lynette1Nur schwarze Figuren

Siebzig aktuelle Werke der englischen Künstlerin Lynette Yiadom-Boakye sind bis zum 10. September 2023 im Guggenheim-Museum in Bilbao zu sehen. “Keine Dämmerung ist zu mächtig“ (Ningún ocaso tan intenso) ist der Titel der Werkschau. Yiadom-Boakyes Eltern stammen beide aus Ghana und arbeiteten als Krankenpfleger in London. Sie schloss das Falmouth College of Arts, heute Falmouth University ab und erhielt 2003 einen Magistertitel an der Londoner Royal Academy of Arts. Eine Retrospektive im Guggenheim.

Lynette Yiadom-Boakyes Werk hat zur Renaissance der Malerei der Schwarzen Figur beigetragen. Die Ausstellung im Guggenheim Bilbao (“Keine Dämmerung ist zu mächtig“) zeigt zum ersten Mal ihre neuesten Schöpfungen und ist die erste Retrospektive der englischen Künstlerin im Staat.

Lynette Yiadom-Boakyes Malstil hat eine bewusst gewählte nächtliche Farbgebung und sie porträtiert ausschließlich schwarze Menschen. Mit ihrer expressiven Darstellung der menschlichen Figur untersucht die Künstlerin einerseits formale Mechanismen des Mediums Malerei und deckt andererseits politische und psychologische Dimensionen in ihrem Werk auf.

lynette2Beobachten, wandern, malen, evozieren, schreiben. Diese Worte beschreiben den Entstehungsprozess und die Vorstellung der Gemälde der englischen Künstlerin Lynette Yiadom-Boakye (*1977), eine Frau mit Wurzeln im afrikanischen Ghana. Die auf den Gemälden dargestellten Personen könnten wer auch immer sein, denn sie sind nicht real. Sie sind eine Erfindung der Malerin, die sie aus den Figuren ableitet, die sie auf der Straße, auf archivierten Fotos und in Zeitschriften sieht. Es ist der Realismus ihrer fiktiven Figuren, die sie in intime Szenen verwandelt und die Betrachter*innen einlädt, ihre eigene Geschichte dazu zu erfinden. (1)

Das “Effekt“-Museum der bizkainischen Hauptstadt präsentierte am 30. März 2023 unter dem Titel "Kein Sonnenuntergang so intensiv" insgesamt 70 Werke aus den letzten drei Schaffens-Jahren der Künstlerin. Wie bei der Presse-Vorstellung erklärt wurde, sollte die vom Tate Britain Museum organisierte Ausstellung über Lynette Yiadom-Boakye im Sommer 2020 nach Bilbao kommen. Durch die Pandemie wurde dieser Plan vereitelt, doch der ersten Enttäuschung folgte die Aussicht, ihr neuestes Werk in eine neu konzipierte Ausstellung zu integrieren und sie zu ergänzen durch Kohle- und braune Kreidezeichnungen. Diese Art von Arbeiten hatte Lynette Yiadom-Boakye zuvor noch nie öffentlich ausgestellt.

"Die Einsamkeit und die Ungewissheit im Angesicht des Schicksals haben mir geholfen, mich mit neuen Themen zu befassen und sie zu erforschen. Das Werk in Bilbao ist das Ergebnis dieser Erkundung, die noch in Gang ist", so die Malerin. Die Ausstellung findet im ersten Stock des Guggenheim-Museums statt, wo auch die Gemälde des Expressionisten Oskar Kokoschka ausgestellt sind. Lekha Hileman Waitoller (Kuratorin der Ausstellung) erklärt, dass der Weg durch die Werke den Besucher*innen selbst überlassen bleibe. Es gäbe keine Reihenfolge zwischen den vier Räumen, dafür jedoch "Sequenzen", so die Künstlerin, die ein Element darstellt von "großer Bedeutung, wie die Reihenfolge von Wörtern oder Musiknoten, denn sie geben der Erfahrung einen Rhythmus".

lynette3Lynette Yiadom-Boakye sah sich mit dem Problem konfrontiert, ihre Gemälde, die zwei Meter hoch und 1,20 Meter breit oder kleiner sind, in Räumen auszustellen, deren Decken sechs Meter über dem Boden liegen. Sie löste das Problem, indem sie die Wände in einem fast olivgrünen Farbton strich, der den Raum eingrenzt. Sie räumt ein, dass sie nie in der Lage war, an einem bestimmten, im Voraus festgelegten Thema zu arbeiten. "Ich lasse meine Gedanken schweifen und konzentriere mich dann auf etwas Bestimmtes".

Tiere finden sich häufig in ihren Gemälden, unter anderem Krähen und Katzen. Sie ermöglichen es ihr, "andere als Augen und Mäuler einzuführen, die nicht von Menschen stammen". Alle ihre Figuren sind von schwarzer Hautfarbe. Warum? Lynette forderte die bei der Presse-Vorstellung anwesenden auf, sich ihre Hautfarbe anzuschauen, um die Antwort zu finden. "Es gibt immer eine politische Absicht in den Werken, wie im Leben. Aber ich wollte sie nie mit Worten ausdrücken". Ähnlich ergeht es ihr mit den intimen Atmosphären, in die die Protagonisten ihrer Bilder getaucht sind. "Intimität ist ein komplexer Zustand. Man kann sie weder erzwingen noch erzeugen. Die Sprache der Gefühle widersetzt sich dem verbalen Ausdruck".

In Lynette Yiadom-Boakyes Bildern sind selten Frauen und Männer zu sehen, damit will sie das Narrativ des heterosexuellen Paares vermeiden. "Ich nähere mich meinen Figuren nicht aus einer geschlechts-spezifischen Perspektive, denn alle sind so, wie sie sind. Ich bevorzuge das Fließende", erklärt die Malerin, die diese Eigenschaft in den Bildern durch die Kleidung unterstreicht, die zwischen ihren Protagonisten austauschbar ist.

Mit ihren 70 Werken im Guggenheim und ihrem Erfolg in internationalen Museen sowie auf dem Kunstmarkt bestätigt Lynette Yiadom-Boakye die Rückkehr zur Malerei, die unter Künstler*innen der jüngeren und mittleren Generation stattfindet. In ihrem Werk fängt sie das Flüchtige ein, das Alltägliche, das Intime, das Leben ohne außergewöhnliche Ereignisse. Mit Formen, die nicht provozieren, und mit Formaten, die sich für ein Wohnzimmer eignen. Das Geheimnis des Werks der Malerin ist, dass etwas derart Klassisches unbestreitbar auch zeitgenössisch sein kann. (1)

lynette4In den letzten zehn Jahren war das Werk von Lynette Yiadom-Boakye Gegenstand monografischer Ausstellungen in renommierten Institutionen wie der Kunsthalle Basel (2016) und der Tate Britain (2020/2022). Außerdem wurde sie 2012 mit dem Future Generation Art Prize des Pinchuk Art Centre, Kiew, und 2018 mit dem Carnegie Prize des Carnegie International, Pittsburgh, ausgezeichnet. Schließlich ist es die erste Anthologie der Künstlerin im spanischen Staat und die erste internationale Ausstellung, in der ihre neuesten Werke zu sehen sind. Zusammen mit Cristina Iglesias ist Lynette Yiadom-Boakye die jüngste Künstlerin, die in der Kunstgalerie von Bilbao eine Retrospektive erhält. (2)

Die Ausstellung “Keine Dämmerung ist zu mächtig“ (Ningún ocaso tan intenso) von Lynette Yiadom-Boakye ist die erste von dreien, die das Museum in diesem Jahr dem Werk von Künstlerinnen widmet: es folgen die Japanerin Yoyoi Kusama (Matsumoto-Nagano, 1929) und die Deutsch-Venezolanerin Gego Gertrud Goldschmidt (Hamburg, 1912-Caracas, 1994).

ANMERKUNGEN:

(1) “Yiadom-Boakye en el Guggenheim: el realismo de los personajes ficticios” (Yiadom-Boakye im Guggenheim: der Realismus fiktiver Figuren), Tageszeitung El Correo, 2023-03-31 (LINK)

(2) “La imaginaria vida real de los personajes ficticios de Yiadom-Boakye” (Das imaginäre reale Leben der fiktiven Figuren von Lynette Yiadom-Boakyes) Tageszeitung Gara, 2023-03-31 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Lynette Yiadom Boakye (naiz)

(2) Lynette Yiadom Boakye (naiz)

(3) Lynette Yiadom Boakye (kunstsammlung nrw)

(4) Lynette Yiadom Boakye (serpentin gallery)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-04-09)

Für den Betrieb unserer Webseite benutzen wir Cookies. Wenn Sie unsere Dienstleistungen in Anspruch nehmen, akzeptieren Sie unseren Einsatz von Cookies. Mehr Information