Zwischen Franquismus und gescheiterter Demokratie
Mit seiner journalistischen Arbeit in Radios und Zeitungen wurde Mariano Ferrer aus Donostia im Baskenland bekannt, bereits in Zeiten von Franquismus und Zensur. Tausende Baskinnen erinnern sich an sein Radio-Programm “Rosi´s Kiosk“, mit dem er das Regime austrickste. Wie viele im Franquismus machte Mariano Ferrer den Schritt ins Priesterseminar, bevor er sich dem Journalismus widmete. Mariano Ferrer ging brenzligen Fragen nicht aus dem Weg, auch nicht, wenn es um politische Positionierung ging.
Im Alter von 79 Jahren starb am 14. Juli 2019 in Donostia der Journalist Mariano Ferrer. Schon im Franquismus wurde Ferrer zu einer Symbolfigur kritischen Journalismus, eine Arbeit, die er bis in seine letzten Tage fortsetzte. Jahrzehntelang arbeitete er im Radio, war Mitgründer der links-nationalistischen Tageszeitung EGIN und mischte sich häufig in aktuelle politische Fragen ein. Erinnerung an einen aufrechten und gründlichen Medienarbeiter, wie sie immer seltener werden.
Als junger Mann ging Mariano Ferrer ins Priesterseminar und wurde in den Jesuitenorden aufgenommen, bevor er nach Madrid ging, um Journalismus zu studieren. Später sprach er von einem “ziemlich traurigen Journalismus“, der dort gelehrt wurde. In den USA, an der Universität von Syracuse (im Staat New York) schloss er seine Studien ab. Die Erfahrung in Syracuse stand in krassem Gegensatz zu jener in Spanien, die von Diktatur und religiösem Eifer geprägt war. Ferrer verinnerlichte einen Begriff von Freiheit, der ihn sein Leben lang begleiten sollte. (1)
Vom Priesterseminar zum Radio
1971 kehrte er in seinen Geburtsort San Sebastián (bask: Donostia) zurück und begann als Subdirektor bei Radio Popular, einem Sender, der mit dem Jesuitenorden in Zusammenhang stand. Diese Arbeitsverbindung hielt bis 2004, als Ferrer in Rente ging.
Seine journalistischen Anfänge lagen somit im späten Franquismus, in den letzten Jahren der Franco-Diktatur. Nur das staatliche Radio Nacional hatte das Recht, Nachrichten auszustrahlen, allen anderen Radios war dies verboten. Als Redakteur bei Radio Popular fand Mariano Ferrer einen Trick, wie er dieses Verbot umgehen konnte, ohne sich frontal gegen das damalige Pressegesetz aufzulehnen und um dennoch die Bevölkerung halbwegs offen zu informieren. Er erfand ein Programm, bei dem er die Schlagzeilen der Tageszeitungen vorlas und kommentierte dann die Nachrichten. Auch dabei wurde er mehrfach mit der franquistischen Zensur konfrontiert. “Rosi´s Kiosk“ lautete der Titel dieses Programms, das Ferrer 30 Jahre lang betreute, nach dem Namen eines realen Zeitungsstands in der Nähe seiner Wohnung, wo er die Zeitungen kaufte. Das Programm war im Baskenland, insbesondere in Gipuzkoa, beim Publikum sehr beliebt und geschätzt, Ferrer wurde zum Inbegriff des freien Journalismus im Baskenland.
Die EGIN-Erfahrung
Neben seiner Arbeit bei Radio Popular (bask: Herri Irratia) kooperierte Mariano Ferrer mit verschiedenen Kommunikationsmedien, in Form von schriftlichen und audiovisuellen Beiträgen. 1976 schloss er sich einer Gruppe von Journalist*innen an, die die Zeit gekommen sah, eine links-nationalistische Tageszeitung zu gründen, um der baskischen Unabhängigkeits-Bewegung eine Plattform zu bieten. Ferrer wurde selbst zum Chefredakteur dieser Zeitung mit dem Namen EGIN (bask: machen).
Es waren bewegte Zeiten: der Tod des Putschisten und Massenmörders Franco, der letztlich gescheiterte Versuch einer Demokratisierung, eine Volksbewegung, die Amnestie für alle politischen Gefangenen forderte, die Entscheidung von ETA, den bewaffneten Kampf auch unter den neuen Vorzeichen weiterzuführen, weil die alten Garden des Franquismus in Amt, Macht und Würden geblieben waren.
Aufgrund politischer Differenzen mit den Herausgebern verließ er diesen Posten bei EGIN schon zwei Jahre später, 1978. Diese Erfahrung bezeichnete er selbst später als traumatisch und gleichzeitig bereichernd. EGIN betrieb einen investigativen Journalismus und konfrontierte sich mit dem Staat. Im Jahr 1998 wurde die Zeitung einschließlich ihres Radios von einem Madrider Richter geschlossen – illegalerweise, wie ein späterer Prozess ergab. Als Zuschauer sollte Ferrer eine weitere Zeitungs-Schließung erleben, die der einzigen baskisch-sprachigen EUSKALDUNON EGUNKARIA (bask: Tageszeitung der Baskischsprachigen) im Jahr 2002. Auch diese von haarsträubenden Begründungen begleitete Schließung, in deren Folge die Chefredakteure brutal gefoltert wurden, wurde später für illegal erklärt – von spanischen Gerichten.
Zurück zu Radio Popular
Nach dem Ende bei EGIN kam Ferrer zu Radio Popular zurück. Die langjährige Arbeit in diesem Medium schloss nicht aus, dass er auch andere zeitlich begrenzte Arbeiten ausführte. So war er eine Zeit lang Pressechef des weltbekannten Internationalen Filmfestivals ZINEMALDIA in Donostia; im spanischsprachigen Sender des öffentlichen baskischen Fernsehens ETB2 präsentierte er 1989 und 1990 die Debattenreihe “Sin permiso“ (ohne Erlaubnis); an der privaten Jesuiten-Universität in Deustu (Bilbao) hielt er zwischen 1999 und 2004 Vorträge über “die Sprache in der Kommunikation“.
Ferrer machte sich einen Ruf als Artikelschreiber verschiedener Medien. 1991 arbeitete er mit der rein baskisch-sprachigen Zeitschrift JAKIN zusammen (bask: wissen). Später und über einen Zeitraum von 10 Jahren schrieb er Kolumnen für die spanische Tageszeitung EL MUNDO (Die Welt), die sich vom republikanischen zum stramm rechten Blatt wendete.
Seine Erfahrung und journalistische Philosophie fasste er einst in einem Interview über die 1990er Jahre zusammen (2): “Die ganze Presselandschaft hat eine Krise erlebt, weil wir die Digitalisierung in unserem Metier schlecht integriert haben. Dadurch wurde die Krise schlimmer als notwendig, verbunden mit zunehmender Prekarität, niedrigen Löhnen, keiner Sozialversicherung und wenig Zeit für die journalistische Arbeit. Heutzutage ist es eine große Ausnahme, in einer Tageszeitung eine Exklusiv-Geschichte zu finden, von den Zeitschriften ganz zu schweigen. Aus diesem Grund tendiert der Journalismus dazu, aus Tatsachen, die eigentlich schon bekannt sind, Spektakel zu machen. Das führt zu schlechter informativer Qualität“.
Eine kritische Haltung hatte Mariano Ferrer nicht nur zur faktischen Macht, kritisch war er auch mit jenen, die diese Macht mit bewaffneter Aktion bekämpften. Dass er in den 1970ern die ETA-nahe Tageszeitung EGIN mitgegründet hatte, hielt ihn nicht davon ab, auch ETA regelmäßig zu kritisieren. Doch ging seine Kritik nicht so weit wie die der Regierungen, Parteien und großen Kommunikationsmedien.
1997 interviewte Ferrer zusammen mit dem Journalisten Martin Garitano (3) die Führung von ETA, das Gespräch wurde auf Video aufgenommen. Auf den Bildern erscheinen vermummte Personen, die auf die Fragen der Reporter antworten. 2016 sagte er bei der Sommeruniversität: “Die Medien können ansteckend sein, am Ende glaubst du, was sie erzählen (…) Wir dachten, dass zuerst die Ereignisse ablaufen und dann die Medien agieren. Aber die Medien sind nicht mehr hinter den Nachrichten her, sie selbst nehmen Einfluss darauf, was passiert“.
Der Politiker Ferrer
In verschiedenen Momenten seines Lebens machte der Journalist Ferrer kleine Sprünge in die Politik. Nicht in Parlamente oder Institutionen, sondern in soziale Bewegungen. Seit 1992 arbeitete er in der Friedensinitiative ELKARRI (bask: gemeinsam) mit, die sich später in LOKARRI umbenannte (bask: was der Vereinigung dient) und die sich um eine Verhandlungslösung des spanisch-baskischen Konflikts bemühte.
Zwischen 2003 und 2007 wurde Ferrer zum Sprecher der Plattform gegen den Massenprozess 18/98, mit dem mehr als 100 linke baskische Politiker*innen, Aktivist*innen und Journalist*innen wegen angeblicher Zusammenarbeit mit ETA zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, zwischen 5 und 12 Jahren. Aktiv war er auch bei der Volksbewegung GURE ESKU DAGO (Es ist unser Recht), die ein freies Selbstbestimmungsrecht in Form verbindlicher Volksbefragungen für das Baskenland fordert.
Der Pensionär Ferrer
Als Rentner publizierte er zwei Bücher. “Derechos, libertades y razón de Estado (1996-2005)” (Rechte, Freiheiten und Staatsräson), sowie “Mariano Ferrer, lo que dije y digo” (MF, was ich sagte und sage). Im Jahr 2017 erhielt Mariano Ferrer für seine gesamte professionelle Laufbahn den Preis der Vereinigung baskischer Journalist*innen.
Lange Zeit war das Euskara, die baskische Sprache, das große Versäumnis des Mariano Ferrer. Seine ganze berufliche Karriere hatte er auf Spanisch hinter sich gebracht. Erst als Rentner machte er sich an die nunmehr nicht mehr einfache Aufgabe, Baskisch zu lernen. Mit enormer Energie schaffte er es, sich ein Niveau anzueignen, mit dem er in der Lage war, sich in Euskara zu unterhalten und Interviews auch auf Baskisch zu geben.
Umgebende Geschichte(n)
Mariano Ferrer wurde am 11. September 1939 in Donostia geboren. Der Krieg im Baskenland war zwei Jahre und drei Monate zuvor zu Ende gegangen, Gipuzkoa und Bizkaia waren von den Franquisten zu “Verräter-Provinzen“ erklärt worden. Auf spanischer Ebene ging der Krieg erst fünf Monate vor seiner Geburt zu Ende. 10 Tage zuvor hatte Nazi-Deutschland Polen überfallen und den Zweiten Weltkrieg begonnen. An seinem 44. Geburtstag ereignete sich in Chile der Pinochet-Putsch gegen die sozialistische Allende-Regierung. Es sollte nicht die einzige weltpolitische Schreckensnachricht sein an einem seiner Geburtstage. An seinem 62. fiel in New York das Twin-Tower-Gebäude einem Anschlag zum Opfer.
Politischer Journalismus
Politische Journalisten oder Journalisten in der Politik waren im Baskenland in der jüngeren Vergangenheit keine alleinige Domäne von Mariano Ferrer. Das baskische Fernsehen hat in dieser Hinsicht einer ganzen Reihe von Journalistinnen als Sprungbrett gedient. Uxue Barkos arbeitete in Madrid und Navarra für das baskische und das spanische Fernsehen, bevor sie 2004 als Abgeordnete der liberal-nationalistischen Koalition NAFARROA BAI ins spanische Parlament gewählt wurde. Von Juli 2015 bis Juli 2019 war sie als Vertreterin der Koalition GEROA BAI die erste Präsidentin der Autonomen Region Navarra.
Diese Liste setzt sich fort mit aktuellen Journalisten und Journalistinnen des baskischen Fernsehens, die Referate halten zum Thema Faschismus in Italien. Martin Garitano war zuerst Journalist bei der Tageszeitung GARA und später wie Mariano Ferrer Radioreporter, in seinem Fall bei Info7, er nahm im baskischen Fernsehen regelmäßig an einem politischen Diskussionsprogramm teil: “Politicamente Incorrecto“. 2011 gewann seine Wahlkoalition EUSKAL HERRIA BILDU die Wahlen in der Stadt San Sebastian und in der entsprechenden Provinz Gipuzkoa. Garitano wurde für vier Jahre zum Regierungspräsidenten der Provinzregierung gewählt.
Für das baskische Parlament in Vitoria-Gasteiz und ebenfalls für die linke Wahlkoalition EH BILDU nahmen sich auch die Redakteurinnen Jasone Agirre und Maddalen Iriarte eine Auszeit beim baskischen öffentlichen Fernsehen. Iriarte war eine beliebte Interviewerin zu politischen Themen, bevor sie den Fraktionsvorsitz der abertzalen Gruppe im baskischen Parlament übernahm.
Mit Mariano Ferrer ist der Methusalem dieser politischen Journalisten für immer abgetreten. Über Nachwuchs aus dem einen in das andere Lager – von der Redaktion in die Politik – braucht sich indessen niemand Sorgen zu machen. Journalismus hat im bewegten Baskenland bislang eine vorwiegend fortschrittliche, kritische und unabhängige Note.
(Publikation Baskultur.info 2019-07-18)
ANMERKUNGEN:
(1) Information aus den Artikeln „“Muere Mariano Ferrer, referente para conocer la política vasca” (Tod von MF, Vermittler der baskischen Politik) (LINK) – “Fallece el periodista Mariano Ferrer tras una comprometida trayectoria profesional” (Tod von MF nach einem engagierten beruflichen Leben“ (LINK) – Wikipedia Mariano Ferrer
(2) Zitat Tageszeitung GARA “Fallece el periodista Mariano Ferrer tras una comprometida trayectoria profesional” (LINK)
(3) Martin Garitano: arbeitete als Redakteur bei der Tageszeitung GARA, dann bei Info7 Radio und für das baskische Fernsehen, bevor er 2011 für die Wahlkoalition EUSKAL HERRIA BILDU zum Provinzpräsidenten von Gipuzkoa gewählt wurde.
ABBILDUNGEN:
(1) Mariano Ferrer (deia)
(2) EGIN Tageszeitung
(3) M. Ferrer (elmundo)
(4) Massenprozess 18/98 (elpais)
(5) Egin-Schließung (elcorreo)
(6) M. Ferrer (naiz)