCHE AUF RAUBZUG
Die Plattform zur Verteidigung des Erbes von Navarra hat erneut die "Plünderung" der katholischen Kirche angeprangert und die Rückgabe "aller Güter gefordert, die sich die Kirchen-Hierarchie angeeignet hat", indem sie Gebäude und andere Grundstücke in verschiedenen Städten der Region Navarra auf ihren Namen einschreiben ließ, weil keine anderen Eigentümer vermerkt waren. Bei den meisten Gütern handelt es sich um solche, die in kommunaler Arbeit erschaffen oder mit kommunalen Mitteln finanziert wurden, ohne Hinweis auf konkrete Eigentümerschaft. Die Kathedrale von Iruñea (Pamplona) ist eines dieser Gebäude.
Die Plattform erinnert daran, dass die spanische Regierung im Februar eine Liste der 34.961 Immatrikulationen publizierte, die von der katholischen Kirche zwischen 1998 und 2015 im Staat durchgeführt wurden. "Die Verbreitung dieser Liste ist ein einmaliger Erfolg für die zivilen Organisationen, die seit 15 Jahren die massive Privatisierung von Grundstücken und Immobilien aufgrund eines Privilegs anprangern, das Franco 1946 der katholischen Kirche gewährte", wird betont. Nur sei diese Liste leider "unvollständig und unzureichend".
"Unvollständig", weil sie keine Grundstücke enthält, die vor 1998 immatrikuliert wurden (als Artikel 206 des Immobilien-Gesetzes geändert wurde, der die Möglichkeit von Einschreibungen eröffnete), und "unzureichend", weil es aufgrund fehlender Schriftstücke in vielen Fällen unmöglich ist, die eingetragenen Grundstücke zu identifizieren und zu erkennen, wie viele Grundstücke zu jeder Immatrikulation gehören. "Da wir wissen, dass die vor 1998 durchgeführten Immatrikulationen zahlreicher sind als die danach und dass viele Einschreibungen mehrere Immobilien umfassen, können wir bestätigen, dass die Gesamtzahl der eingeschriebenen Immobilien 100.000 übersteigen könnte", heißt es aus Kreisen der Plattform. Die Liste enthält 2.952 Immatrikulationen in Navarra, die zwischen 1900 und 2021 durchgeführt wurden.
Nach diesem "uneingeschränkten Erfolg der Plattform zum Schutz des navarresischen Kulturerbes" gehe es nun darum, diese Informationen so weit wie möglich zu verbreiten, um zu ermitteln, welche dieser Güter einen kommunalen Charakter aufweisen, um sie als öffentliches Eigentum zu beanspruchen. Dazu soll eine Beratungs- und Unterstützungs-Stelle für lokale Einrichtungen und Einzelpersonen eingerichtet werden, die sich um die Rückführung des Eigentums bemühen.
Die Plattform erinnert daran, dass sowohl in den Wahlprogrammen von PSOE und Unidas Podemos als auch im Programm der Regierungskoalition die "Verpflichtung zur Umkehrung der vorgenommenen Immatrikulationen" deutlich zum Ausdruck kommt. Aus diesen Gründen wurde angekündigt: "Wenn die Regierungskoalition nicht in der Lage ist, ihre Verpflichtungen zu erfüllen, werden die Bürger-Bewegungen weiterhin diese Ausplünderung anprangern und die Rückgabe dieser Vermögenswerte fordern, die sich die katholische Hierarchie angeeignet hat".
RÜCKBLICKE: * (1890) US-Truppen ermorden in Wounded Knee bei einem Massaker 400 Lakota-Indianer, darunter fliehende Frauen und Kinder. * (1982) Am Bahnhof Irun erschießt ein ETA-Kommando zwei Zivilgardisten.
(2021-12-28)
PANDEMIE-UMFRAGE AZTIKER
Das private Statistik-Unternehmen Aztiker hat ein aufschlussreiches Umfrage-Ergebnis vorgelegt über Konsequenzen aus der Pandemie. Die Befragten fordern genau das, was die Politik nicht zu tun bereit ist: 98% fordern die Stärkung der öffentlichen Gesundheits-Versorgung, 85% wollen kostenlose Schnelltests, ein Covid-Pass und Schließungen von Einrichtungen werden nur wenig unterstützt. Die Stärkung der Primärversorgung ist die Hauptforderung der Befragten in Araba, Bizkaia und Gipuzkoa angesichts dieser sechsten Corona-Welle, so das soziologische Forschungszentrum Aztiker. Im Gegensatz dazu befürworten nur 22% die Forderung nach einem Covid-Pass für alle geschlossenen Einrichtungen, nur 13% sind für die völlige Schließung des Hotel- und Gaststätten-Gewerbes aus (was offiziell nicht in Erwägung gezogen wird, wohl aber eine Verringerung der Kapazitäten und der Öffnungszeiten).
Von allen möglichen Maßnahmen, die in der Umfrage vorgeschlagen wurden, finden genau die jene größte Unterstützung, die nicht umgesetzt werden: Neben der bereits erwähnten Stärkung der Primärversorgung fordert eine große Mehrheit, dass Verantwortlichen für von Lockdown betroffene Minderjährige von der Arbeit freigestellt wird (85%), dass die Frequenz der öffentlichen Verkehrsmittel erhöht wird (85%) und dass kostenlose Schnelltests durchgeführt werden (85%). Dabei handelt es sich um Maßnahmen, die nicht auf der institutionellen Agenda stehen, wo Themen wie der Covid-Pass gehandelt werden. Diese für geschlossene Räume geltende Vorschrift (seit einigen Wochen im gesamten Baskenland in Kraft), wird in dieser Umfrage nur von 22% unterstützt. Auch andere Optionen, die derzeit nicht umgesetzt werden, aber der von den Regierungen vorgegebenen Richtung entsprechen, finden wenig Unterstützung: nur 21% würden eine Impfpflicht ab 18 Jahren und nur 13% die Schließung des Hotel- und Gaststätten-Gewerbes befürworten.
REGIERUNG: 55% "SEHR SCHLECHT".
In der Umfrage werden auch Noten für die Maßnahmen der Regierungen Urkullu (Euskadi) und Sánchez (Spain) verteilt. Urkullu schneidet schlechter ab, seine Entscheidungen werden von 55% als "sehr schlecht" eingestuft, verglichen mit 36% für den Sozialdemokraten Sanchez. Auf die Frage nach der Bewertung der politischen Formationen in Zeiten der Pandemie erhält EH Bildu die beste Note (3,1), gefolgt von Elkarrekin Podemos (2,6). Der Wert der baskischen Christdemokraten von der PNV liegt bei 1,9. "Sehr schlecht" wird mit 0 und "sehr gut" mit 10 bewertet.
Aztiker erstellt auch ein Thermometer für Konfliktbereitschaft in der Bevölkerung. So wird gefragt, ob die Menschen sich frei fühlen, in der Öffentlichkeit über die Pandemie und ihre Bewältigung zu sprechen, worauf ausgewogene Antworten erscheinen: 23% fühlen sich frei sich zu äußern, aber 28% haben diesen Eindruck nicht. Die Aztiker-Umfrage online wurde mit 1.192 Personen durchgeführt, mit einer ausgewogenen Verteilung nach Provinzen und anderen Segmenten. 900 davon gehörten zum Aztiker-Pool (Gemeinschaft der Internetnutzer) und weitere 292 wurden durch "Einladung über einen offenen Link" gesammelt.
RÜCKBLICKE: * (1937) Tod des baskischen Komponisten Joseph Maurice Ravel, Autor des berühmten Musikstücks “Bolero“. * (1970) Das Urteil im Burgos-Prozess wird verkündet: sechs Angeklagte werden zum Tode verurteilt, der Rest erhält teilweise hohe Gefängnisstrafen, eine wird freigesprochen. * (1983) Das mit seiner Familie ins Nordbaskenland geflüchtete ETA-Mitglied Mikel Goikoetxea, “Txapela“ genannt, wird in Donibane Lohizune (frz: Saint Jean de Luz) von einem Terrorkommando aus Guardia Civil und Söldnern erschossen.
(2021-12-27)
KEIN VERGEBEN, KEIN VERGESSEN
Er war fünfzig Jahre alt und hatte bereits eine Reihe von Verhaftungen hinter sich, als er im Dezember 1962 erneut von der Polizei festgenommen und ins Gefängnis von Martutene gebracht wurde: aufgrund des franquistischen “Gesetzes für Landstreicher und Übeltäter“. Aber Vicente Lertxundi war weder das eine noch das andere. Er war ein einfacher Anarchist aus Donostia, damals San Sebastián, der im Gros-Viertel lebte und wahrscheinlich von einer besseren Welt träumte als die, in der er lebte. Eine dunkle, blutige Welt, beherrscht von einem allmächtigen und berüchtigten franquistischen Regime.
Am 27. Dezember, vor nunmehr 53 Jahren und mitten in der Weihnachtszeit fand Vicente Lertxundi den Tod. Nach der offiziellen Version wurde der Häftling in die Krankenstation des Gefängnisses gebracht, wo ein Herzleiden diagnostiziert und er noch am selben Tag ohne weitere Maßnahmen entlassen wurde. Die Version aus seinem damaligen Umfeld war ganz anders. Vicente wurde von den Gefängniswärtern brutal verprügelt. Als sie merkten, in welch schlechtem Zustand er sich befand, beschlossen sie, ihn außerhalb der Mauern auszusetzen, um einen möglichen Tod im Knast und den damit verbundenen Skandal zu vermeiden. Sein dahinsiechender Körper wurde von Nachbarn im Txomin-Enea-Viertel gefunden, sie brachten ihn in eine Krankenstation, wo er starb. Seine letzten Worte waren: "Sie haben mich getötet, sie haben mich getötet". Keine offizielle Stelle hat je eine Untersuchung eingeleitet, um die Umstände von Vicentes Tod zu klären. Nach all den seither vergangen Jahren ist klar, dass Vicente ein weiterer ungelöster Fall bleiben wird. Die offizielle Version entsprach der üblichen Vorgehensweise der Diktatur, ihre Verbrechen zu verbergen. Wer es wagte, die offizielle Version in Frage zu stellen, lief Gefahr, ins Visier der Staatssicherheit zu geraten und dasselbe Schicksal zu erleiden.
“Trotz Dunkelheit bleibt uns die Erinnerung. Unsere bescheidene und stille Erinnerung. Die Erinnerung eines nebulös erscheinenden vergilbten Fotos, die verblassten Buchstaben einer Chronik auf dem gräulichen Papier der Lokalzeitung. Uns bleibt die Kraft, an die Qualen eines Menschen zu erinnern, an den Leidensweg, auf den er im schändlichen Gefängnis von Donostia gezwungen wurde“. So hieß es bei der Gedenk-Veranstaltung, die für Vicente organisiert wurde. Denn weder sein Leben noch sein Tod sind vergessen. Weniger denn je. “Jedes Mal, wenn jemand dieses Foto anschaut oder ein paar Zeilen in seinem Gedenken liest, wird dem edlen libertären Herzen von Vicente Lertxundi Mayoz neues Leben eingehaucht“. Herriak ez du barkatuko – heißt es im Baskenland: Das Volk vergisst nicht.
RÜCKBLICKE: * (1917) Die Bolschewiken-Regierung mit Lenin an der Spitze verstaatlicht alle Banken. * (1962) Der Anarchist Vicente Lertxundi Mayoz wird im Gefängnis Martutene (Donostia) von Franquisten gefoltert und auf der Straße zurückgelassen. Kurz danach stirbt er. * (1978) Tödlicher ETA-Anschlag gegen einen rechten Karlisten in Ondarroa. * (1979) Juan Luis Zabaleta, LAB-Gewerkschafter mit Verbindung zu Gestoras pro-Amnistia, wird von einem Kommando der Parapolizeigruppe BVE entführt, in den Bauch geschossen und auf dem Friedhof Oiartzun zurückgelassen.
(2021-12-26)
DER BELIEBTE ERZBISCHOF
Der beliebteste Erzbischof der Baskinnen und Basken ist heute in Kapstadt gestorben. Er war gegen Apartheid, für die Rechte von Homosexuellen, für das Recht auf Euthanasie, gegen Kinderheirat, legte sich mit der Kirchenführung an und erhielt 1984 ganz nebenbei einen Friedens-Nobelpreis. Fermin Muguruza mit seiner Band Kortatu setzte ihm ein musikalisches Denkmal, was den Geistlichen bei allen baskischen Punks und Ska-Freundinnen bekannt machte: Desmond Tutu, Jahrgang 1931.
Tutu war anglikanischer Geistlicher und Menschenrechtler. Von 1986 bis 1996 war er Erzbischof von Kapstadt, ab 1995 war er Vorsitzender der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungs-Kommission. Tutu wurde als Methodist getauft, 1943 wurde er Anglikaner. Eigentlich wollte er Arzt werden, aber die Familie konnte sich diese Ausbildung nicht leisten. So wurde er Lehrer und arbeitete von 1955 bis 1958 als solcher. 1955 heiratete er Leah Nomalizo Shenxane, der Ehe entstammen vier Kinder. Weil die südafrikanische Regierung mit dem Bantu Education Act gesetzlich verordnet hatte, dass schwarze Kinder eine schlechtere Ausbildung erhalten sollten als weiße, gab Desmond Tutu den Lehrerberuf auf. 1958 begann er seine geistliche Tätigkeit in der Anglikanischen Kirche und erhielt 1960 das Lizenziat für Theologie und arbeitete als Diakon, 1961 erfolgte seine Ordination zum Priesteramt.
Zwischen 1962 und 1966 lebte die Familie in London, wo er den Master-Abschluss (1966) in Theologie erwarb. Danach kehrte er nach Südafrika zurück und war als Dozent tätig, später an der University of Botswana, Lesotho and Swaziland. 1975 kehrte er nach Johannesburg zurück, wo er als erster schwarzer Afrikaner, anglikanischer Dekan der Kathedrale wurde. Ab 1976 war Tutu Bischof von Lesotho, ab 1978 in Johannesburg Generalsekretär des Südafrikanischen Kirchenrates. In dieser Funktion reiste er 1979 nach Dänemark, um dort den Import südafrikanischer Kohle abzulehnen. Das brachte ihm nach seiner Rückkehr die Kritik des Justizministers ein. Im Mai 1980 wurde Tutu mit 53 anderen festgenommen, weil sie gegen die Inhaftierung eines Geistlichen von der protestiert hatten, der am Schulboykott von Colouredschülern beteiligt gewesen war. 1984 erhielt Tutu für sein Engagement gegen die Apartheid den Friedensnobelpreis. 1985 wurde er Bischof von Johannesburg und 1986 Erzbischof des Erzbistums Kapstadt.
Von 2003 bis 2018 war Tutu Botschafter der Entwicklungshilfsorganisation Oxfam und setzte sich für die Kampagnen Control Arms und Make Poverty History ein. 2007 gründete Tutu mit Nelson Mandela und anderen weltweit bekannten ehemaligen Amtsträgern die Gruppe The Elders zur Lösung globaler Probleme. Mit dem Ende seiner Lehrertätigkeit wurde Tutu politisch aktiv. Er nutzte Vorträge, um auf die Situation der schwarzen Bevölkerung aufmerksam zu machen. Als Dekan schrieb er 1975 an Premierminister Vorster, nannte die Situation in Südafrika ein „Pulverfass, das jederzeit explodieren kann“. Später setzte er sich für einen Wirtschaftsboykott seines Landes ein. Es gelang ihm, das Interesse der Weltbevölkerung durch seine Publikationen und Auslandsreisen immer stärker auf die innenpolitische Lage in Südafrika zu lenken.
Desmond Tutu wurde zusehends zu einer Symbolfigur der Schwarzen und als Verhandlungspartner von der Regierung akzeptiert. Nach dem Ende der Apartheid wurde Tutu 1995 Vorsitzender der Wahrheits- und Versöhnungs-Kommission in Südafrika. Tutu prägte 1994 den Begriff “Regenbogennation“ für das südafrikanische Volk. Der Begriff erlangte große Bekanntheit. Mit dem Baskenland verband Tutu – neben der Ablehnung des rassistischen Systems – ein Besuch des Lehendakari Ibarretxe, der um Unterstützung bei der Konfliktvermittlung bat. Tutu setzte sich für die Freilassung von Otegi aus dem Gefängnis ein. Der Song “Desmond Tutu“ wurde zu einem Klassiker der Ska-Band Kortatu.
RÜCKBLICKE: * (1982) Tod von Elbira Zipitria in Donostia, die während des Franquismus heimlich Euskara-Klassen organisierte. * (2007) Natividad Junco stirbt bei einem Autounfall, als sie einen entfernt eingesperrten politischen Gefangenen besuchen will.
(2021-12-25)
COVID, MASKEN, KOLLAPS
Ignacio López-Goñi, Professor an der Universität von Navarra, kritisiert die "Unfähigkeit" der Regierenden und insbesondere die Maskenpflicht im Freien, die seiner Meinung nach vom eigentlichen Problem ablenken sollen: dem Zusammenbruch des Gesundheitswesens.
Ignacio López-Goñi, Professor für Mikrobiologie an der Universität von Navarra und einer der renommiertesten baskischen Experten für diese Pandemie, hält das obligatorische Tragen von Masken im Freien für "ein Marketingmanöver", denn "das Problem" sei ein anderes: der bevorstehende Zusammenbruch des Gesundheitssystems, das nicht ausgebaut worden sei. In einem Interview mit Radio Euskadi warnte er davor, dass der Anstieg der Covid-Infektionen "keine Welle, sondern eine vertikale Wand" sei, die das Gesundheitssystem "zum Einsturz bringt". López-Goñi bedauerte die "Unfähigkeit" der Regierenden und appellierte angesichts dieser Situation alle Familien, auf die bestmögliche Art "Selbstfürsorge" zu praktizieren in einer Zeit, in der das Risiko einer Ansteckung mit der Pandemie so hoch wie nie sei.
Der Experte hält die Wiedereinführung der Maskenpflicht im Freien für "ein ausgezeichnetes Marketingmanöver, um vom Eigentlichen abzulenken", denn das “Problem liegt nicht im öffentlichen Raum". - "Wir wissen, dass das Problem in Innenräumen auftritt und dass die bereits bestehende Norm ausreichend war", sagte López-Goñi, der betonte, dass die Maske in Innenräumen oder im Freien getragen werden sollte, wenn der Abstand zwischen den Personen nicht ausreicht". Seine Schlussfolgerung: "die Leute reden über Masken, obwohl das Problem der Zusammenbruch des Gesundheitssystems ist.
RÜCKBLICKE: * (1831) Sklavenaufstand auf Jamaika, 60.000 rebellieren. * (1970) Der deutsche Konsul Beihl, der von ETA als Druckmittel im Burgos-Prozess entführt worden war, wird unversehrt freigelassen. * (1944) George Steer, Kriegsreporter, der die Vernichtung der baskischen Stadt Gernika durch die Legion Condor weltweit bekannt machte, stirbt in Myanmar (ehemals Birma).
(2021-12-24)
DIE FAULE KRANKENSCHWESTER
Überall im Baskenland gehen die Angestellten im Gesundheitsbereich auf die Straße, um gegen den viel zu geringen Personalstand zu protestieren. In den vergangenen Jahren wurden Betten gestrichen, das Personal wurde nicht wie nötig aufgestockt. In der Pandemie mit entsprechender Belegungs-Krise rächt sich das doppelt. In der baskischen Regierung setzt man auf private Versorgung. Andernorts ist die Situation noch deutlich schlimmer.
Seit Beginn der Pandemie sind die Wartelisten in der Region Madrid um 3.500% länger geworden. Trotz dieser düsteren Zahl fürchtet mehr als die Hälfte der im letzten Jahr eingestellten Ärzte, dass sie bald wieder auf der Straße stehen. Angesichts dieser ernsten Situation ist die Präsidentin der Region der Ansicht, dass die Ursache für das Problem bei den Ärzten und Beschäftigten des öffentlichen Gesundheitswesens zu suchen ist, die inkompetent sind, eine bessere Versorgung fordern und nicht ans Telefon gehen, wenn Patienten in den Zentren anrufen. Frau Ayuso sagt wörtlich: "Wer glaubt, dass es daran liegt, dass sie überfordert sind, der irrt. Es liegt nicht daran, dass sie überlastet sind, sondern daran, dass sie faul sind. In den Gesundheits-Zentren herrschen Spannungen, es werden Transparente aufgehängt, nicht alle wollen arbeiten und mithelfen".
Kommentar eines Arztes: “Als Bürger und Arzt frage ich mich, worauf das Gesundheits-Personal von Madrid wartet, um Ayuso anzuzeigen und eine sofortige Entschuldigung zu fordern. Dieser Frau muss der Krieg erklärt werden, so wie sie einen Krieg gegen all jene führt, die nicht mit ihrem populistischen und neoliberalen Gesellschaftsmodell übereinstimmen, einem surrealen Paradies, in dem Freiheit mit dem Recht gleichgesetzt wird, in einer Bar ein Bier zu trinken.
Das Gesundheitspersonal von Madrid (Valencia, Extremadura) oder die Fachkräfte in den abgelegensten Dörfern des Staates mit einem einsamen Arzt sind das genaue Gegenteil von Faulheit und das Paradigma der Entsagung. Die Verleumdeten sollten schnell auf diese Verantwortungslosigkeit reagieren, auf die Straße gehen, mit Unterstützung der Ärzteverbände, die sich so oft auf die Seite der Vorsicht und der Passivität schlagen, was nichts anderes als Konservatismus bedeutet.
Es wäre unprofessionell von mir, eine Diagnose über die geistige Gesundheit dieser Präsidentin zu stellen, aber ich behaupte, dass sie nicht die beste Person für ein solch verantwortungsvolles Amt ist, und sich verhält, wie eine machtbesessene Karrieristin, voller egomanischer Freude über die Schmeicheleien einer Lobby, die sie anbetet; und darauf bedacht, ihrer Partei und der spanischen Regierung vorzustehen. Eine Frau, die ihre Arbeitnehmer*innen und Bürger*innen im Allgemeinen beleidigt, einschließlich derer, die sie gewählt haben.
RÜCKBLICKE: * (1726) Der baskisch-stämmige Bruno Mauricio Zabala (spanischer Gouverneur von Buenos Aires) lässt Montevideo gründen. * (1979) In Aarhus, Dänemark stirbt der deutsche Studentenführer Rudi Dutschke. * (1985) Ein GAL-Kommando schießt in Biarritz auf einen Handwerker, der mit einem ETA-Mitglied verwechselt wurde, er stirbt 10 Tage später. * (1986) Bei einem angekündigten ETA-Bombenanschlag in Oiartzun wird ein Zivilgardist getötet. * (1990) Bei einem Angriff der Armee wird die junge Ärztin Marta Gomez aus Bilbao in El Salvador getötet.
(2021-12-23)
DIE REFORM DER ARBEITS-REFORM
Es war eines der zentralen Wahlversprechen der sozialliberalen spanischen Regierung: die sogenannte Arbeitsreform der rechten PP-Regierung zurückzunehmen. Reform war ein irreführender Begriff, vielmehr war es ein Kahlschlag. Der hatte den Arbeitgebern alle Türen zu Entlassungen geöffnet und den Arbeitsnehmer*innen uralte Rechte geklaut. Die ohnehin weit verbreitete Prekarität in spanischen Arbeitsverhältnissen wurde zur Regel gemacht. Vor Jahresende sollte nun die Reform der Reform über die Bühne gehen … das Ergebnis dürfte für Polemik sorgen. Zumindest im Baskenland.
Wenn sich Arbeitgeber und Gewerkschaften vom Verhandlungs-Tisch erheben und Einigkeit erzielt haben (zusammen mit einer Ministerin von Podemos), dann sind Zweifel angesagt. Denn erstere konnten alles vor zehn Jahren Gewonnene verlieren und zweitere wollten ihre Rechte zurückerobern. Generelles Fazit: selbstverständlich wurde die “Reform“ nicht zurückgenommen, sondern “modifiziert“, auf eine Weise, dass die antagonistischen Klasseninteressen befriedigt werden konnten. Nicht alle. Denn bevor der erzielte Kompromiss durch das Parlament geht, haben sich aus dem Baskenland kritische Stimmen gemeldet. Äußerst kritische Stimmen.
Denn die baskischen Mehrheits-Gewerkschaften ELA und LAB (mit zusammen 55 bis 60% der Betriebsrätinnen im Baskenland) sind vom Ergebnis alles andere als begeistert und setzen deshalb die Parlamentarier*innen von PNV und EH Bildu unter Druck, gegen diese Reform der Arbeitsreform zu stimmen. Bildu-Chef Otegi hat bereits angekündigt, dass seine Koalition nicht mitziehen wird, "wenn die Verstaatlichung der Tarifverhandlungen aufrecht erhalten wird und die schädlichsten Punkte nicht beseitigt werden". Die beiden baskischen Gewerkschaften sind überhaupt nicht einverstanden mit der Zustimmung der großen spanischen Gewerkschaften, der “kommunistischen CCOO und der sozialdemokratischen UGT, die dem Kompromiss zugestimmt haben.
"PSOE und Unidas Podemos haben ihr Wahlversprechen nicht erfüllt, sie haben sich wieder einmal den Mächten der Wirtschaft gebeugt ", beklagte ELA. Betont wurde, dass diese Vereinbarung "die Arbeitsreform nicht wie versprochen aufhebt und den mangelnden Einsatz der spanischen Regierung zeigt, Änderungen zugunsten der Arbeiterklasse vorzunehmen.
Nach Ansicht von ELA "hat sich die Podemos-Ministerin Yolanda Díaz selbst bloßgestellt, da sie bis zum letzten Moment an ihrem Versprechen festgehalten hat, die Arbeitsreform aufzuheben“. Daraus ist feuchtes Papier geworden, wie es in einem iberischen Sprichwort heißt. Die baskische Gewerkschaft warnt, dass sie "einen Betrug dieser Art" nicht hinnehmen wird und kündigt eine "breite und starke Antwort" an. Für sie ist auch ein Generalstreik nicht ausgeschlossen. ELA forderte "die Parteien des Blocks der Regierbarkeit“, zu denen auch PNV und EH Bildu gezählt werden auf, sich einer Reform entschieden zu widersetzen, die Zentralisierung und Unsicherheit festschreibt".
"MASSGESCHNEIDERT FÜR ARBEITGEBER".
LAB warf den Gewerkschaften CCOO und UGT vor, sich "ohne Druck auf eine Reform geeinigt zu haben, die auf die Bedürfnisse der Arbeitgeber zugeschnitten ist". LAB bedauerte, dass "keine Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verstaatlichung der Tarifverhandlungen zu korrigieren, die durch die Arbeitsreformen von 2010 und 2012 eingeführt wurde", ein Aspekt, der direkte Auswirkungen auf das Baskenland hat. "Die baskischen Arbeitnehmer sollen ihre Tarifverträge weiterhin den staatlichen Branchen-Tarifverträgen unterordnen, was zu Prekarität führt" (weil die staatlichen Gewerkschaften mehr Kompromisse machen als die baskischen).
Kritisiert wird auch, dass die Vereinbarung keine Änderung der "durch die Arbeitsreform von 2012 eingeführten Vorschriften für Entlassungen" vorsieht, die von den Arbeitgebern genutzt werden, um "Arbeitnehmer einseitig und ohne jegliche Garantien zu entlassen". - "Wir sagen laut und deutlich, dass die vorgenommenen Änderungen nicht den Forderungen der baskischen Arbeiterklasse gerecht werden. Aber das Spiel in Madrid steht noch aus, und die baskischen Parteien müssen die Gelegenheit nutzen, ihre Stimmen für die Interessen der Arbeitnehmer im Baskenland einzusetzen", bekräftigte LAB.
RÜCKBLICKE: * (1977) Schmutziger Krieg: Unbekannte attackieren den Sitz der PNV in Pamplona. * (1985) ETA erschießt in Pamplona einen Guardia Civil General. * (1998) Ein baskischer Weihnachtsmann klettert in Algeciras zu einem Gefängnis-Fenster hinauf.
(2021-12-22)
DER BERG OHNE FASCHISTENKREUZ
Der Berg Buruntza hat seit dem letzten Wochenende ein anderes Gesicht. Vom Gipfelkreuz aus dem Jahr 1939 ist keine Spur mehr zu sehen, weil die baskische Jugend es mit einer Aktion flachgelegt hat. Im Ort Andoain gibt es verschiedenste Meinungen dazu, allen voran, die der sozialdemokratischen Bürgermeisterin und jene der antifaschistischen Erinnerungsgruppe Oroituz.
Die Schnitte eines Trennschleifers Am Sockel des Kreuzes gaben vor einigen Tagen den Hinweis, dass sich jemand am Kreuz zu schaffen macht. Dies wurde Tage später bestätigt. Die Jugendorganisation Ernai übernahm die Verantwortung für die Aktion. Weil es sich um ein Kreuz handelte, das die aufständischen Faschisten 1939 zur Erinnerung an ihre gefallenen Soldaten errichtet hatten, so wie sie es in jedem Ort taten, bevorzugt in den “Verräter-Provinzen“ des Baskenlandes. Es handelte sich somit keineswegs um ein religiöses Symbol. "Auf dem Weg zur Freiheit in diesem Land kann die Jugend die Verherrlichung des Faschismus nicht hinnehmen", heißt es in dem Video, in dem die Aktion dokumentiert und erklärt wird.
Geteilte Meinungen, insbesondere über die Unkenntnis der Geschichte des Kreuzes. Xabi Lasa vom Verein Gedenkstätte Oroituz Andoain erklärt, dass diese Unkenntnis ihren Grund hat: "Wenn wir zu den Wurzeln gehen, gelangen wir zum Regime von 1978. Was nach Francos Tod verordnet wurde, ist Vergessen, diese Straffreiheit hat dazu geführt, dass faschistische Symbole wie das Kreuz in Vergessenheit gerieten". Tatsache ist, dass das Kreuz im August 1939 zur Verehrung der franquistischen Gefallenen errichtet wurde, eine unbestreitbare Tatsache. Der Standort war nicht zufällig gewählt, an der am besten sichtbaren Stelle wurde es gebaut. Lasa stellt fest, dass der Buruntza-Berg selbst ein Schauplatz der Kämpfe während des Spanienkriegs war.
Die sozialdemokratische Bürgermeisterin, Maider Lainez, erklärt, dass schon in den 1960er Jahren (im Franquismus) die Gedenktafel neben dem Kreuz entfernt wurde Die Debatte um die Entfernung des Symbols habe ihre ursprüngliche Brisanz verloren. So gesehen war sie nicht damit einverstanden, wie das Kreuz entfernt wurde. "Wir wahrscheinlich alle nicht einverstanden mit dem Denkmal, aber niemand hat in den letzten Jahren Anträge eingereicht, um es abzureißen". Das von der spanischen Regierung vor 15 Jahren erlassene Gesetz zum historischen Gedenken besagt jedoch, dass das Kreuz dort nicht bleiben konnte. Lainez gesteht das ein, aber dass das Kreuz "für viele Menschen einen wichtigen symbolischen Wert hat".
HINDERNIS FÜR DIE KOEXISTENZ
Der Gemeinderat von Andoain ist mehrheitlich der Ansicht, dass der Abriss des franquistischen Kreuzes das Zusammenleben und den gegenseitigen Respekt beeinträchtigt hat. Der Verein der Gedenkstätte Oroituz ist hingegen der Meinung, dass das Kreuz dort nicht hingehört. "Selbst wenn die Plakette entfernt wurde, handelt es sich immer noch um ein faschistisches Symbol. Die es dort aufbauten, nutzten die Macht der kirchlichen Hierarchie und benutzten die religiösen Gefühle des Volkes, um das Kreuz zu erhalten".
Lasa fügte hinzu, dass "es zu spät war", ohne darauf Bezug zu nehmen, wie die Entfernung zustande kam. Er erinnerte daran, dass vielerorts Zweifel an der Bedeutung der Kreuze geäußert werden. Aber er sagt klar: "Die Kreuze wurden aufgestellt, um zu zeigen, wer die Sieger waren und um die Opfer zu demütigen. Wir setzen unsere Arbeit mit den Opfern des Franquismus fort, weil es für sie bisher weder Wahrheit, noch Gerechtigkeit, noch Wiedergutmachung gibt“. (Anmerkung: Ein ähnliches Kreuz im bizkainischen Lemoa erlitt kürzlich ein ähnliches Schicksal; ein weiterer Versuch nahe Gasteiz blieb auf halber Strecke stecken.
RÜCKBLICKE: * (1914) Bei einem Brand wird in Bilbao das Arriaga-Theater zerstört. * (1995) In Leon wird ein spanischer Militär von ETA mit Autobombe getötet. * (1997) Mit der Regierung in Verbindung stehende Paramilitärs töten 45 Zapatisten, die meisten Frauen und Kinder.
(2021-12-21)
ARGALA BEDEUTET SCHLANK
“Argala“ ist Baskisch und bedeutet “dünn, schlank”, dieser Beiname beschrieb die körperliche Konstitution von José Miguel Beñaran. Er wurde 1949 im Bilbao-Nachbarort Arrigorriaga geboren (im “Ort der roten Steine“). Seine Familie war baskisch-nationalistisch gesinnt, seine Mutter baskisch-sprachig. Früh begann er Marxismus zu studieren und bewegte sich in links-oppositionellen Kreisen. Der Weg führte ihn zur Untergrund-Organisation ETA, der damals wichtigsten Fundamental-Opposition des Franquismus, die auch in der spanischen Linken viele Sympathisant*innen hatte.
Nach Verhaftungen in seinem Umfeld sah sich Argala gezwungen, seinen Heimatort zu verlassen und für längere Zeit im gipuzkoanischen Oñati unterzutauchen, dort nahm er einen Decknamen an. 1970 war er an der Aktion “Operation Flasche“ beteiligt, bei der die Angeklagten im Burgos-Prozess befreit werden sollten. Bei jenem international Aufsehen erregenden Verfahren im Dezember 1970 waren 16 Personen der Mitgliedschaft bei ETA angeklagt, es drohte die Todesstrafe. Die Zeit war geprägt von einem Franquismus, der nach Wegen der diktatorischen Kontinuität suchte. 1969 war ein Borbonen-Sprössling zum Staatschef für die Zeit nach Franco designiert worden, er schwor Franco die Treue, schwor auf die Prinzipien der faschistischen Bewegung und die franquistischen Gesetze.
Gleichzeitig stieg die Spannung im Land, es kam zu Streiks, die Opposition organisierte sich. 1969 kam es zu Unruhen an den Unis von Barcelona und Madrid, das politische Sondergericht verurteilte 93 Aktivist*innen illegaler Parteien zu 223 Jahren Haft. Vier Anwälte wurden deportiert, waren aber rechtzeitig zum Burgos-Prozess zurück, um die Verteidigung zu übernehmen. 1970 gab es 1.500 Streiks mit 400.000 Streikenden im Baskenland, in Barcelona, Asturien, Madrid, Sevilla und Granada. Vor den Augen des aufmerksamen Analytikers Argala.
Die pragmatischen Sektoren des Regimes setzten auf einen Kapitalismus auf breiter Ebene, national wie international, sowie auf die Einbindung in die Europäische Gemeinschaft EU. Gesucht wurde nach einem Konzept von Franquismus ohne Franco, politische Liberalisierung gehörte nicht dazu. Der harte Kern der Falange hingegen setzte auf Repression und Kontinuität. Der Burgos-Prozess sollte Härte demonstrieren, er fand im In- und Ausland große Aufmerksamkeit und machte die Ankläger zu Angeklagten. Der öffentliche Druck verhinderte schließlich, dass die Todesurteile vollstreckt wurden, die für sechs Angeklagte ausgesprochen worden waren.
Der Plan, die vom Tode bedrohten Angeklagten über einen heimlichen Tunnel zu retten, scheiterte. Argala ging ins Exil im nördlichen Baskenland, baskisch Iparralde, Zeit für politische Schulung. Mit neuem Decknamen ging Beñarán 1973 nach Madrid, um mit anderen zusammen einen Anschlag auf den designierten Nachfolger Francos vorzubereiten. Die “Operation Menschenfresser“ war erfolgreich, kostete Carrero Blanco am 21. Dezember 1973 das Leben und warf die Pläne des Regimes für die Zeit nach dem dahinsiechenden Franco über den Haufen. Die Attentäter blieben unerkannt.
Zurück im Exil in Iparralde beteiligte sich Argala am Neuaufbau des baskischen Widerstands. Bei ETA gab es unterschiedliche Sichtweisen, wohin der künftige Weg gehen sollte. Argala übernahm eine doppelte Funktion. Er analysierte das Ende des Franquismus und die politischen Änderungen, die sich anbahnten. Gleichzeitig arbeitete er an einem Organisationsmodell, das den verschiedenen Kräften der baskischen Befreiungs-Bewegung ihre jeweilige Funktion zuordnete. ETA spaltete sich in ETA-militar und ETA politico-militar, mit unterschiedlichen Strategien.
Argala wurde von den französischen Behörden auf die Insel Yeu (vor der Küste von Nantes) deportiert, dort heiratete er die Lebensgefährtin eines in Gernika von der Polizei getöteten Basken. Nachdem sie die Insel verlassen konnten, mietete das Paar eine Wohnung in Anglet im Nord-Baskenland (baskisch: Angelu). Die aus Faschisten und Militärs bestehende Todesschwadron Batallón Vasco Español (BVE – Baskisch-Spanisches Bataillon) setzte am 21. Dezember 1978 mit einer Autobombe Argalas Leben ein Ende. Über Jahre hinweg trug ein Platz in seinem Heimatort Arrigorriaga seinen Namen. Im Jahr 2009 wurde die Stadtverwaltung vom spanischen Sondergericht Audiencia Nacional gezwungen, den Namen zu ändern, weil er – so der Richter – die “Würde der Opfer des Terrorismus“ verletze.
RÜCKBLICKE: * (1935) Tod des deutschen Schriftstellers Kurt Tucholsky, der ein Buch schrieb über eine Reise durch das nördliche Baskenland: Das Pyrenäen-Tagebuch. * (1970) Kurz vor seiner Entlassung aus dem Gefängnis auf Kaution begeht Antonio Goñi in Donostia Selbstmord, nachdem er zuvor schwer gefoltert wurde. * (2002) Spektakuläre Solidaritäts-Aktion der Gruppen Zuzen und Demo an der Mauer des Pariser Knasts La Santé.
(2021-12-20)
CARRERO IM NÜRNBERGER PROZESS
Luis Carrero Blanco wurde 1904 in Santoña als Sohn einer Militärfamilie geboren. Er starb am 20. Dezember 1973 in Madrid (durch eine von ETA gelegte Bombe). Anmerkungen zu seiner Biographie. 1923, im Alter von 20 Jahren, wurde Carrero mit der Marine in Afrika stationiert. Als Soldat der spanischen Armee ging er gegen die Rif-Republik vor, um die Jahre zuvor gegründete Republik zu zerstören und die Armee des Rif-Protektorats wieder einzusetzen. Der Gefreite Carrero Blanco begann seine militärische Laufbahn in dieser feindlichen Umgebung. Sechzehn Jahre später, im Jahr 1939, wurde er zu einem der engsten Mitarbeiter von Francisco Franco. In der Zwischenzeit förderte er dessen Militärputsch. Nach dem ersten Scheitern des Aufstandes führten die Franquisten einen langen Krieg, der 600.000 Menschen das Leben kostete. Sie sind verantwortlich für den Tod von Tausenden von Zivilisten und ließen Zehntausende von republikanischen Freiwilligen erschießen.
Carrero Blanco war an allen Verbrechen beteiligt, die Franco zwischen 1939 und 1973 an der Bevölkerung beging. Er verbrachte seine gesamte persönliche und berufliche Laufbahn in der spanischen Armee, in deren politischer und militärischer Kultur Carrero als "Afrikanist" bekannt war. Seine Identität war geprägt durch seine blinde Loyalität gegenüber Diktator Franco, in dessen Schatten er an der Vorbereitung des Militärputsches vom Juli 1936 "als Stabschef der Marine- und Militärabteilung der Armee" beteiligt war. Mit seiner Beteiligung am Aufbau von Francos totalitärem Staat erwarb er sich das Vertrauen des Diktators. Der ernannte ihn 1941 und 1951 zum Staatssekretär der Präsidentschaft, 1957 zum Vizepräsidenten der Regierung. In dieser politischen Position verteidigte er Juan Carlos de Borbón als Franco-Nachfolger, der 1969 seine Treue gegenüber Franco und den Grundsätzen der falangistischen Bewegung schwor. Carrero selbst machte 1973 in seiner Eigenschaft als Regierungspräsident seine absolute Loyalität gegenüber dem Regime, das er selbst vertrat, deutlich. Während Carreros Amtszeit als Vizepräsident gab der Diktator 1973 seine Zustimmung zum "Frühlingsplan", an dessen Vorbereitung seit 1969 auch die Nachrichtendienste der Armee beteiligt waren und der zur Gründung der Geheim-Abteilung SECED führte. Hauptziel des Aktionsplans war, jede Spur von nationaler Identität im Baskenland und alle vorhandenen kommunistischen und nationalistischen Oppositions-Bewegungen zu beseitigen. Der Plan sah die Bildung von Einsatzgruppen vor, die Aktionen gegen oppositionelle Gruppen durchführen sollten.
Wie die Entwicklung des Franquismus unter Carreros Führung verlaufen wäre, ist selbst unter Berücksichtigung der militärischen und politischen Hintergründe Carreros kaum möglich. Schwer vorstellbar ist auch, dass Carrero im spanischen Staat vor Gericht gestellt worden wäre, wie dies 1945 in den Nürnberger Prozessen gegen die Führer des NS-Staates praktiziert wurde (Göring war ebenfalls Stellvertreter des Staatsoberhauptes): Gernika-, Badajoz-, Malaga-, oder Montjuïc-Prozesse wären die Namen gewesen. Klar ist, dass keiner von den Prozessierten Straßennamen oder Denkmäler erhalten hätten, geschweige denn, dass ihr politischer und militärischer Werdegang an bestimmten Orten des Staates öffentlich sichtbar geblieben ist: Santander, Avila, León, Ourense, Cáceres ... Während des demokratischen Übergangs wurden sie juristisch abgeschirmt und unantastbar gemacht. Die Privilegien, die dieser Carrero Blanco im Rechtssystem genießt, zeigt die jüngste Bestätigung des Titels Großherzog, der ihm 1973 von Franco verliehen wurde. Es handelt sich um Beispiele für die Straffreiheit der Franquisten. Der Franquismus ist in unserem sozio-politischen und wirtschaftlichen Leben präsent, der Franquismus und der Sieg nach dessen Ende sind offensichtlich. Die Opfer des Militäraufstands von 1936 und der Unterdrückung durch den Franquismus, haben von solchen Leuten nichts als Schmerz und Leid erfahren. Es liegt in unserer Hand, die Schritte zur Veränderung fortzusetzen. (Vereinigung der Opfer des Völkermordes von Donostia)
RÜCKBLICKE: * (1973) Der designierter Nachfolger des faschistischen Diktators Franco, Admiral Carrero Blanco, wird in Madrid von ETA mit einer Autobombe getötet. Bei der Fahndung erschießt die Polizei einen unbeteiligten 19-Jährigen, der mit den Attentätern verwechselt wird. * (1994) Schmutziger Krieg: Angriff auf eine Bar in Pamplona; faschistische Graffitis in Abusu-Bilbao.
(2021-12-19)
NEIN ZUM SCHNELLZUG
Die Versammlung baskischer Gemeinden in Iparralde hat gegen das Projekt zum Ausbau des Hochgeschwindigkeits-Netzes gestimmt. Zuvor hatten die Region Neu-Aquitanien und das Departement Pyrénées-Atlantiques das Projekt genehmigt, den Hochgeschwindigkeits-Zug von Bordeaux nach Toulouse und Dax zu erweitern. Die Abgeordneten des Nord-Baskenlandes hingegen haben gegen das GPSO-Projekt mit zwei neuen Schnellzugstrecken gestimmt (GPSO - Grand Plan Sud-Ouest). Seit mehr als 15 Jahren ist das Projekt Hochgeschwindigkeit in Iparralde, Hegoalde und Portgual äußerst umstritten.
In den beiden nichtbaskischen Institutionen hatte es nur eine Abstimmung gegeben. Das heißt, die Ratsmitglieder haben nur über den von den Behörden geforderten Zahlungs-Beitrag zur Durchführung des Projekts entschieden, sich aber nicht an der inhaltlichen Diskussion beteiligt. In der Versammlung Baskischer Orte wurde die Debatte auf andere Weise organisiert. Zunächst schlug Präsident Jean-René Etchegaray eine Debatte "über die Grundsätze des Projekts" vor. In der Folge lieferten sich die Ratsmitglieder eine dreistündige Debatte über Einzelheiten und Folgen des Projekts. Das Abstimmungs-Ergebnis war eindeutig: 144 Ratsmitglieder stimmten gegen das Projekt, 41 stimmten dafür und 18 enthielten sich. Das Projekt wurde somit abgelehnt, so dass der Finanzplan gar nicht mehr zur Abstimmung gestellt werden musste.
Zur Erinnerung: Die baskische Räte-Versammlung wurde angefragt, einen finanziellen Beitrag von 65,4 Millionen Euro zur Finanzierung des Projekts zu bewilligen, das von den Regionen Nouvelle Aquitaine und Okzitanien durchgeführt werden soll. Der Regionalrat von Neu-Aquitanien sagte in Bordeaux eine Unterstützung für den Grand Plan Ouest du Sud in Höhe von 710 Millionen Euro zu. Drei Tage später genehmigte der Generalrat des Departements Pyrénées-Atlantiques einen Beitrag in Höhe von 54 Millionen Euro für die Eisenbahnlinie Bordeaux-Dax.
RÜCKBLICKE: * (1978) ETA tötet einen Dissidenten, der einen Entführungsplan verraten hatte. * (1983) Der baskische Flüchtling Ramon Oñederra wird in Baiona von den GAL-Todesschwadronen in einer Bar getötet. * (2003) Der aus Galicien stammende José Atanes Rodríguez wird in Alegia von einem Ertzaina-Polizisten erschossen, der ihn für ein ETA-Mitglied hielt.
(2021-12-18)
SOLIDARITÄTS-MARATHON
Vorweihnachtszeit. Ab jetzt ist alles für einen guten Zweck. Am Telefon – stell dir vor – die Bundestrainerin der Fußballerinnen, einer der derzeitigen Tagesschausprecher, ein bekannter Basketballer, Schauspielerin Hannelore Hoger, Skifahrerin Katja Seizinger, der Sänger von Ramstein, Liedermacher Reinhard Mey, die Grünen-Politikerin Claudia Roth, eine Richterin vom Verfassungsgericht und vielleicht sogar die ausgediente Angela … das Publikum wird animiert, anzurufen und für einen guten Zweck zu spenden. 50 Euro oder 5.000, egal. Wer von den Promis den Anruf entgegen nimmt, füllt die Daten aus, ein kleiner Plausch … laut schlägt das Pfadfinderherz – frohe Weihnachten!
Heute geht es um Alzheimer-Forschung. Aber nicht in Deutsch-, sondern im Baskenland. Jedes Jahr Mitte Dezember organisiert das öffentliche Fernsehen EITB einen “Solidaritäts-Marathon“ von 24 Stunden, bei dem VIPs aus allen gesellschaftlichen Bereichen für ein paar Stunden Telefonistinnen spielen. Bisher sind wir bei 120.000 Euro, dass sind erst 10% der Gesamtspenden des letzten Jahres, als es um Multiple Sklerose ging. Am Telefon ein Radfahrer, ein Fußballtrainer, eine Journalistin, eine Schauspielerin, ein Clown, eine olympische Medaillen-Gewinnerin, ein Nachrichtensprecher, eine junge Sängerin, regelmäßig wird gewechselt. Dabei sein ist eine Ehre – für eine gute Sache.
Der Erlös in diesem Jahr geht an eine Stiftung, die sich um Alzheimer-Forschung bemüht. Ein Thema von überragendem Allgemeininteresse. Offenbar hat die Stiftung nicht ausreichend Mittel, ihre Arbeit – im Sinne von allen – auszuführen. Die Regierung könnte – im Sinne von allen – etwas großzügiger sein und die Stiftung besser versorgen. Wer will schon gerne, dass Oma einen ums Verrecken nicht mehr kennen will. Aber öffentliche Mittel sind knapp (wenn es nicht um Milliardengräber aus Zement geht, die wie der Hochgeschwindigkeits-Zug unbedingt gebaut werden müssen). Das Gesundheits-System – im Sinne von allen – scheitert an der Herausforderung der vielen Covid-Patienten, zu viele Stellen und Kapazitäten wurden abgebaut. Nur bei der Polizei wird der Personalstand aufgestockt.
Die baskische Bevölkerung ist solidarisch mit den Benachteiligten. Jeder Ertrag unter einer Million wäre eine große Überraschung. Anrufen ist erste Bürgerpflicht – wenn der Kontostand es erlaubt. Das reduziert die Zahl der Beteiligten beträchtlich. Fünf-Euro-Spenden werden nicht entgegen genommen. Vielleicht zeigt ja Amancio Ortega wieder ein offenes Herz. Neulich hat er über seine Stiftung dem baskischen Gesundheits-System Gerätschaften im Wert von 12 Millionen zukommen lassen. Die linke Opposition im baskischen Parlament forderte empört, die Spende zurückzuweisen, das sei doch oberpeinlich, sich von so einem beschenken zu lassen. Sie wissen nicht wer Amancio Ortega ist? Der reichste Mann des Staates, Besitzer der Modekette Zara, mit 6.550 Läden weltweit und unzähligen schlechtbezahlten Angestellten. 12 Millionen aus der Portokasse, nach dem US-amerikanischen Modell: wenig Staat, viel Profit, viel Caritas.
Das öffentliche Gesundheits-System, das vor allem der breiten Masse dient (weil die Reichen ohnehin privat versichert sind), wird abgebaut oder privatisiert, in solchen Dimensionen, dass die geringste Gesundheitskrise zum Kollaps führt – der gute Zweck wird mit Spenden finanziert. Jeder EITB-Marathon ist eine wahre Orgie des guten Willens. Jeder gespendete Euro ist ein Angriff das öffentliche System, Rückenwind für die Privaten. Insgesamt kamen 800.000 zusammen, nichts im Vergleich zu Ortega. Für die Alzheimer-Forschung. Für einen guten Zweck.
RÜCKBLICKE: (* 1974) Der junge Mikel Saralegi wird bei einer Kontrolle in Donostia von der franquistischen Guardia Civil erschossen. * (1977) Bei einem Schusswechsel am AKW-Bau Lemoiz wird ETA-Aktivist David Alvarez von der Guardia Civil schwer verletzt, er stirbt einen Monat später. * (1988) Mit einer Autobombe wird in Eibar ein Nationalpolizist getötet. * (1993) Schmutziger Krieg: In Arrasate wird ein Mann von drei Angreifern entführt und unter Drogen gesetzt. * (1995) Schmutziger Krieg: In Gasteiz wird das Auto eines linken Journalisten verbrannt.
(2021-12-17)
STOLPERSTEINE SIND ANGEKOMMEN
Mit jahrzehntelanger Verspätung, aber mit einem aufrichtigen Gefühl des Gedenkens und der Wiedergutmachung ehrte die Stadt Zangoza (span: Sangüesa) in Nafarroa kürzlich 10 der 43 Bewohner, die nach dem Militärputsch von 1936 wegen ihrer politischen Überzeugung ermordet wurden. Zusammen mit den Angehörigen und der Vereinigung Affna-36 (Vereinigung der Angehörigen von Erschossenen in Navarra 1936) wurde eine Gedenkfeier durchgeführt, bei der so genannte "Stolpersteine" verlegt wurden: kleine Messingplatten mit den Namen der Opfer.
Die Stolpersteine sind also im Baskenland angekommen! Wir können zwar nicht sagen, ob der deutsche Erfinder dieser Erinnerungs-Pflasterung auch in Navarra an jedem Stein seinen Kanon verdient, auch in Pamplona sind jene Fußnoten für Aufmerksame jedenfalls schon seit Jahren vorhanden. Name, Geburts- und Sterbedatum in einer Inschrift, die mit "hier lebte ..." beginnt. Eine individuelle Anerkennung, die sich auf alle Menschen erstreckt, die von den Aufständischen gegen die Republik unterdrückt wurden. "Es ist eine schlichte und aufrichtige Ehrung", sagte der Vizepräsident von Affna-36 zu den etwa hundert Menschen, die sich vor dem Rathaus versammelt hatten. "Mit diesen Tafeln erhalten unsere Angehörigen den Raum zurück, der ihnen genommen wurde", fügte die Enkelin von Liborio Marco Miguéliz und Begründerin der Stopler-Initiative hinzu und dankte der Stadtverwaltung von Zangoza für den "Mut", sich die Initiative zu eigen zu machen.
Begleitet wurde sie von Vertretern von Gruppen und Institutionen: der Präsidentin von Affna-36, dem Erinnerungs-Institut Navarra, Stadträten und der Bürgermeisterin von Sangüesa. Nur die postfranquistische Opposition war bei der Veranstaltung nicht anwesend. Nach ein paar Reden setzte sich der Marsch in Bewegung. Erster Halt war an einer Kreuzung der Calle Mayor, wo der Stein für Félix Larriqueta Maisterra angebracht wurde. "Wie sehr er sich das gewünscht hat", rief seine Enkelin Celia Larriketa, als sie den kleinen Pflasterstein in Händen hielt. Die zweite Ehrung galt Liborio Marco, einem CNT-Aktivisten, der in Alto de Loiti ermordet wurde. Seine Enkelin, Yolanda Marco, erinnerte daran, wie wichtig diese Ehrung für ihre ganze Familie und vor allem für ihren inzwischen verstorbenen Vater war, der mit dem sozialen Stigma aufwuchs, "der Sohn eines Roten zu sein".
Drei Generationen kamen zusammen, um die dritte Gedenktafel für die Brüder José und Luis Benedé Artieda an der Straße Alfonso el Batallador anzubringen. Emotional und mit bebender Stimme erinnerte Merche Benedé an die beiden Brüder ihres Vaters, von denen der eine 1936 in der Gefängnis Festung San Cristóbal ermordet wurde und der andere in Frankreich im Exil lebte, von wo er bis zu seinem Tod 1969 nicht zurückkehren konnte. "Sie wurden ermordet, weil sie Kämpfer für das Gemeinwohl waren. Die Route führte zu sieben weiteren Stellen der Stadt und endete in der Pino-Straße, wo José Uroz Navallas, Félix Zubiate Murillo, Isidro Artieda Martínez, Martín Lozano Segura und Primitivo Palacín Campaña geehrt wurden. An einem Ort vor der Kirche, in der Javier Rocafort Apesteguia gelebt hatte, verlas Koldo Pla (vom Kollektiv Txinparta) den letzten Brief, den Rocafort an seinen Sohn geschickt hatte, wenige Tage vor seiner Erschießung. Auch seine Tochter María Ángeles und der Enkel Mikel Rocafort kamen zu Wort. In einer emotionalen Rede wandte sich der Enkel an den Großvater vor dessen Haus und sagte, dass seine 8 Enkel und 8 Urenkel "mit Stolz seinen Nachnamen tragen".
Die Verlegung von "Stolpersteinen" (oder goldenen Pflastersteinen) wurde in Deutschland zum Gedenken an die vom NS-Regime Verfolgten entwickelt. In Navarra war Pamplona im Jahr 2015 ein Vorreiter bei der Platzierung dieser Projekte. Nicht alle aus der Erinnerungs-Bewegung sind mit den Pflastersteinen einverstanden. Denn in Deutschland wird auf diesem Weg an Jüdinnen und Juden erinnert, und damit an den Holocaust. In Navarra wurde das Konzept geändert zugunsten von Republikaner*innen.
RÜCKBLICKE: * (1830) Tod des baskisch-stämmigen “Befreiers“ Simon Bolivar. * (1938) Vor dem Friedhof Derio werden zwei republikanische Frauen erschossen: Leonidas Antruejo Lorenzo und Juana Abascal Nuñez. * (1979) Der baskische Exil-Ministerpräsident Leizaloa (1960-1979) übergibt symbolisch die Schlüssel des Sitzes der Exilregierung in Paris an den Vorsitzenden des Allgemeinen Baskischen Rats (Consejo General Vasco), Carlos Garaikoetxea, der vier Monate später zum ersten postfranquistischen Ministerpräsidenten der neuen Autonomen Region Baskenland gewählt wird. * (2010) Die Selbstverbrennung eines Gemüsehändlers in Tunesien löst den sog. Arabischen Frühling“ aus, eine Protestbewegung in verschiedenen Staaten. * (2017) Acht Jahre nach ihrem ersten Triumpf gewinnt Maialen Lujanbio im Messezentrum Bilbao-Barakaldo zum zweiten Mal die Meisterschaft der Bertsolari-Reimsängerinnen.
(2021-12-16)
ZWANGSRÄUMUNG DROHT
Wozu der Brutal-Kapitalismus in der Lage ist, insbesondere der Finanz-Kapitalismus, wissen alle, die genau hinschauen. Ein flagrantes Beispiel spielt sich eben in Donostia ab, der Hauptstadt der baskischen Provinz Gipuzkoa, 2016 Sitz der Europäischen Kulturhauptstadt und ein begehrlicher Ort für Immobilien-Manöver. Gegen eine Frau, die mit ihren drei minderjährigen Kindern in Donostia lebt, wurde bereits jetzt der Termin für die Zwangsräumung auf den 3. März festgelegt. Geklagt hatte der "Geierfonds" Azora, der die Mieten für Wohnungen, deren Mietvertrag ausläuft, um 33% erhöht.
33% ist ein Drittel des vorherigen Mietpreises, und um die Dimension dieser Maßlosigkeit zu begreifen, ist ein Blick auf das von der rechten Rajoy-Regierung beschlossene Mietgesetz aufschlussreich. Danach laufen Mietverträge drei Jahre, mit Option auf ein viertes, falls sich beide Vertragspartner einig sind. Anschließend wird komplett neu verhandelt, eine Grenze für Mieterhöhungen gibt es nicht. Wenn der Mietpreis also nicht gleich verdoppelt wird (warum eigentlich nicht?), dann kann die Drittelerhöhung alle drei Jahre stattfinden. Die Mieter*innen haben keinerlei Schutz und stehen vor dem Rauswurf, wenn sie nicht zahlen wollen oder können. In Bilbao wird eben versucht, angesichts starker Mietsteigerungen einen Mietspiegel zu entwickeln, der den Erhöhungen ein Limit setzt. Doch auch so fressen die Mieten bei vielen Schlecht-Verdiener*innen einen Großteil des zur Verfügung stehenden Einkommens.
Stop Desahucios (Stopp Zwangsräumungen) hat sich deshalb in Donostia versammelt, um vor der möglichen Räumung dieser Familie zu warnen, die in einem Haus leben, das dem Azora-Fonds gehört. Ihre Räumung ist für den 3. März 2022 geplant. Der Fall der Frau mit Namen Alejandra begann, als die Reinigungsfirma, in der sie bei einem Einkommen zwischen 800 und 1.100 Euro arbeitet, wegen Covid auf Kurzarbeit ging, diese Situation dauerte an bis August 2021. 1.100 Euro für vier Personen ist wahrlich kein Luxus, Alejandra geriet in Zahlungsverzug und leidet außerdem unter einer "kritischen familiären Situation", die zu Problemen bei der Zahlung der Miete geführt hat. Die Erhöhung war der Todesstoß, der "Geierfonds" reichte letzten Monat eine Räumungsklage ein.
Stop Desahucios fordert, dass in diesem Fall "ein Kodex für gute Bankpraktiken“ angewendet wird oder das Dekret, das seit dem 6. März 2012 die Räumung von Hypotheken-Schuldner*innen aus ihren Wohnungen verhindert, wenn sie sich “in einer Situation existenzieller Gefährdung befinden". Darüber hinaus wird vor sechs weiteren Zwangsräumungen durch Azora gewarnt. In diesem Fall von Mietern, deren Verträge zwischen August und November ausliefen und die sich "die unverschämte Erhöhung der Mieten, die bislang zwischen 750 und 900 Euro lagen", nicht leisten können.
Stop Desahucios beklagt, das Ziel des Fonds bestehe darin, die im Januar 2020 von der Inmobiliaria Vascongada gekauften Häuser "zu entmieten", um sie anschließend "in Tourismus-Wohnungen umzuwandeln". Da haben wir es wieder: Tourismus und Immobilien-Spekulation gehen Hand in Hand.
RÜCKBLICKE: * (1960) Zum ersten Mal im Franquismus findet ein Bertso Eguna statt, obwohl die baskische Sprache verboten ist. In Donostia im Theater treten 10 Bertsolari-Reimsänger an. * (1980) In Lekeitio wird die Bar Maite mit Bomben und Schüssen angegriffen, eine Person wird verletzt, die ultrarechte Gruppe Triple A bekennt sich zur Aktion. * (2001) Die abertzale Anti-Repressions-Gruppe Askatasuna (Freiheit) wird gegründet. * (2012) Das AKW Garoña an der baskischen Südgrenze wird nach vielen Störfällen vom Netz genommen. * (2016) Die französische Polizei verhaftet in Luhuson, Iparralde, fünf Personen, die versuchten, ETA-Waffen unbrauchbar zu machen.
(2021-12-15)
FERIENWOHNUNGEN IM SÜD-BASKENLAND
Im Süd-Baskenland (Nafarroa und Euskadi) gibt es mehr als 5.000 Touristenwohnungen (TW), etwas weniger als im Vorjahr. Donostia ist die Stadt mit den meisten Unterkünften dieser Art, gefolgt von Bilbo, Iruñea und Hondarribia. In Hego Euskal Herria gibt es 5.347 Unterkünfte für Touristen, wie das spanische Statistikamt (INE) mitteilte. Die Daten wurden im vergangenen August 2021 über die auf digitalen Plattformen beworbenen Unterkünfte erhoben. Das gesamte Angebot beläuft sich auf 23.022 Betten. Dies entspricht einem Rückgang von 5,7 % im Vergleich zum August 2020, als in den vier Provinzen insgesamt 5.669 Immobilien angeboten wurden. Ein Rückgang, der auf die Pandemiesituation zurückzuführen ist.
Nach Gebieten aufgeschlüsselt, stechen die Zahlen für Gipuzkoa mit insgesamt 2.098 Wohnungen ins Auge, was 39,2% der Gesamtzahl entspricht. Außerdem konzentrieren sie sich auf zwei bestimmte Gegenden. Zum einen auf der Strecke Donostia-Orio-Zarautz. In der Hauptstadt gibt es 1.347 TW, das entspricht 1,53% der gesamten Wohnungen der Stadt. In Zarautz sind es 144 und 42 in Orio. In der Grenzstadt Hondarribia mit 17.000 Einwohner*innen (EW) wurden 170 TW gezählt, dazu kommen in der Txingudi-Bucht 44 weitere TW in Irun.
Bizkaia kommt auf die Zahl von 1.928 TW (36% der Gesamtzahl in Süd-Baskenland). Fast die Hälfte davon befindet sich in der Hauptstadt Bilbo (911 TW bei 340tsd EW). Am rechten Ufer der Flussmündung fällt die Reichenstadt Getxo auf (108 TW bei 90tsd EW), während sich die Etablissements an der Nordküste auf Bermeo (89 TW bei 16tsd EW), Bakio (60 TW bei 2.500 EW) und Lekeitio (59 TW bei 7tsd EW) verteilen.
In der autonomen Region Nafarroa gibt es 993 touristisch genutzte Unterkünfte (18,5% des Ganzen), davon 397 in Iruñea. Im Süden tut sich Tutera (60 TW bei 35tsd EW) hervor, im Norden Baztan (48 TW bei 8tsd EW). In Araba schließlich gibt es 328 Unterkünfte für Reisende (6,1%). Fast die Hälfte davon befindet sich in Gasteiz (148 TW bei 250tsd EW). Von den übrigen Städten hat nur Guardia mehr als zehn (19 TW bei 1.500 EW). Und weil bekanntlich ein Drittel der Betreiber von TW ohne Genehmigung wirtschaften und sich der offiziellen Statistik entziehen, ist die reale Situation noch weit schlimmer für die einheimische Bevölkerung. Denn jede an Reisende vermietete Wohnung steht für den Binnenmarkt nicht mehr zur Verfügung. Dazu werden die Preise hochgetrieben.
RÜCKBLICKE: * (1937) Beginn der legendären Schlacht von Teruel im Spanienkrieg. * (1961) Todesurteil in Israel gegen Adolf Eichmann wegen Genozid. * (1979) Drei Tage nach Verabschiedung des neuen baskischen Autonomie-Statuts durch den spanischen Senat, der ein Referendum im Baskenland und die Zustimmung im spanischen Parlamente vorausgegangen war, kommt der baskische Lehendakari (Ministerpräsident) Leizaola nach 43 Jahren aus dem französischen Exil zurück. Der Sitz der Exil-Regierung in Paris wird geschlossen. * (1994) In Lasarte wird ein Stadtpolizist Opfer eines ETA-Anschlags.
(2021-12-14)
EUTHANASIE IM BASKENLAND
Ein halbes Jahr nach seinem Inkrafttreten hat das Euthanasie-Gesetz im Baskenland 13 Menschen auf dem Weg zum freiwilligen Tod geholfen, die meisten von ihnen zu Hause. 21 weitere Baskinnen und Basken, die um Sterbehilfe gebeten hatten, starben, bevor sie Hilfe erhielten. Nach dem neuen Gesetz 3/2021 über die Regelung der Sterbehilfe im spanischen Staat hat der baskische Gesundheitsdienst 35 Anträge erhalten, von denen nur ein einziger abgelehnt wurde, weil er die Anforderungen nicht erfüllte. Für weitere 21 Antragsteller, die auf eine Entscheidung von Osakidetza warteten, kam die neue Verordnung jedoch zu spät. Diese Daten wurden gestern im baskischen Parlament anlässlich des Erscheinens der baskischen Gesundheits-Senatorin veröffentlicht. Von den dreizehn Fällen, in denen das Euthanasiegesetz zur Anwendung kam, entschieden sich acht dafür, ihren letzten Atemzug zu Hause zu tun, während fünf sich in ein Krankenhaus bringen ließen. Sechs litten an unheilbaren Krankheiten, meist Krebs, sieben hatten chronische Behinderungen wie ALS, Multiple Sklerose oder Muskeldystrophie.
Das Alter der Betroffenen reicht von 45 bis 89 Jahren, mehr Männer als Frauen. Bei einer der Euthanasie-Maßnahmen hat der Patient darum gebeten, als Organspender zur Verfügung zu stehen, was in der Folge geschehen ist. Nach den Worten der Gesundheitsbehörde wurde die Verordnung im Baskenland "schnell und effizient" umgesetzt. Die Verantwortlichen der Abteilung informierten, dass sich nur ein Arzt weigerte, an der Euthanasie teilzunehmen, er berief sich auf Gewissensgründe. Bisher haben 1,9% des medizinischen Personals von Osakidetza (188 Personen), darum gebeten, aus persönlichen Gründen nicht an Euthanasie teilzunehmen.
Der Patient, der um Sterbehilfe bittet, muss zwei freiwillige, schriftliche Anträge stellen. Zwischen der Einreichung den beiden Anträgen müssen mindestens fünfzehn Tage vergehen. Ein Ausschuss prüft den Antrag und auch, ob der Patient an einer unheilbaren oder schweren Krankheit leidet, dies muss vom behandelnden Arzt bescheinigt werden. Der Patient muss zum Zeitpunkt des Antrags, in dem er seinen Willen zum Sterben äußert, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte sein. Dieser Prozess Schritte dauert im günstigsten Fall 30 bis 40 Tage. Bei den 13 Personen, deren Anträge genehmigt wurden, vergingen durchschnittlich 41 Tage. “Als Angehörige der Gesundheits-Berufe haben wir die Pflicht, uns in allen Lebensphasen zu kümmern", erklärte die Senatorin. "Sterbehilfe ist eine der Leistungen, die zur Versorgung gehören, ebenso wie die Begleitung, die emotionale, spirituelle und körperliche Betreuung und die schmerzlindernde Sedierung".
Nach Angaben des baskischen Gesundheitsdienstes wurde dieses Gesetz von der großen Mehrheit des Gesundheits-Personals "positiv" aufgenommen. Rund 5.000 Krankenschwestern und -pfleger, vor allem Ärzte, wurden in Bezug auf die Verfahren, Aktionsprotokolle und das Handbuch der guten Praxis bei der Sterbehilfe geschult. Die überwiegende Mehrheit sind Fachleute von Osakidetza, aber auch Arbeitnehmer aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich haben sich beteiligt. Die Senatorin wies darauf hin, dass "wir keine Spezialisten für Euthanasie oder spezielle Einheiten haben werden, aber wir werden Ansprechpersonen in jeder Gesundheitsstation haben. Es gibt somit keinen Grund zur Resignation, wenn ein erster Arzt den Antrag ablehnt".
RÜCKBLICKE: * (1955) Spanien und weitere 15 Staaten werden in die UNO aufgenommen. * (1990) Tödliches ETA-Attentat mit Autobombe gegen einen Nationalpolizisten in Zornotza.
(2021-12-13)
VOLKS-LADEN
“Herri Denda“ heißt das Projekt, das wie jedes Jahr zwischen Dezember und Januar in der Altstadt Bilbaos durchgeführt wird: Volks-Laden. Es handelt sich um einen Minimarkt, an dem um die 40 soziale und politische Gruppen teilnehmen. Deren Ziel ist zum einen, sich mit Info-Material einem größeren Publikum bekannt zu machen; und zum zweiten, dieses Material zu verkaufen, um mit den Einnahmen neue Aktivitäten organisieren zu können: T-Shirts, Jahreskalender, Zeitschriften, Bücher, Aufnäher, CDs, DVDs, Schallplatten, Tagesbücher, Pins, Feuerzeuge, etc.
Der Markt findet im Lokal der Gruppe Komite Internazionalistak statt (Internationalistische Komitees). Um Platz zu schaffen für 40 kleine Tische, wird das Lokal für vier Wochen geleert. Der Verkauf wird in täglich zwei Schichten von den Gruppen selbst organisiert, jede Gruppe übernimmt 4 Stunden Verantwortung. Unter den Teilnehmenden sind Anarchistinnen, Ökologistinnen, Kommunistinnen, Feministinnen, Antimilitaristinnen, Abertzale und Nicht-Abertzale, Basis-Gewerkschaften, Freundinnen politischer Gefangener, Migrations-Initiativen, Stadtteil-Gruppen. Um dem üblichen kapitalistischen Weihnachts-Kommerz zu entgehen, existiert hier die Möglichkeit, passende Geschenke zu kaufen (wenn es denn unbedingt sein muss). Dabei wird nicht gerade wenig umgesetzt, an fünfundzwanzig Verkaufstagen kommen etliche Tausend Euro zusammen. Ein Projekt, das alle Beteiligten zufrieden stellt und jedes Jahr mehr Gruppen zu Teilnahme animiert. Herri Denda! (Fotoserie)
RÜCKBLICKE: * (1474) Isabella die Katholische wird als kastilische Königin proklamiert, Jahre später schickt sie Kolumbus auf Entdeckungs-Reise. * (1937) Am Friedhof Bilbao werden drei republikanische Frauen erschossen. * (1986) Zwei Aktivisten der bewaffneten baskischen Gruppe Iparretarrak flüchten aus dem Gefängnis Pau. * (1991) Ein ETA-Kommando tötet in Barcelona zwei Nationalpolizisten. * (1998) Bei einem Referendum entscheidet die Bevölkerung von Puerto Rico zum dritten Mal gegen eine Unabhängigkeit von den USA. * (2009) Zum ersten Mal gewinnt mit Maialen Lujanbio eine Frau die Meisterschaft der Bertsolari-Reimsänger.
(2021-12-12)
VERBAND DER FOLTEROPFER NAVARRA
Mittels einer Pressekonferenz in Pamplona gaben das Netzwerk der Folteropfer in Navarra und die Menschenrechts-Stiftung Egiari Zor bekannt, dass der Beschluss gefasst wurde, einen Verein zu gründen, um die Folteropfer der Region zu vertreten. Sprecher der Initiative haben alle Personen, die in Navarra von den staatlichen Sicherheitskräften misshandelt und gefoltert wurden (oder deren Angehörige) aufgefordert, Formulare auszufüllen, die das Netz der Gefolterten in den kommenden Monaten in verschiedenen Orten Navarras verteilen wird.
So soll das Netzwerk erweitert und eine möglichst detaillierte Zählung der Folterfälle in Navarra durchgeführt werden, als Grundlage für die Anerkennung und Entschädigung all dieser Personen. Angesichts der erlittenen Misshandlungen wird es nicht immer einfach sein, sich an die Details zu erinnern und sie zu dokumentieren. “Mit größtem Respekt und Verantwortungs-Bewusstsein, denn wir wissen, wie schmerzhaft es ist. Aber wir glauben, dass es für alle von entscheidender Bedeutung ist". Die Sammlung von Zeugnissen verfolgt zwei Ziele. Einerseits soll das Netzwerk aus möglichst vielen Mitgliedern bestehen, "um als Vertretung den gefolterten und misshandelten Personen in Navarra eine Stimme zu geben". Die Informationen sollen so genau wie möglich übermittelt werden, um die staatlichen Sicherheitskräfte in Navarra aufzufordern, die in den letzten sechs Jahrzehnten praktizierten Misshandlungen anzuerkennen. "Wir wollen eine große gemeinschaftliche Anstrengung unternehmen, mit so vielen Menschen wie möglich".
TAUSEND FÄLLE, 60 JAHRE STRAFFREIHEIT
Im Dezember und Januar soll ein erster Schritt unternommen werden, "obwohl wir uns bewusst sind, dass wir diese Arbeit zeitlich eventuell ausweiten müssen, um mehr Personen zu erreichen". In diesen Monaten werden in verschiedenen Orten Anlaufstellen eingerichtet, in denen Folteropfer Formulare ausfüllen können: Pamplona, Alsasua, Etxarri Aranatz. Für den 12. Februar 2022 wird in der Musikschule von Berriozar zu einer öffentlichen Vorstellung des Netzwerks der Folteropfer von Navarra eingeladen.
Die Mitglieder des Netzwerks erinnern daran, dass die Geißel der Folter in mehr als 80 Orten in Navarra praktiziert wurde. In jedem dieser Orte gibt es mindestens einen Fall oder eine Anzeige wegen Folter, die nicht untersucht, anerkannt oder bestraft wurden. Die Initiatorinnen sind sich bewusst, dass die von den Staatssicherheitskräften verursachten physischen und psychischen Misshandlungen im Zeitraum zwischen 1961 und 2012 rund tausend Fälle umfassen. "Sechs Jahrzehnte, verschiedene Generationen, deren Leiden mit einem Mantel des Schweigens bedeckt, die stigmatisiert und vergessen wurden".
Obwohl es eindeutige Beweise für systematische Folter in Kasernen und Polizeistationen gab, haben Verantwortliche von Institutionen, politischen Parteien und bestimmten Medien die Misshandlungen “geleugnet und haben weggesehen". Dieses Schweigen wurde häufig in einen Verdacht umgedeutet, der sich ausdrückt in dem oft verwendeten Satz "irgendwas werden sie schon gemacht haben". “Das war ausreichend Grund, uns zu kriminalisieren und so doppelt zu bestrafen. Wir wissen, es ist ein harter und schwieriger Weg, die Anerkennung der systematischen Folterpraxis in Navarra zu erreichen".
NOCH EIN LANGER WEG
Die Mitglieder von Egiari Zor (bask: In der Schuld der Wahrheit) betonen, dass die Diskriminierung, die die Gefolterten erfahren, besonders tragisch ist. Sie beklagen, dass die Zahl der von dieser Art der Gewalt betroffenen Menschen hoch ist, die offizielle Anerkennung jedoch "spärlich" ausfällt. "Wir sprechen von Tausenden von Fällen", stellen sie fest. Das zeigen auch die Studien des Baskischen Instituts für Kriminologie, die für die Zeit zwischen 1960 und 1978 in Navarra und zwischen 1960 und 2014 in der Region Euskadi durchgeführt wurden.
Der Oberste Gerichtshof von Navarra hob 2019 die Subvention auf, die die Regierung von Navarra der Baskischen Universität UPV für die Erstellung eines Berichts über Folter mit denselben Parametern wie in Euskadi bewilligt hatte. Die Stiftung Euskal Memoria, die sich seit Jahren mit diesem Thema befasst, hat für die Zeit von 1960 bis heute 816 Fälle aufgedeckt und schätzt, dass es mehr als tausend sein könnten, was den bereits in Euskadi vorgelegten Zahlen entspricht. Egiari Zor ist daher der Ansicht, dass Tausende von Folteropfern anerkannt und entschädigt werden müssen. Die Institutionen im ganzen Baskenland werden aufgefordert, notwendige Schritte zu unternehmen, um eine offizielle Anerkennung zu ermöglichen.
RÜCKBLICKE: * (1979) Nach dem spanischen Parlament verabschiedet auch der Kongress das neue baskische Autonomie-Statut. * (1991) Der obligatorische Wehrdienst im spanischen Militär wird auf 9 Monate reduziert. * (2000) PP und PSOE beschließen einen Anti-Terrorismus-Pakt. * (2011) Die spanische Königsfamilie lässt mitteilen, dass der korrupte Schwiegersohn Urdangarin nicht mehr an offiziellen Aktivitäten teilnehmen wird.
(2021-12-11)
NIEMAND DARF LAURA ORUE VERGESSEN
Im Jahr 2020 wurden 16.528 Meldungen über das Verschwinden von Personen registriert, 38 % weniger als im Vorjahr. Einige Fälle werden von den Medien aufgegriffen, andere schaffen es kaum in die Presse. Nach Angaben des Innenministeriums sind 41 % der registrierten Fälle von Verschwinden Frauen. Eine merkwürdige Tatsache: Wir Frauen sind diejenigen, die am häufigsten gefunden werden oder wieder auftauchen. 76% der ungeklärten Anzeigen beziehen sich auf das Verschwinden von Männern. Es muss entsetzlich sein, mit dem Verschwinden eines geliebten Menschen ohne ersichtlichen Grund konfrontiert zu sein.
Einige Namen sind mir in besonderer Erinnerung. Virginia Acebes war 48 Stunden lang verschwunden. Ihr gefolterter Körper wurde am 22. November 1999 am Berg Artxanda in Bilbao gefunden. Ihr Onkel fand sie. Die Leiche von Olga Casas wurde in einer Schule in Portugalete gefunden, die von Laura Orue in einer Grube in der Nähe ihres Hauses in Zeberio, 20 Kilometer von Bilbao entfernt. Die Morde an Virginia Acebes und Laura Orue lösten in Bizkaia eine gewisse soziale Panik aus. Nerea Barloja, Autorin von "Sexistische Mikrophysik der Macht. Der Alcasser-Fall und die Konstruktion des sexuellen Terrors“, erklärte in einem Interview mit der feministischen Zeitschrift Pikara, dass wir über erzwungenes Verschwinden sprechen müssen: "Wir verschwinden nicht durch Magie, sie lassen uns verschwinden! Ich brauchte einen Begriff für diesen Umstand. Wir sprechen über das gewaltsame Verschwinden von Menschen in totalitären Regimen. Das können alle verstehen und einordnen, bei dem Verschwinden von Frauen ist das nicht so. Deshalb begann ich, diesen Begriff zu verwenden und zu sagen: Auch wir leiden unter einem totalitären Regime, in dem wir zum Verschwinden gebracht werden. Im Präsens: Sie lassen uns verschwinden“.
Laura Orue studierte Lehramt. Am 29. August 1999 ging sie nach Beendigung ihrer Arbeit in einem Land-Hotel nach Hause, um sich umzuziehen. Sie muss das Auto genommen haben, weil sie mit ihren Freundinnen beim Fest in Laudio verabredet war. Sie kam nie an. Das Auto tauchte am Bahnhof Ugao-Miraballes auf. Wahrscheinlich wollte sie es dort stehen lassen, um mit dem Zug weiter zu fahren, aber das konnte niemand bestätigen. Die Autopsie ergab, dass sie an Erstickung starb.
Die Polizei nahm drei Personen fest, es konnte nicht bewiesen werden, dass sie mit dem Verschwinden von Laura Orue in Verbindung stehen. Einer der Verhafteten war der Sohn des Hotel-Besitzers. Zwei weitere Männer wurden verhaftet, aber auch ihnen konnte keine Beteiligung nachgewiesen werden. Lauras Familie fordert weiterhin Gerechtigkeit. In einem Interview von 2020 erklärte ihre Mutter, María Ángeles Duoandikoetxea, dass es ihr schlechter gehe als am Anfang: "Wir wissen nichts Neues. Das Gleiche? Nein, schlimmer. Die Zeit ist vergangen, der Mörder meiner Tochter ist immer noch auf der Straße und Laura ist tot. Das ist die Realität. Immer noch derselbe Schmerz? Nein, schlimmer. Sie wissen auch nicht, was da passiert ist. "In meinem Kopf gibt es viele Hypothesen, aber da wir nichts gesehen oder gehört haben, können wir nicht darüber sprechen. Wir müssen schweigen und für den Rest unseres Lebens mit dieser Traurigkeit leben. Das ist mein größter Kummer".
Schwierig, ein Profil von Laura Orue zu schreiben. Alle Informationen über sie stehen im Zusammenhang mit ihrem Verschwinden. Wie sie war, was sie gerne tat oder wie ihr Lachen klang, bleiben allein in der Erinnerung ihres Umfelds und im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft, die ihre Geschichte kannte. Die Journalistin Isabel Camacho schrieb eine Chronik ihrer Beerdigung: Während ihrer Beerdigung gab es in der Nähe einen Festrummel und bunte Laternen. “Wenn sie nicht tot wäre, wäre sie heute sicher gekommen, um sich bei der Fiesta zu amüsieren, so wie sie es am Tag ihres Todes versucht hat", kommentierte ein Teenager. Ein Monument, das zu ihrem Gedenken in der Nähe des Fundortes ihrer Leiche aufgestellt wurde, unterstreicht die Forderung ihrer Familie, niemand darf Laura Orue vergessen. (Andrea Momoito, blogs.publico)
RÜCKBLICKE: * (1811) Ecuador erklärt sich von Spanien unabhängig. * (1974) Am illegalen Generalstreik im Süd-Baskenland (gegen Ende des Franquismus) beteiligen sich ca. 225.000 Arbeiterinnen und Arbeiter. * (1979) Schmutziger Krieg: Die Parapolizei-Truppe GAE vernichtet das Rathaus von Lezo und verbrennt ein Fahrzeug in Andoin. * (1984) Bombenattentate gegen Fahrzeuge von zwei Flüchtlingen in Hendaia, ein Verletzter. * (1987) Mit einer 250-Kilo-Autobombe zerstört ETA Kaserne und Wohnblock der Guardia Civil in Zaragoza: 11 Tote, darunter sechs Kinder, 88 Verletzte.
(2021-12-10)
40 JAHRE ZU UNRECHT IN HAFT
Angesichts von fast 200 politischen Gefangenen ist es im Baskenland nicht ganz einfach, auf das Schicksal von Gefangenen aus anderen Ländern aufmerksam zu machen. Eine kleine Gruppe in Bilbo – Euskal Herriko Mumiaren Lagunak – hat es geschafft, zumindest eine kleine interessierte Gemeinschaft zu formieren und den Weg dieses afro-amerikanischen Journalisten und Black-Panther-Aktivisten zu verfolgen. EHML mobilisierte, als es vor 10 Jahren um das Ende des ursprünglich ausgesprochenen Todesurteils gegen Mumia ging, weil er einen Polizisten erschossen haben soll. Das können mittlerweile ernsthaft nicht einmal mehr seine Feinde glauben, nachdem (außergerichtlich) so viele Gegenbeweise vorgelegt wurden. Aber die Uhren in USA ticken anders es ist ein rassistisches System, das nur von Rache beseelt ist, vor allem gegen Schwarze. Niemand könnte das besser ausdrücken als George Floyd … wenn er noch leben würde.
Mumia lebt, trotz aller Widrigkeiten wie Hepatitis, Coronavirus und einer Herzoperation, seit genau 40 Jahren in US-Haft, in jenem Großteils privaten System, das von Kritikerinnen “Gefängnis-Industrieller-Komplex“ genannt wird: Eine Vernichtungsmaschinerie, die viel mit Sklaverei und wenig mit Resozialisierung zu tun hat. 30 Jahre verbrachte Mumia unter dem Damoklesschwert einer Hinrichtung, bevor das Urteil wegen seiner Unzulänglichkeiten aufgehoben wurde. Zu einem neuen Verfahren – wie von seiner Verteidigung gefordert – durfte es aus Sicht der US-Justiz nicht kommen, denn Mumia wäre mit großer Wahrscheinlichkeit freigesprochen worden.
40 Jahre zu Unrecht in Haft – unter diesem Motto versammelte sich eine Gruppe von Personen in einem Arbeiterviertel von Bilbo, um an Mumia zu erinnern, und an die Notwendigkeit, alles zu unternehmen, um ihn aus dem Gefängnis zu holen. Ein Gast aus den USA hatte die Gelegenheit, von lange zurückliegenden Erfahrungen in Pennsylvania zu erzählen. “1990 hatten wir eine Einladung zum Freedom-Now-Kongress in New York, bei dem es um alle politischen Gefangenen und Prisoners of War der USA ging: Indians, Puertoricans, Chicanos, Blacks und weiße Antiimperialisten. Ein Freund hatte eine Besuchsgenehmigung bei Mumia, der damals noch im Gefängnis von Huntingdon in der Todeszelle saß. Während der Besuchszeit machte ich einen Rundgang durch den kleinen Ort und war beeindruckt von der Allgegenwart militaristischer und nationalistischer Symbole: der Sheriff, ein Haus für Kriegs-Veteranen, eine Rekrutenstation … es war gruselig. Der ganze Ort lebte von Kriegs-Erinnerungen und der Arbeit in diesem Gefängnis“.
Den Abschluss der kleinen Mobilisierung in Bilbo, zu der sich trotz baskischem Winterwetter immerhin 20 Personen einfanden, bildete ein gemeinsames Gruppen-Foto vor dem Mumia-Bild, das seit sieben Jahren am Barrio-Platz hängt: “Mumia Aske“ steht darauf. Freiheit für Mumia!
RÜCKBLICKE: * (1948) Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen (UNO), seither ist der 10.Dezember der Internationale Tag der Menschenrechte. * (1976) Fünf Gefangene fliehen aus dem Knast in Basauri (Bilbao), zwei von ETA, ein Kommunist und zwei soziale Gefangene.
(2021-12-09)
DOLORES, DIE PASSIONSBLUME
Dolores Ibárruri ist besser bekannt unter dem Namen Pasionaria, Passionsblume. Die am 9. Dezember 1895 (vor 126 Jahren) im Bergbau-Ort Gallarta geborene Ehefrau eines Minenarbeiters war die bekannteste baskische Politikerin der Arbeiterbewegung. Dolores war das achte von elf Kindern einer Bergbau-Familie. Einer ihrer Großväter wurde im Stollen von einem Steinblock erschlagen. Nach der Schule arbeitete sie ab 15 zwei Jahre lang als Näherin, drei Jahre als Dienstmädchen. Sie las viel und bildete sich selbst. Ihr Vater lud sie zu den Versammlungen der Sozialistischen Arbeiterpartei PSOE ein, 1917 wurde sie Mitglied.
Mit 20 Jahren heiratete sie einen Kommunisten und Bergarbeiter. Vier ihrer sechs Kinder starben aufgrund der schlechten Lebensbedingungen infolge extremer Armut. Nach der Teilnahme am Generalstreik 1917 wurde ihr Mann mehrmals inhaftiert, was die Misere der Familie verschlimmerte. Unter Diktator Primo de Rivera verschärfte sich die Repression. 1921 trat Dolores der Kommunistischen Partei bei. Unter dem Pseudonym La Pasionaria schrieb sie Artikel für das Bergarbeiterblatt “El Minero Vizcaino“ und engagierte sich in der Arbeiterbewegung. 1920 wurde sie in das Provinzkomitee der baskischen KP gewählt.
Dolores war eine der Gründer*innen der KP in Asturien. 1930 wurde sie in das Zentralkomitee gewählt. Bald darauf trennte sie sich von ihrem Mann und zog 1931 auf Anweisung der Partei nach Madrid. Als Redakteurin von “Mundo Obrero“ erreichte sie Bekanntheit. 1932 wurde sie Mitglied des Politbüros und Verantwortliche der Frauenkommission der PCE. Sie war eine begabte Rednerin, die Menschen mitreißen konnte, wurde von den Behörden verfolgt und mehrmals verhaftet. 1933 wurde sie als Abgeordnete der KP Asturiens ins spanische Parlament gewählt, wo sie sich für die Verbesserung der Frauenrechte, insbesondere bei der Arbeit, im Haushalt und in der Gesundheit, einsetzte. Ihre Partei delegierte sie 1933 für die Komintern. Im selben Jahr reiste sie erstmals nach Moskau, um Stalin zu treffen. 1934 nahm sie als Vorsitzende der Frauenkommission der PCE am Welt-Frauen-Kongress in Paris teil.
SPANIENKRIEG, EMIGRATION
Ibárruri unterstützte die republikanischen Truppen gegen Franco, indem sie im Radio flammende Reden hielt und die Truppen an der Front besuchte. Im Herbst 1936 mobilisierte sie alle republikanischen Kräfte zur Verteidigung der spanischen Hauptstadt. Ihre Parole “No pasarán!“ (Sie werden nicht durchkommen!) wurde zum Schlachtruf der Verteidiger der Republik. Ihre Reden erreichten einen bedeutenden Teil der Bevölkerung, insbesondere Frauen. Innerhalb der spanischen KP galt sie als Stalinistin und hielt eisern an der Parteidoktrin fest.
Vor ihrer eigenen Flucht unterstützte sie die Emigration spanischer Familien in die Sowjetunion. 1939 bat sie um Asyl für sich und ihre beiden Kinder. Als die republikanischen Fronten zusammenbrachen, verließ sie Spanien. In Moskau vertrat sie die PCE im Exil und wurde 1942 zu deren Generalsekretärin gewählt. Ihr einziger Sohn Rubén trat der Roten Armee bei und fiel 1942 in der Schlacht um Stalingrad als Oberleutnant. Im Mai 1944 wurde die Pasionaria Generalsekretärin der PCE, 1960 deren Vorsitzende. In den 1960er Jahren erhielt sie die sowjetische Staatsbürgerschaft. 1964 erhielt sie den Internationalen Lenin-Friedenspreis, 1965 den Leninorden. 1966 veröffentlichte sie eine Autobiographie.
Im Laufe der 1960er-Jahre, insbesondere nachdem sie in die Tschechoslowakei entsandt worden war, wurde ihre politische Einstellung moderater. 1968 verurteilte sie den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten zur Beendigung des Prager Frühlings. Gemeinsam mit dem Ko-Vorsitzenden Santiago Carrillo begründete sie den sog. Eurokommunismus, die PCE entfernte als erste KP den Leninismus aus ihrem Programm, um ihre Unabhängigkeit von der KPdSU deutlich zu machen.
RÜCKKEHR
Nach Francos Tod 1975 kehrte Ibárruri am 13. Mai 1977, der Zeit demokratischen Übergangs, mit über 80 Jahren nach Asturien zurück, wieder wurde sie ins Parlament gewählt. Bis zu ihrem Tod blieb die Ikone des spanischen Kommunismus, die 38 Jahre ihres Lebens im Exil verbracht hatte, politisch aktiv. Im Alter von 93 Jahren starb Dolores Ibárruri Ende 1989 in Madrid an einer Lungenentzündung. Am 14. November zogen Tausende an ihrem Sarg vorbei, Veteranen des Bürgerkrieges, die Botschafter von Kuba, der Tschechoslowakei, der DDR, Jugoslawiens und Chinas sowie der Bürgermeister Madrids. Tausende nahmen mit Rufen von “No pasarán!“ an ihrer Beerdigung teil. Einige Bürgermeister ordneten vier Tage Staatstrauer an.
RÜCKBLICKE: * (1978) Der ehemalige Chef der Stadtpolizei Santurtzi, ein bekannter Faschist der Franco-Wache, wird von ETA erschossen. * (1981) Festnahme des schwarzen Aktivisten Mumia Abu-Jamal in Philadelphia, nachdem ein Polizist getötet und er selbst lebensgefährlich verletzt wird. Zum Tode verurteilt, bis heute in Haft. * (1984) Nach einem Anruf wegen eines GAL-Mordes wird die Restaurant-Besitzerin Manoli Arza in Iruñea angeschossen und schwer verletzt. * (1987) In Palästina beginnt die erste Intifada gegen die zionistische Politik Israels.
(2021-12-08)
MORD AN AITOR ZABALETA
Am 8 Dezember 1998 fuhr Aitor Zabaleta, Fan von Real Sociedad San Sebastian mit seiner Freundin zum Pokal-Rückspiel nach Madrid, in einem Bus des Frauen-Fanclubs Izar, einer friedlichen Gruppe, die das Team häufig auf Reisen begleitete. Drei Stunden vor dem Spiel gegen Atlético betraten sie in Stadionnähe die Bar Alegre. Aitor trug keine Fankleidung, seine Freundin einen Real-Sociedad-Schal. In der Bar wurden sie von einer Gruppe kahlgeschorener Jugendlicher beschimpft, die den ganzen Nachmittag über Jagd auf baskische Fans gemacht hatten. Einer der Ultras der Gruppe Bastion (Teil-Gruppe von Frente Atlético) stach Aitor in die linke Seite und traf ihn ins Herz. Der konnte nur noch die 100 Meter zum Tor 6 des Stadions laufen, bevor er zusammenbrach. Nachts um drei Uhr war er tot.
Eine Stunde nach dem Überfall, um 19.30 Uhr, stiegen zahlreiche weitere Anhänger aus Donostia aus fünf Bussen, diesmal eskortiert von Reitern der Nationalpolizei. Hinter dem Sicherheitszaun skandierten etwa 200 in spanische Fahnen gehüllte Fans von Atletico Madrid mit Drohgebärden "Viva España" und riefen "ETA-Mörder". Der Täter Ricardo Guerra wurde Stunden später verhaftet und im April 2000 zu 17 Jahren Haft wegen Mord verurteilt, von denen er nur einen geringen Teil absaß.
FRENTE ATLETICO
… ist eine 1982 gegründete von ultrarechten Fans von Atlético de Madrid. Im Jahr 2014 zählte sie 600 Mitglieder und war eine der größten Ultra-Gruppen im spanischen Fußball. Im selben Jahr schloss der Club die Gruppe als offizieller Fanclub aus und verbot dessen Symbole im Stadion. Die Ursprünge der Ultragruppe gehen auf das Jahr 1968 zurück, als der Fanclub Fondo Sur gegründet wurde. Frente Atlético wurde offiziell 1982 gegründet. Ursprünglich sollte sie Brigata Rossibianca (Tor-weiße Brigade) heißen, doch der Verein riet zu einem spanischen Namen. Man entschied sich für "Frente Atlético", in Anlehnung an die Falangisten-Organisation “Frente de Juventudes“ (Jugendfront), der einige Mitglieder angehörten. Der Club bot in der Anfangszeit finanzielle und institutionelle Unterstützung. Von Beginn an war die Gruppe in Zwischenfälle und Schlägereien mit anderen Ultras verwickelt.
In den Medien wurde die FA als rechtsextreme Organisation eingestuft. Im Jahr 2005 schlug die Liga-Kommission zur Bekämpfung von Gewalt Sanktionen gegen Atlético vor, wegen des Werfens von Leuchtraketen, Rauchkanister, Feuerwerkskörper und Flaschen, wegen Beleidigung der Anhänger anderer Clubs und wegen eines Transparents, das "zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus aufrief". Die Ultragruppe war auch an der Schlägerei am Stadion Vicente Calderón beteiligt, die am 30. November 2014 zur Ermordung von Francisco Javier Romero Taboada, alias Jimmy, führte, einem Mitglied der linken der Ultragruppe Riazor Blues von Deportivo La Coruña. Der wurde totgeschlagen und schließlich in den Manzanares-Fluss geworfen. Am 2. Dezember 2014 belegte der Club die Frente Atlético aufgrund dieses Vorfalls mit Stadionverbot.
Seit dem Mord an Aitor Zabaleta haben die Ultras von Atlético de Madrid bei zahlreichen Gelegenheiten Zabaleta diffamiert und seinen Mörder hochleben lassen. Aitors Familie hat dies mehrfach anprangert. "Das ist unerträglich. Es ist ein Skandal, dass sie sich nach dem, was sie getan haben, das auch noch feiern", sagte sein Vater 2014 gegenüber der Presse. Guerra wurde wiederholt eingesperrt, zuletzt 2012, als er 1,5 Kilo Haschisch in ein soziales Eingliederungszentrum schmuggeln wollte.
RÜCKBLICKE: * (1977) An der Universität Bilbao findet das erste Feministinnen-Treffen statt, 3.000 Teilnehmerinnen: sexuelle Befreiung und Patriarchat sind die Themen. * (1990) Mit einer Autobombe tötet ETA in Sabadell sechs Nationalpolizisten.
(2021-12-07)
IN SCHLECHTER VERFASSUNG
Die in Euskadi regierende christdemokratische PNV hat anlässlich des gestrigen “Verfassungstages“ die fehlende Rechtssicherheit der Carta Magna kritisiert. Der Sprecher der Fraktion im spanischen Parlament fordert deshalb "einen neutralen Schiedsrichter" zur Beurteilung des Niedergangs, da das Verfassungsgericht "diese Funktion nicht erfüllt". Grundsätzlich verteidigt die neoliberale Partei jedoch die Verfassung von 1979, weil sie die "Anerkennung der baskischen Nation" beinhaltet.
Der Sprecher der PNV im Abgeordnetenhaus nahm den 43. Jahrestag der Verabschiedung der spanischen Verfassung zum Anlass zur Bestandsaufnahme. Er kritisierte, dass dieser Text in vielen Bereichen (unter anderem bezüglich des Autonomie-Statuts) keine Rechtssicherheit biete, weil "die Verfassung durch Urteile, Gesetze und Dekrete bis zur Unkenntlichkeit umgedeutet wurde". In einer Presse-Erklärung erinnerte er daran, dass die PNV beim Referendum 1979 eine Stimmenthaltung verteidigte, weil sie mit vielen Inhalten der Carta Magna nicht einverstanden war. Heute gäbe es "keinen Grund, diese Position zu ändern, schon gar nicht zugunsten eines deutlichen Ja", sagte er.
Nach Ansicht der PNV sollten bestimmte Aspekte der Verfassung geändert werden, zum Beispiel in Richtung der “Anerkennung der baskischen Nation“ und des "bilateralen Charakters" zwischen dem Staat und den baskischen Institutionen. Es sei notwendig, eine neutrale Beobachtungs-Instanz zu schaffen, die die Vorgänge rund um die Verfassung beurteilt. Die PNV distanziert sich jedoch von der “Erklärung von Llotja de Mar“, in der sich verschiedene Unabhängigkeits-Kräfte (EH Bildu, ERC, PDCat-JxCat, CUP, BNG u.a.) aus Katalonien, Euskadi, Navarra und Galicien zusammengeschlossen haben, um das Recht auf Selbstbestimmung einzufordern. Diese Parteien sind der Ansicht, dass die aktuelle spanische Verfassung das Ende ihres Zyklus erreicht hat und geändert werden muss. Als positive Aspekte der Verfassung würdigte die PNV, dass sie dem baskischen Volk, das in der Diktatur "absolut unterjocht" war, eine institutionelle Grundlage bietet und "einen Anteil von Rechten und Freiheiten enthält, der mit anderen fortschrittlichen europäischen Modellen vergleichbar ist".
Der organische Teil hingegen "weist zahlreiche Mängel auf, angefangen beim Staatsoberhaupt und seiner Unantastbarkeit, bis hin zur Verteilung der Entscheidungs-Kompetenzen, die durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichts, durch Gesetze und einseitige Verordnungen der Regierungen ausgehöhlt wurde. All dies führt zu Rechtsunsicherheit und spricht nicht für die Verfassung".
Die Möglichkeit einer Verfassungs-Änderung bezeichnete der Sprecher als "ein echtes Hirngespinst", denn das politische Klima dafür sei nicht vorhanden. Ein solcher Versuch müsste in aller Ruhe und außerhalb des Rampenlichts geschehen, um Fragen zu klären und den Konsens einer breiten Mehrheit zu finden". Die Unterzeichner*innen der “Erklärung von Llotja de Mar“ stellen nicht einzelne Teile der Verfassung in Frage, sie sprechen vom “Regime von 1978“, das eine wirkliche Demokratisierung verhindert habe, ganz nach dem Gutdünken der alten Franquisten. Ihre politische Bandbreite geht von linken Basisgruppen bis hin zu Christdemokraten.
RÜCKBLICKE: * (1984) Bei einem ETA-Angriff auf einen Militärkonvoi in Galdakao werden drei Personen getötet. * (1985) Schmutziger Krieg: In Donostia zerstört eine Bombe eine Buchhandlung. In Pasaia wird ein LAB-Gewerkschafter entführt und gefoltert.
(2021-12-06)
DIE UNGELIEBTE VERFASSUNG
Nach dem Tode von Diktator Franco (Altersschwäche) bestanden europäische Instanzen auf einem demokratischen Übergang im spanischen Staat. In schwierigen Verhandlungen (unter strenger Aufsicht der alten franquistischen Eliten) wurden Parteien wieder legalisiert und eine neue Verfassung mit regionalen Autonomien beschlossen. Diese Verfassung wurde in regionalen Referenden ratifiziert und erhielt im Baskenland eher schlechte Ergebnisse, die in der Folge dazu führten, dass einige baskische Stimmen schlussfolgern, die Verfassung sei hier abgelehnt worden.
Die Beteiligung am Referendum auf staatlicher Ebene lag bei 67,1% von denen 88,5% für die Verfassung stimmten. Im damals noch nicht zwischen Euskadi und Navarra geteilten Südbaskenland hatten die christdemokratische PNV und die baskische Linke zur Ablehnung bzw. zur Enthaltung aufgerufen. Dies führte zu deutlich anderen Ergebnissen als im Staat. In Araba (Alava) betrug die Beteiligung 59,3% bei 72,4% pro Verfassung. In Bizkaia (Vizcaya) beteiligten sich 42,5% (73% Pro-Stimmen), in Gipuzkoa (Guipuzcoa) gingen 43,5% abstimmen (64,4% stimmten pro). In Nafarroa (Navarra) beteiligten sich 66,6% (76,4% pro). Sehr unterschiedliche Ergebnisse also.
Die Rechnung der Verfassungs-Kritiker*innen und-Ablehner*innen ist folgende: Die Wahlbeteiligung in Südbaskenland lag bei 48,7%, weniger als die Hälfte des Zensus, davon stimmten 34,5% für die Verfassung, ca. ein Drittel. Die Interpretation ist, dass zwei Drittel der Bevölkerung nicht für die Verfassung eintritt. Nirgendwo beteiligten sich weniger Personen am Referendum als in Bizkaia (42,5%), nirgendwo lag die Befürwortung der Verfassung so niedrig wie in Gipuzkoa (64,4%). Kein Ruhmesblatt für die Verfassung, die heute von ultra-rechts wie sanft-links scharf kritisiert wird.
RÜCKBLICKE: * (1973) Im Stadtteil Altza von Donostia wird eine Wohnung belagert, mit Gas beschossen, der ETA-Militante Josu Artetxe wird von einem Scharfschützen getötet. * (1991) Bei Zornotza kommt es wegen Nebel zu einem Unfall mit 25 Fahrzeugen, beim Brand verbrennen 17 Personen in ihren Autos.
(2021-12-05)
DIE ILLEGALE FAHNE VON 1976
"Wir haben alle regionalen Flaggen mit Ausnahme der baskischen genehmigt, da es sich nicht um eine regionale Fahne, sondern um eine separatistische handelt. Bevor zugelassen wird, dass diese Fahne gehisst wird, werden sie über meine Leiche gehen müssen". So deutlich sagte es Manuel Fraga Iribarne, Minister unter Franco und erneut Minister in der Zeit der Transition, des sogenannten “demokratischen Übergangs“. Das war im Mai 1976, sechs Monate nach dem Tod des Diktators. In kleinen Schritten bewegte sich der postfranquistische Staat in Richtung einer Öffnung, immer unter Kontrolle der alten Instanzen in Justiz, Polizei und Militär. Manuel Fraga, damaliger Innenminister und Vizepräsident einer Übergangs-Regierung, in der das Erbe der Franco-Diktatur vorherrschte, antwortete mit dieser eisenharten Deutlichkeit auf die Frage einer venezolanischen Journalistin zum Verbot der baskischen Ikurriña, das von den faschistischen Siegern des Spanienkrieges erlassen worden war.
Das hielt die Spieler von Real Sociedad Sebastian (aus Donostia) und Athletic Bilbao wenige Monate später nicht davon ab, am 5. Dezember 1976 (heute vor genau 45 Jahren) vor dem Lokalderby beim Ligaspiel der beiden Teams eine politisch spektakuläre Aktion durchzuführen: die Kapitäne Josean de la Hoz und José Angel Iribar trugen eine Ikurriña zum Anstoßpunkt im alten Stadion Atocha. Nicht einmal die Spieler waren eingeweiht, geschweige denn die Club-Verantwortlichen. Der Skandal war serviert.
"Es war 1976, die Demokratie hatte noch keine Wurzeln geschlagen, wir befanden uns in der Übergangsphase und das baskische Volk kämpfte für seine Forderungen", sagte Josean De la Hoz, Spieler bei La Real zwischen 1972 und 1978, in einem Interview mit im Jahr 2010. "Auch wir waren das Volk und mussten etwas tun, um die Rechte des baskischen Volkes einzufordern". Solche Äußerungen mögen heute überraschen. Nicht aber in Zeiten, in denen der Fußballer alles andere waren als unpolitische Gestalten. Die sich nicht scheuten, ausgetretene Pfade zu verlassen und von Klischees abzuweichen, wie es heute der Fall ist. Wie Quique Peinado in “Linke Fußballer“ schildert, waren die Umkleidekabinen der baskischen Teams "kleine politische Einheiten von jungen Leuten, die etwas verändern wollten", in denen linkes Gedankengut und Sympathie mit der Unabhängigkeit weit verbreitet waren.
RÜCKBLICKE: * (1976) Beim Erstliga-Fußballspiel zwischen den beiden baskischen Teams von Real Sociedad San Sebastián und Athletic Bilbao tragen die Spieler beider Teams eine baskische Fahne (Ikurriña) ins Stadion, die nach dem Verbot während des Franquismus noch nicht legal ist. * (1978) Am Vorabend des Referendums über eine neue Verfassung tötet ein ETA-Kommando in Donostia zwei Nationalpolizisten und einen Stadtpolizisten. * (2013) Im Alter von 95 Jahren stirbt Nelson Mandela, ANC-Führer, 27 Jahre politischer Gefangener und erster Nach-Apartheid-Präsident Südafrikas.
(2021-12-04)
INTERNATIONALER EUSKARA-TAG
Das Internationale am Euskara-Tag ist nicht, dass er auch in Bulgarien oder Tansania eine Relevanz hätte, international heißt in diesem Fall: an allen Orten, in denen es Personen gibt, die ein Interesse haben an der baskischen Sprache. In Baiona und Muskiz ebenso wie in Montevideo oder Boise. Erinnert wird bei “internationalen Tagen“ an Umstände, die etwas schwach auf der Brust sind und eine Förderung benötigen. Dazu gehört das Euskara, das gestern seinen Tag hatte. Kurze Bilanz.
Die Rede ist von “alten Bedrohungen und neuen Herausforderungen“, der Tag des Feierns war somit auch ein Tag des Nachdenkens über die Situation der baskischen Sprache. Die Analysen unterscheiden sich je nach der Region, von der aus sie erstellt werden, und je nach Ausgangspunkt. Es gibt Gründe, um vor den Bedrohungen zu warnen, die der baskischen Sprache bevorstehen, aber auch, um ihre Stärken und gemeinsamen Herausforderungen aufzuzeigen. Die offensichtlichste Bedrohung für das Euskara ist das Fehlen eines Staates zum Schutz einer Minderheitensprache. Das Gegenteil ist der Fall, nach wie vor gibt es zwei Staaten, die hart daran arbeiten, die baskische Sprache zu unterdrücken. In der Bildung wird dies besonders deutlich. In Paris hat die Reaktion auf das Molac-Gesetz (Anerkennung der Regionalsprachen im Bildungssystem) zu einer Entscheidung des Verfassungsgerichts geführt, die ein System der Förderung von “Minderheiten-Sprachen“ als illegal betrachtet. Der Oberste Gerichtshof Spaniens hat dieselbe positive Förderung im Fall der katalanischen Sprache ebenfalls de facto gekippt, in einem Urteil, das auch für das Baskenland Folgen haben wird. In Nafarroa kommt zu der staatlichen Schikane noch die hartnäckige regionale Besessenheit hinzu, die Zonen-Einteilung für das Euskara aufrechtzuerhalten und sie dazu zu nutzen, die Sprache in einem großen Teil des Territoriums zu benachteiligen und zu bestrafen.
Zu den Stärken des Euskara gehört der eiserne Wille eines Volkes, seine Sprache mit allen Nuancen zu bewahren. Nur so ist es zu erklären, dass im selben Jahr, in dem die besondere Förderung für verfassungswidrig erklärt wurde, in Ipar Euskal Herria (Nord-Baskenland) neue private Baskisch-Schulen eröffnet wurden. Die Stärke der Sprache ist der Wille ihrer Sprecher*innen. Wenn dieser Wille die richtige Formel und den richtigen Moment findet, ist das Ergebnis beeindruckend. In diesem Sinne wird die gesamte verfügbare kollektive Intelligenz benötigt, um Szenarien zu schaffen, die auf der Ebene einer Sprache mit weniger als einer Million Sprecher*innen auf die globalen Herausforderungen reagieren, denen sich die baskische Sprache gegenübersieht. Von ihrer Präsenz in der Unterhaltung bis zu ihrem Gebrauch auf der Straße und am Arbeitsplatz. Die Herausforderungen sind vielfältig und die Zeit vergeht schnell.
RÜCKBLICKE: * (1970) Der Burgos-Prozess gegen 16 ETA-Militante provoziert weltweit Aufsehen. In Eibar wird bei einer Demonstration der junge Roberto Pérez Jauregi von der spanischen Polizei erschossen. Im Baskenland wird die Repression verschärft. * (1983) In Hendaia wird Segundo Marey von der spanischen Todesschwadron GAL entführt, nachdem er mit einer Person von ETA verwechselt wurde. Nach 10 Tagen wird er nach schweren Misshandlungen freigelassen. Fünf Jahre später folgt ein Prozess, bei dem verschiedene Politiker und Polizisten verurteilt, kurz nach Haftantritt jedoch begnadigt werden. * (2014) Die Provinzregierung Bizkaia und die Guggenheim-Stiftung New York unterschreiben einen neuen Museums-Vertrag, der Bizkaia mehr Einfluss auf die Ausstellungen sichert. Der Wortlaut des Vertrages bleibt geheim.
(2021-12-03)
HAUSHALTS-VERHANDLUNGEN
Die Baskische Linke macht sich über EH Bildu in verschiedenen Parlamenten beliebt. Nach Jahrzehnten von berechtigt kritischer Opposition gegenüber neoliberaler und bevölkerungs-feindlicher Politik ist nun Realpolitik angesagt. Das durften nacheinander die Regionalregierung Navarra und die Zentralregierung in Madrid erleben, an denen die baskische Linke jeweils nicht direkt beteiligt ist. Beide Exekutiven brauchten als Minderheits-Regierungen jedoch Stimmen, um ihre Haushalte für 2022 durchzubringen. Der Deal ist einfach: EH Bildu bringt drei, vier zusätzliche Haushaltsposten ein, die sonst nicht vertreten gewesen wären, die aber auch nicht weh tun – als Gegenleistung dann die notwendigen Stimmen. Dass im Resthaushalt jede Menge Kröten enthalten sind, die bei diesem Spiel geschluckt werden müssen (Militär, Monarchie,Umweltzerstörung), steht auf einem anderen Blatt.
Nach Navarra und Madrid war nun Euskadi an der Reihe, die Region der drei Provinzen Araba, Bizkaia und Gipuzkoa. Hier gibt es eigentlich eine Koalitions-Regierung mit absoluter Mehrheit von PNV und PSE (Christ- und Sozial-Demokraten), die Kompromisse nicht nötig gemacht hätte. Aber in vorweihnachtlicher Empathie-Zeit rückten die einen etwas nach links und die andern etwas nach rechts, dort traf man sich. Ein Novum seit 1998, in der Zeit von Euskal Herritarrok und des Lizarra-Abkommens. Die baskische Rechte darf sich nun dialogbereit nennen, die Linke stolz hinausposaunen, dass frau wichtige soziale Leistungen im Wert von 250 Millionen ausgehandelt habe, die den Ärmsten der Armen zu Gute kommen (über die Milliarden für den Hochgeschwindigkeits-Zug wurde selbstverständlich nicht verhandelt). In diesem Fall besteht die Gegenleistung nicht in einer Zustimmung, sondern in Enthaltung.
Friede, Freude, Eierkuchen, könnte man sagen, wären da nicht die Spielverderber, die in die Suppe spucken. Podemos zum einen. Deren Kritik, es sei unverantwortlich von EH Bildu, einem neoliberalen Haushalt zuzustimmen ist so berechtigt wie verlogen. Denn vor zwei Jahren war es genau diese Partei, die einem ähnlichen Haushalt zustimmte, in diesem Fall der einer Minderheits-Regierung. Zweite Spielverderberin ist die größte Gewerkschaft im Baskenland, ELA, mit immerhin 35% Anteil unter den Betriebsräten. Deren Generalsekretär hatte schon vor zwei Wochen bei einer Demonstration vor solchen Haushalts-Zusagen gewarnt. Nach den vollendeten Tatsachen sprach Mikel Lakuntza nun von “anti-sozialer“ Politik und rief erneut dazu auf, solche Haushalte auf keinen Fall zu unterstützen, weil sie sich gegen die Interessen der arbeitenden Bevölkerung richten.
Gleichzeitig klingt das Wort “Generalstreik“ immer lauter aus Kreisen jener Gewerkschaft. Mit Stille antwortet hingegen die abertzale Gewerkschaft LAB, die sonst von Klassenkampf spricht, sich aber Kritik an der eng verschwisterten Bildu-Koalition nicht leisten kann oder will. Es ist schon interessant zu sehen, wie die Interessen der armen Massen in staatlichen Instanzen je nach Kalkül hin und her geschoben werden. Kein Wunder, dass immer weniger Menschen aus den “Unterklassen“ noch wählen gehen.
RÜCKBLICKE: * (1949) Der Verein Euskaltzaleen Biltzarra aus Iparralde feiert den ersten “Tag des Euskara“. * (1970 * In Burgos beginnt ein Prozess, bei dem 16 ETA-Mitglieder wegen Anschlägen angeklagt sind. Die Urteile dieses Burgos-Prozesses werden am 28.12. verkündet. * (1983) Die dritte Korrika startet in Baiona (Bayonne) und endet neun Tage später in Bilbao. Dieser Solidaritätslauf für die baskische Sprache Euskara geht Tag und Nacht und wird von interessierten Gruppen in Kilometer-Etappen gelaufen. * (1995) Institutionalisierung des Internationalen Tags des Euskara (zuerst 1949 in Iparralde) von der baskischen Regierung und der Akademie der Baskischen Sprache.
(2021-12-02)
SCHLECHTE LUFTQUALITÄT
Erandio, Durango und Valderejo weisen die schlechtesten Daten in Bezug auf Luftqualität in Euskadi. Kohlenmonoxid, Benzol und "schlechtes Ozon" trüben die von der Regierung festgestellte "Verbesserung" der Situation. “Die Luftqualität im Baskenland verbessert sich weiter", so lautet die Bilanz der baskischen Regierung in ihrem jüngsten Bericht über die Luftverschmutzung, erstellt auf der Grundlage von Messungen im Jahr 2020. Die positive Entwicklung ist jedoch weder konstant noch gleichmäßig in der gesamten Gemeinschaft und hat viel mit dem durch die Pandemie erzwungenen allgemeinen Stillstand zu tun.
Laut Bericht gibt es Grauzonen, in denen die Zunahme bestimmter Gase den empfohlenen Wert übersteigt, wie in Erandio, Durango und Valderejo. Zwei städtische Umgebungen mit starker Industrie-Präsenz und starkem Verkehr sowie ein abgelegener Ort in der Natur. Gemessen wird kontinuierlich mit Hilfe eines Kontrollnetzes, das aus 54 Stationen besteht. Jede Mess-Station analysiert die Werte von Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Ozon, Feinstaub (PM10 und PM2,5) und Benzol. "Die Analyse der Daten zeigt, dass die in den Verordnungen festgelegten Grenzwerte eingehalten werden und der Trend positiv ist", so das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, Nachhaltigkeit und Umwelt. Die Schwefel- und Stickstoffdioxid-Gehalte waren im gesamten Jahr 2020 in Ordnung. Bei den Feinstaubpartikeln, die in die Lunge gelangen und dort Schaden anrichten können, ist die durchschnittliche Konzentration "in den letzten Jahren zunehmend zurückgegangen".
Dies gilt nicht für die anderen drei Schadstoffe. Bei Kohlenmonoxid sind die Messwerte zwar "an allen Stationen sehr niedrig", aber "am Verkehrspunkt Erandio wurden stundenweise höhere Werte gemessen". Die Stadt ist einer der Alarmpunkte auf der Karte der Luftqualität im Baskenland. Die Anwohner*innen wurden bereits bei der Staatsanwaltschaft vorstellig, die gestern mitteilte, dass sie eine Untersuchung über die in der Gemeinde festgestellten "Verschmutzungs-Episoden" eingeleitet hat. Bevölkerung und Nachbarschafts-Verbände (Auzokoa Herrikoi Elkartea, Herri Bidaiak Kate Barik) stellen fest, dass sich die Situation verschlimmert hat. Die Bevölkerung von Erandio müsse aktiv werden.
KLIMAKATASTROPHE
Auch in Valderejo in der Provinz Araba wurden Spitzenwerte gemessen, in diesem Fall O3, dem sogenannten "schlechten Ozon". Valderejo liegt mitten in einem Naturpark, hier "wurde der objektive Wert zum Schutz der menschlichen Gesundheit bis zu 25 Mal um 120 Mikrogramm pro Kubikmeter überschritten", quantifiziert die baskische Regierung, die jedoch darauf hinweist, dass nicht die Werte überschritten werden, von denen an "die Bevölkerung alarmiert werden muss". Es handelt sich um ein bemerkenswertes Phänomen. Einige Studien deuten darauf hin, dass die Anhäufung der O3-Komponente mit dem Temperaturanstieg infolge des Klimawandels zusammenhängt und in sauberen Gebieten stärker auffällt. "Das liegt im System begründet, von dem wir nicht wirklich wissen, warum", sagt ein Sprecher von Ekologistak Martxan (Ökologinnen in Aktion).
Der dritte Schadstoff, dessen Werte im Baskenland mit besonderer Sorgfalt überwacht werden, ist Benzol. Trotz der Tatsache, dass "die jährlichen Durchschnittswerte niedrig sind und innerhalb der in den Vorschriften festgelegten Grenzen liegen", gibt es einen Bereich, in dem das Gas Behörden und Anwohner in Atem hält: Durango. Dort wurden Ende 2017 hohe Werte in der Nähe eines Industriegebiets mit Wohnhäusern in unmittelbarer Nähe festgestellt. Es wurde dokumentiert, dass die Hauptquelle der Emissionen ein Schmelzverfahren ist, das in zwei Unternehmen in der Region stattfindet. Beide führten Korrekturmaßnahmen ein, die sich als unzureichend erwiesen, so dass die baskische Regierung im Februar 2021 einen neuen Aktionsplan forderte. Die jüngsten Proben, für die noch nicht alle Ergebnisse des öffentlichen Gesundheitslabors vorliegen, zeigen etwas bessere Werte.
RÜCKBLICKE: * (1940) Das franquistische Regime befiehlt, dass auf dem Friedhof Zornotza alle Inschriften in Euskara verschwinden müssen. * (1949) Internationaler Tag zur Abschaffung der Sklaverei, laut UNESCO. * (1982) Der Sozialist Felipe Gonzalez wird zum Ministerpräsidenten gewählt. * (1984) In der indischen Stadt Bhopal kommt es in der US-Fabrik Union Carbide zu einem Unfall mit Pestizid-Gas, 25.000 Personen sterben, eine halbe Million erkrankt. * (2018) Erster großer Wahlerfolg der spanisch-faschistischen Vox-Partei bei den Regionalwahlen in Andalusien.
(2021-12-01)
BASKINNEN IN ALLER WELT
So klein das baskische Völkchen auch sein mag, in jedem Winkel der Erde ist ein lebendiges Exemplar zu finden. “Vascos por el mundo“ (in ausschließlich männlicher Form buchstabiert), heißt eine Serie im öffentlichen Fernsehen EITB, die sich der baskischen Globalisierung widmet und jedes Wochenende zwei neue Exilorte vorstellt: Basken in der Welt. Eingeläutet wurde die sechste Coronavirus-Welle am Wochenende mit einem Besuch auf der Karibikinsel Puerto Rico. Nein, nicht Costa Rica, diese Verwechslung ebenso dumm wie ignorant, hält sich aber hartnäckig. Es handelt sich um die 80 auf 200 Kilometer große Insel zwischen Dominika und den Jungferninseln – auf der Bananen gekocht und gebraten werden und wo es selbstverständlich Baskinnen und Basken gibt. Die “Vascos“ leben in San Juan und Ponce, den wichtigsten Städten und erzählen freimütig, wie toll das Leben hier doch sei.
Die erste Schwierigkeit besteht darin, zu erklären, was Puerto Rico (reicher Hafen) denn nun für einen politischen Status habe: Teil der USA oder doch nicht. Immerhin hat Borinquen (wie die abgemetzelten Taino-Indigenas es nannten) ein eigenes olympisches Team. Doch von Besetzung und Kolonie mag niemand sprechen, es bleibt bei der Formulierung “frei angegliederter Staat“, ein Euphemismus, den nur Kennerinnen der Angelegenheit verstehen.
Ist auch nicht so wichtig, die baskischen Exilant*innen zeigen lieber ihre Yachten und Villen, ihr Lebensniveau liegt deutlich über dem Durchschnitt der Boricuas, wie die Insulaner*innen sich selbst nennen. Eine Hausfrau, ein Architekt, ein Uhrmacher, dessen billigstes Zeiteisen 50.000 Dollar kostet. Originell ist allein der Missionar, der vor 60 Jahren von der Kirche nach Borinquen geschickt wurde, ohne gefragt worden zu sein. Er verliebte sich, verließ die Mission, blieb auf der Insel und stellt beim Barbecue drei Generationen von Nachwuchs vor.
“Vascos en el mundo“ ist keine wissenschaftliche oder ethnologische Sendereihe mit großem Lernwert. Hier darf gelacht und geblödelt werden, Salsa fehlt ebenso wenig wie der kleine Dschungel von El Junque und der Ethno-Workshop mit ausgestorbener Tanzkultur. Ganz peinlich wird es dann auf der Mini-Insel Vieques, die unser Uhrmacher als kleines Ferienparadies bezeichnet. Noch vor zwei Jahrzehnten war auf dieser Insel US-Militär stationiert, seit den 1970er Jahren wurden hier zum Test echte Bomben geworfen, die Erde ist verseucht mit Blindgängern. Doch das ist unserem Schweizer Basken womöglich entgangen.
RÜCKBLICKE: * (1970) Zwei Tage vor Beginn des sog. Burgos-Prozesses gegen 16 ETA-Mitglieder entführt ETA in Donostia den deutschen Konsul Eugen Beihl, um ihn gegen die Angeklagten auszutauschen. Er wird 24 Tage später unversehrt freigelassen. * (1993) Im Auftrag der Audiencia Nacional in Madrid durchsucht die baskische Polizei die Redaktion der linken Zeitung EGIN und beschlagnahmt Material. * (2008) Tod des baskischen Liedermachers Mikel Laboa, Protestsänger gegen die Diktatur und einer der Väter der neuen baskischen Musik.
ABBILDUNGEN:
(0) Collage FAT. (1) Puerto Rico. (2) Luftverschmutzung. (3) Abstimmung. (4) Euskara-Tag. (5) Illegale Fahne. (6) Verfassung. (7) Schlechte Verfassung. (8) Aitor Zabaleta. (9) Passionsblume. (10) Mumia. (11) Laura Orue. (12) Folteropfer Navarra. (13) Volks-Laden. (14) Euthanasie. (15) Ferien-Wohnungen. (16) Zwangsräumungen. (17) Stolpersteine. (18) Soli-Marathon. (19) Schnellzug. (20) Carrero Blanco. (21) Argala. (22) Faschistenkreuz. (23) Arbeits-Reform. (24) Beleidigungen. (25) Covid, Masken, Kollaps. (26) Erzbischof. (27) Unvergessen. (28) Umfrage. (29) Kirchen-Raubzug. (30) Inflation. (31) Opfer-Privilegien.
(ERST-PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-12-01)